Leitsatz (amtlich)
Eine Verpflichtung zur Leistung eines Beitrages zum Unterhalt aus EheG § 60 ist keine Unterhaltsverpflichtung nach RVO § 1265 S 2 (Abgrenzung zur Entscheidung des BSG zu RVO § 1265 S 1 vom 1965-02-09 1 RA 343/61 = SozR Nr 29 zu § 1265 RVO).
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23; EheG § 60 Fassung: 1946-02-20
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 1. Dezember 1969 und das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Februar 1971 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit wird darüber geführt, ob der Klägerin - der geschiedenen Ehefrau des Versicherten - die Hinterbliebenenrente nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde im Februar 1948 aus dem Verschulden beider Ehegatten - ohne daß ein überwiegendes Verschulden eines der Ehegatten festgestellt wurde - geschieden. Ein Unterhaltsurteil erging nicht, auch eine sonstige Unterhaltsregelung wurde nicht getroffen. Der Versicherte wanderte später nach den USA aus und heiratete dort wieder. Seine zweite Ehefrau starb im Jahre 1963. In der Zeit von August 1964 bis zu seinem Tode - im Juni 1968 - bezog er Altersruhegeld aus der Arbeiterrentenversicherung. Die Klägerin erhielt von ihrem geschiedenen Ehemann zu keiner Zeit Unterhaltsleistungen. Im Jahre 1968 bezog sie ein Altersruhegeld von 184,90 DM monatlich.
Die Beklagte lehnte ihren Antrag auf Gewährung der Rente aus der Versicherung ihres geschiedenen Mannes durch Bescheid vom 25. Februar 1969 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 1. Dezember 1969). Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 11. Februar 1971). Das LSG hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Versicherte habe der Klägerin weder Unterhalt geleistet, noch sei er verpflichtet gewesen, Unterhalt zu gewähren. Eine Unterhaltsverpflichtung nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) habe jedoch nur wegen der ungünstigen Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden. Die Klägerin sei ihres schlechten Gesundheitszustandes wegen nicht in der Lage gewesen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ihr Altersruhegeld habe zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts nicht ausgereicht. In einem solchen Fall sei der finanziell leistungsfähige geschiedene Ehemann zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrags nach § 60 EheG 1946 verpflichtet. Diese Leistungsfähigkeit müsse in Anwendung des § 1265 Satz 2 RVO unterstellt werden. Da eine Witwenrente nicht zu gewähren sei, stehe der Klägerin die Hinterbliebenenrente zu.
Die Beklagte rügt, das LSG habe § 1265 RVO unrichtig ausgelegt. § 60 EheG könne zwar die Verpflichtung eines Ehegatten zur Leistung eines Beitrages zum Unterhalt begründen, jedoch handele es sich insoweit nicht um eine echte Unterhaltspflicht. Einem solchen Anspruch gehe der Unterhaltsanspruch gegen unterhaltspflichtige Verwandte vor. Die Klägerin habe zwei unterhaltspflichtige Söhne. Falls es auf deren Einkommensverhältnisse ankomme, bedürfe es weiterer Ermittlungen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist begründet; der Klägerin steht kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO zu.
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Versicherte vor seinem Tode der Klägerin weder Unterhalt zu leisten, noch sind von ihm Unterhaltsleistungen erbracht worden (§ 1265 Satz 1 RVO). Entgegen der in dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung ergibt sich der Rentenanspruch auch nicht über § 1265 Satz 2 RVO. Zwar ist eine Witwenrente nicht zu gewähren; die fehlende Unterhaltsverpflichtung des Versicherten der Klägerin gegenüber beruhte jedoch nicht - wie es in § 1265 Satz 2 RVO gefordert wird - auf seinen Vermögens- oder Erwerbsverhältnissen.
Da die Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden worden ist, ohne daß das Verschulden eines der Ehegatten überwiegt, hätte die Klägerin den Versicherten nur über § 60 EheG auf Unterhalt in Anspruch nehmen können. Nach dieser Vorschrift kann dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden. Die Verpflichtung zur Leistung eines solchen Unterhaltsbeitrags ist nicht als Unterhaltsverpflichtung im Sinne des § 1265 Satz 2 RVO zu verstehen. Zur Begründung seiner hiervon abweichenden Meinung hat sich das LSG auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Februar 1965 (SozR Nr. 29 zu § 1265 RVO) berufen. Dort ist - jedoch nur in Zusammenhang mit Satz 1 des § 1265 RVO - entschieden, daß der Beitrag zum Unterhalt nach § 60 EheG eine Unterhaltsleistung darstelle, der zur Gewährung dieses Beitrags verpflichtete Versicherte also Unterhalt zu leisten habe. Von dieser Auffassung weicht der erkennende Senat nicht ab. Die in Anwendung des § 60 EheG zu erbringende Barleistung dient der Sicherstellung des Unterhalts des geschiedenen Ehegatten. Die vorbezeichnete Entscheidung, die sich in erster Linie mit einer anderen Frage befaßt - damit nämlich, ob sich der Anspruch nach § 60 EheG kraft Gesetzes ergibt oder ob es insoweit einer gerichtlichen Feststellung bedarf -, gibt jedoch keinen zwingenden Hinweis für die Auslegung des Satzes 2 des § 1265 RVO. Diese Vorschrift ist erst später - durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 - in die RVO eingefügt worden; das Urteil vom 9. Februar 1965 konnte darauf noch nicht Bedacht nehmen. Es bedarf hiernach der Erörterung, ob "Unterhalt ... zu leisten hatte" (Satz 1 des § 1265 RVO) gleichbedeutend ist mit "Unterhaltsverpflichtung" (Satz 2 des § 1265 RVO).
§ 1265 RVO steht in einer engen Beziehung zum EheG; er nimmt auf dessen Vorschriften Bezug. Der aus § 1265 Satz 1 RVO hergeleitete Rentenanspruch ist dann, wenn das Urteil einen Schuldspruch enthält und der Versicherte Unterhalt weder geleistet hat noch "aus anderen Gründen" hätte leisten müssen, in der Regel davon abhängig, welcher Ehegatte die Schuld an der Scheidung trägt. Nur der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Ehegatte hat nach § 58 EheG unter den dort bezeichneten Voraussetzungen Unterhalt zu leisten. Dieser Ehegatte kann keinen Unterhalt verlangen, ihm steht deshalb - wenn nicht eine der übrigen Alternativen des § 1265 Satz 1 RVO vorliegt - auch keine Rente nach Satz 1 des § 1265 RVO zu.
Die Bindung an das EheG ist auch in § 1265 Satz 2 RVO gewahrt. Wenn eine Witwenrente nicht zu gewähren ist - der Versicherungsträger also diese Leistung einspart -, so kommt dies nicht ohne weiteres der geschiedenen Ehefrau zugute. Diesen - an sich möglichen - Weg hat der Gesetzgeber nicht beschritten. Es blieb vielmehr auch in Satz 2 bei der Anlehnung an das EheG, allerdings mit der Modifizierung, daß das Fehlen eines für die Entscheidung über den Unterhaltsanspruch bedeutsamen Elements - die Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten - den Rentenanspruch nicht zu Fall bringen kann. Auf diese Weise ist der Unterhaltsanspruch, der sich gegen den allein oder überwiegend für schuldig erklärten Ehegatten richtet (§§ 58, 59 EheG), in den Rahmen des § 1265 Satz 2 RVO eingeordnet worden. Etwas anderes gilt jedoch für den Anspruch nach § 60 EheG. Der Unterhaltsbeitrag, der - möglicherweise sogar nur auf Zeit - zugebilligt werden kann, richtet sich nicht nur nach den Bedürfnissen sowie den Vermögens- und Erwerbsverhältnissen der geschiedenen Ehegatten, sondern auch nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen. Die hiernach erforderlichen Billigkeits- und Ermessenserwägungen finden ihr Ende also nicht schon dadurch, daß die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherten unterstellt wird. Es sind weitere Umstände zu berücksichtigen, die in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der geschiedenen Ehegatten, ebenso aber auch in sonstigen Gegebenheiten - beispielsweise den wirtschaftlichen Verhältnissen unterhaltspflichtiger Verwandter - liegen können und die gegeneinander abgewogen werden müssen. Davon abzugehen würde der Wortlaut des § 1265 Satz 2 RVO nicht gestatten, der allein die Erwerbs- und Vermögensverhältnisse des Versicherten unberücksichtigt lassen will. Eine solche von Billigkeits- und Ermessensgrundsätzen abhängige Entscheidung würde unrealistisch, wenn eine für sie bedeutsame Grundlage - die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten - unbeachtet zu bleiben hätte. Sie würde nicht zu dem angestrebten Erfolg führen und kann deshalb nicht gewollt sein.
Hiervon ausgehend gewinnt der Gesetzeswortlaut, nämlich der Gebrauch unterschiedlicher Begriffe in den Sätzen 1 und 2 des § 1265 RVO an Bedeutung. In § 1265 Satz 1 RVO ist darauf abgestellt, daß der Versicherte "Unterhalt zu leisten hatte"; Satz 2 enthält den Begriff der "Unterhaltsverpflichtung". Es liegt der Schluß nahe, daß hierdurch § 60 EheG bei der Anwendung des Satzes 2 des § 1265 RVO ausgeschlossen werden soll. Der Zusammenhang dieser Vorschrift mit dem EheG läßt es als gerechtfertigt erscheinen, die Unterhaltsverpflichtung des Satzes 2 nur mit der sogenannten echten Unterhaltspflicht - beispielsweise nach § 58 EheG - gleichzusetzen. Die Pflicht zur Leistung nur eines Beitrags zum Unterhalt nach § 60 EheG gehört nach fast einhelliger Meinung, der auch der erkennende Senat folgt, nicht zur Unterhaltspflicht in dem vorbezeichneten Sinne (vgl. hierzu Soergel/Siebert, Kommentar zum BGB, 10. Aufl., Anm. 2 zu § 60 EheG mit weiteren Nachweisen). Die fehlende Unterhaltsverpflichtung des Versicherten beruhte deshalb nicht auf seinen ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnissen.
Dieses Ergebnis berücksichtigt die Überlegung, daß eine Kürzung anderer Hinterbliebenenrenten (vgl. § 1270 RVO) nur schwer verständlich wäre, wenn sie erforderlich würde, um der früheren Ehefrau des Versicherten, die wie dieser die Scheidung verschuldet hat, eine Rente zuzusprechen. Hiernach können die Urteile der Vorinstanzen keinen Bestand haben, die Klage muß abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen