Leitsatz (redaktionell)
Gemäß SGG § 109 kann der Kläger im zweiten Rechtszug die Anhörung eines weiteren Arztes verlangen, wenn er für einen Teil seiner geltend gemachten Leiden noch keinen Gutachter benannt oder der gehörte Arzt sich nicht oder nicht ausreichend zu diesem Teil geäußert hat.
Das Zuwarten mit dem Antrag nach SGG § 109 bis zu der erst in der mündlichen Verhandlung möglichen Feststellung, ob der benannte Arzt nicht von Amts wegen gehört werden kann, kann grundsätzlich nicht als grobe Nachlässigkeit ausgelegt werden.
Normenkette
SGG § 109 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 13. September 1960 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger hat von Februar 1943 an Wehrdienst geleistet und ist Ende 1946 aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden. In der Sowjetischen Besatzungszone ist er 1947 nach einem angeblich unverschuldeten Zusammenstoß mit einem russischen Lastkraftwagen zu fünf Jahren Zwangsarbeit (Strafhaft) verurteilt worden, aus der er am 23. Januar 1950 entlassen wurde.
Im Januar 1951 beantragte der Kläger, ihm wegen der Folgen einer Malaria, die er sich in Sardinien zugezogen habe, wegen Rheumatismus, wegen eines Lungenleidens und eines Nierenleidens, ferner wegen Rippenfellentzündung und Magenbeschwerden und Verlust der Zähne Versorgung zu gewähren. Das Versorgungsamt stellte nach intern fachärztlicher und zahnärztlicher Untersuchung mit Bescheid vom 12. Juli 1954 als Schädigungsfolgen i. S. der Verschlimmerung vorzeitigen Verlust der Zähne 3 oben und unten, rechts und links, fest, im übrigen lehnte es den Versorgungsantrag ab. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Im Klageverfahren hörte das Sozialgericht (SG) den Internisten Dr. S (Gutachten vom 29. November 1956), den Neurologen Dr. W (Gutachten vom 1. Juni 1957), den Internisten Dr. P (Gutachten vom 30. Januar 1958), den Zahnarzt Dr. K (Gutachten vom 3. März 1958) und auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) den Facharzt für innere Krankheiten und Oberarzt des Städt. Krankenhauses Sp Dr. K (Gutachten vom 16. Februar 1959). Außerdem legte der Kläger ein Gutachten des Dr. We vom 30. Januar 1957 mit Röntgenbefunden vom 27. Februar 1958 vor. In der mündlichen Verhandlung machte der Kläger zusätzlich Veränderungen an der Wirbelsäule und eine Bronchitis geltend und beantragte, ihm Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. zuzusprechen, hilfsweise, ein orthopädisches Fachgutachten über den ursächlichen Zusammenhang der Veränderungen an der Wirbelsäule mit der Kriegsgefangenschaft und der russischen KZ-Haft einzuholen. Das SG Berlin verurteilte mit Urteil vom 2. September 1959 unter Abänderung des Bescheids vom 12. Juli 1954 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids des Landesversorgungsamts Berlin vom 30. August 1955 den Beklagten, als weitere Versorgungsleiden i. S. der Verschlimmerung den vorzeitigen Verlust der Zähne 1, 2, 3, unten rechts und links anzuerkennen; im übrigen wies es die Klage ab. Das SG lehnte ferner den Antrag des Klägers, einen Teil der Gutachtenkosten gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG auf die Staatskasse zu übernehmen, ab, weil das Gutachten ebenso wie die von Amts wegen eingeholten Gutachten zu Ungunsten des Klägers ausgefallen seien. Mit der Berufung wandte sich der Kläger dagegen, daß die bisherigen Gutachter die seelischen Belastungen der Kriegsgefangenschaft in Afrika, Amerika und England sowie in den Straflagern Ravensbrück und Sachsenhausen kaum berücksichtigt hätten. Auch der nach § 109 SGG benannte Gutachter Dr. K habe diese Belastungen nur mit wenigen Sätzen abgetan, während der behandelnde Arzt Dr. We im Befundbericht vom 30. Januar 1957 die ungünstigen klimatischen Verhältnisse und den Mangel an geeigneten Medikamenten und ärztlicher Betreuung berücksichtigte. In der mündlichen Verhandlung wiederholte der Kläger seinen Sachvortrag erster Instanz und beantragte hilfsweise, gemäß § 109 SGG von Prof. Dr. M. über den geltend gemachten Zahnverlust und von Prof. Dr. J, Chefarzt der neurologischen Abteilung der Universitätsklinik H, über die Versorgungsleiden "Neuralgien der Hinterhauptnerven, allgemeine Körperschwäche und Magenleiden" Gutachten einzuholen.
Das Landessozialgericht (LSG) wies mit Urteil vom 13. September 1960 die Berufung des Klägers zurück und ließ die Revision nicht zu. Es hielt entsprechend den im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten ärztlichen Gutachten und in Übereinstimmung mit den Versorgungsärzten einen ursächlichen Zusammenhang mit den wehrdienstlichen Einflüssen (Gefangenschaft und KZ-Haft) nur bei dem Zahnschaden für gegeben, weshalb dem Kläger ein weitergehender Versorgungsanspruch nicht zustehe. Den Antrag des Klägers, Prof. Dr. Mathis und Prof. Dr. J gemäß § 109 SGG zu hören, lehnte das LSG ab. Der Kläger habe diesen Antrag wesentlich früher stellen können und müssen, die schuldhafte Versäumnis verzögere die Erledigung des Rechtsstreits. Außerdem habe der Kläger im Berufungsverfahren nichts Neues vorgetragen. Über Bestand und ursächlichen Zusammenhang der Neuralgien der Hinterhauptnerven, der allgemeinen Körperschwäche und des Magenleidens habe sich schon der Internist Dr. K im ersten Rechtszug gemäß § 109 SGG geäußert. Besondere Umstände, welche einen erneuten Antrag nach § 109 SGG rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Das LSG verwies hierzu auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in SozR SGG § 109 Bl. Da 11 Nr. 18.
Mit der Revision beantragte der Kläger, die Urteile der Vorinstanzen und die Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, außer den bisher anerkannten Versorgungsleiden Neuralgien der Hinterhauptnerven, Rheumatismus, allgemeine Körperschwäche, Schädigungsfolgen nach Rippenfellentzündung mit Zeichen von Bronchitis, Magenleiden, Veränderungen an der Wirbelsäule und Verlust sämtlicher Zähne als Schädigungsfolgen anzuerkennen und Versorgung nach einer MdE um 50 v. H. ab 1. Oktober 1950 zu gewähren, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger rügt unzureichende Sachaufklärung, ferner als Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung Verstöße gegen medizinische Lehrsätze, Erfahrungssätze des täglichen Lebens und gegen die Denkgesetze. Das LSG hätte prüfen müssen, ob nicht ein psychisches Trauma die bestehenden Leiden herbeigeführt habe, weil der Kläger infolge der Kriegsereignisse schwersten seelischen Belastungen und Schockwirkungen ausgesetzt gewesen sei. Außerdem habe das LSG mit der Ablehnung des Antrags auf Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. J und von Prof. Dr. M § 109 SGG verletzt. Ein Beteiligter könne im Laufe des Verfahrens auch verschiedene Ärzte nach § 109 SGG benennen und diese müßten gehört werden, wenn es einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diene und nicht rechtsmißbräuchlich geschehe. Hier hätten vernünftige Gründe und besondere Umstände vorgelegen, die vom Kläger benannten Ärzte zu hören. Die Ärzte Dr. We und Dr. R hätten sich eindeutig und überzeugend zugunsten des Klägers ausgesprochen. Diesen Gutachten komme besondere Bedeutung zu. Auch das LSG räume in den Entscheidungsgründen ein, daß die Auffassungen der Ärzte voneinander abweichen bzw. geteilt sind. Bei dieser Beweislage hätte sich das Gericht nicht mit den dem Kläger ungünstigen Gutachten der Ärzte Dr. W, Dr. P und Dr. K begnügen dürfen, sondern hätte auch noch Prof. Dr. J und Prof. Dr. M als Gutachter hören müssen. Mit dem Antrag nach § 109 SGG habe der Kläger im vorliegenden Fall auch bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung warten können (BSG 2, 255 und 7, 218). Das LSG habe unter Verkennung der Rechtslage grobe Nachlässigkeit des Klägers angenommen; denn der Kläger, der schon im ersten Rechtszug über 300.- DM Gutachterkosten aufgewendet habe, habe mit seinem Antrag nach § 109 SGG warten können, bis das LSG zu erkennen gegeben habe, daß es selbst keine weiteren Gutachter von Amts wegen hören wolle. Das LSG habe die finanzielle Lage des Klägers gekannt und daraus unschwer ersehen können, daß der Kläger vorerst einmal abwarte, welche Gutachten das Gericht von Amts wegen und damit für den Kläger kostenfrei einholen werde.
Der Beklagte hielt die Verfahrensrügen für ungerechtfertigt und beantragte, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist auch statthaft, weil das LSG, wie die Revision zutreffend rügt, durch die Ablehnung des Antrags auf Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. M und Prof. Dr. J § 109 SGG verletzt hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).
Gemäß § 109 SGG muß auf Antrag des Versorgungsberechtigten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Das Gericht kann den Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde und wenn der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (§ 109 Abs. 2 SGG).
Wie das BSG wiederholt entschieden hat, kann der Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG auch hilfsweise für den Fall gestellt werden, daß dem Klageantrag nicht oder nicht in vollem Umfange entsprochen wird (SozR SGG § 109 Bl. Da 10 Nr. 17, Da 17 Nr. 25, Bl. Da 18 Nr. 26). Mithin lag dem LSG, wenn auch erst am Schluß der mündlichen Verhandlung, ein Antrag vor; welcher den Erfordernissen des § 109 Abs. 1 SGG genügte. Das LSG hat zwei Gründe angeführt, weshalb es dem Antrag des Klägers, Prof. Dr. J und Prof. Dr. M gemäß § 109 SGG zu hören, nicht entsprochen hat. Es war der Auffassung, daß auf Antrag des Klägers über die strittigen Beweisfragen bereits Dr. K im ersten Rechtszug nach § 109 SGG gehört wurde, weshalb der Kläger im Berufungsverfahren dieses Recht nicht mehr in Anspruch nehmen könne, weil der beweiserhebliche medizinische Sachverhalt sich seitdem nicht verändert habe. Diese Auffassung des LSG stützt sich auf das Urteil des BSG in SozR SGG § 109 Bl. Da 11 Nr. 18. Danach braucht das Gericht einen zweiten Arzt nur dann gutachtlich zu hören, wenn besondere Umstände das Verlangen des Antragstellers rechtfertigen, wobei es nicht darauf ankommt, ob der erste ärztliche Sachverständige nach § 109 SGG im gleichen oder im vorhergehenden Rechtszug gehört worden ist. Denn das im ersten Rechtszug auf Antrag des Versorgungsberechtigten erstattete Gutachten wirkt als Beweismittel auch im zweiten Rechtszug fort.
Im vorliegenden Fall stehen indes dem Kläger besondere Umstände zur Seite, welche ihm das Recht geben, auch die Anhörung der in der Schlußverhandlung benannten ärztlichen Sachverständigen gemäß § 109 SGG zu verlangen. Der vom Kläger im ersten Rechtszug benannte Sachverständige Dr. K hat sich zwar über die geltend gemachten Einzelleiden nach medizinisch-wissenschaftlicher Methode geäußert, aber die für die Entscheidung über den Versorgungsanspruch wesentliche Frage, ob die seelischen Belastungen durch Wehrdienst, Gefangenschaft und durch die willkürlich angeordnete Strafhaft in der Sowjetzone den Leidenszustand des Klägers hervorgerufen oder verschlimmert haben, nur beiläufig erwähnt. Schon in der Berufungsschrift hat der Kläger beanstandet, der Gutachter Dr. K habe sich mit diesen seelischen Belastungen nur in wenigen Sätzen auseinandergesetzt. Damit griff der Kläger das Gutachten des Dr. K insofern an, als dieser zwar menschliches Mitempfinden mit dem Kläger wegen der schweren Strapazen und Entbehrungen während seiner Gefangenschaft und erst recht während seiner späteren Inhaftierung in Sachsenhausen kundgab, sich aber nicht darüber äußerte, ob diesen seelischen Belastungen die Bedeutung einer Ursache oder Mitursache an einem der ermittelten Einzelleiden zukomme. Über diesen vorwiegend neurologischen Fragenkreis hat sich der nach § 109 SGG gehörte Gutachter in seinem sonst sehr ausführlichen Gutachten wohl deshalb nicht ausgelassen, weil er als Internist im Bereich seines ärztlichen Fachgebiets bleiben wollte. Hat aber der Kläger für einen Teil seiner geltend gemachten Leiden noch keinen Gutachter benannt, oder hat sich der gehörte Arzt nicht oder nicht ausreichend zu diesem Teil geäußert, so kann ihm für den zweiten Rechtszug nicht das Recht abgesprochen werden, insoweit gemäß § 109 SGG die Anhörung eines weiteren Arztes zu verlangen. Der Kläger blieb auch im Rahmen zweckentsprechender Rechtsverfolgung, wenn er die Vernehmung des Prof. Dr. J, Chefarzt der neurologischen Abteilung der Universitätsklinik H, als Sachverständigen nach § 109 SGG beantragte, denn über die Leiden auf nervenfachärztlichem Gebiet war noch kein Sachverständiger nach § 109 SGG gehört worden. Ebenso liegt der Sachverhalt bezüglich des Zahnschadens. Über diesen hat Dr. K bei Erhebung der Befunde der Mundhöhle lediglich festgestellt: Zahnloser Ober- und Unterkiefer, Prothese, die beim Sprechen und bei der Öffnung des Mundes nicht fest haftet. Zum Ursachenzusammenhang dieser Gesundheitsstörung mit Wehrdienst und Gefangenschaft hat er nicht Stellung genommen, sondern im Gegenteil betont, er habe sich über die Entstehung des Zahnschadens nicht zu äußern. Der Kläger war somit nicht gehindert, in Prof. Dr. M einen Zahnarzt für die Frage zu benennen, ob und inwieweit der Zahnausfall auf wehrdienstliche Einflüsse zurückzuführen ist. Die in der Schlußverhandlung nach § 109 SGG gestellten Anträge des Klägers betrafen somit in erster Linie die von dem Internisten Dr. K offengelassenen Beweisfragen auf neurologischem und zahnärztlichem Fachgebiet. Auch das Urteil des BSG in SozR SGG § 109 Bl. Da 11 Nr. 18 bringt zum Ausdruck, daß vielerlei Fälle denkbar sind, in denen die wiederholte Ausübung des Antragsrechts aus § 109 SGG zulässig ist. Das LSG konnte unter den gegebenen Umständen jedenfalls mit dem Hinweis auf die Anhörung des Dr. K den hilfsweise gestellten Antrag, Prof. Dr. J und Dr. M nach § 109 SGG zu hören, nicht zurückweisen. Es hat damit § 109 Abs. 1 SGG verletzt.
Das LSG war ferner der Auffassung, der Antrag nach § 109 SGG sei in der Schlußverhandlung schuldhaft verspätet gestellt, weil der Kläger ihn erst so spät gestellt habe, daß das LSG ihm nur unter Absetzung des Verhandlungstermins hätte entsprechen können.
Der erkennende Senat hat bereits in BSG 7, 222 entschieden, daß das Zuwarten mit dem Antrag nach § 109 SGG bis zu der erst in der mündlichen Verhandlung möglichen Feststellung, ob der benannte Arzt nicht von Amts wegen gehört werde, grundsätzlich nicht als grobe Nachlässigkeit ausgelegt werden kann, es sei denn, das besondere Umstände den Kläger zu einer früheren Antragstellung hätten veranlassen müssen. Wie der erkennende Senat in einem weiteren Urteil ausgesprochen hat, hat die Gewährung rechtlichen Gehörs Vorrang gegenüber dem Gebot, den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (SozR SGG § 106 Bl. Da 5 Nr. 13). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. In medizinischen Fragen kann sich der Beteiligte in der Regel nur durch Sachverständige dem Gericht gegenüber äußern. Auch wenn sich hier der im ersten Rechtszug gehörte ärztliche Sachverständige Dr. K zu den auf seinem Fachgebiet liegenden Beweisfragen bereits geäußert hatte, konnte der Kläger jedenfalls nicht erkennen, ob das Gericht im zweiten Rechtszug noch Beweise von Amts wegen, insbesondere über die von Dr. K nicht beantworteten Fragen auf neurologischem und zahnärztlichem Gebiet, erheben werde. Wegen seiner auch dem Gericht bekannten angespannten wirtschaftlichen Lage war aus verständlich, zumindest stellte es keine grobe Nachlässigkeit i. S. des § 109 Abs. 2 SGG dar, wenn der Kläger hier aus Gründen der Kostenersparnis erst abwartete, ob ein Sachverständiger von Amts wegen über die noch offenen Beweisfragen gehört wurde. Die bloße Ladung zum Termin gab darüber keine Auskunft; denn aus ihr war nicht ersichtlich, ob es sich um einen Erörterungs- oder um einen Schlußverhandlungstermin handelte. Konnte aber der Kläger nicht erkennen, daß das Gericht die Beweisaufnahme als beendet ansah, so handelte er nicht grob nachlässig, wenn er bis zur Erlangung der Kenntnis, daß das LSG die Beweisaufnahme für abgeschlossen ansah, den Antrag nach § 109 SGG zurückstellte (vgl. auch SozR SGG § 109 Bl. Da 19 Nr. 27). Der Kläger hat zwar von der Einlegung der Berufung im Oktober 1959 bis zur mündlichen Verhandlung im September 1960 fast ein Jahr Zeit gehabt, um einen Antrag nach § 109 SGG zu stellen. Es kann ihm hier aber nicht als grobe Nachlässigkeit ausgelegt werden, daß er den Antrag in dieser Zeit nicht gestellt hat; denn das Gericht selbst hat vor der mündlichen Verhandlung keinerlei Maßnahmen getroffen, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden (§ 106 Abs. 2 SGG). So hätte das LSG vor Anberaumung des Verhandlungstermins dem Kläger mitteilen können, eine weitere Beweisaufnahme sei von Amts wegen nicht beabsichtigt. Da das LSG dies unterlassen und - anders als in SozR SGG § 109 Bl. Da 16 Nr. 24 - nicht durch Beweisaufnahme und Bekanntgabe der Beweiserhebung dem Kläger Anlaß gegeben hat, sich über die Ausübung des Rechts nach § 109 SGG schlüssig zu werden, brauchte der Kläger die Beweisaufnahme noch nicht als abgeschlossen anzusehen. Er konnte daher noch im Verhandlungstermin den Antrag nach § 109 SGG einbringen, ohne damit rechnen zu müssen, daß dieser als grob fahrlässig verspätet zurückgewiesen werde. Mit der Ablehnung des Antrages als verspätet hat daher das LSG auch § 109 Abs. 2 SGG verletzt. Darin liegt ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG (LSG 2, 255; 7, 218; SozR SGG § 109 Bl. Da 19 Nr. 27, Bl. Da 20 Nr. 29; Beschluß des erkennenden Senats vom 24. April 1962 - 9 RV 58/59 -). Der Kläger hat diese Mängel in der nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG gebotenen Form gerügt. Die Revision ist daher nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, ohne daß der Senat noch zu prüfen brauchte, ob auch die von der Revision gegen die Sachaufklärung und die Beweiswürdigung erhobenen verfahrensrechtlichen Rügen durchgreifen.
Die Revision ist auch begründet, da nicht auszuschließen ist, daß die bei Beachtung der Vorschrift des § 109 SGG erhobenen weiteren medizinischen Gutachten zu einer anderen Entscheidung des LSG geführt hätten. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die nach § 109 SGG gebotenen Ermittlungen dem Revisionsgericht verschlossen sind. Die Sache war daher nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Ausspruch über die außergerichtlichen Kosten bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen