Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 1419 RVO und Beitragsnachentrichtung nach ArVNG Art 2 § 6 Abs 2
Orientierungssatz
Hat der Versicherte vor dem 1.1.1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt und ist der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit erst während eines seit 1984 schwebenden Renten- und Klageverfahrens im Jahre 1986 eingetreten, so steht § 1419 RVO der Wirksamkeit der Nachentrichtung der gemäß Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG noch erforderlichen Beiträge für den Rentenanspruch nach dem vor dem 1.1.1984 geltenden Recht nicht entgegen (Festhaltung an BSG vom 22.11.88 5/4a RJ 79/87 = SozR 5750 Art 2 § 6 Nr 4).
Normenkette
RVO § 1418 Abs 1, § 1420 Abs 2; ArVNG Art 2 § 6 Abs 2 Fassung: 1983-12-22; RVO § 1247 Abs 1 Fassung: 1957-02-23, § 1419
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 11.10.1988; Aktenzeichen L 2 J 1407/87) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 25.08.1987; Aktenzeichen S 20 J 534/85) |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit hat (§ 1247 iVm § 1276 Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Der 1948 geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger. Er erlernte in Jugoslawien den Beruf des Zimmerers und war mit Unterbrechungen bis 1969 in Jugoslawien als Zimmermann beschäftigt. In der Bundesrepublik Deutschland arbeitete er vom 20. Oktober 1969 bis 1. Juli 1973 als Zimmermann. Seit dem 2. Juli 1973 war er arbeitsunfähig erkrankt. Das letzte Arbeitsverhältnis wurde zum 30. Mai 1975 aufgelöst. Seitdem ist der Kläger keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Die 1974 und 1977 gestellten Rentenanträge blieben erfolglos.
Im September 1984 beantragte der Kläger wiederum die Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ebenfalls ab (Bescheid vom 27. März 1985; Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 1985). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Zugrundelegung eines am 15. September 1986 eingetretenen Versicherungsfalles Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit bis zum 31. Dezember 1988 unter der Bedingung zu gewähren, daß der Kläger jeweils zwölf freiwillige Monatsbeiträge für die Jahre 1984 und 1985 binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Urteils nachentrichtet. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. August 1987). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 11. Oktober 1988 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage im vollen Umfang abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei zwar seit dem 15. September 1986 zumindest auf absehbare Zeit erwerbsunfähig. Doch fehle es an der nach Art 2 § 6 Abs 2 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) erforderlichen Beitragsentrichtung in der Zeit ab 1. Januar 1984. Der Kläger sei auch nicht mehr berechtigt, freiwillige Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1985 nachzuentrichten.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Frankfurt am Main vom 25. August 1987 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG.
Der Kläger hat zwar schriftlich beantragt, "die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt zurückzuverweisen". An diesen Antrag ist das Revisionsgericht indes nicht gebunden (§§ 123, 153 Abs 1, 165 SGG). Das Vorbringen des Klägers in der Revisionsbegründung läßt nämlich erkennen, daß er das Urteil des SG für zutreffend hält und sich gegen die Aufhebung dieses Urteils durch das LSG wendet. Da der Kläger mit den insoweit übereinstimmenden Feststellungen des SG und LSG von einem am 15. September 1986 eingetretenen Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit ausgeht und lediglich die Beklagte Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt hat, bleibt unter Zugrundelegung der Richtigkeit des Ersturteils kein Raum für eine Zurückverweisung des Rechtsstreits, weil dann weitere Feststellungen für die Beurteilung der - infolge der unterbliebenen Berufung des Klägers gegen die teilweise Klageabweisung - nur noch streitigen Gewährung von Zeitrente iS des § 1276 RVO nicht erforderlich sind.
Das SG hat zu Recht angenommen, daß der Kläger vorbehaltlich der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Kalenderjahre 1984/ 85 Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente aufgrund eines im September 1986 eingetretenen Versicherungsfalls hat. Da der Kläger vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat, hängt die Weitergeltung der - für ihn anspruchsbegründenden - Vorschrift des § 1247 Abs 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1983 geltenden Fassung gemäß Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG davon ab, daß er jeden Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalls mit Beiträgen belegt hat. Die hiernach für die Jahre 1984 und 1985 noch erforderlichen Beiträge hat der Kläger noch nicht gezahlt. Er kann sie indes gemäß den §§ 1418 Abs 1, 1420 Abs 2 RVO noch wirksam nachentrichten.
Entgegen der Ansicht des LSG steht der Beitragsnachentrichtung die Vorschrift des § 1419 RVO hier nicht entgegen. Dies hat der erkennende Senat für einen mit dem vorliegenden Fall gleichgelagerten Sachverhalt bereits in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 22. November 1988 - 5/4a RJ 79/87 - entschieden. Auf die dortige Urteilsbegründung wird insoweit Bezug genommen. An ihr hält der erkennende Senat auch in Kenntnis des Urteils des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. Dezember 1988 - 1 RA 45/86 - fest, weil dieses zu dem - vom vorliegenden Fall abweichenden - Sachverhalt ergangen ist, daß der Versicherungsfall der verminderten Erwerbsfähigkeit bereits vor Beginn eines schwebenden Rentenverfahrens eingetreten ist.
Nach alledem erweist sich die Revision des Klägers als begründet und der Senat hatte in der Sache selbst zu entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen