Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Spruchausschuß eines Arbeitsamtes über einen Einspruch vor dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes entschieden, so geht die hiergegen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingelegte Berufung als Klage auf das Sozialgericht über.
2. Inhaber von Wandergewerbescheinen gelten, solange sie ihren Schein nicht beim Arbeitsamt hinterlegt haben, nicht als arbeitslos, ohne daß es einer Prüfung bedarf, ob ihr Gewerbe nach allgemeiner Anschauung eine Lebensgrundlage zu sein pflegt.
Nicht als arbeitslos gilt auch, wer nach Hinterlegung eines solchen Scheines das Gewerbe weiterbetreibt.
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Spruchausschuß eines Arbeitsamtes über einen Einspruch entschieden, so ist ein Vorverfahren nach SGG §§ 79, 80 Nr 1 als Klagevoraussetzung auch dann nicht erforderlich, wenn die Entscheidung des Spruchausschusses erst nach dem Inkrafttreten des SGG angefochten worden ist.
Normenkette
AVAVG § 87a; AVAVG 1927 § 87a; SGG § 213 Fassung: 1953-09-03, § 215 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 79 Fassung: 1953-09-03, § 80 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 7. Juni 1955 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts des Klägers vor dem Bundessozialgericht wird auf DM 100.- festgesetzt.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Der Kläger, von Beruf Büroangestellter, war zuletzt vom 5. Januar 1951 bis zum 4. Januar 1953 als selbständiger Handelsvertreter für Bilderschecke tätig, gab das Gewerbe aber auf, da es sich nicht lohnte, und hinterlegte seinen Wandergewerbeschein beim Arbeitsamt (ArbA.) Brake. Auf Grund seiner Arbeitslosmeldung erhielt er Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) vom 8. Januar 1953 bis zum 7. August 1953.
Seine Frau hatte seit dem 30. Januar 1953 einen Wandergewerbeschein ebenfalls für den Vertrieb von Bilderschecken.
Durch Ermittlungen des ArbA. wurde Anfang August 1953 festgestellt, daß der Kläger seit seiner Arbeitslosmeldung in regelmäßigen Abständen Geschäftsleute aufgesucht und Bilderschecke vertrieben hatte. Mit Verfügung vom 22. August 1953 wurde deshalb die Alfu vom 8. August 1953 ab eingestellt. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Er gab zu, daß er "mitunter" für seine Frau bestellte Sachen ausgeliefert habe. Weitere Ermittlungen ergaben, daß der Kläger selbständig Bestellungen entgegengenommen und die Bilderschecke sogleich ausgeliefert hatte. Er habe sie von der Bezirksleitung der Firma " informator für Wirtschaft, Organisation und Propaganda GmbH." in Frankfurt/Main, der Firma S. Sch in Hannover, bezogen. Bei letzterer sei er auch als Vertreter eingetragen, nicht dagegen seine Frau. Auf Anfrage erklärte die Firma Sch mit Schreiben vom 12. Oktober 1953, sie sei nicht in der Lage mitzuteilen, ob der Kläger, seine Frau oder sein Sohn für sie tätig seien, da kein vertragliches Verhältnis zwischen ihnen bestehe. Seit Juli 1952 würden von der Familie H.B die Werbegutscheine ausgeliefert. Mit Schreiben vom 9. Dezember 1953 teilte die Firma S dem Kläger mit: "In Beantwortung Ihres Schreibens vom 2. Dezember 1953, in dem Sie uns mitteilen, daß Sie Ihr Gewerbe abgemeldet haben und aus diesem Grunde nicht mehr für uns arbeiten können, möchten wir Sie noch um etwas bitten." Die Bitte bestand darin, der Kläger möchte die aus den früheren Aufträgen noch offenstehenden Beträge kassieren. Das ArbA. erklärte sich mit dieser Tätigkeit einverstanden, soweit sie nur das Kassieren betreffe.
Am 12. Oktober 1953 hatte der Kläger seinen Einspruch gegen die Verfügung des ArbA. vom 22. August 1953 zurückgenommen.
Mit Verfügung vom 27. Oktober 1953 forderte nunmehr das ArbA. die überhobene Alfu von 364.30 DM zurück und verhängte durch Strafbescheid von demselben Tage gegen den Kläger eine Ordnungsstrafe von 30.- DM. Hiergegen legte dieser Einspruch und Beschwerde ein. Er gab darin zu, einige Male für seine Frau Aufträge erledigt zu haben. Dabei habe er gleichzeitig einige Geschäftsleute besucht, "welche an demselben Wege lagen und die zu diesem Zeitpunkt besucht werden mußten". Seine Frau sei zu dieser Zeit krank gewesen.
Auf erneute Arbeitslosmeldung wurde dem Kläger, nachdem auch seine Frau ihren Wandergewerbeschein am 23. November 1953 beim ArbA. hinterlegt hatte, wiederum Alfu bewilligt.
Der Spruchausschuß beim ArbA. Brake wies am 14. Dezember 1953 den Einspruch zurück, hob die Ordnungsstrafe aber auf. Nach § 3 des Anhangs zur Militärregierungsverordnung (MRVO) Nr. 117 in Verbindung mit § 87 a Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) sei der Kläger als selbständiger Gewerbetreibender nicht als arbeitslos anzusehen. Die Ordnungsstrafe sei jedoch nicht gerechtfertigt, da dem Kläger eine böse Absicht ferngelegen habe. Insoweit wurde die Entscheidung nach dem damals noch geltenden Abs. 2 des § 259 AVAVG als endgültig bezeichnet. Die Entscheidung des Spruchausschusses wurde dem Kläger am 29. Dezember 1953 gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt. In der Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, daß er innerhalb von zwei Wochen seit der Bekanntgabe Berufung einlegen könne.
Mit Schreiben vom 4. Januar 1954 legte der Kläger Berufung beim Oberversicherungsamt (OVA.) Hannover ein. Er habe nur in wenigen Fällen seine Frau unterstützt, wenn sie an Gallenkoliken gelitten habe, und er sei für die Arbeitsvermittlung verfügbar gewesen. Deshalb habe er die Alfu zu Recht bezogen und es an sich nicht nötig gehabt, seinen Einspruch gegen die Einstellung der Alfu zurückzunehmen. Wenn die Firma Sch ihn als Vertreter benannt habe, so sei das unrichtig; Sch habe erst Mitte 1953 die Bezirksleitung übernommen und sei vermutlich von seinem Vorgänger falsch unterrichtet worden. Der Kläger beantragte, die Entscheidung über die Rückzahlung aufzuheben und ihm, wenn möglich, die Alfu vom 8. August bis zum 23. November 1953 nachzuzahlen.
II. Diese "Berufung" wurde dem Sozialgericht (SG.) Oldenburg als Klage zugeleitet. Mit Urteil vom 30. September 1954 hob das SG. die Verfügung des ArbA. vom 27. Oktober 1953 auf. Es sah den Kläger nicht als selbständigen Gewerbetreibenden an, sondern nahm an, daß er nur seiner erkrankten Frau geholfen habe. Aus dem Schreiben der " informator " vom 9. Dezember 1953 könne nicht entnommen werden, daß er den Vertrieb der Bilderschecke selber übernommen habe. Das Begehren des Klägers auf Nachzahlung der Alfu vom 8. August bis zum 23. November 1953 sei unbeachtlich, da der Kläger seinen Einspruch gegen die die Alfu einstellende Verfügung zurückgenommen habe und diese somit rechtskräftig geworden sei. Am Anfang des Urteils hatte das Gericht festgestellt, daß der Kläger "für die Zeit vom 8. August 1953" ein selbständiges Gewerbe angemeldet habe. Am Schluß des Urteils wird gesagt: "Gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig (§ 147 Sozialgerichtsgesetz)".
Der Präsident des Landesarbeitsamtes Niedersachsen legte für die Bundesanstalt Berufung ein. Er berief sich auf das Schreiben der " informator " vom 9. Dezember 1953; es beweise eindeutig, daß der Kläger als selbständiger Vertreter tätig war.
Das Landessozialgericht (LSG.) Celle hob mit Urteil vom 7. Juni 1955 das Urteil des SG. Oldenburg auf und wies die Klage ab. Revision wurde zugelassen.
Das LSG. hielt die Klage für nicht statthaft, da das nach §§ 79, 80 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - vorgeschriebene Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei und es deshalb an einer Prozeßvoraussetzung zur Erhebung der Klage fehle. Das Verfahren sei am 31. Dezember 1953 noch beim Spruchausschuß anhängig gewesen, da bis zu diesem Tage weder die zweiwöchige Rechtsmittelfrist abgelaufen noch Berufung an das OVA. eingelegt gewesen sei. In solchen Fällen gehe nach § 215 Abs. 1 Satz 1 SGG das Verfahren auf die Widerspruchsstelle beim ArbA. über. Deshalb habe die Sache auch nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 2 SGG beim SG. rechtshängig werden können. Ebensowenig sei sie nach § 215 Abs. 2 SGG auf das SG. übergegangen, da sie noch nicht beim OVA. rechtshängig gewesen sei.
III. Gegen das dem Kläger am 27. Juni 1955 zugestellte Urteil hat er mit Schriftsatz vom 19. Juli 1955 - beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangen am 21. Juli - Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des LSG. Celle vom 7. Juni 1955 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Oldenburg vom 30. September 1954 als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung des Vorderurteils den Rechtsstreit an das LSG. zurückzuverweisen. In demselben Schriftsatz hat er die Revision begründet und Verletzung formellen Rechts gerügt. Das LSG. habe die Bedeutung des Begriffs "anhängig" im § 215 Abs. 1 SGG und die des Vorverfahrens als sog. "Prozeßvoraussetzung" verkannt. Der prozessuale Mangel des Fehlens einer Entscheidung im Vorverfahren habe vom Gegner durch Einrede geltend gemacht werden müssen. "Anhängig" sei die Sache beim Spruchausschuß bis zu dessen Entscheidung gewesen, so daß für ein Vorverfahren kein Raum mehr gewesen sei, sondern gemäß § 87 SGG Klage vor dem SG. habe erhoben werden müssen. Auf Grund der Rechtsmittelbelehrung in der Entscheidung des Spruchausschusses sei sie irrtümlich als "Berufung" bezeichnet worden. Materiell-rechtlich habe die Beklagte keinen Beweis dafür angetreten oder erbracht, daß der Kläger als selbständiger Handelsvertreter anzusehen war; er sei nur Bote seiner Frau gewesen.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12. September 1955 beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zurückzuverweisen. Sie ist mit dem Kläger der Meinung, daß das LSG. ein Sachurteil hätte fällen müssen. Die Spruchausschußentscheidung sei bereits mit ihrer Verkündung existent geworden. Sie habe bindende Wirkung wie ein Urteil (§ 318 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) und könne deshalb nur durch ein übergeordnetes Gericht aufgehoben werden, nicht aber durch eine Verwaltungsstelle wie die Widerspruchsstelle. "Anhängige" Sachen im Sinne des § 215 Abs. 1 SGG seien nur die noch nicht entschiedenen Sachen. Sachlich sei die Klage nicht begründet. Der Kläger habe unbestritten auch nach der Arbeitslosmeldung und nach Hinterlegung des Wandergewerbescheines seine Tätigkeit fortgesetzt. Er habe also weiter einen Wandergewerbeschein benötigt, zumindest aber als Begleiter in dem Schein seiner Frau eingetragen werden müssen. Arbeitslosigkeit liege nicht allein dann vor, wenn der Wandergewerbeschein hinterlegt oder der Begleiter darin gestrichen sei. Es müsse auch das Gewerbe endgültig aufgegeben und der eindeutige Wille vorhanden sein, sich uneingeschränkt der Vermittlung zur Verfügung zu stellen.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 7. Oktober 1955 erwidert.
Im Einzelnen wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
IV. Die Revision ist zulässig. Sie mußte auch Erfolg haben.
Der Senat hatte zunächst zu prüfen, ob schon die Berufung und überhaupt die Klage zulässig war. Letzteres hat das LSG. verneint, weil es an dem durch §§ 79, 80 Nr. 1 SGG vorgeschriebenen Vorverfahren fehle.
Diese Auffassung ist rechtsirrig. Allerdings kann nach § 78 ff. SGG Klage vor dem SG. nur erhoben werden, wenn der Verwaltungsakt in den gesetzlich vorgesehenen Fällen in einem Vorverfahren nachgeprüft worden ist. Das Vorverfahren ist eine Klagevoraussetzung, die von Amts wegen zu prüfen ist. Die Auffassung des Klägers, daß es unbeachtlich sei, ob ein Vorverfahren stattgefunden habe, weil die Beklagte eine prozeßhindernde Einrede nicht geltend gemacht, sondern sich in das Verfahren vor dem SG. eingelassen habe, ist danach unzutreffend. Auf das Vorverfahren kann grundsätzlich nicht verzichtet werden. Sein Sinn ist, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit vor Überlastung zu schützen und ihre Inanspruchnahme erst dann zuzulassen, wenn eine ausreichende Prüfung durch die Verwaltung erfolgt ist (vgl. Bundestagsdrucksache Nr. 4357 zum damaligen § 27, jetzigen §§ 78 ff.). Daraus ergibt sich, daß das Vorverfahren nicht schon ein Teil des sozialgerichtlichen Verfahrens ist, sondern noch dem Bereich der Verwaltung angehört. In Angelegenheiten der Bundesanstalt ist Widerspruchsstelle der Direktor des ArbA. oder sein Stellvertreter. Er soll auf den Widerspruch hin prüfen, ob der von seinem Amt erlassene Verwaltungsakt aufrechterhalten werden kann.
V. Dem Kläger ist die Entscheidung des Spruchausschusses am 29. Dezember 1953 ausgehändigt worden. Das in der Rechtsmittelbelehrung angegebene Rechtsmittel der Berufung hat er erst am 4. Januar 1954, also nach dem Inkrafttreten des SGG, beim OVA. eingelegt.
Nach § 215 Abs. 1 Satz 1 SGG gehen die beim Inkrafttreten des SGG bei den Spruchausschüssen nach dem AVAVG "anhängigen" Sachen auf die für das Vorverfahren zuständigen Stellen über, während im übrigen im § 215 die Behandlung von "rechtshängigen" Sachen geregelt wird. Im allgemeinen wird unter "Rechtshängigkeit" das Schweben einer Streitsache im Urteilsverfahren, unter "Anhängigkeit" das Schweben in einem beliebigen prozessualen Verfahren verstanden (vgl. Baumbach-Lauterbach, ZPO. 24. Aufl., Anm. 1 A zu § 263). Beide Ausdrücke werden aber nicht immer auseinandergehalten. Die ZPO benutzt sie beide sogar als gleichwertig. Auch das Reichsgericht hat in seinem Urteil vom 3. Februar 1932 (RGZ. Bd. 135 S. 122) erklärt: "In dem Ausdruck "anhängig werden" ist kein Gegensatz zu "rechtshängig werden" zu finden, sondern zwanglos lediglich der umfassendere Begriff."
Beim Spruchausschuß konnte die Sache nur so lange anhängig sein, bis er darüber entschieden und die Entscheidung dem Kläger bekanntgegeben hatte; denn damit war seine Zuständigkeit erschöpft. Er war nicht berechtigt, danach noch etwa seine Entscheidung abzuändern (vgl. auch Grunds.-Entsch. des RVA. Nr. 3689 vom 30.10.1929, AN. 1929 S. 110). Rechtswirksam wurde seine Entscheidung an sich durch die mündliche Bekanntgabe an den Kläger. Wurde die Entscheidung aber noch nachträglich zugestellt, so trat erst mit diesem Tage die Wirksamkeit ein. Die Rechtsmittelfrist begann dann erst mit dem auf die Zustellung folgenden Tage zu laufen, sofern der Kläger in der Entscheidung über das Recht zur Erhebung des Rechtsmittels sowie die dabei einzuhaltende Form und Frist belehrt worden war, wie es in den zu dieser Zeit noch gültigen §§ 178 Abs. 2, 180 Abs. 2 AVAVG vorgeschrieben war (vgl. auch Grunds. Entsch. des RVA. Nr. 3187 vom 21.3.1928, AN. 1928 S. 195). Da im vorliegenden Falle die Entscheidung schriftlich zugestellt wurde, endete die Anhängigkeit beim Spruchausschuß demnach am 29. Dezember 1953 als dem Tag der Aushändigung. Die Rechtsmittelfrist war hierfür ohne Bedeutung. Beim OVA. wurde die "Berufung" erst mit dem Eingang des Schriftsatzes des Klägers vom 4. Januar 1954 rechtshängig, so daß § 215 Abs. 4 SGG nicht anwendbar war.
Es fragt sich deshalb, ob für solche Fälle im § 215 SGG eine Lücke im Gesetz besteht, die vom Gericht zu schließen ist. Dies kann hier jedoch dahingestellt bleiben, da jedenfalls sachlich im vorliegenden Fall kein Bedürfnis dafür gegeben ist; denn wie bereits erwähnt, soll die Einschaltung des Vorverfahrens nur einer Überlastung der Gerichte durch verwaltungsmäßige Nachprüfung des Verwaltungsakts vorbeugen. Wenn außerdem Spruchausschuß und Widerspruchsstelle miteinander verglichen werden, so ist festzustellen, daß "wertmäßig" diese Absicht des Gesetzgebers durch die Entscheidung des Spruchausschusses erfüllt ist. Unbedenklich kann sogar gesagt werden, daß dies noch in höherem Maße geschehen ist; denn während die Widerspruchsstelle allein aus dem Direktor des ArbA. oder seinem Stellvertreter besteht, setzte sich der Spruchausschuß aus einem Vorsitzenden und je einem Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeisitzer zusammen. Seine Tätigkeit wird im § 213 SGG als "rechtsprechend" bezeichnet. Dabei kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob diese Spruchbehörden als besondere Verwaltungsgerichte oder als Verwaltungsbehörden anzusehen waren. Jedenfalls waren die Mitglieder des Spruchausschusses nach § 49 Abs. 4 des Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 10. März 1952 (BGBl. I S. 123) nicht weisungsgebunden, während bei der Widerspruchsstelle diese Unabhängigkeit nicht besteht. Die mit diesen rechtlichen Garantien ausgestattete Tätigkeit des Spruchausschusses muß deshalb der Überprüfung im Vorverfahren als mindestens gleichwertig erachtet werden. Es würde deshalb weder der rechtlichen Bewertung noch der Prozeßökonomie entsprechen, wollte man verlangen, daß die Sache erst noch einmal im Vorverfahren geprüft werden und dann ggf. nochmals den Instanzenzug durchlaufen müsse.
Die Behandlung der "Berufung" als Klage vor dem SG. ist daher nicht zu beanstanden. Die Erwähnung des § 147 SGG bei der Frage der Zulässigkeit der Berufung im Urteil des SG. stellt offensichtlich einen Schreibfehler dar; denn die Berufung war nach § 143 SGG zulässig.
VI. In der Sache selbst vermochte das BSG. nicht zu entscheiden. Dafür sprach einmal der Umstand, daß in diesem Fall dem Kläger eine Tatsacheninstanz genommen würde; denn das LSG. hat ein Prozeßurteil gefällt, obwohl es ein Sachurteil hätte erlassen müssen, es hat sich mit dem Sachverhalt überhaupt nicht befaßt. Im übrigen aber waren die Feststellungen, die bisher getroffen worden sind, nicht ausreichend.
Auszugehen ist nicht von der Frage, ob der Kläger als selbständiger Gewerbetreibender im Sinne des § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG anzusehen ist, sondern von Satz 2; denn der Kläger hatte vom 5. Januar 1951 bis zum 4. Januar 1953 ein Wandergewerbe betrieben, und bei seiner Arbeitslosmeldung am 5. Januar 1953 hat er den an sich bis zum 31. Dezember 1954 gültigen Wandergewerbeschein beim ArbA. hinterlegt.
Die Inhaber von Gewerbelegitimationen, Wandergewerbe- oder Hausierscheinen sowie die als Begleiter in solchen Scheinen eingetragenen Personen gelten bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen "nur als arbeitslos, solange die Gewerbelegitimation, der Wandergewerbe- oder Hausierschein beim ArbA. hinterlegt ist." Für die Zeit also, in der ein Angehöriger dieser Berufsgruppen seinen Schein noch besitzt, gilt er ohne weiteres als nicht arbeitslos. In diesem Falle kann es demnach im Gegensatz zu den nach § 87 Abs. 1 Satz 1 AVAVG zu beurteilenden sonstigen selbständigen Gewerbetreibenden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 21.3.1956 - BSG. 2 S. 67 (74)) nicht darauf ankommen, ob das Gewerbe die Lebensgrundlage bildet. Diese schärfere Fassung beruht darauf, daß diese Personengruppen in aller Regel keine feste Betriebsstätte haben und sich bei ihnen, wenn überhaupt, nur mit besonderen Schwierigkeiten feststellen läßt, ob und in welchem Umfang sie ihr Gewerbe ausüben. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber ihnen aber den Zugang zur Arbeitslosenunterstützung dadurch erheblich erleichtert, daß er sie mit Hinterlegung des Scheines beim ArbA. als arbeitslos ansieht, sofern die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind. Selbstverständlich gilt nicht als arbeitslos, wer nach Hinterlegung seines Scheines das Gewerbe trotzdem weiterbetreibt.
VII. Der Kläger galt mithin nach Abgabe seines Wandergewerbescheines ab 5. Januar 1953 an sich als arbeitslos. Nach den Feststellungen des ArbA. soll er aber während dieser Zeit "in regelmäßigen Abständen Geschäftsleute aufgesucht und Bilderschecke vertrieben" haben. Er habe selbständig Bestellungen aufgenommen. Bei der Firma S. sei er als Vertreter eingetragen, nicht seine Frau.
Bei den einander widersprechenden und teilweise unklaren Darstellungen, die der Kläger und die Firma Sch hierzu gegeben haben, wäre es erforderlich gewesen, eingehende Feststellungen zu treffen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, worauf die Angabe des ArbA.-Ermittlers beruht, der Kläger habe seit Januar 1953 in regelmäßigen Abständen Geschäftsleute aufgesucht, und wie weit diese Besuche zeitlich auseinander lagen. In dem Ermittlungsbericht sind zwar 6 Geschäftsleute namentlich angegeben, aber es ist nicht dabei vermerkt, ob sie vom Kläger schon im Jahre 1953 mehrmals aufgesucht worden sind. Wenn das festgestellt worden wäre, hätte sich auch leicht klären lassen, ob gerade zu dieser Zeit die Frau des Klägers erkrankt oder diese Angabe nur vorgeschoben war. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, daß es sich um 6 Geschäftsleute in 4 Ortschaften außerhalb des Wohnsitzes des Klägers handelt. Im übrigen hätte sich das ArbA. auch nicht mit der ersten Auskunft der Firma Sch begnügen dürfen. Daß es sich hier um eine Ausflucht handelte, war ohne weiteres zu erkennen. § 171 AVAVG - notfalls mit Verhängung einer Ordnungsstrafe nach § 260 AVAVG - hätte dem ArbA. die Möglichkeit gegeben, Klarheit zu gewinnen. Ebenso hätte eine Abrechnung von der Firma Sch gefordert werden können und müssen, aus der zu ersehen gewesen wäre, ob der Kläger trotz Hinterlegung seines Wandergewerbescheines ständig weiter für sie tätig gewesen war oder ob es sich nur um eine "sonstige Tätigkeit" im Umfang geringfügiger Beschäftigung (§ 75 a Abs. 2 AVAVG) gehandelt hat, deren Verdienst nach § 112 AVAVG hätte angerechnet werden müssen.
Wenn die Beklagte meint, der Kläger habe sich mindestens als Begleiter im Wandergewerbeschein seiner Frau eintragen lassen müssen, so ist das unzutreffend. Dies wäre nur in Frage gekommen, wenn der Kläger dauernd oder wenigstens für längere Zeit seine Frau begleitet haben würde. Das aber bestreitet er gerade. Im übrigen würde er, da er im Fall dieser Eintragung ebenfalls nicht als arbeitslos galt, sich seinen Wandergewerbeschein vom ArbA. haben zurückgeben lassen können, da dessen Gültigkeitsdauer noch nicht abgelaufen war.
Da der Sachverhalt nicht gemäß § 103 SGG genügend aufgeklärt worden ist, mußte das Urteil des LSG. aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Dabei wird sich das LSG. auch mit dem Antrag des Klägers befassen müssen, ihm die Alfu für die Zeit vom 8. August 1953 bis zum 23. November 1953 nachzuzahlen. Hierin kann ggf. eine Erweiterung des Klageantrags nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG erblickt werden. Für die Annahme des SG., der Kläger habe vom 8. August 1953 an ein selbständiges Gewerbe angemeldet, ergibt sich aus den Akten kein eindeutiger Anhalt.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten. Die Festsetzung der Gebühr für die Tätigkeit des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vor dem BSG. beruht auf § 196 SGG.
Fundstellen