Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzlich zuständiger Krankenversicherungsträger. Ersatzkasse
Leitsatz (amtlich)
Die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Studenten (§ 165 Abs 1 Nr 5 RVO), die als solche Mitglieder einer Ersatzkasse geworden sind, endet mit der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und berechtigt deshalb nicht zur Befreiung von der Mitgliedschaft bei der gesetzlichen Krankenkasse (Fortentwicklung von BSG 1976-07-20 3 RK 20/75 = BSGE 42, 113 = SozR 2200 § 165 Nr 13 und BSG 1979-08-30 8b RK 2/79 = BSGE 49, 19 = SozR 2200 § 517 Nr 4).
Orientierungssatz
Die nach § 257d RVO iVm § 514 Abs 2 RVO "gewählte" Ersatzkasse ist der gesetzlich zuständige Krankenversicherungsträger. Die Mitgliedschaft bei ihm entsteht kraft Gesetzes mit dem Beginn der studentischen Versicherungspflicht. Die gewählte Pflichtmitgliedschaft bei einer Ersatzkasse "ersetzt" deshalb die Mitgliedschaft bei einer Pflichtkrankenkasse nicht; vielmehr wird die Pflichtmitgliedschaft originär bei der Ersatzkasse durchgeführt.
Normenkette
RVO § 165 Abs 1 Nr 5 Fassung: 1975-06-24, § 165 Abs 6 Fassung: 1975-06-24, § 176b Abs 1 Nr 3 Fassung: 1975-06-24, § 257d Abs 2 Nr 2 Fassung: 1975-06-24, § 312 Abs 3 Fassung: 1975-06-24, § 312 Abs 6 Fassung: 1975-06-24, § 313 Abs 1 Fassung: 1974-08-07, § 514 Fassung: 1975-06-24, § 517 Fassung: 1924-12-15
Verfahrensgang
SG Dortmund (Entscheidung vom 12.12.1980; Aktenzeichen S 8 Kr 102/80) |
Tatbestand
Die beteiligten Krankenkassen streiten darüber, ob die Beigeladene H. vom 9. Juni 1979 bis 14. Juli 1979 Mitglied der beklagten Ersatzkasse oder der klagenden Betriebskrankenkasse (BKK) war.
Die 1957 geborene Beigeladene war zum Sommersemester 1977 als ordentliche Studierende an der R. B. eingeschrieben. Vom 17. April 1977 an wurde sie nach §§ 514 Abs 2, 257 d Abs 2 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Mitglied der Beklagten. Im Sommer 1979 legte sie ein "Urlaubssemester" ein und arbeitete zunächst vom 10. Mai 1979 bis 8. Juni 1979 30 Kalendertage beim Postamt H. aushilfsweise und anschließend vom 9. Juni 1979 bis 14. Juli 1979 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden.
Unter dem 7. Juni 1979 erteilte die Beklagte auf Antrag der Beigeladenen eine Befreiungsbescheinigung nach § 517 RVO, die sie dem Arbeitgeber unmittelbar vorlegte. Der Arbeitgeber führte daraufhin die Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung an die Beklagte ab.
Unter den beteiligten Krankenkassen ist nicht streitig, daß die Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung inzwischen den zuständigen Stellen zugeführt worden sind. Die Klägerin ist jedoch der Auffassung, daß sie Anspruch auf die Beiträge zur Krankenversicherung habe. Sie hat deshalb Klage erhoben und die Feststellung beantragt, daß die Beklagte nicht berechtigt war, die Befreiungsbescheinigung vom 7. Juni 1979 auszustellen.
Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. Dezember 1980). Die Feststellungsklage sei zulässig, weil die Feststellung begehrt werde, welcher Träger der Krankenversicherung für die Versicherung der Beigeladenen in der streitigen Zeit zuständig gewesen sei (§ 55 Abs 1 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Die Beigeladene habe von dem ihr zustehenden Recht auf Befreiung von der Mitgliedschaft bei der Klägerin gemäß § 517 Abs 1 RVO Gebrauch gemacht. Sie sei Mitglied der Beklagten geblieben, auch nachdem sie die versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen habe. Sie sei aufgrund der Versicherungspflicht als Studentin (§ 165 Abs 1 Nr 5 RVO) Mitglied der Beklagten geworden und geblieben. Es stehe hier nicht in Frage, ob ein nach § 165 Abs 1 Nr 1 RVO Versicherungspflichtiger Mitglied einer Ersatzkasse werden könne, sondern die Frage sei dahin zu stellen, ob er bei rechtmäßiger Begründung einer Mitgliedschaft in einer Angestelltenersatzkasse weiterhin deren Mitglied bleiben könne. Die Tatsache, daß die Versicherungspflicht nach § 165 Abs 1 Nr 1 RVO die Versicherungspflicht nach § 165 Abs 1 Nr 5 RVO verdränge, sei nicht entscheidend. Das SG hat die Sprungrevision zugelassen.
Die Klägerin trägt mit ihrer Revision vor, die Beigeladene sei mit der Aufnahme der hier streitigen Beschäftigung nach § 165 Abs 1 Nr 1 RVO versicherungspflichtig geworden, und zwar bei der Pflichtkrankenkasse. Gemäß § 306 Abs 1 iVm § 245 Abs 3 RVO sei sie daher an diesem Tage ihr Mitglied geworden. Diese der Versicherung als Studentin vorrangige Pflichtversicherung berechtige nicht zur Fortsetzung der Mitgliedschaft bei der Beklagten. Versicherungspflichtige seien gesetzlich der zuständigen Krankenkasse zugewiesen. Eine Befreiung von der Mitgliedschaft setze voraus, daß neben der Mitgliedschaft bei der Pflichtkasse aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichzeitig eine Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse bestehe. Die Beklagte dürfe nur Angestellte aufnehmen. Die Beigeladene habe daher nicht zum satzungsgemäß beitrittsberechtigten Personenkreis gehört. Ein Befreiungsrecht ergebe sich auch nicht aus § 4 Abs 1 Satz 4 der 12. Aufbauverordnung idF der 15. Aufbauverordnung. Nur wenn das Mitglied der Ersatzkasse seinen Beruf als Arbeiter bzw Angestellter wechsele, könne er ausnahmsweise Mitglied der Ersatzkasse bleiben. Diese Berechtigung zur Fortsetzung der Mitgliedschaft sei aber nicht auch dann möglich, wenn der Versicherte zum Zeitpunkt des Beitrittes zur Ersatzkasse zum beitrittsberechtigten Personenkreis gehört habe.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 12. Dezember 1980 aufzuheben und festzustellen, daß C. H. in der Zeit vom 9. Juni 1979 bis 14. Juli 1979 versicherungspflichtiges Mitglied der Klägerin gewesen sei.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beigeladene sei mit der Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht der Beklagten beigetreten, sondern habe ihre bereits bestehende Mitgliedschaft zulässigerweise fortgesetzt und habe daher das Recht der Befreiung nach § 517 RVO gehabt. § 165 Abs 1 Nr 5 RVO habe den beitrittsberechtigten Personenkreis erweitert. Hierzu habe die Beigeladene im Zeitpunkt ihrer Aufnahme zweifelsfrei gehört. Wenn aber schon die Begründung der Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse im Hinblick auf den erweiterten beitrittsberechtigten Personenkreis nicht unbedingt von der Zugehörigkeit zur Arbeiterschaft oder zum Kreis der Angestellten abhänge, bestehe kein Grund, diese Zugehörigkeit für die Fortdauer der Mitgliedschaft zu verlangen.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG durch Urteil entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die (Sprung)Revision der klagenden BKK ist zulässig und begründet.
Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Die Klage richtet sich, wie das SG richtig erkannt hat, auf die Feststellung, daß die Klägerin als gesetzliche Krankenkasse (§ 225 RVO) zuständig für die Krankenversicherung der Beigeladenen in der streitigen Zeit vom 9. Juni bis 14. Juli 1979 war. Die Klärung dieser Fragen erfolgt mit Hilfe der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 2 SGG (BSGE 47, 254 ff).
Die Beigeladene hat nach den Feststellungen des SG jedenfalls am 9. Juni 1979 eine entgeltliche Beschäftigung als Arbeiterin bei der D. B. aufgenommen, die ihre Versicherungspflicht nach § 165 Abs 1 Nr 1, Abs 2 RVO begründete. Diese Feststellung hat keiner der Beteiligten angegriffen. Die verhältnismäßig kurze Dauer dieser Beschäftigung steht der Annahme der Versicherungspflicht nicht entgegen. Denn die Beigeladene hat regelmäßig vollschichtig gearbeitet (40 Stunden in der Woche) und offenbar vollen Arbeitslohn bezogen, so daß die Beschäftigung nicht nach § 168 RVO iVm § 8 Abs 1 Nr 2 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) - grundsätzlich versicherungsfrei war.
Die Beigeladene war damit Mitglied der für die versicherungspflichtig Beschäftigten der D. B. zuständigen klagenden BKK geworden (§ 245 Abs 3, § 306 RVO).
Von dieser Mitgliedschaft konnte die Beigeladene nicht nach § 517 Abs 1 RVO als Mitglied der beklagten Angestelltenersatzkasse befreit werden. Spätestens mit der Aufnahme der arbeiterrentenversicherungspflichtigen Beschäftigung am 9. Juni 1979 hatte ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten nämlich geendet.
Als Studierende war sie 1977 versicherungspflichtig geworden (§ 165 Abs 1 Nr 5 RVO). Nach § 257 d Abs 2 RVO iVm § 514 Abs 2 RVO konnte sie beantragen, Mitglied der beklagten Ersatzkasse zu werden. Nachdem sie von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht hatte, war sie nicht Mitglied der örtlich zuständigen Pflichtkrankenkasse, sondern der Beklagten geworden. Zur Begründung dieser Ersatzkassenmitgliedschaft bedurfte es keines privatrechtlichen Vertrages (§ 2 Abs 2 der 12. Aufbauverordnung vom 24. Dezember 1935, RGBl I 1537 idF der 15. Aufbauverordnung vom 1. April 1937, RGBl I 439 iVm § 20 des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 6. Juni 1931, RGBl I 315). Die nach § 257 d RVO iVm § 514 Abs 2 RVO "gewählte" Ersatzkasse ist der gesetzlich zuständige Krankenversicherungsträger. Die Mitgliedschaft bei ihm entsteht kraft Gesetzes mit dem Beginn der studentischen Versicherungspflicht. Eine Doppelmitgliedschaft, wie sie nach der Konstruktion des Ersatzkassenrechts bei Versicherungspflichtigen eintritt, die einen Versicherungsvertrag mit einer Ersatzkasse geschlossen und deshalb die Möglichkeit der Befreiung von der Mitgliedschaft bei der Pflichtkrankenkasse haben (§§ 517, 518 RVO), entsteht also nicht. Die gewählte Pflichtmitgliedschaft bei einer Ersatzkasse "ersetzt" deshalb die Mitgliedschaft bei einer Pflichtkrankenkasse nicht; vielmehr wird die Pflichtmitgliedschaft originär bei der Ersatzkasse durchgeführt. Die Mitgliedschaft in der studentischen Pflichtversicherung endet daher anders als bei Ersatzkassenmitgliedern, die beigetreten sind, nicht erst durch eine Willenserklärung (Austritt - § 513 RVO), sondern mit dem Wegfall der Versicherungspflicht. § 312 Abs 3 modifiziert allerdings das Ende der Mitgliedschaft für Studenten dahin, daß sie sieben Monate nach dem Beginn des Semesters, für das der Student sich zuletzt eingeschrieben oder zurückgemeldet hatte, endet. Wird die studentische Pflichtversicherung jedoch nach § 165 Abs 6 Satz 2 RVO von einer vorrangigen Versicherung verdrängt, endet die Mitgliedschaft bei der "gewählten" Krankenkasse mit dem Beginn dieser Versicherungspflicht. Der Versicherte wird dann Mitglied der für diese Versicherungspflicht gesetzlich bestimmten Krankenkasse (§ 312 Abs 1 RVO). Das freiwillige Beitrittsrecht nach § 176 b Abs 1 Nr 3 RVO für Personen, die sich zu der das Studium abschließenden Prüfung gemeldet haben, setzt ausdrücklich die Beendigung der studentischen Pflichtversicherung (§ 312 Abs 3 RVO) voraus. Diese Mitgliedschaft endet dann allerdings auch kraft Gesetzes und nicht erst mit dem Austritt nach § 312 Abs 6 RVO, der ebenfalls im Ersatzkassenrecht gilt (§ 514 Abs 1 RVO).
Die Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 20. Juli 1976 - 3 RK 20/75 - (BSGE 42, 113 ff) gelten insoweit gleichermaßen für die Pflichtversicherung der Studenten. Auch ein Student kann seine Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse nur "fortsetzen", wenn er eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnimmt und zum beitrittsberechtigten Personenkreis gehört. Er kann dann ein Mitgliedschaftsverhältnis begründen, das zur Befreiung von der Mitgliedschaft bei der zuständigen Pflichtkrankenkasse berechtigt. Eine sogenannte freiwillige Weiterversicherung iS von § 313 Abs 1 RVO für Ersatzkassenmitglieder ist schon systematisch nicht möglich, weil die Mitgliedschaft beigetretener Mitglieder nicht automatisch endet. § 514 RVO erklärt deshalb auch § 313 Abs 1 RVO im Ersatzkassenrecht weder für unmittelbar noch für entsprechend anwendbar. In § 514 Abs 4 RVO ist nur bestimmt, daß Ersatzkassenmitglieder, die aus der Versicherungspflicht als Rentner oder Übergangsgeld beziehende Rehabilitanden ausscheiden, die Mitgliedschaft fortsetzen können. Ob das auch gilt, wenn die Mitgliedschaft endet, weil eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen wird, ist hier nicht zu entscheiden. Eine entsprechende Möglichkeit der Fortsetzung der Mitgliedschaft für Studenten sieht das Gesetz jedenfalls nicht vor.
Das Urteil des 8b Senats des BSG vom 30. August 1979 (BSGE 49, 19 = SozR 2200 § 517 Nr 4) steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Dort ist im Anschluß an die grundsätzliche Entscheidung des früheren Reichsversicherungsamts vom 14. September 1938 (AN 449, 450) und das Urteil des BSG vom 27. Mai 1971 (SozR Nr 10 zu § 4 der 12. Aufbau-VO) entschieden, daß nicht nur versicherungspflichtige, sondern auch versicherungsberechtigte Mitglieder, die der Ersatzkasse zulässigerweise beigetreten sind, selbst dann Mitglieder bleiben können, wenn sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben und mit dieser nicht zum beitrittsberechtigten Personenkreis gehören. Nach der Neufassung des § 4 Abs 1 Satz 2 der 12. Aufbau-VO durch Art 1 Nr 2 der 15. Aufbau-VO war es nämlich für das Beitrittsrecht und die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft nur noch erforderlich, daß die Versicherungspflichtigen oder -berechtigten im Zeitpunkt der Aufnahme zum beitrittsberechtigten Personenkreis gehörten. Der hinzugefügte Satz 4 des § 4 Abs 1, hat schließlich mit § 15 des Gesetzes vom 13. August 1952 (BGBl I 437) seine endgültige Fassung erhalten: "verlieren versicherungspflichtige Mitglieder ihre Eigenschaft als Angestellte oder Arbeiter, so können sie weiterhin Mitglieder der Ersatzkasse bleiben, der sie bisher angehört haben"; er hat nur die Bedeutung, daß sogar ein Wechsel der versicherungspflichtigen Beschäftigung vom Arbeiter zum Angestellten oder umgekehrt nicht das Ausscheiden aus der Mitgliedschaft bei der bisherigen Ersatzkasse zur Folge hat, der der Versicherte rechtswirksam beigetreten war. Das BSG (aaO) hat ausdrücklich in seinem Urteil ausgeführt, daß seine Entscheidung nicht mit der des 3. Senats vom 20. Juli 1976 (BSGE 42, 113) im Widerspruch stehe, weil dort die Mitgliedschaft des Rentners geendet habe. Der Grundsatz der Kontinuität der Mitgliedschaft trotz stärkster Veränderungen im Berufsleben des Mitgliedes (SozR Nr 10 zu § 4 der 12. Aufbau-VO) gilt also nur für Mitglieder, die der Ersatzkasse "beigetreten" sind, nicht dagegen für solche Mitglieder, bei denen die Ersatzkasse eine Pflichtversicherung kraft gesetzlicher Zuweisung, wenn auch auf Antrag des Versicherten, durchführt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen