Orientierungssatz
Die Versorgungsbehörde ist nicht berechtigt, von einem Widerrufsvorbehalt nach Belieben Gebrauch zu machen; ihrem Ermessensspielraum sind Grenzen gezogen. Dabei sind diese Grenzen um so enger, je länger die Verwaltungsbehörde den mit einem Widerrufsvorbehalt versehenen Verwaltungsakt hat bestehen lassen.
Normenkette
KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden der Bescheid vom 7. Januar 1960 und der Widerspruchsbescheid vom 11. März 1960 sowie die Urteile des Sozialgerichts Hildesheim vom 26. Oktober 1960 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. November 1962 aufgehoben; der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin auch über den 29. Februar 1960 hinaus Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin ist die Witwe des Dachdeckermeisters J H. Dieser ist im Oktober 1942 durch die Kreishandwerkerschaft "bzw. auf Anordnung der Gauwirtschaftskammer" zur Fliegerschadenbeseitigung nach O dienstverpflichtet worden und an den Folgen einer Blinddarm- und Magenoperation am 27. November 1942 gestorben. Auf Grund des versorgungsärztlichen Gutachtens des Dr. P vom 7. September 1945, in dem dieser "einen ursächlichen Zusammenhang des Todesleidens und des Todes mit der Tätigkeit in O als wahrscheinlich" annahm, bewilligte das Versorgungsamt (VersorgA) H der Klägerin und ihren damals noch minderjährigen Kindern mit Bescheid vom 2. November 1945 nach den Vorschriften der Personenschäden-Verordnung (PSchVO) in Verbindung mit dem Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz (WFVG) Witwen - und Waisenversorgung. Die Rente kam mit Ablauf des Monats Juli 1946 in Wegfall, die nach den damaligen Vorschriften allein mögliche Rente nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) wurde nicht bewilligt.
Nach dem Inkrafttreten der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 (SVD 27) wurde der Anspruch der Klägerin auf Witwenversorgung von der Landesversicherungsanstalt (LVA) H - Außenstelle H - erneut geprüft; mit Bescheid vom 6. Januar 1949 wurde die Gewährung von Hinterbliebenenrente abgelehnt, weil der verstorbene Ehemann weder Soldat gewesen sei noch militärähnlichen Dienst geleistet habe; auch eine unmittelbare Kriegseinwirkung sei für den Tod nicht verantwortlich zu machen. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Auf ihre Berufung hob das Oberversicherungsamt (OVA) H die Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 1949 und den Bescheid vom 6. Januar 1949 mit Urteil vom 30. November 1949 auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu zahlen: Der Verstorbene sei 1942 im Sinne der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 notdienstverpflichtet worden; da nach dem Gutachten des Dr. P der Tod auf den geleisteten Notdienst zurückzuführen sei, stehe Hinterbliebenenversorgung zu. In Ausführung dieses Urteils bewilligte die LVA mit Bescheid vom 30. März 1950 nach der SVD 27 Hinterbliebenenversorgung. Zuvor hatte die Außenstelle H der Hauptverwaltung der LVA in H mit Schreiben vom 29. März 1950 die Absicht angekündigt, durch Berichtigungsbescheid das Urteil des OVA aufzuheben, falls das neue Versorgungsgesetz die Möglichkeit dazu biete.
Nach dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) teilte das VersorgA H der Klägerin durch "Benachrichtigung" (ohne Rechtsmittelbelehrung) vom 31. Mai 1952 mit, daß nach dem Erlaß des Bundesministers für Arbeit (BMA) vom 24. April 1951 - IV b 1 - 919/51 - die Rentenbezüge "hiermit" formlos angewiesen würden, die Zahlung erfolge unter Vorbehalt; nach dem Inkrafttreten der Verfahrensordnung zum BVG werde weiterer Bescheid ergehen. Durch "Rentenänderungsbescheid" vom 15. Dezember 1953 wurden die Versorgungsbezüge der Höhe nach neu festgestellt, dasselbe geschah mit den "Neufeststellungsbescheiden" vom 2. März 1954, 7. April 1954, 2. August 1954, 1. November 1955, 19. Oktober 1956 und 16. Juni 1958; sowohl der "Rentenänderungsbescheid" wie auch die "Neufeststellungsbescheide" enthielten Rechtsmittelbelehrungen.
Mit Bericht vom 9. September 1959 erbat das VersorgA H die Genehmigung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) Niedersachsen zur Erteilung eines Berichtigungsbescheides gemäß § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) vom 2. Mai 1955. Das LVersorgA teilte dazu mit, daß § 41 VerwVG nicht angewandt zu werden brauche, da ein endgültiger Bescheid über Ansprüche nach dem BVG noch gar nicht erteilt worden sei; im übrigen stehe § 85 BVG einem solchen Bescheid auch nicht entgegen. Daraufhin erließ das VersorgA an die Klägerin den "Bescheid nach dem BVG" vom 7. Januar 1960, mit dem Hinterbliebenenversorgung nach den Vorschriften des BVG abgelehnt wurde, weil der verstorbene Ehemann nicht notdienstverpflichtet gewesen sei. Gleichzeitig wurde die Zahlung der nach dem Erlaß des BMA vom 24. April 1951 "vorbehaltlich gewährten Versorgungsbezüge" mit Ablauf des Monats Februar 1960 eingestellt.
Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 1960 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat mit Urteil vom 26. Oktober 1960 die Klage abgewiesen, weil der Ehemann der Klägerin keinen militärähnlichen Dienst geleistet habe.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat mit Urteil vom 30. November 1962 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Das SG habe den Bescheid vom 7. Januar 1960 zutreffend als einen Erstbescheid nach dem BVG angesehen. Daran sei auch durch die im Anschluß an die "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 erteilten Rentenänderungs- und Neufeststellungsbescheide nichts geändert worden, da diese entsprechend den Novellen zum BVG lediglich die Höhe der formlos angewiesenen Versorgungsbezüge geändert hätten. Bei Erteilung des Bescheides vom 7. Januar 1960 habe die Versorgungsbehörde auch zu Recht den Anspruch der Klägerin erneut sachlich geprüft; denn die durch das Urteil des OVA H vom 30. November 1949 getroffene Entscheidung über den Anspruch nach der SVD 27 sei für die Entscheidung über den Anspruch nach dem BVG nicht rechtsverbindlich und verbiete deshalb keine erneute sachliche Prüfung. Ebenso zutreffend sei, daß der Klägerin ein Anspruch nach dem BVG nicht zustehe. Es greife weder die Vermutung des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG Platz, noch sei der Tod des Verstorbenen auf gesundheitliche Schädigungen zurückzuführen, die durch militärischen oder militärähnlichen Dienst im Sinne des BVG entstanden oder verschlimmert worden seien. Insbesondere habe es sich bei dem Arbeitseinsatz in O nicht um Notdienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG gehandelt. Auch aus anderen Gründen könne der Tod des Ehemannes der Klägerin nicht auf einen Versorgungstatbestand der §§ 1 - 5 BVG zurückgeführt werden, so daß ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nicht gegeben sei. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihr am 12. Februar 1963 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 21. Februar 1963, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 22. Februar 1963, Revision eingelegt. Mit der - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 13. Mai 1963 - am 9. Mai 1963 eingegangenen Revisionsbegründungsschrift vom 7. Mai 1963 hat sie die Revision begründet. Sie rügt mit näherer Begründung die Verletzung der §§ 41, 42 und 43 VerwVG und der §§ 103, 106 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie die unrichtige Anwendung des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG i. V. m. § 38 BVG.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide vom 7. Januar 1960 und 11. März 1960 und der Urteile des Sozialgerichts Hildesheim vom 26. Oktober 1960 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. November 1962 den Beklagten zu verurteilen, über den 29. Februar 1960 hinaus Hinterbliebenenrente nach dem BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts für zutreffend und die Ausführungen der Revision nicht für geeignet, die wohl begründete Entscheidung des LSG zu widerlegen.
Auf den Schriftsatz der Klägerin vom 7. Mai 1963 sowie auf den Schriftsatz des Beklagten vom 28. Mai 1963 wird verwiesen.
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 162 Abs. 1 Satz 1 SGG) und deshalb zulässig.
Die Revision ist auch begründet.
Bei der Entscheidung über sie hatte der erkennende Senat zunächst zu prüfen, welche rechtlichen Wirkungen die "Benachrichtigung" der Versorgungsbehörde vom 31. Mai 1952 auf das Versorgungsrechtsverhältnis der Klägerin gehabt hat, insbesondere, ob durch sie der in Ausführung des OVA-Urteils vom 30. November 1949 zugunsten der Klägerin ergangene Bescheid nach den Vorschriften der SVD 27 vom 30. März 1950 beseitigt oder in seinem Bestand beeinträchtigt worden ist. Mit dem Inkrafttreten des BVG mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 an sind nach dessen § 84 Abs. 2 alle bis zu diesem Zeitpunkt geltenden versorgungsrechtlichen Vorschriften, darunter auch die SVD 27 mit den zu ihrer Durchführung ergangenen Verordnungen usw., außer Kraft getreten. Dabei schrieb der inzwischen weggefallene § 86 BVG die Feststellung der auf Grund bisheriger versorgungsrechtlicher Vorschriften gezahlten Versorgungsbezüge nach dem BVG, die Umanerkennung, zwingend vor, und zwar mit der Maßgabe, daß die bis zum Inkrafttreten des BVG - nach den bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften - zu zahlenden Bezüge so lange weiter zu zahlen waren, bis die Umanerkennung erfolgt war. Demgemäß wurden auch an die Klägerin die nach der SVD 27 festgestellt gewesenen Witwenrentenbezüge zunächst und vorläufig weitergezahlt, zumal die den Versorgungsbehörden vorgeschriebene Umanerkennung aller laufenden Versorgungsfälle nicht schlagartig erfolgen konnte und längere Zeit in Anspruch nahm. Die notwendige Umanerkennung brachte jedoch, abgesehen von dem Zeitdruck, unter dem die Versorgungsbehörden arbeiten mußten, auch andere Schwierigkeiten, zB in solchen Fällen, in denen noch zweifelhaft war, ob - nach den bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften - ein Versorgungsanspruch zu Recht anerkannt worden war oder nicht. Zu diesen, zu Zweifeln Anlaß gebenden Fällen gehörte nach Auffassung der Versorgungsbehörde auch der der Klägerin, deren Anspruch auf Versorgung deshalb anerkannt worden war, weil das OVA die Tätigkeit des verstorbenen Ehemannes in O als Notdienst angesehen hatte, während die Versorgungsbehörde sich - nach dem Inkrafttreten des BVG - noch um die endgültige Klärung bemühte, ob diese Tätigkeit nur auf einer einfachen Dienstverpflichtung beruht hatte. Solche Zweifelsfälle waren auch dem Bundesminister für Arbeit (BMA) bekannt, sie veranlaßten ihn, damit wenigstens alle laufenden Versorgungsbezüge einheitlich alsbald auf die Rentensätze des BVG umgestellt werden konnten, zu folgender Weisung (Abs. 2 des Rundschreibens zur Durchführung des BVG vom 24. April 1951 - IV b 1 - 919/51 - Bundesversorgungsblatt 1951, 220) an die Versorgungsbehörden:
"Ergeben sich bei der Umanerkennung der Versorgungsbezüge nach dem BVG oder aus anderem Anlaß Zweifel, ob ein Versorgungsanspruch zu Recht anerkannt worden ist, so bitte ich, die formelle Umanerkennung zurückzustellen, die neuen Bezüge jedoch anzuweisen und den Versorgungsberechtigten lediglich deren Höhe mitzuteilen. Hinsichtlich etwa notwendiger Berichtigungen behalte ich mir weitere Stellungnahme vor, sobald die Verfahrensordnung in Kraft getreten ist. Fälle, in denen eine Berichtigung erwogen werden muß, bitte ich vorzumerken."
Gemäß dieser für die Versorgungsbehörden verbindlichen Weisung hat dann das VersorgA H die "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 erteilt, da zu diesem Zeitpunkt die bestehenden Zweifel über die Natur der Verpflichtung des Verstorbenen im Jahre 1942 noch nicht ausgeräumt und deshalb noch weitere Ermittlungen erforderlich waren. Es hat dabei auf das vorgenannte Rundschreiben des BMA hingewiesen und die Rentenbezüge nach dem BVG - "Zahlung unter Vorbehalt" - "formlos angewiesen". Durch diese "Benachrichtigung" sind die Bezüge nicht umanerkannt worden; vielmehr ist mit ihr allein der monatliche Zahlbetrag geändert und einem etwa nach dem BVG zustehenden monatlich zahlbaren Rentenbetrag angeglichen worden. Dabei ist unschädlich und ändert an dem Charakter der formlosen, ohne Rechtsmittelbelehrung erteilten "Benachrichtigung" nichts, daß zu ihr ein an sich für die formelle Umanerkennung vorgesehenes Formblatt verwendet worden ist; denn wie auch die Revision vorträgt, sind von der Versorgungsbehörde alle in der Überschrift dieses Formblattes auf eine formelle Umanerkennung hinweisenden Worte gestrichen und durch das einzige Wort "Benachrichtigung" ersetzt worden. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die Erteilung der "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952, in der gleichzeitig die spätere Überprüfung der Rechtslage und der spätere Erlaß eines formellen Bescheides nach dem BVG angekündigt wurde, nicht rechtswidrig und deshalb zulässig gewesen ist; eine endgültige Bindung der Versorgungsbehörde ist durch sie zunächst nicht eingetreten. Überdies gab sie der Klägerin zu erkennen, daß eine endgültige Entscheidung nach dem BVG noch ausstehe und daß sie mit einer Nachprüfung ihrer Ansprüche - auch mit dem Ziel des Entzuges der Versorgungsbezüge - zu rechnen habe. Nach allem stellt die "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 weder eine Umanerkennung nach dem BVG noch eine andere endgültig rechtsverbindliche Entscheidung nach den Vorschriften des BVG dar; das hat zur Folge, daß die im Ausführungsbescheid vom 30. März 1950 nach den Vorschriften der SVD 27 ausgesprochene Anerkennung des Todes des Ehemannes der Klägerin als Folge militärähnlichen Dienstes zunächst unverändert weiter bestand. Daran haben auch der "Rentenänderungsbescheid" vom 15. Dezember 1953 und die "Neufeststellungsbescheide" vom 2. März 1954, 7. April 1954, 2. August 1954, 1. November 1955, 19. Oktober 1956 und 16. Juni 1958 nichts geändert; denn sie alle sind ausschließlich zu dem Zweck und mit dem Ziel erlassen worden, die der Klägerin zahlbaren, mit der "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 an die Rentensätze des BVG angeglichenen Bezüge nun auch in der Höhe zu halten, wie sie das BVG mit den zu ihm ergangenen Novellen für die Empfänger von Versorgungsbezügen jeweils vorsah. Grundlage für die Zahlungen nach den Rentensätzen des BVG war deshalb die formlose "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952, Grundlage für die Zahlungen überhaupt - nach der SVD - der Bescheid vom 30. März 1950.
Der Senat hatte weiter zu prüfen, welche Rechtsfolgen der "Bescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz" vom 7. Januar 1960 gehabt hat. Zweifellos stellte dieser Bescheid nicht einen Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG dar, zumal das LVersorgA, wie bereits dargelegt, seine Zustimmung zur Erteilung eines solchen Berichtigungsbescheides ausdrücklich versagt hat. Ebensowenig hat es sich aber auch um einen Anfechtungsbescheid nach § 42 VerwVG gehandelt; denn die Versorgungsbehörde konnte mangels der notwendigen Voraussetzungen diese Vorschrift gar nicht anwenden und hat auch insoweit keine Nachprüfungen vorgenommen. Folgerichtig hat das LSG bei seiner Entscheidung die §§ 41 und 42 VerwVG nicht angewandt. Es hat daher entgegen der Annahme der Revision nicht gegen §§ 41 und 42 VerwVG verstoßen. Damit entfällt auch die Rüge, das LSG habe § 43 VerwVG verletzt.
Der Bescheid vom 7. Januar 1960 ist auch kein Bescheid nach § 85 BVG. Denn selbst wenn die Versorgungsbehörde zunächst geglaubt haben sollte, den Bescheid auf § 85 stützen zu können, so hat sie selbst schon vor seinem Erlaß die zunächst vorgesehene Überschrift "Bescheid nach § 85 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG)" dahin geändert, daß sie "§ 85" gestrichen und das Wort "des" durch das Wort "dem" ersetzt hat. Nach allem ist die Feststellung des LSG, daß es sich bei dem Bescheid vom 7. Januar 1960 um einen Erstbescheid nach dem BVG gehandelt hat, - und zwar um den, der mit der "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 in Aussicht gestellt worden ist, - nicht zu beanstanden.
Der erkennende Senat brauchte nicht nachzuprüfen, ob das LSG die Vorschrift des § 85 BVG zutreffend angewandt hat oder nicht. Denn es hat bei seiner Entscheidung über die Berechtigung der Versorgungsbehörde zu einer neuen sachlichen Nachprüfung des Anspruchs der Klägerin und zu einer Verneinung ihres Anspruchs nach dem BVG (Bescheid vom 7. Januar 1960) die für den vorbehaltenen Widerruf von Verwaltungsakten geltenden Rechtsgrundsätze verkannt, die wiederholt in der Rechtsprechung des BSG und insbesondere auch im Urteil vom 19. Juni 1958 (BSG 7, 226 f) dargelegt worden sind (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 13. Dezember 1962 - 8 RV 589/60).
Die "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 ist ein mit dem Vorbehalt des Widerrufs versehener begünstigender Verwaltungsakt. Wie bereits ausgeführt, bestehen keine Bedenken dagegen, daß die Versorgungsbehörde einen solchen Verwaltungsakt erlassen durfte, zumal im Zeitpunkt seines Erlasses und wegen der bestehenden Zweifel an der Bindungswirkung des Bescheides vom 30. März 1950 noch keine Möglichkeit bestand, über den Anspruch der Klägerin auf Witwenversorgung endgültig zu entscheiden. Der erklärte Vorbehalt, über den Anspruch nach dem BVG zu einem späteren Zeitpunkt ("nach Inkrafttreten der Verfahrensordnung zum BVG") endgültig zu entscheiden, bedeutete, daß erst zu diesem späteren Zeitpunkt ermittelt werden sollte, ob der Klägerin Witwenversorgung tatsächlich zustehe. Der in der "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 liegende Vorbehalt ist also von Anfang an rechtmäßig gewesen und später auch dadurch nicht rechtswidrig geworden, daß durch den Bescheid vom 7. Januar 1960 der Anspruch auf Witwenrente abgelehnt worden ist, weil in jenem Verwaltungsakt die formlose Bewilligung von Witwenrentenbezügen (unter Vorbehalt) geregelt war, nicht aber auch die endgültige Feststellung nach dem BVG, die sich die Verwaltung gerade vorbehalten hatte.
Aber auch der vorbehaltene Widerruf gibt der Verwaltungsbehörde nicht das Recht, von ihm nach freiem Belieben Gebrauch zu machen; auch findet die Rechtmäßigkeit des Widerrufs nicht lediglich am Willkürverbot ihre Grenze. Denn auch ein unter dem Widerrufsvorbehalt stehender begünstigender Verwaltungsakt ist dazu bestimmt, Rechte und Rechtslagen des Betroffenen zu schützen. Der Widerruf, der sich auf einen Vorbehalt stützt, kann deshalb nur dann als rechtmäßig angesehen werden, wenn es pflichtmäßigem Verwaltungsermessen entsprochen hat, von ihm Gebrauch zu machen (BSG 7, 226, 229). Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist stets nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen, wobei im allgemeinen dem Ermessensspielraum umso engere Grenzen gezogen sind, je länger die Verwaltungsbehörde den mit einem Widerrufsvorbehalt versehenen Verwaltungsakt hat bestehen lassen. Diese für die Ausübung des Widerrufsvorbehalts aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht entwickelten Rechtsgrundsätze haben im übrigen auch eine über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Bedeutung und sind im Grundsatz auf jeden Fall anzuwenden, in dem sich die Versorgungsbehörde eine endgültige Feststellung zu einem späteren Zeitpunkt vorbehalten hat. Diese - vorbehaltene - Feststellung betrifft daher nicht etwa nur die vom Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) abhängige Rente eines Beschädigten (wie in BSG 7, 226 ff), sondern sie umfaßt auch die Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Rente überhaupt (sowohl an Beschädigte als auch an Hinterbliebene); die Feststellung betrifft also den Anspruch selbst und kann auch in dessen Ablehnung bestehen (vgl. Urteil des erkennenden Senats aaO). Daher muß auch im vorliegenden Fall, in dem die endgültige Entscheidung über einen etwaigen Anspruch der Klägerin auf Witwenversorgung vorbehalten war, die Rechtmäßigkeit des in Ausübung des Vorbehalts ergangenen Widerrufs nach den vorerwähnten Grundsätzen beurteilt werden. Nach diesen hat aber der Widerruf nicht dem pflichtmäßigem Ermessen der Verwaltung entsprochen.
Das LSG hat unangegriffen und damit bindend für das Revisionsgericht (§ 163 SGG) festgestellt, daß das VersorgA erst mit Bescheid vom 7. Januar 1960 endgültig nach den am 1. Oktober 1950 in Kraft getretenen Vorschriften des BVG über den - nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften bereits anerkannt gewesenen - Anspruch der Klägerin auf Witwenversorgung entschieden und die Gewährung von Versorgungsbezügen abgelehnt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin laufend Witwenrentenbezüge erhalten, zunächst nach den Vorschriften der PSchVO in Verbindung mit dem WFVG, dann vom 1. August 1947 nach der SVD 27 und schließlich nach den Rentensätzen des BVG vom 1. Oktober 1950 an. Dieser jahrelange Bezug der Zahlungen, und insbesondere derjenigen nach den Rentensätzen des BVG auf Grund der "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952, mußte bei ihr ohne weiteres den Eindruck erwecken, daß sie, auch nach dem BVG, einen Anspruch auf Witwenversorgung habe. Daran kann der nahezu 8 Jahre vor Erteilung des Ablehnungsbescheides vom 7. Januar 1960 in der "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 enthaltene Hinweis auf die formlose Anweisung der Rentenbezüge, der in ihr enthaltene Vorbehalt und die Ankündigung einer späteren endgültigen Regelung nichts ändern. Denn immerhin darf nicht übersehen werden, daß die Klägerin in der Zeit vom 31. Mai 1952 bis 7. Januar 1960 auch sieben formelle, nach den Vorschriften des BVG erteilte Bescheide erhalten hat, nämlich den Rentenänderungsbescheid vom 15. Dezember 1953 und die Neufeststellungsbescheide vom 2. März 1954, 7. April 1954, 2. August 1954, 1. November 1955, 19. Oktober 1956 und 16. Juni 1958; diese sämtlichen in der Zeit vom 31. Mai 1952 bis 7. Januar 1960 ergangenen formellen Bescheide enthalten eine ebenso formelle Rechtsmittelbelehrung, keiner von ihnen enthält denselben oder einen ähnlichen Hinweis wie die "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 oder auch nur eine Andeutung darüber, daß die Ansprüche der Klägerin noch nicht endgültig geregelt seien und diese Regelung noch immer ausstehe. Wenn hiernach schon die nahezu 8 Jahre währenden Zahlungen an Witwenrente bei der Klägerin den Eindruck erwecken mußten, daß sie einen Anspruch auf Witwenrente nach dem BVG habe, so mußte dieser Eindruck durch die Erteilung von sieben formellen, ohne jeden Vorbehalt ergangenen Bescheiden noch verstärkt werden, zumal die Klägerin selbst allen ihren im Zusammenhang mit den Rentenzahlungen obliegenden Verpflichtungen gegenüber der Versorgungsbehörde jederzeit nachgekommen war. Je länger sich deshalb - aus welchen Gründen auch immer - die Zahlung der Witwenrentenbezüge an die Klägerin (ohne die notwendige formelle Anerkennung des Anspruchs) hingezogen hat, um so mehr hätte sich die Versorgungsbehörde darum kümmern müssen, über den Anspruch nach dem BVG endgültig zu entscheiden, um so mehr mußte sie damit rechnen, daß die Klägerin darauf vertraute, daß ihr Witwenrente zu Recht zustehe, und um so weniger durfte sie erwarten, daß die Klägerin mit einem Entzug der ihr jahrelang gezahlten Bezüge überhaupt noch rechnete. In einem solchen Fall muß das Vertrauen der Klägerin darauf gestützt werden, daß der ihr in der Form der "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 erteilte begünstigende Verwaltungsakt nicht noch 8 Jahre später zu ihrem Nachteil - und mit dem völligen Entzug der ihr in dieser Zeit gezahlten Witwenrentenbezüge - geändert werde. Wenn der Beklagte deshalb trotzdem am 7. Januar 1960 den in der "Benachrichtigung" vom 31. Mai 1952 liegenden begünstigenden Verwaltungsakt widerrufen hat, so entspricht dieser Widerruf - trotz des Vorbehalts - nicht mehr dem pflichtmäßigen Ermessen und ist somit rechtswidrig.
Bei dieser Sach- und Rechtslage konnte es auf die Feststellung des LSG, daß der verstorbene Ehemann der Klägerin im Herbst 1942 keinen Notdienst im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG geleistet habe, ebensowenig noch ankommen wie auf die in diesem Zusammenhang vorgetragenen Revisionsrügen der Verletzung des § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG in Verbindung mit § 38 BVG sowie der §§ 103 und 128 SGG. Die rechtswidrige Ausübung des Widerrufs durch den Beklagten nach nahezu 8-jähriger Leistung an die Klägerin stellt einen hinreichenden Grund dar, dem Revisionsbegehren zu entsprechen und der Klägerin die Witwenrente auch nach den Vorschriften des BVG zu belassen. Die Revision ist somit begründet. Gemäß dem Revisionsantrage waren deshalb die Verwaltungsbescheide sowie die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; der Beklagte war wie geschehen zu verurteilen, der Klägerin auch über den 29. Februar 1960 hinaus Witwenrente nach dem BVG zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen