Gründe
Die Beteiligten streiten über die Erhöhung der Schwerstbeschädigtenzulage (SchwBZ).
Der Beklagte bewilligte dem 1922 geborenen, im Laufe des Berufungsverfahrens verstorbenen Ehemann der Klägerin mit Bescheid vom 19. September 1975 ab 1. Februar 1972 ua eine SchwBZ nach der Stufe V. Im März 1985 stellte der Versorgungsberechtigte einen Antrag auf Erhöhung der SchwBZ wegen einer Verschlimmerung der Schädigungsfolgen. Die daraufhin eingeholten Gutachten ergaben, daß 1975 eine unzutreffende, zu hohe Gesamtpunktzahl festgestellt worden war. Mit Bescheid vom 16. Dezember 1988 stellte der Beklagte daraufhin ua fest, daß die Verwaltungsentscheidungen vom 19. September 1975, 28. August 1979 und alle sonstigen seit dem 19. September 1975 erteilten Bescheide insoweit rechtswidrig seien, als ab dem 1. Februar 1972 SchwBZ nach Stufe V anstelle von Stufe III gewährt worden sei. Die Entscheidungen könnten zwar nicht mehr zurückgenommen werden. Künftig eintretende Änderungen dürften gemäß § 48 Abs 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aber nur insoweit zu Leistungserhöhungen führen, als dies bei Anwendung des geltenden Rechts - dh Berechnung der SchwBZ nach Stufe III - gerechtfertigt sei.
Hiergegen erhob der Ehemann der Klägerin direkt Klage. In weiteren Bescheiden vom 28. Februar 1991, 29. Juli 1991 und 27. August 1992 erhöhte der Beklagte die SchwBZ nicht. Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 16. Dezember 1988 aufgehoben, die Folgebescheide entsprechend geändert und den Beklagten verurteilt, dem Ehemann der Klägerin ab 1. Juli 1989 ua SchwBZ ohne Aussparung zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die - auf die SchwBZ beschränkte - Berufung der - während des Berufungsverfahrens als Sonderrechtsnachfolgerin in den Rechtsstreit eingetretenen - Klägerin zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte dürfe die SchwBZ in entsprechender Anwendung des § 62 Abs 3 Sätze 1, 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht von der Rentenanpassung ausnehmen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 48 Abs 3 SGB X. Eine entsprechende Anwendung des § 62 Abs 3 BVG komme hier nicht in Betracht, da aufgrund des Verschlimmerungsantrags des Versorgungsberechtigten ohnehin eine Untersuchung erforderlich gewesen sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 1998 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21. Oktober 1994 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
II
Die Revision hat keinen Erfolg. Der Beklagte ist - wie die Vorinstanzen zu Recht angenommen haben - verpflichtet, die SchwBZ zu erhöhen und darf auf diese Leistung nicht die Regelung des § 48 Abs 3 SGB X anwenden.
Der geltend gemachte Anspruch scheitert nicht schon daran, daß der verstorbene Versorgungsberechtigte die Klage ohne vorhergehendes Vorverfahren erhoben hat. Das war zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 16. Januar 1989 noch zulässig (§ 78 Abs 2 SGG idF des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30. Juli 1974 ≪BGBl I S 1625≫).
Übereinstimmend gehen die Beteiligten davon aus, daß die Feststellung der SchwBZ nach der Stufe V im Jahre 1975 rechtswidrig ist. Trotzdem darf die Leistung nicht nach § 48 Abs 3 SGB X abgeschmolzen werden. Sie unterliegt dem Bestandsschutz, weil der Verstorbene die Leistung mehr als zehn Jahre ungeschmälert bezogen hat.
§ 48 Abs 3 SGB X bestimmt, daß Verwaltungsakte, die trotz Rechtswidrigkeit nicht zurückgenommen werden können, nicht Grundlage von Leistungserhöhungen sein dürfen, wenn die Rechtswidrigkeit festgestellt ist. Aus § 62 Abs 3 BVG idF des Dritten Neuordnungsgesetzes vom 28. Dezember 1966 (BGBl I S 750), den das SGB X unberührt ließ, folgt, daß Leistungsempfänger, die über 55 Jahre alt sind und bei denen seit über zehn Jahren unverändert eine bestimmte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) oder SchwBZ anerkannt ist, nicht mehr mit einem Eingriff in das Versorgungsverhältnis rechnen müssen. Diese Regelung stellt damit eine Ausnahme von dem Grundsatz auf, daß es kein schützenswertes Vertrauen in die wandelbaren tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse gibt. § 62 Abs 3 Sätze 1, 2 BVG schließt einen Eingriff zwar ausdrücklich nur in den Fällen aus, in denen wegen einer Besserung des Gesundheitszustandes die anerkannte SchwBZ an sich herabzusetzen wäre. Es liegt also nur eine Regelung für die Fälle vor, in denen ein begünstigender Verwaltungsakt nachträglich rechtswidrig wird und für die § 48 Abs 1, nicht aber Abs 3 SGB X gilt. Eine erweiternde Auslegung hält der Senat angesichts des klaren Wortlauts nicht für möglich. Aber es besteht insoweit eine Gesetzeslücke, die durch die analoge Anwendung des § 62 Abs 3 BVG geschlossen werden muß.
Bei einer Lücke handelt es sich um eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes (vgl BVerfGE 34, 269, 286 f; BSGE 25, 150, 151; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, S 194; Martens, SGb 1993, S 235). Ob sie besteht, beurteilt sich nach der dem Gesetz zugrundeliegenden Regelungsabsicht, dem mit ihm verfolgten Zweck und dem Plan des Gesetzgebers. Eine analoge Anwendung des Gesetzes auf gesetzlich nicht umfaßte Sachverhalte ist geboten, wenn die Regelungsabsicht des Gesetzgebers wegen der Gleichheit der zugrundeliegenden Interessenlage auch den nicht geregelten Fall hätte einbeziehen müssen; die Analogie ist jedoch ausgeschlossen, wenn durch sie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers vereitelt würde (vgl Urteil des Senats BSGE 80, 171, 174 = SozR 3-1925 § 2 Nr 1; BSGE 61, 146, 147 = SozR 2200 § 368h Nr 4). Auch bei Ausnahmevorschriften besteht kein Analogieverbot (BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 1; BSGE 57, 195, 196 f = SozR 1500 § 149 Nr 7; Larenz/Canaris, aaO, S 175).
Der § 62 Abs 3 BVG zugrundeliegende Rechtsgedanke zeigt, daß die Versorgungsempfänger nicht nur gegen den Eingriff wegen einer rechtswidrig gewordenen, sondern auch gegen einen Eingriff wegen einer anfänglich rechtswidrigen Anerkennung geschützt sein sollen (stRspr des Senats; vgl SozR 3-3100 § 62 Nr 1; Urteil vom 8. März 1995 - 9 RV 7/93 - unveröffentlicht; SozR 3-3100 § 62 Nr 2; zustimmend Schneider-Danwitz in Gesamtkommentar Sozialversicherung, § 48 SGB X RdNr 9g, 126; Wiesner bei Schroeder-Printzen, SGB X, 3. Aufl, § 48 RdNr 30). Das Gesetz nimmt ausdrücklich in Kauf, daß ein rechtswidriger Zustand, der erst nach Vollendung des 55. Lebensjahres eintritt oder bemerkt wird und nach § 48 Abs 1 SGB X beseitigt werden könnte, bei einem Beschädigten aus Vertrauensschutzgründen aufrechterhalten bleibt und auch nicht durch § 48 Abs 3 SGB X einschränkbar ist. Auch wer von den anerkannten Gesundheitsstörungen völlig genesen ist, behält die Leistungen und muß nicht das "Einfrieren" nach § 48 Abs 3 SGB X befürchten.
Dies gilt unabhängig davon, wie die Änderung des Gesundheitszustandes oder die Unrichtigkeit der früheren Bescheide festgestellt wurde. Zwar ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 62 BVG (vgl BR-Drucks 192/1/59, S 14; BT-Drucks 3/1825, S 10), daß mit dieser Vorschrift zugleich die Behelligung älterer Versorgungsempfänger durch medizinische Ermittlungen über den seinerzeitigen und den derzeitigen Gesundheitszustand möglichst vermieden und so auch die Verwaltungsarbeit vereinfacht werden sollte. Solche Ermittlungen können jedoch aus verschiedenen Gründen auch bei der durch § 62 Abs 3 BVG geschützten Personengruppe erforderlich sein, zB durch Untersuchungen im Rahmen der Heilbehandlung oder aufgrund eines Verschlimmerungsantrages. Für die von der Revision geforderte differenzierende Anwendung des § 62 Abs 3 BVG je nach der Ursache für den Erkenntnisgewinn der Versorgungsbehörde, gibt schon der Wortlaut dieser Norm keinen Anhaltspunkt, und es entspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Durch die Bestimmung sollen ältere Leistungsempfänger davor geschützt werden, daß die Versorgungsrente, die sie über einen längeren Zeitraum im wesentlichen unverändert bezogen haben, in Zukunft geschmälert wird. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde bewußt das ursprünglich geplante Verbot einer Untersuchung von Amts wegen durch das heute existierende Neufeststellungsverbot ersetzt (vgl BR-Drucks 192/1/59, S 14; BT-Drucks 3/1825, S 10). Im Unterschied zu denkbaren sonstigen Änderungen wird das Vertrauen des im fortgeschrittenen Alter befindlichen Versorgungsempfängers in die regelmäßigen Rentenanpassungen geschützt. Nur insoweit steht aber der besondere Bestandsschutz der Vorschrift einer Abschmelzung nach § 48 Abs 3 SGB X entgegen (vgl Urteil des Senats SozR 3-3100 § 62 Nr 2; Urteil vom 8. März 1995 - 9 RV 7/93 - unveröffentlicht). Jedoch kann der Beschädigte auch bei Berücksichtigung des Grundgedankens des § 62 Abs 3 Satz 1 BVG zB nicht darauf vertrauen, daß eine rechtswidrig zu hoch festgestellte MdE bei einer weiteren Verschlimmerung oder dem Hinzutritt einer neuen Schädigungsfolge, durch die der Grad der rechtswidrig festgestellten MdE überhaupt erst erreicht wird, weiter erhöht wird. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstandes, daß in solchen Fällen aufgrund des Verschlimmerungsantrages ohnehin zu prüfen ist, ob sich die MdE wegen Leidensverschlimmerung oder des Hinzutritts neuerer Schädigungsfolgen verändert hat, so daß der durch § 62 Abs 3 Satz 1 BVG auch gewährte Schutz vor Untersuchungen leerläuft. Auf diese Fälle ist - anders als hier - § 62 Abs 3 Satz 1 BVG deshalb nicht analog anzuwenden (vgl näher Urteil des Senats SozR 3-3100 § 62 Nr 2).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen