Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 19.03.1975; Aktenzeichen L 4/Kg 8/74)

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. März 1975 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Kläger verpflichtet sind, die von der Beklagten geforderten Beiträge zur Krankenversicherung, zur Arbeiterrentenversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) sowie eine Umlage nach § 14 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFG) für Aushilfskräfte zu entrichten, deren Person und Beschäftigungsumfang nicht hinreichend bekannt sind.

Der Kläger zu 1) betrieb bis zum 31. Dezember 1970 ein Kanal- und Tiefbauunternehmen, das seit 1. Januar 1971 von der Klägerin zu 2) weitergeführt wird. Bei einer Betriebsprüfung am 20. und 21. März 1972 stellte die Beklagte fest, daß die Kläger in der Zeit vom 11. September 1970 bis 24. Dezember 1970 und vom 29. Januar 1971 bis 24. Dezember 1971 Löhne von insgesamt 18.495,25 DM bzw. 36.847,66 DM an zum großen Teil namentlich unbekannte Aushilfskräfte gezahlt und hierfür keine Versicherungsbeiträge abgeführt hatten. Mit Bescheid vom 25. Mai 1972 forderte sie vom Kläger zu 1) Beiträge zur Kranken- und Arbeiterrentenversicherung und zur BA in Höhe von 5.464,24 DM sowie eine LFG-Umlage in Höhe von 599,04 DM. Der von der Klägerin zu 2) geforderte Betrag belief sich auf 11.452,02 DM für Beiträge und 1.024,07 DM für die LFG-Umlage. Widerspruch, mit dem die Kläger die Versicherungsfreiheit der Aushilfskräfte geltend machten, und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. November 1972, Urteil des Sozialgerichts –SG– München vom 17. Juli 1973). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 19. März 1975). Es hat für die Aushilfskräfte Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung sowie Beitragspflicht zur BA angenommen, weil diese bei den Klägern unstreitig gegen Entgelt beschäftigt gewesen seien. Ihre Versicherungs- und Beitragspflicht hänge nicht davon ab, daß sie zum großen Teil ihrer Person nach nicht feststellbar seien. Es könne auch nicht angenommen werden, daß sie versicherungsfrei gewesen seien, weil sie bei den Klägern jeweils nur kurz gearbeitet hätten. Die tatsächliche Voraussetzung für eine versicherungsfreie Nebenbeschäftigung bei den Klägern nach den §§ 168 und 1228 der Reichsversicherungsordnung (RVO) könnten nicht mehr bewiesen werden, weil die Empfänger der ausgezahlten Löhne nicht mehr feststellbar seien. Auch für die beschäftigten Studenten könne Versicherungsfreiheit nicht bejaht werden, weil ihre Namen nicht bekannt seien und es sich deshalb nicht feststellen lasse, daß sie ordentliche Studierende einer Hochschule gewesen seien. Da sich auch nicht mehr aufklären lasse, ob die Beschäftigung von Aushilfskräften auf nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegte oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt war, könne auch eine Beitragsfreiheit nach § 169 Nr. 6 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nicht angenommen werden. Die Vorschriften über die Versicherungsfreiheit seien Gegennormen, weil sie die gleichen Tatbestände wie die Grundnormen über das Bestehen der Versicherungspflicht aufwiesen, darüber hinaus aber auch noch Merkmale enthielten, welche die Gegenwirkung der Versicherungsfreiheit auslösten. Da bei Versicherungsfreiheit der von ihnen beschäftigten Aushilfskräfte die Kläger insoweit von der Beitragspflicht befreit wären, hätten sie die Folgen zu tragen, daß die rechtserheblichen Tatsachen, aus der sie ein Recht herleiten, nämlich die Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit, nicht mehr festgestellt werden könnten.

Die Kläger haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen sinngemäß eine Verletzung der §§ 168, 1228 RVO und des § 169 Nr. 6 AFG. Das LSG habe verkannt, daß das Merkmal der Versicherungsfreiheit kein rechtshindernder, rechtsvernichtender oder rechtshemmender Einwand sei, den der Arbeitgeber vorzubringen und nachzuweisen habe. Die Versicherungsfreiheit sei vielmehr ein negatives Tatbestandsmerkmal, dessen Fehlen die Beklagte nachzuweisen habe. Nicht die Kläger nähmen ein Recht für sich in Anspruch, sondern die Beklagte beanspruche Rechte aus Beschäftigungsverhältnissen, für die bestimmte Voraussetzungen vorliegen müßten. Wie das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 6. Februar 1974 (BSGE 37, 114) zu Recht entschieden habe, seien die Folgen der Ungewißheit, ob und inwieweit eine zur Beitragspflicht führende Versicherungspflicht von namentlich nicht bezeichneten Beschäftigten bestanden habe, nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast von der beklagten Krankenkasse zu tragen.

Die Kläger beantragen,

die Urteile des SG und LSG sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. November 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie DM 18.539,37 nebst 12 % Zinsen seit 1. Januar 1974 zurückzuzahlen,

Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Kläger ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG hat für die von den Klägern gegen Entgelt beschäftigten Aushilfskräfte Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung sowie Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung deshalb angenommen, weil es die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Versicherungs- und Beitragsfreiheit als nicht bewiesen und auch als nicht mehr beweisbar angesehen hat. Es hat hierbei darauf abgestellt, daß die Vorschriften über die Versicherungsfreiheit Gegennormen seien und daß die Kläger die Folgen der Nichtbeweisbarkeit der für die Versicherungsfreiheit rechtserheblichen Tatsachen zu tragen hätten.

Das Berufungsgericht hat hierbei verkannt, daß Versicherungsfreiheit die Ausnahme von der Versicherungspflicht ist und diese denkgesetzlich voraussetzt und daß deshalb nicht schon die Nichtbewiesenheit der Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit die Feststellung der Versicherungspflicht rechtfertigt. Die Beitragspflicht der Kläger hängt vielmehr davon ab, daß zunächst die Versicherungspflicht der einzelnen bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer festgestellt wird. Um über die Versicherungspflicht der Aushilfskräfte entscheiden zu können, hätten daher erst die dazu erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen ermittelt werden müssen. Dies hat das LSG – ausgehend von seiner Rechtsauffassung – unterlassen, so daß sein auf unzureichende und vom BSG nicht nachholbare Tatsachenfeststellungen beruhendes Urteil keinen Bestand haben kann.

Das LSG wird unter Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen zu ermitteln haben, wer jeweils als Aushilfskraft beschäftigt war und wie das Beschäftigungsverhältnis im einzelnen gestaltet war. Ergibt sich hierbei die Unmöglichkeit, den von der Beklagten behaupteten Tatbestand der Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung und die Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung festzustellen, so geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten als Einzugsstelle, die aus der von ihr behaupteten Versicherungspflicht ihre Beitragsforderung ableitet (BSGE 41, 297, 300; 37, 114, 117). Der Beweis ist allerdings zu Gunsten der Beklagten als geführt anzusehen, wenn die Kläger die ihnen als Arbeitgeber gesetzlich auferlegten Mitwirkungspflichten bei der zunächst festzustellenden Versicherungspflicht schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) verletzt und so die erforderliche Aufklärung verhindert haben. Die Einzugstellen können nämlich den von ihnen verlangten Beweis der für die Versicherungspflicht notwendigen Tatsachen nur führen, wenn die Arbeitgeber ihren für den Beitragseinzug entscheidenden Mitwirkungspflichten nachkommen. Diese aus der besonderen „Indienstnahme Privater” abgeleiteten Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers umfassen die Einzelpflichten zur Aufzeichnung, Auskunft, Meldung, Vorlage und Beitragsabführung. Wenn auch die Aufzeichnungspflicht als solche nicht ausdrücklich im Gesetz aufgeführt ist, so ergibt sie sich doch zwingend aus dem Zusammenhang der übrigen gesetzlich bestimmten Melde-, Auskunfts- und Vorlagepflichten. Es ist nämlich ausgeschlossen, diese Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, wenn nicht vorher der Arbeitgeber die versicherungsrechtlich maßgeblichen Angaben, wie sie z.B in § 2 der Beitragsüberwachungs-Verordnung (BÜVO) im einzelnen aufgeführt sind, aufgezeichnet hat. Diese gesamten Mitwirkungspflichten treffen den Arbeitgeber auch dann, wenn er Personen lediglich unständig beschäftigt (BSGE 41, 297, 301). Dem steht nicht entgegen, daß sich gem. § 444 Abs. 1 RVO der versicherungspflichtige unständig Beschäftigte selbst zur Eintragung bei der Kasse anmelden soll und daß diese Vorschrift nicht in dem die Verstöße gegen Melde- und Auskunftspflichten unter Sanktionen stellenden § 530 RVO aufgeführt ist. Ob sich die Meldepflicht des Arbeitgebers schon nach § 317 Abs. 1 RVO auch im Rahmen der. Krankenversicherung auf unständig Beschäftigte erstreckt und deshalb entgegen Krauskopf/Schroeder-Printzen (Soziale Krankenversicherung, Komm. 2. Aufl. RVO § 444 Anm. 2) ihre Normierung in § 18 der Datenerfassungsverordnung (DEVO) durch die Ermächtigungsnorm des § 317 Abs. 2 RVO gedeckt ist, kann dahingestellt bleiben. Die Aufzeichnungspflicht ergibt sich jedenfalls aus dem Sinn und Zweck der Mitwirkung des „indienstgenommenen” Arbeitgebers. Ob nämlich ein unständig Beschäftigter der Versicherungspflicht unterliegt oder ob er nach den einschlägigen Vorschriften in der Kranken- und Rentenversicherung versicherungsfrei und in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei ist, kann nicht vom Arbeitgeber festgestellt und entschieden werden, sondern bedarf der Entscheidung der Krankenkasse als Einzugsstelle. Dieser muß daher durch die Meldung bzw. Auskunft die Grundlage für ihre Entscheidung in die Hand gegeben werden, wobei diese Mitwirkungspflicht für die Rentenversicherung (§ 1427 Abs. 1 RVO) und für die Arbeitslosenversicherung (§ 178 Abs. 1 AFG) ausdrücklich ohne Einschränkung vorgeschrieben ist. Um aber seiner Melde- und Auskunftspflicht genügen zu können und der Einzugsstelle die Möglichkeit der Überprüfung und Sachverhaltsfeststellung zu geben, ist der Arbeitgeber – auch ohne daß dies in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich geregelt zu sein braucht – gehalten, alle für die Versicherungspflicht und ggf. auch für die Versicherungsfreiheit maßgeblichen Tatsachen über den Beschäftigten aufzuzeichnen.

Wird die allen anderen Mitwirkungspflichten zugrunde liegende und alle Beschäftigten ohne Rücksicht auf das Bestehen einer Versicherungspflicht umfassende Aufzeichnungspflicht vom Arbeitgeber absichtlich oder schuldhaft verletzt und dadurch von ihm die der Einzugsstelle obliegende Beweisführung zur Versicherungspflicht der Beschäftigten vereitelt, dann hat der Arbeitgeber Beiträge nach Maßgabe der Lohnsumme zu zahlen, ohne daß es auf den tatsächlichen Nachweis der Versicherungspflicht des einzelnen Versicherten ankommt (BSGE 41, 297, 301).

Das LSG wird nunmehr die entsprechenden Ermittlungen nachzuholen und darüber zu entscheiden haben, ob nach den vom Senat entwickelten Grundsätzen ein Anspruch der Beklagten auf die geforderten Beiträge besteht.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926361

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