Leitsatz (amtlich)
Die Beitragsregelung des § 4 Abs 2 HwVG verstößt auch dann nicht gegen das Grundgesetz (Art 2 Abs 1, Art 3, 12, 20 GG), wenn der Handwerker infolge seiner individuellen Betriebsgestaltung und -führung nur ein geringes Einkommen erzielt.
Leitsatz (redaktionell)
Die Vorschrift des § 4 Abs 2 HwVG wonach die Beiträge ohne Rücksicht auf die Höhe des Arbeitsentgeltes zu entrichten sind, verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, denn diese Vorschrift ist erst dann verletzt, wenn der Gesetzgeber es versäumt, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 12 Abs. 1 Fassung: 1968-06-24, Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; HwVG § 4 Abs. 2 Fassung: 1965-09-09, Abs. 3 Fassung: 1965-09-09, Abs. 4 Fassung: 1965-09-09, Abs. 5 Fassung: 1965-09-09, Abs. 6 Fassung: 1965-09-09
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 17.12.1980; Aktenzeichen L 2 J 1654/80-2) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 07.08.1980; Aktenzeichen S 7 J 2599/79) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht des Klägers in der Handwerkerversicherung ab 1. Januar 1979.
Der Kläger ist selbständiger Friseurmeister. Er ist in seinem Friseurgeschäft 32 Stunden wöchentlich tätig und beschäftigt eine Friseuse, die nicht Lehrling oder seine Ehefrau oder Verwandte ersten Grades ist. Der Kläger war zunächst von Oktober 1971 bis Januar 1974 in die Handwerksrolle eingetragen; er ist seit dem 10. September 1975 wieder eingetragen. Nach dem Einkommensteuerbescheid für 1978 betrug das Einkommen des Klägers aus seinem Gewerbebetrieb 6.451,31 DM (= 537,61 DM monatlich).
Mit dem Bescheid vom 28. März 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 26. September 1979 stellte die Beklagte fest, daß der Kläger bis zum Inkrafttreten des § 8 des Sozialgesetzbuches IV (SGB IV) wegen Geringfügigkeit der Einkünfte versicherungsfrei war, jedoch ab 1. Januar 1979 versicherungspflichtig sei.
Klage und Berufung mit dem Ziel, die Versicherungsfreiheit des Klägers im Hinblick auf die geringe Höhe seiner Einkünfte festzustellen, blieben erfolglos (Urteile des Sozialgerichts - SG - Mannheim vom 7. August 1980 und des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1980). Das LSG hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß der Kläger, der noch keine Beitragszeit von 216 Kalendermonaten zurückgelegt hat, allein aufgrund seiner Eintragung in die Handwerksrolle gemäß § 1 Abs 1 des Handwerkerversicherungsgesetzes (HwVG) versicherungspflichtig sei. Der Kläger habe daher auch ohne Rücksicht auf die Höhe seines Einkommens die in § 4 Abs 2 HwVG der Höhe nach gesetzlich pauschal geregelten Beiträgen zu entrichten. Er sei auch nicht nach § 4 Abs 5 HwVG zur verminderten Beitragsleistung befugt; § 4 Abs 5 Nr 1 HwVG sei unanwendbar, weil der Kläger erstmals bereits 1971 in die Handwerksrolle eingetragen worden sei; die Anwendbarkeit des § 4 Abs 5 Nr 2 HwVG entfalle, weil die beim Kläger arbeitende Friseuse weder sein Lehrling noch seine Ehegattin oder Verwandte ersten Grades sei. Schließlich komme für den Kläger auch die in § 4 Abs 6 HwVG vorgesehene Entrichtung niedrigerer Beiträge nicht in Betracht, weil er nicht zu dem in § 4 Abs 5 HwVG genannten Personenkreis gehöre. Die in § 4 Abs 2 HwVG getroffene Regelung sei schließlich auch nicht verfassungswidrig; sie verstoße insbesondere nicht gegen den in Art 20 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) normierten Sozialstaatsgrundsatz.
Der Kläger rügt mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision die Verfassungswidrigkeit der vorgenannten Bestimmungen des HwVG, die dazu führten, daß ihm von seinem schon unter der Pfändungsgrenze liegenden Einkommen nur 141,61 DM monatlich zum Lebensunterhalt verblieben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom
17. Dezember 1980 und des Sozialgerichts Mannheim vom
7. August 1980 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom
28. März 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
26. September 1979 aufzuheben, soweit die Beklagte für den Zeitraum
ab 1. Januar 1979 die Versicherungspflicht des Klägers zur
Handwerkerversicherung festgestellt hat.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend die Versicherungspflicht des Klägers in der Handwerkerversicherung ab 1. Januar 1979 bejaht.
Wie das LSG zutreffend angenommen hat, folgt die Versicherungspflicht des in die Handwerksrolle eingetragenen Klägers aus § 1 Abs 1 HwVG. Nach den unangefochtenen und für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hat der Kläger bisher auch noch nicht 216 Beitragsmonate zurückgelegt.
Der Kläger ist auch nicht nach § 1 Abs 5 HwVG iVm § 1228 Abs 1 Nr 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 8 Abs 1 des Sozialgesetzbuches (SGB) IV versicherungsfrei, weil er in seinem Handwerksunternehmen wöchentlich 32 Stunden und daher nicht mehr in nur geringfügigem Umfange tätig ist. Des weiteren hat das LSG auch zutreffend entschieden, daß für den Kläger die Vergünstigungen des § 4 Abs 5 HwVG nicht in Betracht kommen. Die Anwendbarkeit des § 4 Abs 5 Nr 1 HwVG entfällt, weil die erste Eintragung des Klägers in die Handwerksrolle mehr als drei Jahre zurückliegt. Das Gesetz stellt in § 4 Abs 5 Nr 1 HwVG ausdrücklich auf die erstmalige Eintragung in die Handwerksrolle ab, es fordert aber nicht eine drei Jahre dauernde Zugehörigkeit zur Handwerkskammer. Nach den bindenden Feststellungen des LSG beschäftigt der Kläger auch eine Arbeitnehmerin, die nicht Lehrling oder seine Ehegattin oder Verwandte ersten Grades ist, so daß auch die Voraussetzungen des § 4 Abs 5 Nr 2 HwVG entfallen. Schließlich hat das LSG unangegriffen festgestellt, daß die in § 4 Abs 6 HwVG geregelten Voraussetzungen für eine Abweichung von der Mindestbeitragshöhe im Falle des Klägers nicht erfüllt sind. Die Vorschrift des § 4 Abs 2 HwVG verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits in seinem die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des 4. Senats des BSG vom 17. Februar 1970 - 4 RJ 247/67 - (SozR Nr 2 zu § 4 HwVG v. 8.9.60) zurückweisenden Beschluß vom 11. Oktober 1972 - 1 BvR 288/79 - (BVerfGE 34, 62, 70 = SozR GG Art 3 Nr 94) entschieden, daß die in § 4 Abs 2 HwVG getroffene Regelung über den einkommensunabhängigen Pflichtbeitrag der Handwerker nicht gegen Art 3 GG und gegen Art 12 GG verstößt.
Die in Art 12 GG geschützte Berufsfreiheit wird durch eine Pflichtversicherung von der Art der Handwerkerversicherung nicht berührt (BVerfG aaO).
Auch die Bestimmung eines von der Höhe des Einkommens unabhängigen Pflichtbeitrages bei der Rentenversicherung der Handwerker verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 GG. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (vgl Beschluß vom 18. September 1978 - 1 BvR 533/78 -, SozR 2200 § 1227 Nr 18 mwN) verstoßen typisierende Regelungen im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich nicht gegen Art 3 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 GG); unvermeidliche Härten in Randbereichen müssen hingenommen werden. Art 3 Abs 1 GG ist erst dann verletzt, wenn der Gesetzgeber es verabsäumt, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (vgl Beschluß vom 1. Juli 1981 - 1 BvR 874/77 ua -, SozR 2200 § 1255a Nr 7 = NJW 1982, 155). Dabei mögen die Ziele des Gesetzgebers im Einzelfall nicht gänzlich einleuchtend sein. Maßgeblich ist allein, ob die Norm im Verhältnis zur tatsächlichen Situation, die sie regeln soll, objektiv eindeutig unangemessen ist. Das ist bei der Beitragsregelung in § 4 Abs 2 HwVG nicht der Fall. Das BVerfG und das BSG haben schon wiederholt entschieden, daß der Gesetzgeber insbesondere zur Vereinfachung des Beitragseinzugs von einer Beitragshöhe ausgehen durfte, wie sie Arbeitnehmer durchschnittlich zu entrichten haben (Beschlüsse des BVerfG vom 11. Oktober 1972 - aaO - und vom 18. September 1978 - aaO -; Urteile des BSG vom 17. Februar 1970 - aaO - und vom 1. März 1978 - 12 RK 41/76 -, SozR 2200 § 1227 Nr 13).
Dabei handelt es sich bei der durch § 4 Abs 2 HwVG getroffenen Beitragsbemessung um eine objektiv angemessene und in der Regel auch wirtschaftlich tragbare Regelung, vor allem wenn berücksichtigt wird, daß die in § 4 Abs 5 und 6 HwVG geschaffenen Sondervorschriften für Allein- und Junghandwerker bereits die wesentlichen Härtefälle ausschließen. Soweit im Falle des Klägers die Mindestbeitragshöhe in der Handwerkerversicherung insofern zu einer Härte führt, als sein aus seinem Handwerksbetrieb erzieltes Einkommen überwiegend zur Finanzierung seiner Handwerkerversicherung verwendet werden muß, ist diese Folge in erster Linie Ausfluß des Umstandes, daß der Kläger einen Handwerksbetrieb führt, dessen Kosten und Erträge nicht in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Wenn der Gesetzgeber einen derart atypischen Einzelfall nicht in seine gesetzgeberische Überlegung einbezieht, so kann dies nach Auffassung des Senats unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes nicht beanstandet werden.
Aus denselben Gründen ist auch die allgemeine Handlungsfreiheit des des Klägers, soweit sie eine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) einschließt, nicht unangemessen eingeschränkt. Dem Kläger verbleibt auch unter Berücksichtigung der in § 4 Abs 2 HwVG bestimmten Pflicht zur Entrichtung von Durchschnittsbeiträgen noch ein ausreichender Spielraum, sich als Unternehmer frei entfalten zu können (BVerfG, Beschluß vom 14. Oktober 1970 - 1 BvR 306/68 -; BVerfGE 29, 260, 267). Daß der Umfang des Gewinns dabei wesentlich von der individuellen Betriebs-Gestaltung und -führung des einzelnen Handwerkers abhängt, folgt aus der ihm überlassenen Dispositionsfreiheit als Unternehmer.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen