Leitsatz (redaktionell)

Nach § 2 Abs 4a BKGG war nicht jede Erwerbstätigkeit und jeder Arbeitslosengeld- oder Arbeitslosenhilfebezug als Kindergeldausschließungsgrund zu bewerten. Die nach dem Sinn dieser Vorschrift unschädliche Einkunftshöhe war in Anlehnung an die Regelung des § 2 Abs 2 S 2 und 3 BKGG zu bestimmen.

 

Orientierungssatz

Kindergeldanspruch nach § 2 Abs 4a BKGG:

Die für Ausbildungsplatzinhaber in § 2 Abs 2 BKGG festgelegten Verdienstgrenzen sind auch für Ausbildungsplatzsuchende (§ 2 Abs 4a BKGG) maßgebend (vgl BSG 1980-10-30 8b RKg 3/80 = SozR 5870 § 2 Nr 20).

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 4a S. 1 Fassung: 1976-08-18, Abs. 2 S. 3 Fassung: 1975-12-18, S. 2 Fassung: 1975-12-18

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 07.04.1981; Aktenzeichen L 7 Kg 16/80)

SG Hildesheim (Entscheidung vom 08.07.1980; Aktenzeichen S 10 Kg 10/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger ab 1. März 1979 Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter V (V.) hat.

Der Kläger bezog ab Januar 1975 von der beklagten Bundesanstalt für seine Kinder V., geboren am 13. August 1959, und G., geboren am 27. März 1962, Kindergeld. V. beendete im Sommer 1977 die Schulausbildung (mittlere Reife) und bemühte sich seither vergeblich um einen Ausbildungsplatz als Arzt- oder Zahnarzthelferin, später als Apothekenhelferin oder Verwaltungs- oder Bürogehilfin. Sie war seit August 1977 als Arbeitsuchende beim Arbeitsamt gemeldet, bezog aber weder Arbeitslosengeld (Alg) noch Arbeitslosenhilfe (Alhi). Die Beklagte gewährte dem Kläger für V. auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres (August 1977) Kindergeld. V. übte ab Juni bis Oktober 1978 eine Aushilfstätigkeit (werktäglich drei Stunden) für ein Bruttoentgelt von monatlich 295,-- DM und vom 2. Januar bis 15. Februar 1979 eine vollschichtige Beschäftigung bei den O.-Werken aus.

Die Beklagte entzog das Kindergeld für V. ab Januar 1979 rechtsverbindlich (Bescheid vom 21. Dezember 1978). Von März bis 15. November 1979 war V. bei einem nicht ausbildungsberechtigten Heilpraktiker als Sprechstundenhilfe für monatlich 550,-- DM brutto (461,33 DM netto) tätig. Anschließend bezog sie wöchentlich 69,-- DM Alg und ab 4. April 1980 DM 55,75 wöchentlich Alhi.

Im Dezember 1979 beantragte der Kläger die Überprüfung des Sachverhaltes ab März 1979, weil V. während der Beschäftigung als Sprechstundenhilfe 120,-- DM monatlich für Fahrtkosten habe ausgeben müssen.

Die Beklagte lehnte die Wiederbewilligung von Kindergeld ab (Bescheid vom 28. Januar 1980; Widerspruchsbescheid vom 7. März 1980). Weisungsgemäß werde Kindergeld nur gewährt, wenn Alg oder Alhi nur kurz oder in unwesentlicher Höhe (weniger als 9 Tage oder unter 200,-- DM monatlich) gezahlt wird. Ab Oktober 1980 erhielt der Kläger wieder Kindergeld für V., nachdem die Alhi unter 200,-- DM monatlich abgesunken war. Am 3. August 1981 hat V. einen Ausbildungsplatz als Bürokaufmann erhalten.

Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Juli 1980). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für V. vom 1. März 1979 bis 30. September 1980 Kindergeld zu zahlen (Urteil vom 7. April 1981). Für die Tochter des Klägers habe begründete Aussicht bestanden, die angestrebte Ausbildung in absehbarer Zeit beginnen zu können. Die von ihr nicht zu vertretende Zwangspause von drei Jahren erlaube es nicht, ihre Bemühungen um den angestrebten Ausbildungsplatz als endgültig aussichtslos anzusehen. Dies umso mehr, als sie sogar bereit gewesen sei, eine andere Ausbildung in Betracht zu ziehen und ihre Bemühungen in räumlicher Hinsicht weit über ihren Wohnbereich hinaus auszudehnen. Auch habe sie als Praxishilfe während der Zwangspause eine für die angestrebte Ausbildung nützliche und förderliche Tätigkeit ausgeübt, obwohl es sich um kein Ausbildungsverhältnis im Rechtssinne gehandelt habe. Dafür spreche auch das relativ geringe Entgelt mit einem Stundenlohn von knapp 4,-- DM, so daß § 2 Abs 2 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) entsprechend anzuwenden sei (BSG SozR 5870 § 2 Nr 20). Nicht gerechtfertigt sei der völlige Ausschluß der Kindergeldberechtigung wegen des Bezuges von Alg oder Alhi. Durch § 2 Abs 4a BKGG sollten volljährige Kinder, die ihren Eltern wirtschaftlich noch zur Last fallen, nicht wegen des Bezuges von Alg oder Alhi unter dem Kindergeldsatz für ein drittes Kind (§ 10 BKGG) ausgeschlossen werden (vgl BT-Drucks 7/5480 S 3 zu Art 1 BKGG = Änderungsgesetz vom 18. August 1976 - BGBl I, 2213 -). Dem habe der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) durch verwaltungsinterne Regelungen in Extremfällen Rechnung getragen. Da das von V. bezogene Alg und die Alhi weit unter den Sätzen bemessen worden sei, die bei einer Ausbildungsvergütung von 750,-- DM (§ 2 Abs 2 Satz 2 BKGG) zustünden, beginne der Kindergeldanspruch des Klägers wieder am 1. März 1979 (§ 9 Abs 1 BKGG), da ein Fall des § 17 Abs 3 BKGG vorliege und die Verweisung auf § 9 Abs 2 BKGG seit 1. Januar 1979 weggefallen sei.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1, Abs 4a, § 9 Abs 2 und § 17 Abs 3 BKGG. Sie hält das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Oktober 1980 (SozR 5870 § 2 Nr 20) für wenig überzeugend und überdies auf den hier streitigen Sachverhalt nicht anwendbar. Die Tätigkeit als Praxishilfe bei einem Heilpraktiker könne nicht einer späteren Ausbildung zugerechnet werden. Der Tochter V. habe es am festen Willen für eine Fortsetzung der Ausbildung im angestrebten Beruf gefehlt. Ihr Ausbildungs- und Berufsschicksal sei völlig ungewiß gewesen.

Jedenfalls käme nach § 9 Abs 2 BKGG Kindergeld höchstenfalls ab Juni 1979 in Betracht, weil der ursprüngliche Antrag durch die Entziehung nach § 22 BKGG aF verbraucht gewesen sei. § 17 Abs 3 BKGG sei in solchen Fällen nicht anwendbar. Eine Zahlung von Kindergeld für die Zeit ab November 1979 scheide wegen der Höhe des Alg und der Alhi aus. Auf den Erlaß des BMA vom 3. Juli 1979 - II b 6 - 28011/15 - werde insoweit verwiesen.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger ist nicht vertreten. Er hat sich privatschriftlich geäußert.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Das LSG hat die Berufung des Klägers zu Recht als zulässig angesehen, obwohl im Zeitpunkt der Entscheidung nur über Kindergeld für einen abgelaufenen Zeitraum zu befinden war(§ 27 Abs 2 BKGG). Der abgelaufene Zeitraum bestand nicht bereits bei Einlegung des Rechtsmittels, sondern wurde erst während der anhängigen Berufung durch die Wiederbewilligung des Kindergeldes hergestellt (BSG SozR 1500 § 146 Nrn 6, 7). Der Kläger hat daraufhin sein Begehren sachgerecht auf einen abgelaufenen Zeitraum beschränkt.

Dem angefochtenen Urteil ist auch in der Sachentscheidung zuzustimmen.

Im Streit sind nur zwei Abschnitte in der Zeit, als das Kind V. das 18. Lebensjahr vollendet, seine Schulausbildung abgeschlossen und noch keine Berufsausbildung begonnen hatte: Der Zeitabschnitt, in dem sie bei einem nicht ausbildungsberechtigten Heilpraktiker für monatlich 550,-- DM brutto (461,33 DM netto) tätig war (März bis November 1979) und die anschließende Zeit, in der V. wöchentlich 69,-- DM Alg und später 55,74 DM Alhi bezog.

Der Kläger hat Anspruch auf Kindergeld für diese Zeiten, weil die Voraussetzungen des § 2 Abs 4 a Satz 1 BKGG erfüllt sind, der in der Zeit vom 1. September 1976 bis zum 31. Dezember 1981 galt (vgl Gesetz vom 18. August 1976, BGBl I 2213 und Gesetz vom 21. Januar 1982, BGBl I 13). Diese Vorschrift lautet: "Kinder, die das 18., aber noch nicht das 23. Lebensjahr vollendet haben, werden auch berücksichtigt, wenn sie 1) eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen können oder 2) nicht erwerbstätig sind und weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe beziehen und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen".

Die Beklagte selbst meint nicht, daß jede Erwerbstätigkeit ohne Rücksicht auf die Höhe des Erwerbseinkommens und jeder Bezug von Alg oder Alhi ohne Rücksicht auf deren Höhe den Kindergeldanspruch ausschließt. Sie richtet ihre Praxis vielmehr nach dem Erlaß des BMA vom 3. Juli 1979 - II b 6 - 28011/15 -, der folgenden Wortlaut hat: "Im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit bitte ich bei der Kindergeldzahlung ein arbeitsloses Kind nach § 2 Abs 4 a BKGG auch dann zu berücksichtigen, wenn es zwar Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe nach dem Arbeitsförderungsgesetz erhält, der Betrag dieser Leistungen jedoch 200,-- DM monatlich nicht erreicht. Eine solche Bagatellgrenze ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift. Nach ihrem wohlverstandenen Sinn ist eine Kindergeldzahlung jedoch geboten, wenn die genannten Leistungen bei Arbeitslosigkeit unter dem Maximalbetrag des Kindergeldes - das heißt des Kindergeldes für dritte und weitere Kinder in Höhe 200,-- DM monatlich - bleiben. Den Eltern entstehen in diesen Fällen im Hinblick auf die nur geringfügigen Leistungen für die Kinder regelmäßig Unterhaltsaufwendungen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet deshalb die Gleichbehandlung mit den im Bundeskindergeldgesetz ausdrücklich geregelten Fällen, in denen das Kind keine Leistungen bei Arbeitslosigkeit bezieht und in vollem Umfang von den Eltern unterhalten werden muß".

Es würde in der Tat dem Sinn des § 2 Abs 4 a BKGG widersprechen, jede Erwerbstätigkeit und jeden Alg- oder Alhi-Bezug als Kindergeldausschließungsgrund zu bewerten. Insoweit folgt der Senat dem Erlaß. Der Senat hält es aber nicht für vertretbar, die nach dem Sinn der Vorschrift unschädliche Einkunftshöhe an dem damals höchstmöglichen Kindergeld für ein Kind - 200,-- DM - auszurichten. Für diese Meinung der Beklagten kann zwar auch die Neufassung des § 2 Abs 4 BKGG angeführt werden, wonach im Hinblick auf Kinder, die noch keinen Ausbildungsplatz haben, eine Einkunftsgrenze von 240,-- DM festgelegt ist, die dem jetzigen höchsten Kindergeld (§ 10 BKGG nF) entspricht. Die Höchstgrenze an dem höchsten Kindergeld auszurichten, setzt aber voraus, daß die verdienenden - und deshalb nicht berücksichtigungsfähigen - Kinder mit den nicht verdienenden - und deshalb berücksichtigungsfähigen - Kindern gleichgestellt werden müssen. An der Gleichstellung von verdienenden mit nichtverdienenden Kindern besteht aber kein sachlich überzeugendes Interesse. Interesse besteht vielmehr nach den Vorstellungen des Gesetzes (Gesetz vom 18. August 1976 aa0) daran, daß die noch nicht in Berufsausbildung befindlichen (und auch die noch nicht voll erwerbstätigen Kinder) mit den Kindern gleichen Alters weitgehend gleichgestellt werden, die schon einen Ausbildungsplatz haben und deshalb die Kindergeldberechtigung auslösen. Während bisher nur die Eltern von Ausbildungsplatzinhabern begünstigt wurden, sollten jetzt auch die Eltern von ausbildungsplatzsuchenden (und von noch nicht ihrem Alter entsprechend verdienenden) Kindern begünstigt werden. Das schien dem Gesetzgeber offenbar besonders wegen des inzwischen eingetretenen Ausbildungsplatzmangels geboten zu sein (BT-Drucks 7/5480 S 3).

Diese Begünstigung soll entfallen, wenn die Kinder wirtschaftlich so gestellt sind, daß sie ihren Eltern wirtschaftlich nicht mehr zur Last fallen. Das macht § 2 Abs 4 a Satz 2 BKGG deutlich, wonach nicht nur die Erwerbstätigkeit und der Bezug von Alg und Alhi, sondern auch Unterhaltsansprüche der Kinder gegen Ehegatten und frühere Ehegatten den Anspruch der Eltern auf Kindergeld ausschließen. Bei diesem Ausschließungsgrund ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß die Kinder gegen ihren Ehegatten Anspruch auf "ausreichenden" Unterhalt haben (vgl BT-Drucks aa0).

Das Gesetz sagt nun allerdings in § 2 Abs 4 a BKGG nicht, was als "ausreichend" anzusehen ist, um das Kindergeld versagen zu können. Da jedoch § 2 Abs 4 a BKGG die weitgehende Gleichstellung der hier genannten Kinder mit den in § 2 Abs 2 BKGG genannten Kindern bezweckt, können nur die Beträge als ausreichend angesehen werden, die in dieser Vorschrift als Versagungsgrund aufgeführt sind. Das sind 750,-- DM brutto oder 580,-- DM netto (§ 2 Abs 2 Satz 3, 1. Alternative). Diese Beträge rechtfertigen zwar in § 2 Abs 2 BKGG die Versagung von Kindergeld nur dann, wenn es sich um Bezüge aus dem Ausbildungsverhältnis oder mit Rücksicht auf die Ausbildung gewährtes Unterhaltsgeld handelt. Das schließt jedoch nicht aus, sie als Obergrenze auch in den Fällen für maßgeblich zu erachten, in denen trotz dem Fehlen eines Ausbildungsverhältnisses aus besonderen Gründen Kindergeld gewährt wird (dazu eingehend BSG SozR 5870 § 2 Nr 20).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658305

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