Leitsatz (amtlich)

Rentner, die eine Rente iS des Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG beziehen, sind nicht nach § 176 Abs 1 S 1 Nr 9 RVO versicherungsberechtigt.

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 4 Fassung: 1977-06-27; RVO § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 Fassung: 1977-06-27, § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1977-06-27, § 1304e Fassung: 1977-06-27

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 07.01.1981; Aktenzeichen L 4 Kr 19/80)

SG Osnabrück (Entscheidung vom 31.01.1980; Aktenzeichen S 3 Kr 23/79)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß er freiwilliges Mitglied der Beklagten ist. Er ist im Jahre 1896 geboren und bezieht aufgrund eines am 20. November 1975 gestellten Rentenantrags seit dem 1. Dezember 1975 Altersruhegeld von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover. Der Rentenbescheid vom 11. Juni 1976 erhält den Hinweis, daß diese Rente gemäß Art 2 § 51 a Abs 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG -) nicht als Rente im Sinne der §§ 165, 1304e Reichsversicherungsordnung (RVO) gelte, weil ohne die nachentrichteten Beiträge nach Art 2 §§ 46, 51 a Abs 2 ArVNG weder die Wartezeit erfüllt noch die Halbbelegung (§ 1259 Abs 3 RVO) vorhanden sei (Art 2 § 51 a Abs 4 ArVNG). Die hiergegen gerichtete Klage auf Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) und Gewährung eines Beitragszuschusses zur Rente blieb erfolglos. Die Berufung wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen (LSG) vom 28. März 1979 zurückgewiesen. Zu jenem Sozialrechtsstreit war die jetzige Beklagte beigeladen.

Der Kläger war bis zur Stellung des Rentenantrages privat krankenversichert gewesen. Danach wurde er von der Beklagten bis zum Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils - Ende Mai 1979 - als Formalversicherter (§ 315a RVO) geführt. Der Kläger beabsichtigte, die Versicherung bei der Beklagten ab 1. Juni 1979 als freiwillige Versicherung fortzusetzen und gab noch im Mai 1979 eine entsprechende Erklärung ab. Die Beklagte lehnte dies jedoch ab, da nach ihrer Auffassung weder die Voraussetzungen des § 313 RVO (was inzwischen unter den Beteiligten unstreitig ist) noch die einer Versicherungsberechtigung nach § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO vorlagen (Bescheid vom 23. Mai 1979 und Widerspruchsbescheid vom 29.Juni 1979). Klage (Urteil des Sozialgerichts -SG Osnabrück vom 31. Januar 1980) und Berufung (Urteil des LSG Niedersachsen vom 7. Januar 1981) blieben erfolglos.

Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Der Kläger erfülle zwar nach dem Wortlaut des § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO die Voraussetzungen einer Versicherungsberechtigung als Rentner; doch gelte er im Rechtssinne nicht als Bezieher einer Rente aus der Arbeiterrentenversicherung und sei deshalb nicht beitrittsberechtigt. Art 2 § 51 a Abs 4 ArVNG verweise allerdings nicht ausdrücklich auch auf § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO. Aus dem Regelungszusammenhang, in dem § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO zu § 165 Abs 1 Nr 3 RVO stehe, und aus der Entstehungsgeschichte des § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO ergebe sich aber, daß auch nach dieser Vorschrift die Möglichkeit eines freiwilligen Beitritts zur Krankenversicherung nur Rentnern im Sinne des § 165 RVO offen stehe.

Hiergegen hat der Kläger die vom LSG zugelassene Revision eingelegt, mit der er eine Verletzung des § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO rügt. Er ist der Auffassung, die §§ 165 und 176 RVO stünden selbständig nebeneinander und regelten unterschiedliche Rechtsfragen. § 165 RVO beziehe sich auf die Versicherungspflicht, § 176 RVO dagegen auf die Versicherungsberechtigung. Es sei ein großer Unterschied, ob aus der KVdR Beitrags- bzw Zuschußleistungen der Rentenversicherung zu erbringen seien oder ob nur eine Versicherungsberechtigung mit eigener Beitragsleistung bestehe. Den im angefochtenen Urteil angenommenen engen Regelungszusammenhang zwischen den §§ 165 und 176 RVO hätte der Gesetzgeber ohne Schwierigkeiten dadurch herstellen können, daß er § 176 RVO in den Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG aufgenommen hätte, was aber nicht geschehen sei.

Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich als sein Revisionsantrag, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 7. Januar 1981 und das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 31. Januar 1980 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 1979 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1979 aufzuheben und festzustellen, daß der Kläger seit dem 1. Juni 1979 freiwilliges Mitglied der Beklagten ist.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Er ist, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht nach §§176 Abs§1 Satz§1 Nr§9 RVO berechtigt, der beklagten Krankenkasse als freiwilliges Mitglied beizutreten.

Der Kläger bezieht seit Dezember 1975 ein Altersruhegeld, das ohne die von ihm nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG nachentrichteten Beiträge nicht gewährt worden wäre. Da bei ihm auch die Voraussetzungen des § 1259 Abs 3 RVO (Halbbelegung) nicht vorliegen, gilt sein Altersruhegeld nicht als Rente iS der §§ 165, 1304e RVO (Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG, sogenannte Artikel-Rente); sie begründet mithin weder Versicherungspflicht in der KVdR noch einen Anspruch auf Beitragszuschuß für eine freiwillige Krankenversicherung (vgl dazu BT-Drucks VI/2916 S 48 zu Nr 10). Den Ausschluß der genannten "Artikel-Rentner" von der Mitgliedschaft in der KVdR hat der Gesetzgeber - bei der Einfügung des Art 2 § 51a in das ArVNG im Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I, 1965) - auch nicht dadurch gemildert, daß er den betroffenen Rentnern eine Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeräumt hat, obwohl bereits früher eine ähnliche Versicherungsberechtigung der von der KVdR ausgeschlossenen Rentner (§ 176 Abs 1 Satz 1 Nr 4 RVO idF des Gesetzes vom 12. Juni 1956, BGBl I, 500) bestanden hatte, die erst durch das Finanzänderungsgesetz 1967 (FinÄndG 1967) vom 21. Dezember 1967 (BGBl I, 1259) nach Einbeziehung aller Rentner in die Versicherungspflicht mit Wirkung vom 1. Januar 1968 aufgehoben worden war (Art 1 § 1 Nr 4 FinÄndG 1967; vgl dazu die Begründung in BT-Drucks zu V/2341 S 4 unter Nr 4). Wenn der Gesetzgeber im Jahre 1972 - trotz dieses naheliegenden Vorbildes - auf eine entsprechende Regelung für die nach Art 2 § 51a Abs 4 ArNVG von der KVdR ausgeschlossenen "Artikel-Rentner" verzichtet hat, so läßt dies nur den Schluß zu, daß er den genannten Rentnern eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung - auch auf eigene Kosten - nicht hat ermöglichen wollen.

Nach Ansicht des Senats gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber seinen Willen später geändert hat. Das gilt namentlich für die durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I, 1069) in die RVO eingefügte Nr 9 des § 176 Abs 1 Satz 1. Diese Vorschrift erklärt zwar ihrem Wortlaut nach grundsätzlich alle Personen, "die eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter ...beziehen", für versicherungsberechtigt, ohne dabei nach der Art der bezogenen Rente zu unterscheiden, ohne insbesondere die genannten "Artikel-Rentner" ausdrücklich auszunehmen. Dennoch macht der Bezug einer solchen Rente nach Ansicht des Senats ihr Bezieher nicht nach § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO versicherungsberechtigt. Das LSG hat insoweit vor allem auf den Regelungszusammenhang der genannten Vorschrift mit der Einschränkung der Versicherungspflicht in der KVdR durch § 165 Abs 1 Nr 3 RVO idF des KVKG hingewiesen. Der zeitliche und sachliche Zusammenhang beider Vorschriften ist in der Tat so deutlich - sie sind als Nrn 1 und 3 in Art 1 § 1 des KVKG enthalten -, daß schon dies die Annahme nahelegt, der Gesetzgeber habe die Versicherungsberechtigung in § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO nur mit Rücksicht auf die Einschränkung der KVdR in § 165 Abs 1 Nr 3 RVO nF und deshalb nur für den von dieser Einschränkung betroffenen Personenkreis geschaffen.

In die gleiche Richtung weist auch die Entstehungsgeschichte der beiden genannten Vorschriften. So ist in der Begründung zu § 165 Abs 1 Nr 3 RVO nF ua ausgeführt, es erscheine nicht unbillig, daß diejenigen, die der Rentenversicherung nach dem RRG von 1972 freiwillig beigetreten seien - soweit sie die in § 165 Abs 1 Nr 3 Buchstaben b und c genannten Voraussetzungen nicht erfüllten - nicht Pflichtmitglieder der Krankenversicherung der Rentner würden. Sie könnten zur Sicherung ihres Versicherungsschutzes der Krankenversicherung freiwillig beitreten und erhielten einen Beitragszuschuß von der Rentenversicherung (BT-Drucks 8/166 S 24 zu Art 1 § 1 Nr 1). Diese Begründung läßt erkennen, daß der Gesetzgeber bei der neugeschaffenen Versicherungsberechtigung von Rentnern offenbar nicht an solche gedacht hat, die - wie der Kläger - keinen Beitragszuschuß erhalten können, weil ihre Rente gemäß Art 2 § 51a Abs 4 ArVNG nicht als Rente iS des § 1304e RVO gilt. Dementsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO, damit werde eine Regelung aufgenommen, die bis zum 1. Januar 1968 bestanden habe (BT-Drucks aaO zu Art 1 § 1 Nr 3). Die hier angesprochene Regelung (§ 176 Abs 1 Satz 1 Nr 4 RVO aF) hatte indes nur Rentner begünstigt, die - anders als der Kläger - wegen Nichterfüllung der Vorversicherungszeit nicht versicherungspflichtig gewesen waren.

Wenn der Gesetzgeber im übrigen den im RRG 1972 angeordneten Ausschluß der "Artikel-Rentner" von der gesetzlichen Krankenversicherung, und zwar auch von einer auf eigene Kosten durchgeführten Versicherung, später im KVKG hätte "korrigieren" wollen, also den genannten Rentnern nunmehr ebenfalls ein Beitrittsrecht zur gesetzlichen Krankenversicherung hätte einräumen wollen, so hätte er eine solche Korrektur der eigenen früheren Entscheidung schwerlich auf die Neurentner, dh die nach dem Inkrafttreten des KVKG (1. Juli 1977) anspruchsberechtigt gewordenen Rentner beschränkt, da für eine unterschiedliche Behandlung von Alt- und Neurentnern insoweit kein sachlicher Grund bestanden hätte. § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO kann aber auf Altrentner schon deswegen nicht angewendet werden, weil für sie die Antragsfrist für den Beitritt zur Krankenversicherung - ein Monat nach Zustellung des die Rente gewährenden Bescheides (§ 176 Abs 1 letzter Satz RVO) - bei Inkrafttreten des § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO (1. Juli 1977) in der Regel bereits verstrichen war. Zwar wäre ein solcher Mangel unter Umständen durch die Rechtsprechung im Wege der Lückenfüllung zu beheben (vgl zB BSG SozR 4100 § 141e Nr 4). Das würde aber voraussetzen, daß sonstige Anhaltspunkte, die sich dem Gesetz entnehmen ließen, für einen Willen des Gesetzgebers sprächen, auch Altfälle zu begünstigen. Hier ergänzt das Fehlen von Übergangsvorschriften jedoch die übrigen gegen eine Einbeziehung von "Artikel-Rentnern" sprechenden Gründe und verstärkt die Erkenntnis, daß nach dem Willen des Gesetzgebers "Artikel-Rentner" insgesamt auch nach dem Inkrafttreten des KVKG vom Beitrittsrecht zur gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen bleiben sollen.

Für diese Annahme spricht schließlich eine allgemeine Erwägung, die sich auf den erklärten Zweck des KVKG gründet, zur Kostenentlastung der Krankenversicherungsträger beizutragen. Wären nämlich auch "Artikel-Rentner" nach § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO versicherungsberechtigt, so würden damit den Krankenkassen mit Sicherheit neue Kostenbelastungen erwachsen. Denn anders als bei denjenigen Rentnern, die wegen der Einschränkung der KVdR durch das KVKG versicherungsberechtigt geworden sind (und deren Lasten die Versichertengemeinschaft auch ohne die Einschränkung der KVdR hätte mittragen müssen), würde der Beitritt von bisher von der Krankenversicherung ausgeschlossen gewesenen "Artikel-Rentnern", zumal wenn sie beitragsfreie Familienhilfeansprüche in die Versicherung einbrächten, für die Krankenkassen nicht unerhebliche zusätzliche Lasten bedeuten. Wenn der Gesetzgeber des KVKG dies beabsichtigt oder auch nur in Kauf genommen hätte, hätte es in irgendeiner Form im Gesetz selbst oder mindestens in seiner Begründung Ausdruck finden müssen. Da dies - wie ausgeführt - nicht der Fall ist, nimmt der Senat mit den Vorinstanzen an, daß "Artikel-Rentner" auch nach dem Inkrafttreten des § 176 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO von der Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind (ebenso im Ergebnis Peters/Mengert, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl Stand November 1982, § 176 RVO Anm 10 und § 165 Anm 7 d aa; Laufer-Eibs-Ott, KVdR, Stand März 1982, § 176 RVO Anm 2; Krauskopf/ Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl - Stand Januar 1981, § 176 RVO Anm 9).

Da sich die Entscheidung des LSG somit als richtig erweist, hat der Senat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen und über die Kosten des Revisionsverfahrens nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes entschieden.

 

Fundstellen

BSGE, 106

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge