Leitsatz (amtlich)
Zu der Ausnahmevorschrift des AVG § 21a Abs 7 S 2 (= RVO § 1244a) (Anschluß an BSG Urteil vom 1966-02-24 12 RJ 466/62 = SozR Nr 3 zu § 1244a RVO -).
Leitsatz (redaktionell)
Für den Ehegatten eines Rentners der gesetzlichen Rentenversicherung sind die Tuberkulose-Heilmaßnahmen nach AVG § 21a (RVO § 1244a) nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Rentner zugleich Versorgungsbezüge nach Beamtenrecht erhält.
AVG § 21a Abs 7 S 2 (RVO § 1244a Abs 7 S 2) schließt den Anspruch auf Tuberkulose-Heilmaßnahmen für den Ehegatten eines Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung , der Versorgungsbezüge nach Beamtenrecht erhält, nur dann aus, wenn der Rentner eine dem Grunde nach rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt jedoch nach AVG §§ 7, 8 Abs 1 (RVO §§ 1230, 1231 Abs 1) von der Versicherungspflicht befreit ist; der Ausschluß gilt nicht, wenn der Ehegatte bei Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit in einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung steht.
Normenkette
RVO § 1244a Fassung: 1959-07-23, § 1244a Abs. 1 Fassung: 1959-07-23, Abs. 7 S. 2 Fassung: 1959-07-23, § 1229 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1965-06-09, § 1230 Fassung: 1965-06-09, § 1231 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; AVG § 21a Abs. 1 Fassung: 1959-07-23, § 6 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1965-06-09, § 7 Fassung: 1965-06-09, § 8 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; BSHG § 127; AVG § 21a Abs. 7 S. 2 Fassung: 1959-07-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. Februar 1968 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In diesem Rechtsstreit geht es um die Frage, ob die Klägerin nach § 21 a Abs. 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) Übergangsgeld für die Dauer ihrer ambulanten Tbc-Heilbehandlung beanspruchen kann, oder ob die Anwendung dieser Vorschrift nach § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG ausgeschlossen ist.
Die im Jahre 1910 geborene Klägerin ist die Ehefrau eines Oberstleutnants a. D., der neben seiner Pension von der Beklagten ein Altersruhegeld bezieht. Die Klägerin war bis 1957 selbst versicherungspflichtig tätig und hat für mehr als 60 Kalendermonate Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) entrichtet. Sie erkrankte im Jahre 1966 an einer Kniegelenk-Tbc. Für die der stationären Heilbehandlung folgende weitere ambulante Heilbehandlung beantragte die Klägerin im September 1966 bei der Beklagten die Gewährung von Übergangsgeld für die Zeit vom 19. Juli 1966 bis 28. Februar 1967. Dieser Antrag wurde abgelehnt, weil ein derartiger Anspruch durch § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG ausgeschlossen sei (Bescheid vom 4. Oktober 1966). Demgegenüber beruft sich die Klägerin auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Februar 1966 - 12 RJ 466/62 - (SozR Nr. 3 zu § 1244 a der Reichsversicherungsordnung - RVO -), nach dem ein Rentner, auch wenn er gleichzeitig Beamter im Ruhestand ist, von dem Anspruch nach § 1244 a Abs. 1 RVO (= § 21 a Abs. 1 AVG) nicht nach § 1244 a Abs. 7 Satz 2 RVO ausgeschlossen sei, wenn er weder zu den Personen gehört, die nach § 1229 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 RVO versicherungsfrei sind, noch zu denen, die gemäß § 1230, § 1231 Abs. 1 RVO von der Versicherungspflicht befreit sind. Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) entschieden im Sinne der Klägerin. Das SG hatte die Berufung nach § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen.
Nach der Ansicht des LSG kann bei der Klägerin die Ausschlußbestimmung des § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG keine Anwendung finden; denn ihr Ehemann sei als pensionierter Offizier weder nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 AVG versicherungsfrei noch sei er - mangels der Voraussetzungen für einen entsprechenden Antrag - nach § 7 AVG von der Versicherungspflicht befreit. Seine Versicherungsfreiheit ergäbe sich - falls er überhaupt noch tätig wäre - schon aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG wegen seiner Eigenschaft als Altersruhegeldbezieher, und gerade dieser Personenkreis sei von dem Ausschluß des § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG nicht erfaßt. Es sei nicht angängig, die zur Versicherungsfreiheit führenden Tatbestände des § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 AVG im Wege der "Weiterwirkung" auch auf Versorgungsempfänger zu beziehen. § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG würde deshalb den Ehemann der Klägerin als Rentner nicht von Tbc-Hilfeansprüchen gegen die Beklagte ausschließen. Das gelte auch für die Klägerin als Ehefrau, ohne daß es darauf ankomme, ob sie im Zeitpunkt der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte dieses Rechtsmittel frist- und formgerecht ein; sie beantragte,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG. Das LSG habe zu Unrecht entschieden, daß diese Vorschrift nicht zur Anwendung komme. Falls wirklich durch den Wortlaut dieser Vorschrift die Versorgungsempfänger und ihre Familienangehörigen nicht erfaßt sein sollten, handele es sich um eine Gesetzeslücke, die von der Rechtsprechung auszufüllen sei. Denn auch bei einem Ruhestandsbeamten, der keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehe, fehle es in gleicher Weise wie bei den von der Versicherungspflicht befreiten aktiven Beamten an der erforderlichen engen Bindung zur Rentenversicherung. Es sei nicht einzusehen, weshalb der versicherungsfreie Beamte sowie dessen Angehörige im Sinne des § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG mit der Aushändigung des Pensionierungsbescheides in die Kostenlast des Rentenversicherungsträgers fallen sollen, obwohl sie nach wie vor nach § 127 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) einen Anspruch auf Tbc-Hilfe hätten, der sich bei Versorgungsempfängern gegen den meist mit dem öffentlichen Dienstherrn identischen Träger der Versorgungslast richte. Einen solchen Zuständigkeitswechsel habe der Gesetzgeber auch wohl nicht gewollt. Die Rechtsauffassung des LSG hätte zur Folge, daß "Untätigkeit" (d. h. kein Antrag nach § 7 AVG) der "Versicherungspflicht" als Abgrenzungsindiz gleichgesetzt werde. Im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 15. Februar 1966 (BSG 24, 230) komme deshalb auch der Verbandskommentar (vgl. Anm. 24 zu § 1244 a RVO - S. 22/23) zutreffend zu dem Ergebnis, Sinn und Zweck dieser Vorschrift gebiete die Auslegung, daß nicht nur der aktive, sondern auch der pensionierte Beamte und seine Angehörigen von dem Anspruch auf Tbc-Hilfeleistungen gegen den Rentenversicherungsträger ausgeschlossen sind.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
II
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Das LSG hat zutreffend das erstinstanzliche Urteil bestätigt, wonach die Beklagte der Klägerin Übergangsgeld nach § 21 a Abs. 6 AVG zu gewähren hat.
Allein streitig ist im vorliegenden Fall die Frage, ob dem Anspruch der Klägerin auf Maßnahmen der Tbc-Hilfe nach § 21 a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 6 Buchst. b AVG der Absatz 7 Satz 2 dieser Vorschrift entgegensteht. Hiernach ist ein Anspruch für diejenigen Personen ausgeschlossen, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 AVG versicherungsfrei oder gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreit sind, sowie für ihre Ehegatten und Kinder, die bei der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit in keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung standen. Die Klägerin, die bei der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit in keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden hat, würde als Ehefrau nur dann von der Ausnahmevorschrift des Abs. 7 Satz 2 erfaßt, wenn diese Bestimmung auf ihren Mann anwendbar wäre. Das aber ist zu verneinen.
Es ist außer Streit, daß der Ehemann der Klägerin schon bei Beginn ihrer ambulanten Heilbehandlung Rentenbezieher und zugleich - als ehemaliger Offizier - Versorgungsempfänger gewesen ist und in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, also weder nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 AVG versicherungsfrei noch nach §§ 7, 8 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreit war. Somit kann allein nach dem Wortlaut des § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG diese Bestimmung auf ihn keine Anwendung finden. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift können zu keinem anderen Ergebnis führen. Das hat bereits der 12. Senat des BSG in dem erwähnten Urteil vom 24. Februar 1966 (vgl. aaO) entschieden, in dem es sich um einen ähnlichen Sachverhalt gehandelt hat. In den Gründen dieses Urteils ist dargelegt, das Gesetz habe es für einen solchen Rentner bei dem in § 1244 a Abs. 1 RVO aufgestellten Grundsatz belassen, daß er als Rentner Anspruch auf Maßnahmen der Tbc-Hilfe gegen den Rentenversicherungsträger habe. Dies sei nicht nur aus dem eindeutigen Wortlaut des § 1244 a Abs. 7 Satz 2 RVO, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu folgern. Zwar hätte eine andere Regelung getroffen werden können, um zu vermeiden, daß die Zuständigkeit wechselt, wenn ein Rentner aus dem aktiven Beamtenverhältnis in den Ruhestand tritt und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Das berechtige aber nicht zu einer dem Wortlaut des Gesetzes entgegenstehenden Auslegung. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung nach eigener Prüfung der Rechtslage im vorliegenden Fall auch für die AnV an; er macht sich auch die Begründung, die jenem Urteil zugrunde liegt und die sich weitgehend mit den von der Beklagten vorgetragenen Gegenargumenten befaßt, zu eigen. Der erkennende Senat hat zwar in seinem Urteil vom 15. Februar 1966 (BSG 24, 230) - dem allerdings ein anderer Sachverhalt zugrunde lag und in dem darüber zu entscheiden war, ob eine Versicherte, die in ihrer Person die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, deswegen keinen Anspruch auf Tbc-Hilfe hat, weil sie die Ehefrau eines aktiven und deshalb versicherungsfreien Beamten ist - die Ansicht vertreten, daß zwischen Ehegatten und Kindern aktiver Beamter und solchen von Versorgungsempfängern nicht zu unterscheiden sei. Der Senat hält jedoch diese Meinung, die im übrigen auch nicht zu den tragenden Gründen des Urteils vom 15. Februar 1966 gehört hat, nicht mehr aufrecht. In Übereinstimmung mit dem LSG ist vielmehr auch er der Auffassung, daß ein Rentner allein deshalb, weil er zugleich auch Versorgungsempfänger ist, von dem Anspruch auf Tbc-Hilfemaßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. auch Podleschny in "Die Sozialversicherung" 1969, 161, 163 sowie Graf in "Der öffentliche Dienst" 1969, 127).
Der Meinung der Beklagten, auch bei einem Ruhestandsbeamten, der keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht, fehle es in gleicher Weise wie bei dem von der Versicherungspflicht befreiten an der erforderlichen engen Bindung zur Rentenversicherung, steht entgegen, daß der gesetzlichen Regelung offensichtlich andere Erwägungen zugrunde gelegen haben. Der 12. Senat hat insoweit zu Recht ausgeführt: "Die Gesetz gewordene Regelung hat nicht nur den versicherungspflichtig beschäftigten Rentner, der von der Versicherungspflicht nicht befreit ist, in der Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers belassen sondern auch den Rentner, der keiner Beschäftigung mehr nachgeht; und zwar beide ungeachtet dessen, ob sie als Versorgungsempfänger gemäß § 21 des Tbc-Hilfegesetzes (THG), § 127 BSHG Ansprüche gegen den Dienstherrn haben. Insofern läßt das Gesetz die Rentner - dem in § 1244 a Abs. 1 RVO niedergelegten Grundsatz entsprechend - gleichermaßen in erster Linie in die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers fallen. Daß sie auch Versorgungsempfänger sind, ist dabei von untergeordneter Bedeutung geblieben. Das Gesetz hat der Stellung des Beamten als Rentner die größere Bedeutung zugemessen. Es hat selbst den Rentner, der von dem Dienst als aktiver Beamter in den Ruhestand tritt, wieder in die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers zurückgeführt." Es trifft nicht zu, daß - wie die Beklagte und der Verbandskommentar (vgl. aaO) meinen - durch das Urteil des 12. Senats die "Untätigkeit" der "Versicherungspflicht" als Abgrenzungsindiz gleichgesetzt wird. Denn nicht die "Untätigkeit" des Ruhestandsbeamten (der keinen Antrag nach § 7 AVG gestellt hat) ist das entscheidende Kriterium, sondern - wie dargelegt - der Umstand, daß er Rentner ist und daß er deshalb nach dem Willen des Gesetzes in erster Linie der gesetzlichen Rentenversicherung angehören soll. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte - auch insoweit folgt der erkennende Senat dem genannten Urteil des 12. Senats - darauf, daß vom Gesetz offenbar ein Zuständigkeitswechsel nicht gewollt sei. Denn mit Änderungen in der Zuständigkeit hat das Gesetz gerechnet und hierfür entsprechende Regelungen getroffen (vgl. §§ 59, 60, 128 BSHG), wenn auch der Zuständigkeitswechsel durch § 135 Abs. 1 BSHG eingeschränkt ist. Zwar kann, wie die Beklagte zutreffend geltend macht, ein derartiger Wechsel verschiedene Leistungen bewirken, weil sich die Tbc-Hilfeleistungen nach § 21 a Abs. 1 bis 6 AVG und §§ 48 ff BSHG nicht decken (vgl. hierzu BSG 24, 230, 234). Daraus läßt sich aber kein überzeugendes Argument für die Meinung der Beklagten herleiten; auch wenn das Gesetz nicht alle Versorgungsempfänger einheitlich behandelt, so bringt es doch möglichst alle Rentner in den Genuß der gleichen Leistungen des für sie zuständigen Rentenversicherungsträgers.
Das LSG ist somit zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß § 21 a Abs. 7 Satz 2 AVG den Ehemann der Klägerin als Rentner nicht von Tbc-Hilfeansprüchen gegen die Beklagte ausschließen würde. Gleiches muß aber nach dem Gesetzeswortlaut auch für die Klägerin als Ehefrau gelten. Daß sie bei der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit in keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden hat, ist im vorliegenden Falle ohne rechtliche Bedeutung.
Die Beklagte ist daher zu Recht zur Gewährung des Übergangsgeldes verurteilt worden. Ihre Revision gegen das Urteil des LSG ist somit unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2285108 |
BSGE, 80 |