Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzmäßigkeit der Honorarbegrenzungsregelung. übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit des Kassenarztes
Orientierungssatz
1. Die Bestimmung von § 7 des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) verstößt gegen keine Vorschriften des Bundesrechts (Festhalten an BSG 3.6.1987 6 RKa 31/86 = SozR 2200 § 368f Nr 15). Gegen Bundesrecht verstößt die Bestimmung insbesondere nicht insoweit, als die übermäßige Ausdehnung der Kassenpraxis allein nach der Höhe der Punktzahlen bestimmt wird und die Fallzahlen unberücksichtigt bleiben.
2. Es ist nicht zu beanstanden, wenn mit den Prozentsätzen gemäß § 7 Abs 3 HVM nur die typischen Sachkosten der Arztgruppe erfaßt werden. Die Einteilung in 20 Arztgruppen erscheint insoweit nicht bedenklich.
Normenkette
RVO § 368f Abs 1 S 5
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 17.09.1986; Aktenzeichen L 11 Ka 26/85) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 13.02.1985; Aktenzeichen S 25 (2) Ka 136/84) |
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Honorarkürzungen wegen übermäßiger Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit.
Der Kläger ist Internist mit der Zusatzbezeichnung Gastroenterologie und zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen. Für die Quartale I und II/1983 rechnete er bei der Beklagten 1.606.264,5 bzw 1.184.799,0 Punkte ab. Die Beklagte kürzte den Honoraranspruch aufgrund des § 7 ihres Honorarverteilungsmaßstabes in der Fassung der Beschlüsse der Vertreterversammlung vom 4. Dezember 1981 und 3. Dezember 1983 (HVM) um 130.911,5 bzw 26.073,5 Punkte (Bescheide vom 14. und 15. Dezember 1983; Widerspruchsbescheid vom 12. April 1984).
§ 7 des HVM bestimmt, daß zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit eines Arztes gemäß § 368f Abs 1 Satz 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die nach Prüfung anerkannten Punktzahlen aus der Abrechnung der RVO-Kassen einer Kürzung unterworfen werden, wenn die Punktzahlengrenzwerte der Arztgruppe überschritten werden. Diese Grenzwerte sind für 20 Arztgruppen festgelegt, ua für Internisten mit 1.021.839 Punkten, für Magen-Darmärzte mit 856.378 Punkten, für Chirurgen mit 877.788 Punkten. Die Grenzwerte hat die Beklagte aus einer Verdoppelung der durchschnittlichen Punktzahlen der jeweiligen Arztgruppe ermittelt. Vor der Kürzung werden die abgerechneten Punktzahlen je nach Arztgruppe um bestimmte Prozentsätze ermäßigt, um die Kosten der ärztlichen Sachleistungen zu berücksichtigen. Die verbleibende Überschreitungszahl wird um 50 % gekürzt, die Kürzung ermäßigt sich jedoch je nach Anzahl der abgerechneten Ersatzkassenfälle bis zu 30 % (§ 7 Abs 4 Buchst a des HVM in der rückwirkend am 1. Januar 1983 in Kraft getretenen Fassung durch Beschluß der Vertreterversammlung vom 3. Dezember 1983) und nochmals um 10 % dann, wenn der Arzt 50 oder mehr Abrechnungsscheine für den ärztlichen Notfalldienst und Urlaubs-bzw Krankheitsvertretung abgerechnet hat.
Der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht, es sei ungerecht, ihn mit der Gesamtheit aller Internisten zu vergleichen. Er betreibe eine Spezialpraxis. Für die von ihm ausschließlich erbrachten endoskopischen Leistungen müsse er teuerste und modernste Geräte einsetzen. Auch habe er als Internist die Anerkennung für ambulantes Operieren. Insoweit genüge es nicht, daß bei Ärzten, die ambulant operieren, die Zuschläge der Ziffern 100 ff des Bewertungsmaßstabs für die kassenärztlichen Leistungen (BMÄ'78) bei dem geltend gemachten Honoraranspruch nicht berücksichtigt werden; nur aufgrund der Tatsache, daß derartige kostenintensive Leistungen erbracht werden könnten, steige auch die Menge der teuren Grundleistungen, mit denen die Zuschlagsziffern kombiniert werden. Soweit im HVM Kosten für ärztliche Sachleistungen berücksichtigt würden, seien diese prozentualen Abschläge für ihn viel zu gering. § 7 HVM in der ab 1. Januar 1983 geltenden Fassung sei so kurzfristig nach dem Beschluß der Vertreterversammlung vom 4. Dezember 1982 in Kraft getreten, daß er sich in seiner Praxisführung nicht mehr darauf habe einstellen können.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen und ausgeführt, § 7 HVM sei weder nach den Bestimmungen der RVO noch nach verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beanstanden, und zwar auch insoweit nicht, als die Beklagte nunmehr Kürzungen allein von dem Überschreiten eines bestimmten Punktwertes abhängig mache und den Fallzahlengrenzwert nicht mehr berücksichtige. Der Kläger könne nicht mit Erfolg geltend machen, daß er durch die Zuordnung zur Gruppe der Internisten benachteiligt werde. Damit sei er in die günstigste in Betracht kommende Arztgruppe eingeordnet worden. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, über die durch die Ziffern 100 ff BMÄ'78 abgegoltenen Kosten hinaus Beträge abzusetzen. Insbesondere sei auch der Einwand des Klägers, bei den von ihm im Rahmen der ambulanten Operationen erbrachten Leistungen steige auch die Menge der teuren Grundleistungen, nicht stichhaltig. Wenn für bestimmte ärztliche Verrichtungen regelmäßig auch bestimmte zusätzliche teure Grundleistungen berechnet werden könnten, so zeige dies, daß diese Grundleistungen regelmäßig auch mit zu erbringen seien. In dem Umfang, in dem sie zu erbringen seien, bestimmten sie dann aber auch das Ausmaß der Tätigkeit des Kassenarztes und damit auch die Grenze bis hin zu einer übermäßigen Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit. Bezeichnenderweise sei bei Chirurgen, bei denen ambulante Operationen vom Fach her häufiger sind, der Punktzahlenwert auch nicht etwa höher als derjenige von Internisten, sondern niedriger. Auch das kurzfristige Inkrafttreten der Neufassung des § 7 HVM sei rechtmäßig. Grundsätzlich sei allen Ärzten die Umstellung in der Praxis auf die ab 1. Januar 1983 geltende Regelung des § 7 HVM mit einem gegenüber der früheren Fassung der Vorschrift erhöhten Punktzahlengrenzwert möglich gewesen. Da die Vertreterversammlung seit mehr als zwei Jahrzehnten nach einer angenommenen und wirksamen Regelung suche, habe sich jeder Arzt mit überdurchschnittlichen Abrechnungswerten darüber klar sein müssen, daß eine Rechtsänderung auch ihn berühren könnte.
Der Kläger macht mit der Revision geltend, es sei rechtswidrig, die Kürzung allein an der Höhe der Punktzahlen zu orientieren. Die Zeit des Einübens bei der Formulierung des HVM durch die Beklagte, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hinsichtlich des 1960 in Kraft getretenen HVM eingeräumt habe, sei vorbei. Der Kläger betreibe eine Spezialpraxis, in der er ausschließlich endoskopisch mit glasfiberoptischen Behandlungs- und Untersuchungsmethoden arbeite und außerdem noch ambulant operiere. Der Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten der Neufassung des § 7 HVM und ihrer Bekanntmachung am 25. Dezember 1982 sei zu kurz gewesen. Der Kläger müsse nämlich nicht nur auf die Patienten einzuwirken versuchen, sondern darüber hinaus Überlegungen dahingehend anstellen, ob er die Praxisstruktur mit dem speziellen sehr hohen Sachkostenanteil aufrechterhalten könne.
Der Kläger beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. September 1986 - L 11 Ka 26/85 - und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 1985 - S 25 (2) Ka 136/84 - abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 12. Juli 1983, 14. Dezember 1983 und 14. Oktober 1983, 15. Dezember 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 1984 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Bestimmung des § 7 HVM verstößt gegen keine Vorschriften des Bundesrechts. Dies hat der Senat bereits im Urteil vom 3. Juni 1987 - 6 RKa 31/86 - entschieden; daran ist festzuhalten. Gegen Bundesrecht verstößt die Bestimmung insbesondere nicht insoweit, als die übermäßige Ausdehnung der Kassenpraxis allein nach der Höhe der Punktzahlen bestimmt wird und die Fallzahlen unberücksichtigt bleiben. Der Senat hat weder in seinem Urteil vom 5. März 1981 - 6 RKa 1/80 - (SozR 2200 § 368f RVO Nr 8) noch im Urteil vom 9. April 1987 - 6 RKa 51/86 - zum Ausdruck gebracht, daß Honorarbegrenzungsregelungen aufgrund der Ermächtigung in § 368f Abs 1 Satz 5 RVO notwendig auf einer Kombination von Punktzahlen- und Fallzahlengrenzwerten beruhen müssen. Im Urteil vom 9. April 1987 wird ausgeführt, die Fallzahl dürfe bei einer Regelung nach § 368f Abs 1 Satz 5 RVO nicht vernachlässigt werden, die Punktzahlen allein erlaubten keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die Ausdehnung der Praxis; hohe Punktzahlen bei niedriger Fallzahl sprächen eher für eine besondere Praxisausrichtung oder für eine unwirtschaftliche Behandlungsweise. Aus dem Hinweis auf diese Möglichkeiten ist aber nicht zu folgern, daß für die Annahme einer übermäßigen Ausdehnung der Praxis notwendigerweise Punkt- und Fallzahlen zu kombinieren wären. Dieselben Punktzahlen können nach § 7 HVM eine Kürzung wegen übermäßiger Ausdehnung der Kassenpraxis und eine Kürzung wegen Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise auslösen. Wegen dieser Überschneidung ist aber die Bestimmung des § 7 HVM nicht rechtswidrig.
Eine besondere Praxisausrichtung kann allerdings den Schluß von hohen Punktzahlen auf eine übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit des Kassenarztes (§ 368f Abs 1 Satz 5 RVO) beeinträchtigen. Die Punktzahlen erlauben keinen zuverlässigen Rückschluß auf den Umfang der Tätigkeit des Kassenarztes, weil sie auch durch die Sachkosten bestimmt werden. Diese Wirkung der Sachkosten berücksichtigt aber der streitige HVM nämlich durch entsprechende Ermäßigungen der Punktzahlen. Vor der Kürzung werden die abgerechneten Punktzahlen je nach Arztgruppe um bestimmte Prozentsätze ermäßigt. Die Berücksichtigung nach einem festen, für alle Ärzte der Gruppe geltenden Prozentsatz ist nicht zu beanstanden. Die Zulässigkeit einer typisierenden Regelung nach § 368f Abs 1 Satz 5 RVO schließt ein, daß besondere Verhältnisse des Einzelfalles keine Berücksichtigung finden müssen (Urteil des Senats vom 9. April 1987 - 6 RKa 51/86 -). Deshalb ist es gleichfalls nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte mit den Prozentsätzen gemäß § 7 Abs 3 HVM nur die typischen Sachkosten der Arztgruppe erfaßt. Gegen die Ermittlung der Prozentsätze hat der Kläger keine Einwände erhoben. Die Einteilung in 20 Arztgruppen erscheint insoweit ebenfalls nicht bedenklich.
Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nicht, daß die Bildung weiterer speziellerer Arztgruppen geboten wäre. Der Kläger macht geltend, bei den von ihm vorgenommenen ambulanten Operationen sei der darin enthaltene Sachkostenanteil viel höher als bei den allgemeinen internistischen Leistungen. Indessen brauchte die Beklagte für Ärzte, die in gewissem Umfang ambulant operieren, keine Untergruppe mit besonderen Prozentsätzen für die Berücksichtigung der ärztlichen Sachkosten zu bilden. Das LSG hat dazu bindend festgestellt, bei der Anwendung des § 7 HVM würden die nach Ziffern 100 ff BMÄ'78 abgegoltenen Zusatzkosten für ambulantes Operieren nicht als angefordertes Honorar berücksichtigt. Zu Recht konnte deshalb die Beklagte in § 7 Abs 3 HVM von einer zusätzlichen Ermäßigung wegen der Sachkosten für ambulantes Operieren absehen. Wenn mit dem ambulanten Operieren auch die Menge der teuren Grundleistungen steigt, so folgt daraus nicht, daß deshalb für Internisten, die ambulant operieren, die Prozentsätze zur Berücksichtigung der ärztlichen Sachleistungen höher angesetzt werden müßten. Eine steigende Menge teurer Grundleistungen besagt nämlich nicht, daß die Praxis durch das ambulante Operieren auch nach Abzug der Zusatzkosten nach Ziffern 100 ff BMÄ'78 noch gegenüber den Durchschnittswerten der Internisten auf höhere Sachkosten kommen muß.
§ 7 HVM verstößt auch nicht deshalb gegen höherrangiges Recht, weil die Vorschrift keine Regelung für den Fall eines gegenüber der Arztgruppe völlig abweichenden Tatbestandes enthält. Ob und unter welchen Bedingungen eine solche Ausnahmeregelung überhaupt notwendig sein kann, bleibt dahingestellt. Die Beklagte ist jedenfalls grundsätzlich befugt, typisierende Regelungen zu treffen. In § 7 HVM in der am 1. Januar 1983 in Kraft getretenen Fassung hat sie erstmals allein auf Punktzahlen abgestellt. Es handelt sich insoweit um eine Regelung im Anfangsstadium, bei der sich der Normgeber mit gröberen Typisierungen und Generalisierungen begnügen darf (Urteil des Senats vom 9. April 1987 - 6 RKa 51/86 -). Solange keine besonderen Einzelfälle erkennbar wurden, die bei der Berücksichtigung von Sachkosten eine von der Gruppenregelung abweichende Ermäßigung hätten angezeigt erscheinen lassen, mußte jedenfalls keine die Besonderheiten des Einzelfalles erfassende Regelung getroffen werden. Der Kläger hat in den Tatsacheninstanzen, auf die es insoweit ankommt, vorgebracht, die von ihm ausschließlich erbrachten endoskopischen Leistungen erforderten den Einsatz teuerster und modernster Geräte. Daraus ergibt sich aber nicht, daß die Leistungen deshalb einen besonders hohen Punktwert gehabt haben - und auf den Punktwert kommt es hier allein an. Ein von der Arztgruppe völlig abweichender Tatbestand würde ferner voraussetzen, daß die Punktwerte des Klägers infolge der durch eine Spezialisierung bedingten Sachkostenanteile deutlich über den bei der Fachgruppe berücksichtigten Prozentsätzen für ärztliche Sachleistungen liegen. Schließlich ist zu beachten, daß der Kläger zu seinen Gunsten nicht den Magen-Darmärzten mit ihren niedrigen Grenzwerten zugeordnet worden ist.
Mit Recht hat das LSG ferner entschieden, daß das kurzfristige Inkrafttreten der Neufassung des § 7 HVM zum 1. Januar 1983 rechtmäßig sei. Der Senat hat dies bereits in seinem Urteil vom 3. Juni 1987 - 6 RKa 31/86 - bestätigt. Wie in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall wird auch vom Kläger nicht vorgebracht, welche erst später vorgenommenen Umstellungen der Praxis bei einem früheren Verkündungstermin entsprechend früher vorgenommen worden wären.
Die Kürzungen der Honoraranforderungen des Klägers aufgrund der Bestimmung des § 7 HVM verstoßen aus diesen Gründen nicht gegen Bundesrecht. Soweit das LSG angenommen hat, daß die Kürzungen dem HVM entsprechen, ist die Entscheidung nicht revisibel. Deshalb ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zurückzuweisen.
Fundstellen