Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 25.04.1990) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. April 1990 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der im Jahre 1919 geborene und am 5. Juli 1982 an den Folgen eines metastasierenden Bronchialcarcinoms verstorbene Ehemann der Klägerin (Versicherter) war von 1949 bis zu seinem Tode bei einer Maschinenfabrik in Hamburg als gelernter Galvaniseur tätig.
Zur Feststellung eines berufsbedingten Lungenkrebses ermittelte die Beklagte, daß das Gebäude mit dem Arbeitsplatz des Versicherten infolge Teilsanierung nicht mehr besteht, nachdem Ende des Jahres 1982 in diesem Betrieb die Galvanik eingestellt worden war. Nach den Aufzeichnungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten sollen die ehemaligen Arbeitsräume nach Größe und Belüftung „bescheiden” gewesen sein. Der Versicherte sei seit dem Jahre 1949 mit Verchromungsarbeiten beschäftigt gewesen. Beim Auffüllen und Nachsetzen der Bäder etwa alle drei Monate sei „Nickelbad Nr. 57 716” verwendet worden. Der Versicherte sei ebenfalls mit „Chrom(VI)-Oxyd” (auch als Chromsäure geläufig) in Berührung gekommen. Alle elektrolytischen Bäder hätten eine Absaugung ins Freie gehabt und seien ab dem Jahre 1955 mit Kunststoffbällchen abgedeckt worden. Metallniederschlag sei in den Räumen nicht festgestellt worden. Schadstoffmessungen seien niemals erfolgt. Nach Einholung ärztlicher Gutachten und Stellungnahmen, in denen ärztlicherseits ua neben beruflichen Ursachen für das Bronchialcarcinom auf die jahrelangen Rauchgewohnheiten des Versicherten (10 bis 20 Zigaretten täglich) hingewiesen wurde, lehnte die Beklagte Hinterbliebenenleistungen ab (Bescheid vom 17. Dezember 1985 und Widerspruchsbescheid vom 8. August 1986).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren (Urteil vom 28. Juli 1988). Es hat die berufsbedingte Chromatexposition und das Zigarettenrauchen als konkurrierende, rechtlich wesentliche Teilursachen für die Entstehung des Lungenkrebses beim Versicherten angesehen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die – hinsichtlich der Verurteilung auf Gewährung von Hinterbliebenenrente eingelegte – Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 25. April 1990). Es ist zu der Auffassung gelangt, daß die berufsbedingte Chromatexposition neben dem Zigarettenkonsum eine zumindest gleichwertig wirkende Ursache für das Bronchialcarcinom gewesen sei. Auch ohne objektive Meßdaten reichten die festgestellten Umstände für die Überzeugung des Gerichts aus, daß der Versicherte beruflich erhöhten Gefährdungen ausgesetzt gewesen sei; insbesondere komme hier den Arbeitsplatzverhältnissen die entscheidende Bedeutung bei. Sie seien geeignet gewesen, beim Versicherten das Krebsleiden zu verursachen. Neben dieser berufsbedingten Ursache für das Bronchialcarcinom komme auch dem Zigarettenkonsum des Versicherten eine wesentliche Bedeutung zu. Das Zigarettenrauchen erhöhe das Risiko für eine Krebserkrankung. Wie bei der Chromatexposition sei es aber nicht möglich, das Risiko des Zigarettenrauchens zu quantifizieren. Deshalb lasse sich auch nicht die Feststellung iS einer Wahrscheinlichkeit treffen, daß das vom Zigarettenrauchen ausgehende Risiko die alleinige oder überwiegende Ursache des Bronchialcarcinoms beim Versicherten gewesen sei und die Chromatexposition als unbeachtlich vernachlässigt und demzufolge als rechtlich nicht relevant bewertet werden dürfe. Aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens komme das Gericht zu der Überzeugung, daß beide Noxen für das Bronchialcarcinom iS einer gleichwertig mitwirkenden Teilursache wesentlich gewesen seien. Keine der beiden Ursachen hebe die Ursächlichkeit der anderen Ursache auf. Jede von ihnen sei Ursache im Rechtssinne.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 589, 548, 551 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) und Nr. 1103 der Anlage 1 zu § 1 BKVO. Dem LSG sei der Vorwurf zu machen, daß es den zeitlichen Zusammenhang (langjährige Betriebszugehörigkeit) als allein ausschlaggebend angesehen und daraus auf den ursächlichen Zusammenhang geschlossen habe. Konkrete Feststellungen hinsichtlich der besonderen beruflichen Gefährdung und insbesondere hinsichtlich des Eintretens des Gesundheitsschadens infolge der versicherten Tätigkeit habe das LSG nicht treffen können. Wenn das LSG die Auffassung vertrete, daß auch – „ohne daß objektive Meßdaten vorliegen” – die 33jährige Expositionszeit des Versicherten, die als „bescheiden” bezeichneten Räumlichkeiten und Entlüftungsmöglichkeiten, insbesondere das alle zwei bis drei Jahre erforderliche Ansetzen des Chrombades sowie das Nachfüllen des Bades alle zwei bis drei Monate ausreichten, um die Überzeugung zu vermitteln, daß sich der Versicherte durch seine berufliche Tätigkeit einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt habe, so verlasse das LSG den Boden gesicherter Erkenntnisse und Tatsachen und stütze sich auf Vermutungen und den langen Zeitablauf. Daraus lasse sich jedoch eine konkrete Gefährdung nicht ableiten, eine „erhebliche Gefährdung” schon gar nicht. Eine konkrete Chromatgefährdung sei nicht nachgewiesen. Jedenfalls komme dem Zigarettenrauchen bei richtiger Würdigung des Zigarettenkonsums die weit überwiegende (ursächliche) Bedeutung zu.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. April 1990 sowie das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Juli 1988 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Klägerin steht der allein noch den Streitgegenstand bildende Anspruch auf Witwenrente (§ 589 Abs 1 Nr 3, § 590 RVO) zu, weil nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind, für das zum Tode des Versicherten führende Bronchialcarcinom die beruflich bedingte Chromatexposition neben dem Zigarettenkonsum des Versicherten eine zumindest gleichwertige Ursache und damit auch ursächlich im Rechtssinne für seinen Tod gewesen ist.
Bei Tod durch Arbeitsunfall sind Leistungen an die Hinterbliebenen im Rahmen der §§ 589 ff RVO zu gewähren. Dem Tod durch Arbeitsunfall steht gleich, wenn der Versicherte durch eine Berufskrankheit verstorben ist (s § 551 Abs 1 Satz 1 RVO). Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO). Krankheiten durch Chrom oder seine Verbindungen sind als Berufskrankheiten unter der Nr 1103 in die Anlage 1 zu § 1 BKVO aufgenommen. Das LSG hat in Übereinstimmung mit dem SG ohne Rechtsirrtum (s §§ 162, 163 SGG) entschieden, daß der Versicherte an einem Bronchialcarcinom verstorben ist, das durch die berufsbedingten Einwirkungen von Chrom und seinen Verbindungen verursacht worden ist.
Das LSG hat unter Berücksichtigung aller Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls im Rahmen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung (s § 128 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) bindend festgestellt, daß der Versicherte mehr als 30 Jahre durch seine berufliche Tätigkeit Einwirkungen von Chrom und seinen Verbindungen ausgesetzt war. Davon ausgehend hat das LSG den ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen schädigenden Einwirkungen und dem zum Tode führenden Bronchialcarcinom bejaht und ausdrücklich nicht nur als möglich angesehen. Auch dieser Teil seiner Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Revision hat das LSG insbesondere die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Kausallehre von der wesentlichen Bedingung (s dazu ua BSGE 61, 127, 128 sowie Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 480 ff, jeweils mwN) weder bei der Beurteilung der haftungsbegründenden noch der haftungsausfüllenden Kausalität rechtsfehlerhaft angewandt. Daß es den – von ihm festgestellten – mehr als drei Jahrzehnte langen schädigenden Einwirkungen durch Chromat und seine Verbindungen eine besondere Bedeutung für die Beurteilung des Kausalzusammenhanges zugemessen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die von der Revision vertretene Gegenmeinung, daß eine langjährige Einwirkung von schädigenden Stoffen nur in den Fällen wesentlich sei, wenn dies – wie zB in Nr 2102 der Anlage 1 zu § 1 BKVO – ausdrücklich angeführt sei, ist nicht nachvollziehbar. Denn das Erfordernis langjähriger schädigender Einwirkungen bedeutet eine Verschärfung der Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit.
Hinsichtlich der Beweiswürdigung des LSG aufgrund der bindenden tatsächlichen Feststellungen gelangt die Revision lediglich zu anderen Ergebnissen als das Berufungsgericht, ohne diese Würdigung der Beweise mit Verfahrensrügen anzugreifen. Der Tatrichter ist im Rahmen der Beweiswürdigung nicht gehindert, den Eigentümlichkeiten des Falles dabei dadurch Rechnung zu tragen, daß er an einen Beweis verminderte Anforderungen stellt (s BSGE 19, 52, 56). Eine Umkehr der Beweislast hat das LSG in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Senats nicht angenommen (s BSG SozR 2200 § 551 Nr 1; Brackmann aaO S 480n mwN).
Das LSG hat schließlich nicht verkannt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der berufsbedingten Chromatexposition und dem Entstehen des Bronchialcarcinoms dann zu verneinen wäre, wenn das Rauchen des Versicherten die allein wesentliche Bedingung für die zum Tode führende Erkrankung gewesen wäre (s Brackmann aaO S 489e ff). Dies hat das LSG jedoch wiederum aufgrund seiner tatsächlichen Feststellungen und der darauf gründenden, mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Beweiswürdigung ohne Rechtsfehler verneint. Das LSG hat insbesondere ausdrücklich als Ursache des Bronchialcarcinoms dem Zigarettenrauchen des Versicherten nicht eine überragende Bedeutung gegenüber der Chromatexposition zugemessen. Es hat vielmehr beide Noxen als gleichwertig mitwirkende Teilursachen und damit folgerichtig die Berufskrankheit als Ursache im Rechtssinne für den Tod des Versicherten angesehen (s BSGE 22, 200, 203).
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen