Entscheidungsstichwort (Thema)
Anästhesie des Kehlkopfes
Orientierungssatz
1. Leistung nach Nr 484 BMÄ ist die Anästhesie des Kehlkopfes in seiner Gesamtheit, nicht die Anästhesie einzelner Teile dieses Organs.
2. Die Gerichte können nicht mit punktuellen Entscheidungen zu einzelnen Leistungen in ein umfassendes Tarifgefüge (hier: einheitlicher Bewertungsmaßstab) eingreifen. Ausnahmen sind nur in engen Grenzen denkbar, etwa wenn die in erster Linie zur Bewertung der ärztlichen Leistungen berufenen Selbstverwaltungsorgane ihre Bewertungskompetenz mißbräuchlich ausgeübt haben (vgl BSG vom 5.2.1985 6 RKa 37/83 = BSGE 58, 35).
Normenkette
BMÄ Nr 484; BMÄ Nr 483; E-GO Nr 484; E-GO Nr 483; EBM-Ä Nr 483; EBM-Ä Nr 484
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.06.1986; Aktenzeichen L 1 Ka 2875/84) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 24.10.1984; Aktenzeichen S 14 Ka 3278/83) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die rechnerisch/sachliche Richtigstellung der RVO- und Ersatzkassenabrechnungen des Klägers für die Quartale I/1983 bis I/1986.
Der Kläger ist Internist - Teilgebiet Gastroenterologie -. Er ist zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen und an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt. Vor Endoskopien des oberen Verdauungstraktes (Nr 683 und Nr 684) des einheitlichen Bewertungsmaßstabs (E-BMÄ) führt der Kläger mit der Brüning'schen Tupfersonde eine Oberflächenanästhesie des tiefen Rachenbereichs sowie des Kehlkopfdeckels durch. Er rechnete diese Leistungen zunächst nach Nr 489 E-BMÄ, dann nach Nr 484 E-BMÄ ab. Die Beklagte stellte im RVO- und Ersatzkassenbereich ab Quartal I/1983 die Honoraranforderungen des Klägers insoweit richtig, als sie den Ansatz der Nr 489 bzw 484 E-BMÄ strich. Mit seinen Widersprüchen hatte der Kläger keinen Erfolg.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, Streitgegenstand seien sämtliche Bescheide betreffend die streitigen Quartale. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Vergütung der Anästhesieleistungen zu. Die Voraussetzungen der Nr 484 E-BMÄ seien nicht erfüllt, denn zu vergüten sei danach die Anästhesie des Kehlkopfes in seiner Gesamtheit, insbesondere des Kehlkopfinneren, wie dies die an sich nur im Bereich des HNO-Arztes anfallenden Leistungen voraussetzten. Zur Vorbereitung der Endoskopie sei eine Kehlkopfanästhesie nicht notwendig. Der vom Kläger anästhesierte Kehlkopfdeckel sei zwar Bestandteil des Kehlkopfes und damit nicht dem Rachenraum zuzurechnen, auch wenn er in den oberen Rachenraum hineinreiche. Der Kehlkopfdeckel sei nur der äußere Abschluß des Kehlkopfes, zu dem noch vier weitere Knorpel, Muskulatur und Nerven gehörten. Wenn die isolierte Anästhesie des Kehlkopfdeckels hätte vergütet werden sollen, hätte dies im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck kommen müssen. Anästhesien einzelner Teile des Kehlkopfes seien danach als geringfügige Teilleistungen nicht gesondert vergütungsfähig. Auch nach Nr 483 E-BMÄ (Lokalanästhesie der tieferen Nasenabschnitte, auch beidseitig - ggf einschließlich des Rachens -) seien die Leistungen des Klägers nicht zu vergüten. In der Anästhesie des Rachens und des Kehlkopfdeckels liege keine Lokalanästhesie der tieferen Nasenabschnitte. Schließlich ergebe sich auch aus dem Beschluß Nr 395 der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 des Arzt-Ersatzkassenvertrages (EKV-Ärzte) kein Vergütungsanspruch des Klägers, denn die streitigen Anästhesien seien überhaupt nicht von der Gebührenordnung erfaßt. Zudem sei die vom Kläger regelmäßig durchgeführte Rachen-/Kehlkopfdeckelanästhesie normalerweise nicht notwendig.
Der Kläger hat Revision eingelegt und macht geltend, die Leistungsbeschreibung der Nr 484 E-BMÄ erfordere dem Wortlaut nach nur eine Lokalanästhesie des Kehlkopfes, nicht des gesamten Kehlkopfes. Lokalanästhesie sei auch die Anästhesie eines Teils des Organs. Es widerspreche dem Sinn und Zweck der Regelung, wenn nur die Anästhesie des gesamten Kehlkopfes vergütet werde und die Vergütung schon entfalle, wenn auch nur ein Teil des Organs nicht anästhesiert worden sei. Bei den Leistungen nach Nrn 483, 485, 488, 489 E-BMÄ handele es sich um Oberflächenanästhesien, dh es würden ohnehin nur die Schleimhäute betäubt, die Betäubung des gesamten Kehlkopfes sei unüblich. Mit der Feststellung, daß die vom Kläger regelmäßig durchgeführte Rachen-/Kehlkopfanästhesie normalerweise nicht notwendig sei, folge das LSG dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. D, es befasse sich aber nicht mit dem gegenteiligen Gutachten von Prof. Dr. L und nicht mit den Gründen, die zur Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. D vorgetragen worden seien.
Der Kläger beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 1986 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Oktober 1984 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 27. Mai 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 1983, vom 29. April 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 1983, vom 29. September 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 1983, vom 8. August 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 1983, vom 8. Dezember 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 1984, vom 11. Oktober 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 1983, vom 8. März 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 1984, vom 25. Januar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 1984, vom 24. Mai 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1984, vom 19. April 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 1985 und unter Aufhebung der Bescheide vom 4. September, 13. Juli, 4. Dezember 1984 (RVO- und Ersatzkassen), vom 31. Januar, 18. März, 13. Juni, 19. April, 9. Juli (RVO- und Ersatzkassen), 3. Dezember und 18. Oktober 1985, vom 21. März, 16. Januar und 8. April 1986 zu verurteilen, die von ihm abgerechneten Rachen-/Kehlkopfanästhesien nach Nr 484 BMÄ/E-GO, hilfsweise, nach Nr 483 BMÄ/E-GO zu vergüten.
Die Beklagte und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Mit Recht hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Klage war abzuweisen. Die angefochtenen Bescheide für die Quartale I/1983 bis I/1986 einschließlich der nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einbezogenen sind rechtmäßig. Dem Kläger steht für die streitigen Leistungen keine Vergütung nach Nr 484 oder Nr 483 E-BMÄ zu.
Der Kläger hat keine Lokalanästhesie des Kehlkopfes (Nr 484 E-BMÄ) erbracht. Nach den bindenden Feststellungen des LSG anästhesiert er nur den Kehlkopfdeckel (Epiglottis), der nur ein Teil des Kehlkopfes ist. Leistung nach Nr 484 E-BMÄ ist die Anästhesie des Kehlkopfes in seiner Gesamtheit, nicht die Anästhesie einzelner Teile dieses Organs.
Die Bezeichnung der Leistung nach Nr 484 E-BMÄ als Lokalanästhesie rechtfertigt es nicht, die Anästhesie des Kehlkopfdeckels genügen zu lassen. Der Begriff lokal bezieht sich nicht auf Teile des anästhesierten Organs, sondern grenzt die Leistung auf ein bestimmtes Organ, nämlich hier den Kehlkopf ein. Dadurch unterscheidet sich die Lokalanästhesie von der Vollnarkose (Nr 453 E-BMÄ) und von anderen Anästhesieleistungen, die in der Gebührenordnung ausschließlich oder auch nach der Methode oder nach der Zeitdauer beschrieben werden (zB intravenöse Narkose - Nr 452 -, Kombinationsnarkose - Nr 460 ff -, Infiltrationsanästhesie kleiner oder großer Bezirke - Nr 490, 491 -, Leitungsanästhesie, Perineural - Nr 494 -). Nach dem Wortlaut der Nr 484 E-BMÄ ist das Organ, der Kehlkopf, Gegenstand der Leistung. Vergütet wird die Anästhesie des Organs als solchen, nicht von Teilen des Organs.
Auch aus dem Zusammenhang des Bewertungsmaßstabs ergibt sich nicht, daß nach Nr 484 E-BMÄ auch die Anästhesie eines Teils des Kehlkopfes vergütet werden könnte. Nach Nrn 483 bis 489 E-BMÄ werden Lokalanästhesien einzelner bestimmter Organe vergütet. Es handelt sich um Oberflächenanästhesien (Brück, Kommentar zum E-BMÄ Anm 1 zu Nrn 483 bis 489 = S 603). Solche Anästhesien sind, wenn sie an anderen Organen durchgeführt werden, ohne ausdrückliche Beschreibung im E-BMÄ nicht isoliert berechnungsfähig. Soweit Oberflächenanästhesien von Organen oder Teilen von Organen im E-BMÄ nicht besonders aufgeführt sind, ist der Arzt auf die Vergütung der Leistung beschränkt, in deren Zusammenhang er die Anästhesie durchführt. Daran ändert auch der Beschluß Nr 395 der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 EKV-Ärzte nichts, auf den der Kläger hinweist. Wenn danach Betäubungen in Zusammenhang mit anderen Leistungen nicht als deren Bestandteil gelten, so folgt aus dieser Formulierung nicht, daß Anästhesieleistungen stets gesondert berechnungsfähig wären. Gesondert berechnungsfähig sind nur die in der Gebührenordnung besonders aufgeführten Anästhesieleistungen. Es ist deshalb nicht notwendig und geboten, die Leistungsbeschreibung nach Nr 484 soweit auszulegen, daß davon auch Anästhesien von Teilen des Kehlkopfes, am Kehlkopf oder im Gebiet des Kehlkopfes erfaßt werden.
Zu Unrecht wendet der Kläger ein, die enge Auslegung der Nr 484 E-BMÄ würde Sinn und Zweck der Regelung widersprechen. Sie würde nämlich dazu führen, daß die Vergütung entfällt, wenn auch nur ein Teil des Kehlkopfes nicht anästhesiert wird. Bei der Oberflächenanästhesie würden ohnehin nur die Schleimhäute betäubt, eine Betäubung des ganzen Kehlkopfes sei unüblich. Der Einwand des Klägers läuft darauf hinaus, daß Nr 484 E-BMÄ bei enger Auslegung praktisch überhaupt nicht anwendbar wäre. Damit ließe sich aber nicht positiv ein Vergütungsanspruch des Klägers begründen. Die Gerichte können, worauf das LSG mit Recht hingewiesen hat, nicht mit punktuellen Entscheidungen zu einzelnen Leistungen in ein umfassendes Tarifgefüge eingreifen. Ausnahmen sind nur in engen Grenzen denkbar, etwa wenn die in erster Linie zur Bewertung der ärztlichen Leistungen berufenen Selbstverwaltungsorgane ihre Bewertungskompetenz mißbräuchlich ausgeübt haben (BSGE 58, 35, 37). Für eine solche Ausnahme bestehen hinsichtlich der Nr 484 E-BMÄ keine Anhaltspunkte. Darüber hinaus spricht gegen einen Vergütungsanspruch bei Anästhesie nur des Kehlkopfdeckels, daß es sich hier nur um einen unter mehreren Teilen des Kehlkopfes handelt. Der Kehlkopfdeckel ist nach den bindenden Feststellungen des LSG lediglich ein Teil des knorpeligen Kehlkopfgerüsts, zu denen der Schildknorpel, der Ringknorpel und zwei Stellknorpel gehören; zum Kehlkopf zählen außerdem Nerven und Muskulatur. Das LSG bezeichnet die Anästhesie des Kehlkopfdeckels als geringfügige Teilleistung.
Die Leistungen des Klägers sind ferner nicht nach Nr 483 E-BMÄ (Lokalanästhesie der tieferen Nasenabschnitte, auch beidseitig - ggf einschl des Rachens -) zu vergüten. Auch insoweit trifft das Urteil des LSG im Ergebnis und in der Begründung zu. In der Anästhesie des Rachens und des Kehlkopfdeckels liegt keine Lokalanästhesie der tieferen Nasenabschnitte. Die Anästhesie des Rachens allein ist nach der eindeutigen Leistungsbeschreibung der Nr 483 E-BMÄ nicht berechnungsfähig.
Wegen der fehlenden Berechnungsfähigkeit kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die Leistungen notwendig waren. Bei den Ausführungen des LSG zur Notwendigkeit handelt es sich um eine zusätzliche Begründung neben der tragenden Begründung der fehlenden Berechnungsfähigkeit.
Die Revision kann aus allen diesen Gründen keinen Erfolg haben und ist mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen