Orientierungssatz

Ärztliche Nachuntersuchung nach BVG § 86 Abs 3:

Eine ärztliche Nachuntersuchung iS des § 86 Abs 3 BVG liegt dann vor, wenn die Nachuntersuchung für die Umanerkennung einer Rente nach dem BVG durchgeführt oder bei ihr verwertet worden ist. Auf den Zeitpunkt der Nachuntersuchung kommt es nicht an; dieser kann vor oder nach Verkündung des BVG liegen. Entscheidend ist nur, ob die Nachuntersuchung bei der Umanerkennung verwertet worden ist oder nicht (vgl BSG 1959-04-24 10 RV 571/58 = SozSich 1959 RsprNr 1019).

 

Normenkette

BVG § 86 Abs. 3 Fassung: 1950-12-20

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 26.06.1958)

SG Oldenburg (Entscheidung vom 26.06.1956)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1958 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger bezog wegen verschiedener Verwundungen an der rechten Hand sowie am linken und rechten Oberschenkel nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 eine Rente gemäß einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. Am 15. November 1950 ließ der Beklagte den Kläger nachuntersuchen, wobei der untersuchende Arzt feststellte, es habe sich gegenüber den früheren Befunden nichts geändert. Daraufhin eröffnete der Beklagte mit einer formlosen Benachrichtigung vom 27. November 1950 dem Kläger, eine Neufeststellung seiner Versorgungsgebührnisse käme nicht in Betracht, da nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchung eine wesentliche Änderung nicht eingetreten sei. Mit Umanerkennungsbescheid vom 22. August 1951 wurden die bisher anerkannten Gesundheitsschädigungen unverändert als Schädigungsfolgen im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anerkannt und die Rente unter Beibehaltung des bisherigen Grades der MdE weitergewährt. Auf Grund einer Nachuntersuchung vom Juni 1953 entzog der Beklagte durch einen auf § 86 Abs. 3 BVG gestützten Bescheid vom 28. Juli 1953 die Rente mit Ablauf des Monats September 1953, weil durch die Schädigungsfolgen eine MdE im gesetzlichen Mindestgrad von 25 v.H. nicht erreicht werde. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurück (Urteil vom 26. Juni 1958). Es führte zur Begründung aus, eine Änderung im Zustand des Klägers hinsichtlich der Schädigungsfolgen liege nicht vor. Der Beklagte sei aber nach § 86 Abs. 3 BVG berechtigt gewesen, die Rente neu festzustellen. Im Zeitpunkt des Ergehens der Mitteilung vom 27. November 1950 sei das BVG noch nicht verkündet gewesen, es könnte deshalb auch nicht als Grundlage dieser Mitteilung angesehen werden. Die Untersuchung vom 15. November 1950 sei keine im Sinne des § 86 Abs. 3 BVG gewesen. Als solche könne nur eine Untersuchung aufgefaßt werden, die nach Verkündung des BVG vorgenommen worden sei. Das LSG ließ die Revision zu.

Der Kläger legte gegen das am 10. Oktober 1958 zugestellte Urteil am 15. Oktober 1958 Revision ein und begründete sie am 21. Oktober 1958. Er rügt Verletzung des § 86 Abs. 3 BVG: Eine Entziehung der Rente dürfe ohne Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nicht vorgenommen werden, weil vor der Rentenumstellung eine ärztliche Untersuchung erfolgt sei. Denn es komme nicht darauf an, in welchem Zeitpunkt die Untersuchung vorgenommen worden sei, sondern nur darauf, ob sie erfolgt sei und als geeignete Grundlage für den Umanerkennungsbescheid angesehen worden sei. Dies sei aber im vorliegenden Fall geschehen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des SG Niedersachsen vom 26. Juni 1958 und des SG Oldenburg vom 26. Juni 1956 sowie die Bescheide des Beklagten vom 28. Juli 1953 und 13. Dezember 1954 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger auch über den 30. September 1953 hinaus eine Rente nach einer MdE um 30 v.H. zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet.

Wie der Senat in seinem Urteil vom 28. September 1961 in der Sache 7/9 RV 494/58 unter Bezugnahme auf das Urteil des 10. Senats vom 24. April 1959 - 10 RV 571/58 - ausgeführt hat, liegt eine ärztliche Nachuntersuchung im Sinne des § 86 Abs. 3 BVG dann vor, wenn die Nachuntersuchung für die Umanerkennung einer Rente nach dem BVG durchgeführt oder bei ihr verwertet worden ist. Auf den Zeitpunkt der Nachuntersuchung kommt es nicht an; dieser kann vor oder nach Verkündung des BVG liegen. Entscheidend ist nur, ob die Nachuntersuchung bei der Umanerkennung verwertet worden ist oder nicht. Hierzu hat das LSG keine Feststellungen getroffen, da es nach seiner Rechtsauffassung nicht darauf ankam. Die Nachuntersuchung vom 15. November 1950 ist zwar für die Mitteilung vom 27. November 1950 verwandt worden, in der der Kläger davon in Kenntnis gesetzt wurde, daß keine Änderung eingetreten sei. Hierbei handelte es sich aber nicht um einen Bescheid im Sinne des § 86 Abs. 3 BVG, weil er vor der Verkündung dieses Gesetzes erging. Maßgebender Bescheid ist vielmehr derjenige vom 22. August 1951. Hier hat das LSG keine Feststellungen getroffen, ob bei seiner Erteilung die Untersuchung vom 15. November 1950 berücksichtigt worden ist; auch aus dem Wortlaut des Bescheides ist nichts darüber zu entnehmen.

Es fehlen daher die erforderlichen Feststellungen, die eine abschließende Entscheidung des Senats ermöglicht hätten. Das angefochtene Urteil muß deshalb aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Das LSG wird zu prüfen haben, ob die Untersuchung vom November 1950 dem Umanerkennungsbescheid zugrunde gelegen hat. Von Bedeutung könnte dabei auch der Vermerk auf dem Original des Bescheides sein, es solle eine Nachuntersuchung im August 1953 stattfinden. Dies könnte dafür sprechen, daß die genannte Nachuntersuchung Grundlage des Bescheides gewesen ist und daß eine weitere Nachuntersuchung erst in zwei Jahren, also unter Einhaltung der Frist des § 62 Abs. 2 BVG, vorgenommen werden sollte; daß man also nach zwei Jahren prüfen wollte, ob eine wesentliche Änderung gegenüber dem augenblicklichen Zustand eingetreten sei. Jedoch kann dies aus dem Vermerk allein nicht geschlossen werden; es kommt vielmehr darauf an, von welchen Voraussetzungen das Versorgungsamt damals ausgegangen ist.

Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2308681

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge