Leitsatz (amtlich)
1. Der Annahme von "2 Teilbereichen des häuslichen Wirkungskreises", von denen jeder für sich Ziel und Endpunkt des Weges von der Arbeitsstätte iS des RVO § 550 sein kann, steht der Umstand, daß beide Bereiche (Unterkünfte) nicht unerheblich (hier ca 15 km) voneinander entfernt sind, jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Unterkünfte durch öffentliche Nahverkehrsmittel (gegenseitig) gut erreichbar sind. (Fortführung von BSG 1963-07-26 2 RU 16/62 = BSGE 19, 257).
2. Zur Frage der selbstgeschaffenen erhöhten Gefahr beim Abspringen von einem fahrenden Zug.
Normenkette
RVO § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, Abs. 3 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Januar 1976 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Streitig sind Hinterbliebenenrentenansprüche der Klägerinnen nach ihrem tödlich verunglückten Ehemann bzw. Vater, dem in Griechenland beheimateten A S (S.).
Die Eheleute S. hatten sich seit etwa Mitte 1969 in der Bundesrepublik aufgehalten, die Kinder befanden sich in Griechenland. Die Klägerin zu 1) hatte alsbald nach der Ankunft in der Bundesrepublik eine Beschäftigung in der B-Klinik in S als Küchenhilfe gefunden. Sie hatte dort ein etwa 2,5 x 3,5 m großes Zimmer zur Verfügung, das mit Schlafcouch, Schrank, Tisch, 2 Stühlen, kleineren Einrichtungsgegenständen sowie einem Waschbecken und Spiegel ausgestattet war. Sie konnte die auf dem gleichen Stockwerk gelegene Personalküche und das Bad benutzen. S. hatte bei der Firma D im Werk M Arbeit erhalten. Er hatte zunächst eine behelfsmäßige Unterkunft bei Verwandten oder Bekannten und später in einem von einem griechischen Gastwirt vermieteten Haus in E H ein Zimmer bekommen, das er zusammen mit einem Landsmann bewohnte. Eine Kochgelegenheit war dort für ihn nicht vorhanden, ebenso kein Bad. Bis zum Juni 1970 war es den Eheleuten nicht gelungen, eine gemeinsame Wohnung zu finden. Von seiner Arbeitsstätte in E konnte S. sein in der Luftlinie etwa 5 km entferntes Zimmer in E entweder zu Fuß in etwa einer Stunde oder mit einem Bus in etwa einer halben Stunde erreichen. Die von der Arbeitsstätte in der Luftlinie etwa 10 km entfernte B-Klinik war von dem Bahnhof M, der wenige Minuten (zu Fuß) von der Arbeitsstätte entfernt lag, zunächst mit einem Vorortzug in rund einer Viertelstunde bis zum S Hauptbahnhof und einer knappen Viertelstunde Fußweg zu erreichen. Die B-Klinik und das Zimmer in E liegen etwa 15 km voneinander entfernt; es können aber häufig verkehrende Züge zwischen E-Stadtbahnhof und S-Hauptbahnhof benutzt werden.
Am 11. Juni 1970 wollte S. nach Beendigung seiner beruflichen Beschäftigung zu seiner Ehefrau fahren. Um 17.21 Uhr fuhr der Zug in den S Hauptbahnhof ein. S. hatte die Wagentür bereits geöffnet und stand auf dem Trittbrett. Er verlor seine Mappe, die auf dem Personenbahnsteig liegen blieb, sprang ab und stürzte auf den Gleiskörper, wo er überfahren wurde.
Die Beklagte lehnte Entschädigungsleistungen ab (Bescheid vom 12. November 1971). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, den Klägerinnen Hinterbliebenenrenten in gesetzlicher Höhe zu gewähren (Urteil vom 15. Februar 1974). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 15. Januar 1976). Es hat zur Begründung u. a. ausgeführt, S. sei an den Folgen eines Wegeunfalles i. S. von § 550 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verstorben. Er habe sich auf dem Weg von der Arbeitsstätte befunden. Dieser Weg sei nicht wesentlich länger gewesen als derjenige, den er zu seiner Unterkunft in H hätte zurücklegen müssen. Zwar betrage die Entfernung in Kilometern Luftlinie etwa das Doppelte, wegen der besseren Verkehrsverbindung seien aber beide Ziele in etwa der gleichen Zeit zu erreichen gewesen. Im übrigen sei der Weg aber auch deshalb geschützt gewesen, weil S. einen sog. geteilten häuslichen Lebensbereich gehabt habe. Bei seiner Ehefrau sei er nämlich mit Essen und Wäsche versorgt worden, während er in seinem Zimmer in H lediglich geschlafen, sich umgezogen und gelesen sowie einige Sachen untergebracht gehabt habe. Der Unfallversicherungsschutz sei auch nicht aus dem Gesichtspunkt des selbstgeschaffenen erhöhten Gefahrenbereichs entfallen, denn sein Abspringen vom Zuge sei bis zu einem gewissen Grade eine "Reflexhandlung" gewesen, die dadurch hervorgerufen worden sei, daß S. zuvor seine Mappe verloren gehabt habe.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer von dem LSG zugelassenen Revision u. a. vor, das LSG habe den Begriff der selbstgeschaffenen Gefahr nicht zutreffend gewürdigt. Das Heraustreten des S. aus der geöffneten Wagentür sei die erste auslösende Ursache des tödlichen Unfalls gewesen; dieses Hinaustreten auf das Trittbrett könne nicht als Reflexhandlung entschuldigt werden, es sei vielmehr in höchstem Grade unvernünftig gewesen, weil ein solches Verhalten für jeden Bahnbenutzer lebensgefährlich sei. An jeder Wagentür und jedem Türgriff werde ausdrücklich davor gewarnt, die Tür vor dem Halten des Zuges zu öffnen oder gar den Zug zu verlassen. S. habe mit seinem Verhalten den tödlichen Unfall geradezu herausgefordert.
Im übrigen habe S. sich aber, als er verunglückte, überhaupt nicht auf einem nach § 550 RVO versicherten Arbeitsweg befunden. Das Ziel des Heimweges sei grundsätzlich dasselbe wie der Ausgangspunkt des Hinweges, nämlich der häusliche Bereich, den der Versicherte vor Antritt seiner beruflichen Beschäftigung verlassen habe. Es sei nicht festgestellt, daß S. einen zweiten polizeilich gemeldeten Wohnsitz in der B-Klinik in S bei seiner Ehefrau gehabt habe. Er sei auch nicht regelmäßig an jedem Wochentage bei seiner Ehefrau verköstigt worden und habe sich auch nicht jeden Abend, sondern nur "ca. 3 mal" wöchentlich dort aufgehalten. Der Mittelpunkt seines eigenwirtschaftlichen Lebensbereichs sei daher nicht dort, sondern in seinem Zimmer in E gewesen. Das Zimmer in der B-Klinik sei nicht die Familienwohnung des S., auch nicht die gemeinsame Familienwohnung der beiden Eheleute gewesen. Der Unfall habe sich also nicht auf einem typischen Heimweg i. S. von § 550 RVO ereignet. Angesichts der Entfernung von 15 km zwischen der B-Klinik und dem Zimmer in E könne der Weg des S. von der Arbeitsstätte zu seiner Ehefrau nicht als Heimweg von der Arbeit angesehen werden. Dieses Zimmer sei auch nicht ein Teilbereich des häuslichen Wirkungskreises des Verunglückten gewesen. Er sei dort nur geduldet gewesen; er habe keinesfalls übernachten können, vielmehr nur stundenweise und rein besuchshalber sich dort aufhalten dürfen und habe dort wohl auch kaum eine regelmäßige ausreichende Verköstigung erhalten, was sich schon aus der Kleinheit des Zimmers ergebe. S. habe daher jeden Abend wieder nach E zurückfahren müssen. Auch sei die Ehefrau umgekehrt zu ihrem Mann gefahren. Die Tatsache, daß die Eheleute S. wegen ihrer Einsamkeit in einem fremden Land das Bedürfnis nach einem Zusammensein gehabt hätten, reiche nicht aus, um das Zimmer der Klägerin als Teil des häuslichen Bereichs ihres Ehemannes zu kennzeichnen. Auch wenn die Verkehrsverbindungen günstig gewesen seien, könne doch die Entfernung von 15 km und das Wohnen der Eheleute in zwei Städten nicht mit einem Fall verglichen werden, in dem die Entfernung lediglich 1 km betragen habe.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Februar 1974 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Januar 1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Revision zu "verwerfen".
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Beklagten erweist sich in der Sache als unbegründet.
Das LSG hat den tödlichen Unfall des Ehemannes und Vaters der Klägerinnen (S.) zutreffend als Wegeunfall i. S. von § 550 RVO bewertet und deshalb die mit der Klage verfolgten Hinterbliebenenrentenansprüche bejaht.
Der Versicherungsschutz ergibt sich zwar nicht aus § 550 Satz 2 RVO in der z. Zt. des Unfalles (11. Juni 1970) geltenden Fassung (jetzt § 550 Abs. 3 RVO), weil S. das Zimmer in E nicht "wegen" der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von der Arbeitsstätte bewohnte, denn er benötigte nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG für den Weg zu dem Zimmer seiner Ehefrau in der B-Klinik in S trotz der doppelten Entfernung (10 km Luftlinie) nicht wesentlich mehr Zeit als er - wegen der schlechteren Verkehrsverbindung - aufwenden mußte, um zu seiner eigenen Unterkunft zu gelangen. Im übrigen kann aber auch das Zimmer in der B-Klinik nicht als ständige Familienwohnung der Eheleute S. bezeichnet werden, weil der Verunglückte dort nicht übernachten konnte und sein Aufenthalt allenfalls stillschweigend von der Klinikverwaltung geduldet wurde.
Zutreffend hat das LSG jedoch den Unfallversicherungsschutz nach § 550 Satz 1 RVO a. F. (jetzt Abs. 1) bejaht. Das von der Klägerin zu 1) bewohnte Zimmer in der B-Klinik stellt nämlich einen sogenannten Teilbereich des häuslichen Wirkungskreises des S. dar (vgl. BSG 19, 257, 258), so daß der Weg von der Arbeitsstätte dorthin ein versicherter Arbeitsweg war. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG diente S. das Zimmer in E, das er zusammen mit einem Landsmann bewohnte, zum Schlafen, Lesen, Umziehen und Aufbewahren persönlicher Dinge, während er in dem Zimmer in der B-Klinik mit seiner Ehefrau zusammen sein konnte und von ihr mit Essen und Wäsche versorgt wurde. Es handelte sich also nicht etwa darum, daß er sich einen eigenen, von dem seiner Ehefrau getrennten privaten Lebensbereich hatte schaffen wollen oder tatsächlich geschaffen hatte, sondern um eine Notsituation, die dadurch gekennzeichnet war, daß es den Eheleuten noch nicht gelungen war, eine gemeinsame Wohnung zu finden, ein Sachverhalt, der bei Gastarbeitern in der Bundesrepublik nicht ungewöhnlich sein dürfte. S. war also gezwungen, eine von seiner Ehefrau getrennte Schlafgelegenheit zu benutzen und wegen der räumlichen Begrenztheit ihres Zimmers (2,5 x 3,5 m) auch seine persönlichen Dinge dort unterzubringen. Soweit es jedoch die Umstände erlaubten, hielt er sich bei seiner Ehefrau auf und sie versorgte ihn dort mit lebensnotwendigen Dingen wie Essen und Wäsche. Sowohl nach den tatsächlichen Umständen als auch nach dem Willen des S. war daher das Zimmer in der B-Klinik ein mindestens ebenso wesentlicher Teil seines "häuslichen Lebensbereichs" wie das mit einem Landsmann geteilte Zimmer in Esslingen-Hegensberg. Der vorliegende Sachverhalt kann nicht, wie die Revision meint, damit verglichen werden, daß ein Junggeselle in regelmäßigen Abständen seine Braut besucht. S. fuhr vielmehr regelmäßig nach der Arbeit zu seiner Ehefrau. Selbst wenn dies, wie die Revision meint, nicht an jedem Tag der Woche der Fall gewesen sein sollte, ändert sich dadurch die rechtliche Beurteilung nicht. Die Revision betont selbst, daß die Klägerin zu 1) sich auch gelegentlich bei ihrem Mann in H aufgehalten habe, und deutet an, daß die Eheleute dort Bekannte oder Freunde gesehen hätten (S. 17 der Revisionsbegründung). Dies ist auch ganz natürlich und macht deutlich, daß für S. - wie auch für die Ehefrau - "zwei Teil-Bereiche" des "häuslichen Wirkungskreises" bestanden, "von denen jeder für sich Ziel und Endpunkt des Weges von der Arbeitsstätte" sein konnten (vgl. BSG 19, 257). Wenn die Revision schließlich meint, ein "geteilter Lebensbereich" liege deshalb nicht vor, weil die Entfernung zwischen beiden Bereichen zu groß gewesen sei, so vermag der Senat auch diesem Einwand nicht zu folgen. Zwar lagen in dem der Entscheidung Band 19, 257 ff zugrunde liegenden Fall das Zimmer, in dem der Verunglückte zur Untermiete wohnte, und die Wohnung seiner Verlobten, wo er regelmäßig verköstigt wurde, lediglich knapp einen Kilometer von einander entfernt. Eine nur kurze, bei Bedarf zu Fuß zu überwindende Entfernung ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht zwingende Voraussetzung zur Annahme eines "geteilten Lebensbereichs". Wenn zwischen beiden Teilbereichen aus weitgehend von dem Willen der Beteiligten unabhängigen Gründen eine größere räumliche Entfernung besteht, diese aber durch öffentliche Verkehrsmittel, wie hier im Nahverkehrsgebiet einer Großstadt, verhältnismäßig schnell zu überbrücken ist, so würde es - zumal bei Eheleuten, die bestrebt sind, eine gemeinsame Wohnung zu finden - natürlicher Betrachtungsweise widersprechen, wollte man allein wegen der praktisch nicht erheblich ins Gewicht fallenden größeren Entfernung voneinander völlig getrennte Lebensbereiche eines jeden Ehegatten annehmen.
Den Ansprüchen der Klägerinnen steht auch nicht entgegen, daß S. verunglückte, als er von dem in den S Hauptbahnhof einfahrenden Zug absprang. Er ist damit nicht einer den Versicherungsschutz ausschließenden selbstgeschaffenen erhöhten Gefahr i. S. der von der Rechtsprechung zu diesem Begriff entwickelten Grundsätzen erlegen. Nur insoweit könnte hier der Versicherungsschutz ausgeschlossen sein, denn andere nicht mit dem Zurücklegen des Heimwegs im Zusammenhang stehende persönliche Gründe sind als Ursache für das Abspringen nicht ersichtlich.
Bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) hat beim Abspringen von einer in voller Fahrt befindlichen Straßenbahn (AN 1920, 151 ff) bzw. einem fahrenden Zug (AN 1930, 118 Nr. 50) während des Arbeitsweges einen versicherten Wegeunfall angenommen. Eine selbstgeschaffene Gefahr schließt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) den Unfallversicherungsschutz nur aus, wenn das Verhalten des Verunglückten in so hohem Maße vernunftswidrig war, daß die dadurch geschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Unfallursache zu werten ist (BSG in SozR Nrn. 53, 55 und 77 zu § 542 RVO a. F.; Nr. 5 zu § 550 RVO; BSG 14, 64, 67; vgl. auch BSG 6, 164, 169; 11, 156, 157). Einen solchen Versicherungsausschluß hat der 2. Senat in einem am 30. Januar 1970 entschiedenen Fall (2 RU 194/66 unveröffentlicht), in dem der Verunglückte noch im Gelände eines Bahnhofs, aber außerhalb des Bahnsteiges von einem bereits fahrenden Zug abgesprungen war, nicht angenommen. Nach Auffassung des erkennenden Senats entfällt der Versicherungsschutz wegen einer selbstgeschaffenen Gefahr nur, wenn das Verhalten des Versicherten in so hohem Maße vernunftwidrig und gefährlich war, daß er mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen mußte, er werde verunglücken (Urteile vom 27. Januar 1976 - 8 RU 64/75 - und vom 20. Mai 1976 - 8 RU 134/75). Legt man diesen Maßstab hier an, so war das Verhalten des S. nicht in diesem Sinne in hohem Maße vernunftwidrig. Er ist im Bereich des Bahnsteiges abgesprungen; zu dieser Zeit mußte der Zug seine Geschwindigkeit bereits erheblich herabgesetzt gehabt haben, denn er sollte im Bahnhof zum Stehen kommen. S. stand beim Einfahren des Zuges bei bereits geöffneter Tür auf dem Trittbrett. Dies war zwar leichtsinnig und verstieß gegen die Anweisungen der Bahn; jedoch war es nicht in hohem Maße vernunftwidrig, wenn S. sich dabei festhielt. Daß er dann seine Mappe verlor, mußte er nicht voraussehen. Dieser unvorhergesehene Umstand war die eigentliche Veranlassung für das vorzeitige und gefährliche Abspringen. Denn so ist die Feststellung des LSG zu verstehen, S. sei bestrebt gewesen, den Zug schnellstens zu verlassen, nachdem er seine Mappe verloren hatte, die "dann auf dem Personenbahnsteig liegengeblieben war" (Urt. S. 9). Zu Recht hat daher das LSG in dem Verhalten des Klägers "bis zu einem gewissen Grade eine Reflexhandlung" erblickt. Damit handelte es sich im wesentlichen um eine Spontanreaktion, deren gesundheitliche Folgen nicht ohne weiteres vorauszusehen waren (vgl. Urteile vom 31. Januar 1970 - 2 RU 194/66 - (S. 7/8) und vom 20. Mai 1976 - 8 RU 134/75 - S. 11). Unter diesen Umständen kann das Verhalten des Klägers nicht als in so hohem Maße vernunftwidrig angesehen werden, daß der Versicherungsschutz entfällt, zumal es bei einem einigermaßen geschickten Verhalten, wie die Erfahrung des täglichen Lebens in solchen häufig vorkommenden Fällen zeigt, nicht unbedingt zu einem Unfall hätte kommen müssen.
Daß S. die mit dem Abspringen vom fahrenden Zug verbundene Gefahr kannte oder kennen mußte, weil an den Abteiltüren der Personenwagen der Deutschen Bundesbahn entsprechende Warnungen bzw. Verbote angebracht sind, kann nicht, wie die Revision meint, für die rechtliche Beurteilung entscheidend sein. Denn leichtsinniges, ja sogar verbotswidriges Handeln schließt den Unfallversicherungsschutz nach dem oben Ausgeführten noch nicht aus (vgl. § 548 Abs. 3 RVO und Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Stand April 1976, II, S. 484, ferner zu dem Begriff der "selbstgeschaffenen Gefahr" S. 484 i ff).
Nach alledem hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen, weshalb die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben konnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen