Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Satzung. Zulässigkeit von weitgehenden Ausnahmen zur Unvereinbarkeit von gleichzeitiger Mitgliedschaft in Vorstand und Vertreterversammlung. sozialgerichtliches Verfahren. Feststellungsklage. Beteiligtenfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
§ 80 Abs 2 S 2 SGB 5 steht dem Erlaß weitergehender Bestimmungen über die Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Mitgliedschaft in Vorstand und Vertreterversammlung einer Kassenärztlichen Vereinigung im Wege autonomer Rechtsetzung nicht entgegen.
Orientierungssatz
1. Für Streitigkeiten, bei denen es ausschließlich um die Frage der Zugehörigkeit zu einem Selbstverwaltungsorgan (hier: Vertreterversammlung einer Kassenärztlichen Vereinigung) geht, ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart.
2. Ein - vermeintliches - Mitglied der Vertreterversammlung ist iS des § 70 SGG beteiligtenfähig.
Normenkette
SGB V § 80 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1988-12-20, § 81 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1988-12-20; SGG § 70 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger als Nachrücker Mitglied der Vertreterversammlung (Beklagte zu 2) der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Berlin (Beklagte zu 1) geworden ist.
Der Kläger, der als zugelassener Kassenarzt ordentliches Mitglied der Beklagten zu 1) ist, erreichte bei den Wahlen zur Vertreterversammlung der Beklagten zu 1) für die 9. Legislaturperiode im Wahlbezirk Kr. die dritthöchste Stimmenzahl. Mit höheren Stimmenzahlen waren die Ärztin Dr. K. (Dr. K.) und ein weiterer Arzt in die Vertreterversammlung gewählt worden. Der Kläger wurde bei der offiziellen Bekanntgabe der Wahlergebnisse als erster Nachrücker ausgewiesen.
In der ersten Sitzung der Beklagten zu 2) am 19. Januar 1989 wurde Frau Dr. K. zur stellvertretenden Vorsitzenden des Vorstandes gewählt. Sie nahm die Wahl an.
Der Kläger wandte sich darauf an den Vorsitzenden der Beklagten zu 2) und begehrte die Übermittlung der Einladung zur nächsten Vertreterversammlung an sich, weil Frau Dr. K. aufgrund ihrer Wahl zur stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden aus der Vertreterversammlung ausgeschieden und er damit nachgerückt sei. Der Vorsitzende der Beklagten zu 2) lehnte dies ab, weil die Bestimmungen der Satzung (d.S.) der Beklagten zu 1), wonach das Amt eines Mitgliedes der Vertreterversammlung ruhe, solange es dem Vorstand angehöre, mit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs - Fünftes Buch - (SGB V) gegenstandslos geworden seien.
Der Kläger hat Klage beim Sozialgericht (SG) Berlin erhoben und beantragt, festzustellen, daß er seit dem 19. Januar 1989 ordentliches Mitglied der Vertreterversammlung der KÄV Berlin geworden sei. Durch Urteil vom 20. Juni 1990 hat das SG die Klage abgewiesen.
Die Berufung hiergegen ist erfolglos geblieben (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Berlin vom 25. September 1991, veröffentlicht in Breithaupt 1992, 450 ff). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, die Klage sei gem § 55 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber nicht begründet. Die Zusammensetzung der Beklagten zu 2) richte sich nach den ab 1. Januar 1989 geltenden Vorschriften des SGB V. Danach sei eine Unvereinbarkeit des Mandates als Mitglied der Vertreterversammlung und des Amtes als stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes nicht gegeben. Gem § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V dürften nur der Vorsitzende der Vertreterversammlung und sein Stellvertreter nicht zugleich Vorsitzender oder stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes sein. Der Gesetzgeber habe damit abschließend den Status der gewählten Personen festgelegt, der auch durch Satzungsbestimmungen der KÄV nicht geändert werden könne. Die entgegenstehenden Bestimmungen der Satzung der Beklagten zu 1) vom 3. November 1977, die in § 3 Abs 3 und § 6 Abs 4 von einer weitergehenden Inkompatibilität und dem Ruhen der Mitgliedschaft in der Vertreterversammlung bei Übernahme eines Vorstandsamtes ausgingen, seien gegenstandslos geworden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz treffe § 80 SGB V keine Aussage über die Unvereinbarkeit der Ämter der Vertreterversammlung und der Mitgliedschaft im Vorstand. Diese Nicht-Regelung könne nicht in eine Verbotsregelung uminterpretiert werden. Dagegen spreche auch, daß § 43 Abs 3 des Sozialgesetzbuches - Viertes Buch - (SGB IV) eine Inkompatibilitätsregelung für die gleichzeitige Mitgliedschaft in Vertretersammlung und Vorstand eines Versicherungsträgers enthalte. Der KÄV stehe im Rahmen ihrer Satzungshoheit, wie andere Beispiele zeigten, die Befugnis zu, über Statusfragen zu entscheiden. Da kein wesentlicher Eingriff in die Rechtssphäre der Betroffenen gegeben sei, habe es für die weitergehenden Inkompatibilitätsbestimmungen keiner gesetzlichen Regelung bedurft.
Der Kläger beantragt,
1.
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben,
2.
festzustellen, daß er seit dem 19. Januar 1989 ordentliches Mitglied der Vertreterversammlung der KÄV Berlin ist.
Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beziehen sich zur Begründung auf das angefochtene Urteil und führen ergänzend aus, Inkompatibilitätsregelungen müßten grundsätzlich gesetzlich geregelt sein. Die neugefaßte Satzung, die am 27. Juni 1991 aufsichtsbehördlich genehmigt worden sei, sehe eine Inkompatibilität außerhalb der gesetzlichen Vorgaben des § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V nicht mehr vor.
Das beigeladene Land Berlin, das keinen Antrag stellt, vertritt die Auffassung, daß die fragliche Satzungsregelung durch die gelockerte Inkompatibilitätsregelung des § 80 Abs 2 SGB V nicht unwirksam geworden sei. Zwar habe der Gesetzgeber nur noch die Unvereinbarkeit einer Doppelmitgliedschaft für die Vorsitzenden und Stellvertreter im Vorstand und in der Vertreterversammlung vorgesehen. Daraus folge aber im übrigen nicht ein ungeschriebenes Gebot der Doppelmitgliedschaft im Vorstand und in der Vertreterversammlung. Die Doppelmitgliedschaft sei vielmehr nach der gesetzlichen Neuregelung zwar möglich, könne aber vom Satzungsgeber im Rahmen der ihm gesetzlich verliehenen Autonomie mangels entgegenstehender gesetzlicher Regelungen auch ausgeschlossen werden. Der Beigeladene verweist auf ein im gleichen Sinne ergangenes Schreiben des Bundesministers für Gesundheit vom 21. Februar 1992.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist teilweise begründet.
Zutreffend ist das LSG von der Zulässigkeit der Feststellungsklage iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG ausgegangen.
Bei dem Streit über das Nachrücken eines aufgrund der Wahl zur Vertreterversammlung einer KÄV als Nachrücker feststehenden Arztes handelt es sich - ebenso wie bei dem Streit um die Gültigkeit der Wahl zur Vertreterversammlung einer KÄV (hierzu: BSGE 23, 92, 93) - um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung iS des § 51 Abs 1 SGG. Die Feststellungsklage ist die statthafte Klageart; denn es liegt ein Innenrechtsstreit zwischen einem - angeblichen - Organteil und einem Selbstverwaltungsorgan in der Form des Intraorganstreits, nämlich darüber vor, ob durch das Ausscheiden eines anderen Organteils nunmehr derjenige, der dies für sich beansprucht, Organteil geworden ist. Für Streitigkeiten dieser Art, bei denen es ausschließlich um die Frage der Zugehörigkeit zu einem Selbstverwaltungsorgan geht, ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart (s allgemein: Erichsen, Menger - Festschrift, 1985, 211, 231 f; vgl zur entsprechenden Problematik bei Kommunalverfassungsstreitigkeiten: Ehlers, NVwZ 1990, 105 ff; Schoch, JuS 1987, 783, 787 ff; VGH Kassel, NVwZ 1982, 44, 45).
Der Kläger ist in seiner Funktion als - vermeintliches - Mitglied der Vertreterversammlung auch iS des § 70 SGG beteiligtenfähig. Diese Fähigkeit ist zu bejahen, wenn dem klagenden Funktionsobjekt die geltend gemachte Rechtsposition zustehen kann, diese durchsetzbar ist und auf der Beklagtenseite eine korrespondierende Verpflichtung besteht (Erichsen, aaO, 224 f, 229 m Fn 106 mwN). Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger vor. Er macht als sog erster Nachrücker gegenüber der Beklagten zu 2) geltend, er sei aufgrund des Eintritts der Ärztin Dr. K. in den Vorstand der Beklagten zu 1) selbst Mitglied der Vertreterversammlung geworden. Des weiteren ist ein berechtigtes Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung zu bejahen, weil er durch das Verhalten der Beklagten zu 2) an der Ausübung eines ihm ggf zustehenden Mandats gehindert sein kann.
Die Beklagte zu 2) ist nach den aufgezeigten Grundsätzen ebenfalls beteiligtenfähig. Zwar kommt ihr als Selbstverwaltungsorgan eine Beteiligtenfähigkeit an sich nicht zu. Insbesondere zählt die Vertreterversammlung nicht zu den in § 70 Nr 4 SGG genannten Entscheidungsgremien (Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 70 Anm 5e). Im Rahmen des Innenrechtsstreits ist die Beteiligtenfähigkeit der Vertreterversammlung jedoch gegeben, weil sie nach innerorganisatorischer Kompetenzzuweisung über die Mitgliedschaft eines Nachrückkandidaten zu entscheiden hat (zur Beteiligtenfähigkeit im einzelnen: Ehlers, aaO, 112; ders, Menger-Festschrift, 1985, 379, 394; Erichsen, aaO, 228 f). Zwar enthalten weder das SGB V noch autonomes Recht der Beklagten zu 1) Regelungen darüber, welches ihrer Organe über das Ausscheiden aus der bzw das Nachrücken in die Vertreterversammlung zu entscheiden hat (s demgegenüber für die Sozialversicherungsträger: § 59 Abs 2, § 60 Abs 3 SGB IV). Der Vertreterversammlung steht aber, worauf an anderer Stelle noch einzugehen sein wird, die Befugnis zu, durch autonomes Recht Bestimmungen über die Zahl ihrer Mitglieder (§ 79 Abs 2 Satz 1 SGB V), die Zusammensetzung, Wahl, Amtsführung sowie Aufgaben und Befugnisse auch der Vertreterversammlung zu treffen. Das schließt die Berechtigung mit ein, auch das Verfahren über das Ausscheiden aus der bzw das Nachrücken in die Vertreterversammlung zu regeln. Aus der Ermächtigung, generelle Bestimmungen zu erlassen, folgt, sofern, wie hier, die Befugnis nicht durch Rechtssatz auf ein anderes Organ übertragen worden ist, die Kompetenz zur Entscheidung im Einzelfall.
In den Tatsacheninstanzen ist zwar auf der Beklagtenseite - neben der KÄV- nicht die Vertreterversammlung, sondern deren Vorsitzender als Beklagter aufgeführt worden. Dabei handelt es sich aber ersichtlich um die unrichtige Bezeichnung eines Beklagten; denn mit der von ihm erhobenen Klage auf Feststellung der Mitgliedschaft in der Vertreterversammlung erhebt der Kläger einen Anspruch gegenüber der Vertreterversammlung, die vom Vorsitzenden vertreten wird. Die unzutreffende Bezeichnung eines Beteiligten ist - wie geschehen- vom Revisionsgericht richtigzustellen.
Die Klage des Klägers ist, soweit sie sich gegen die KÄV (Beklagte zu 1) richtet, unbegründet, wie die Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht entschieden haben. Die Beklagte zu 1) hat zwar ebenfalls den vom Kläger erhobenen Feststellungsanspruch verneint. Sie hat jedoch als Gesamtorganisation über die Frage des Bestehens der Mitgliedschaft in dem Selbstverwaltungsorgan Vertreterversammlung (§ 79 Abs 1 SGB V) nicht zu entscheiden. Ihr fehlt mithin die Passivlegitimation, so daß die gegen sie gerichtete Feststellungsklage abzuweisen und insoweit die Revision des Klägers zurückzuweisen war.
Die Klage gegen die Beklagte zu 2) ist hingegen begründet. Dabei braucht nicht darauf eingegangen zu werden, ob die Vertreterversammlung in ihrer Gesamtheit über die Frage des Nachrückens eines Nachrückkandidaten durch Beschluß zu entscheiden hat oder ob diese Entscheidung allein von ihrem Vorsitzenden getroffen werden kann. Denn der Feststellungsanspruch des Klägers ist schon aus anderen Gesichtspunkten zu bejahen.
Die Frage, ob die Mitgliedschaft der Ärztin Dr. K. in der Vertreterversammlung aufgrund der Annahme des Amtes als stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes der Beklagten zu 1) beendet ist bzw ruht oder ob die Mitgliedschaft weiterhin besteht, beurteilt sich nach dem Recht des SGB V vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477). Die erste Sitzung der Vertreterversammlung, in der die Ärztin Dr. K. zur stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden gewählt worden ist, hat nämlich am 19. Januar 1989 und somit nach Inkrafttreten der hier einschlägigen Vorschriften des SGB V zum 1. Januar 1989 stattgefunden.
Nach § 79 Abs 1 SGB V sind Selbstverwaltungsorgane der KÄV die Vertreterversammlung und der Vorstand. § 80 SGB V, der die Wahlen der Mitglieder der Vertreterversammlung und des Vorstandes zum Inhalt hat, enthält in Abs 2 Satz 2 eine Inkompatibilitätsregelung. Die Vorschrift lautet: "Der Vorsitzende der Vertreterversammlung und sein Stellvertreter dürfen nicht zugleich Vorsitzender oder stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes sein." Demgegenüber bestimmt § 3 Abs 3 d.S. der KÄV Berlin in der hier noch maßgebenden Fassung vom 3. November 1977: "Mitglieder des Vorstandes können nicht Mitglieder der Vertreterversammlung sein". In § 6 Abs 4 d.S. heißt es ergänzend hierzu: "Das Amt eines Mitgliedes der Vertreterversammlung ruht, solange es dem Vorstand angehört. Für diese Zeit tritt ein Nachfolger an seine Stelle".
Es kann dahingestellt bleiben, ob § 6 Abs 4 d.S., in dem lediglich ein "Ruhen" des Mandats und nicht die Beendigung der Mitgliedschaft in der Vertreterversammlung bei Annahme eines Vorstandsamtes angeordnet wird, rechtswirksam ist. Zwar enthält das SGB V keine ausdrückliche Regelung darüber, welche Rechtsfolgen die Annahme einer Mitgliedschaft in einem Selbstverwaltungsorgan der KÄV bei gleichzeitiger Mitgliedschaft in dem anderen Selbstverwaltungsorgan der Körperschaft auslöst (vgl für die Sozialversicherungsträger § 59 Abs 1 Nr 2 SGB IV: Die Mitgliedschaft in einem Selbstverwaltungsorgan endet vorzeitig ... durch Erwerb der Mitgliedschaft für ein anderes Selbstverwaltungsorgan, wenn die gleichzeitige Zugehörigkeit zu beiden Selbstverwaltungsorganen ausgeschlossen ist). Die Regelung des "Ruhens" des Mandats mit - ggf zeitweiliger - Nachfolge eines Nachrückers könnte aber gegen den auch für die Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen der KÄV geltenden Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl (§ 80 Abs 1 Satz 1 SGB V; früher: § 368 l Abs 4 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ aF) verstoßen und damit nichtig sein (vgl zur Verfassungswidrigkeit des sog ruhenden Mandats im staatsrechtlichen Bereich: HessStGH, ESVGH 27, 193 ff = NJW 1977, 2065 ff; H.H. Klein in: HdBuch des Staatsrechts, Bd II, 1987, § 41 RdNr 20; Stern, Das Staatsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Bd I, 2. Aufl 1984, § 24 I 5 cß). Der Kläger kann jedoch auch dann nachgerückt sein, wenn das Mandat der Ärztin Dr. K. als Mitglied der Vertreterversammlung durch die Annahme des Amtes als stellvertretende Vorstandsvorsitzende zwar nicht beendet sein, sondern nur ruhen sollte. Das Recht auf Nachrücken setzt voraus, daß die weitergehende Inkompatibilitätsregelung des § 3 Abs 3 d.S. rechtswirksam ist. Das ist der Fall.
§ 3 Abs 3 d.S., mit dem die Inkompatibilitätsbestimmung des durch das SGB V aufgehobenen § 368 l Abs 1 Satz 5 RVO wörtlich übernommen worden war, beruht auf einer rechtsgültigen Ermächtigungsgrundlage. Zunächst steht der Wirksamkeit der Satzungsvorschrift und ihrer Fortgeltung über den 31. Dezember 1988 hinaus nicht entgegen, daß § 368 l Abs 1 Satz 5 RVO (aF) mit Wirkung vom 1. Januar 1989 aufgehoben worden ist, auch wenn man in dieser Norm eine Ermächtigungsgrundlage für die fragliche Satzungsregelung sehen wollte. Es ist allgemein anerkannt, daß untergesetzliches Recht seinen Rechtsbestand nicht allein dadurch verliert, daß die im höherrangigen Recht enthaltene Ermächtigungsvorschrift fortfällt (vgl für die Gültigkeit von Rechtsverordnungen: BVerfGE 9, 3, 12; 12, 341, 346 f; 14, 245, 249; 22, 1, 12; 28, 119, 143; 31, 357, 362 f; 78, 179, 198; Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art 80 RdNr 24). Darüber hinaus steht der KÄV im Rahmen der ihr als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 77 Abs 5 SGB V) zugewiesenen Selbstverwaltung der Kassenärzte Satzungsautonomie, dh die Befugnis zu, Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder mit Verbindlichkeit für diese zu regeln. Dazu gehört in den durch übergeordnetes Recht festgelegten Grenzen die Befugnis, normative Bestimmungen über die Zusammensetzung, Wahl, Amtsführung sowie Aufgaben und Befugnisse und schließlich die Zahl der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane zu erlassen. Dies verdeutlichen die Regelungen des § 79 Abs 2 Satz 1 und des § 81 Abs 1 Nr 2 SGB V, nach denen die - formelle - Satzung der KÄV Bestimmungen hierüber zu enthalten hat. Zu der Kompetenz, die Zusammensetzung des Selbstverwaltungsorgans Vertreterversammlung zu regeln, zählt - wie bereits angesprochen - als eine sie ergänzende Befugnis auch das Recht, durch Satzungsrecht die Doppelmitgliedschaft in Vertreterversammlung und Vorstand der KÄV auszuschließen.
Der Rechtswirksamkeit des § 3 Abs 3 d.S. über den 31. Dezember 1988 hinaus steht auch die Inkompatibilitätsregelung des § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V nicht entgegen. Der Wortlaut der zwingend ausgestalteten Norm, die sich unmittelbar an die Körperschaft KÄV richtet, enthält keinen Hinweis darauf, daß sie als abschließende Regelung der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat im Bereich der kassenärztlichen Selbstverwaltung zu verstehen ist, aufgrund derer eine weitergehende Unvereinbarkeitsbestimmung auf autonomer Rechtsebene ungültig wäre. Insbesondere fehlt jegliche Einschränkung dergestalt, daß "nur" bzw "allein" oder "ausschließlich" die Ämter der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden von Vertreterversammlung und Vorstand unvereinbar sind. Dem Wortlaut des Gesetzes ist damit eine Festlegung in dem einen oder anderen Sinne nicht zu entnehmen.
Auch die Entstehungsgeschichte des § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V erweist sich - entgegen der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung, die die Norm als abschließende Regelung versteht (Hess in Kasseler Komm, SGB V, § 79 RdNr 3; Heinze, SozVersGesKomm, SGB V, § 80 Anm 7; Wanner, BABl 1989, H 4, S 39, 40; Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, 5. Aufl, § 79 SGB V, RdNr C 79-9; Dalichau/Schiwy, SGB V, § 80 Anm III 2 unter Bezugnahme auf das angefochtene Urteil; aA Limpinsel in: Jahn, Gesetzliche Krankenversicherung, 1989, § 79 RdNr 2) - nicht als geeigneter Beleg für die eine oder andere Interpretation der Norm. Zwar ist zutreffend, daß weder der Referentenentwurf zum Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen - Gesundheitsreformgesetz - (GRG) noch der diesbezügliche Gesetzentwurf der Bundesregierung (BR-Drucks 200/88) Vorschriften über die Unvereinbarkeit von Mitgliedschaft in Vertreterversammlung und Vorstand der KÄV enthielten. Demgegenüber hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Entwurf des GRG (BR-Drucks 200/88 - Beschluß -, Nr 71, S 73 f = BT-Drucks 11/2493, Anl 2 Nr 71, S 24 f) vorgeschlagen, in § 87 Abs 1 des SGB V idF des Entwurfs ua den folgenden Satz anzufügen: "Mitglieder des Vorstandes können nicht Mitglieder der Vertreterversammlung sein". Zur Begründung hat er dargelegt: "Die Regelungen aus § 368 l Abs 1 Satz 2 bis 4 RVO zur Öffentlichkeit der Sitzungen der Vertreterversammlung und zur Verhinderung von Doppelmandaten in den Organen der Kassenärztlichen Vereinigungen sollten wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung beibehalten werden". Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung (BT-Drucks 11/2493, Anl 3, zu Nr 71, S 62) dem Vorschlag zugestimmt, wobei nicht ersichtlich ist, ob sich diese Zustimmung allein auf die in der Überschrift der Gegenäußerung zu Nr 71 angesprochene Öffentlichkeit der Sitzungen der Vertreterversammlung bezieht. Der BT-Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) hat in seinen Beschlüssen zum Entwurf eines GRG nicht die vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung der Unvereinbarkeitsregelung übernommen, sondern die später Gesetz gewordene Fassung beschlossen (BT-Drucks 11/3320, S 51, § 88 Abs 2 Satz 2). In dem Bericht des 11. Ausschusses (BT-Drucks 11/3480, zu § 88, S 58) heißt es hierzu: "Absatz 2 folgt einem Vorschlag des Bundesrates. Er regelt ua die Unvereinbarkeit der Ämter des Vorstandsvorsitzenden und des Vorsitzenden der Vertreterversammlung".
Die Beschränkung der Inkompatibilitätsregelung in § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V idF des Beschlusses des 11. BT-Ausschusses war - soweit ersichtlich - nicht Gegenstand der Diskussion, so daß die lapidare - und im Ergebnis nicht zutreffende - Begründung der vorgeschlagenen und Gesetz gewordenen Fassung (Bericht des 11. BT-Ausschusses, aaO) im Rahmen der genetischen Interpretation für die hier maßgebliche Fragestellung nicht aussagekräftig ist.
Während sich Wortlaut und Entstehungsgeschichte insoweit als unergiebig darstellen, sprechen systematische Gesichtspunkte eher für als gegen die Annahme, daß § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V den Umfang der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat im Bereich der kassenärztlichen Selbstverwaltung nicht abschließend gestalten wollte; denn die Vorschrift ist auch in anderer Hinsicht nicht als vollständige Regelung angelegt. Sie bestimmt - auf der Tatbestandsseite - die Unvereinbarkeit bei der Ausübung von Funktionen in der kassenärztlichen Selbstverwaltung, regelt aber nicht die Rechtsfolgen, die sich nach Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V ergeben. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe eine Rechtsfolgenbestimmung generell für überflüssig gehalten. Dagegen ist die Inkompatibilitätsregelung im Bereich der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger (§ 43 Abs 3 Satz 1 SGB IV) anzuführen, deren Rechtsfolge in § 59 Abs 1 Nr 2 SGB IV festgelegt wird. Das Nichterlassen einer Rechtsfolgevorschrift zu § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V erweist sich vielmehr als Anhalt dafür, daß die Regelung der Rechtsfolge der autonomen Rechtssetzung der KÄV vorbehalten bleiben sollte. Ist das Gesetz aber schon hinsichtlich der an sich notwendigen Rechtsfolgeregelung nicht vollständig, liegt die Annahme nahe, daß es hinsichtlich der Tatbestandsseite eine abschließende Regelung nicht hat treffen wollen.
Des weiteren weist die Einordnung des § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V in den Gesamtzusammenhang der Inkompatibilitätsregelungen im Bereich der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger einerseits und der kassenärztlichen Selbstverwaltung andererseits darauf hin, daß die Vorschrift nur als Festlegung eines Mindeststandards zu verstehen ist, durch den die Regelung weitergehender Unvereinbarkeiten nicht ausgeschlossen werden soll.
Ursprünglich war die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat in der kassenärztlichen Selbstverwaltung in dem durch das Gesetz über Kassenarztrecht - GKAR - vom 17. August 1955 (BGBl I S 513) eingefügten § 368 l Abs 1 Satz 2 RVO (aF) in dem Sinne geregelt worden, daß Mitglieder des Vorstandes nicht Mitglieder der Vertreterversammlung sein können. Das GKAR hatte das Organisationsrecht der KÄVen weitgehend dem Recht der Sozialversicherungsträger angeglichen und damit auch in diesem Bereich eine nach demokratischen Grundsätzen gestaltete Selbstverwaltung geschaffen (Jantz/Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, Stand: 7. Lfg 1961, § 368 l Anm 1). Wie auch ansonsten entsprach die Inkompatibilitätsregelung des § 368 l Abs 1 Satz 2 RVO aF, die nach einer Ergänzung des Abs 1 aaO durch Art 2 § 1 Nr 4 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Selbstverwaltungsgesetzes (SVwG) vom 3. August 1967 (BGBl I S 845) als Satz 5 aaO weitergalt, weitgehend den einschlägigen Regelungen des SVwG vom 22. Februar 1951 (BGBl I S 124) über die Unvereinbarkeiten in den Organen der Sozialversicherungsträger. Danach konnten weder bei den Sozialversicherungsträgern noch bei KÄVen gleichzeitig das Mandat eines Mitgliedes der Vertreterversammlung und das Amt eines Vorstandsmitgliedes ausgeübt werden. Das SGB IV, das das SVwG mit Wirkung vom 1. Juli 1977 (Art 2 § 21 Abs 1 Nr 1 SGB IV) aufgehoben hat, hat in § 43 Abs 3 Satz 1 (iVm § 59 Abs 1 Nr 2) SGB IV die strikten Unvereinbarkeitsvorschriften des SVwG übernommen. Mit diesen Regelungen sollte einerseits dem Grundsatz der Gewaltenteilung Rechnung getragen und andererseits sichergestellt werden, daß die klare Aufgabentrennung von Vertreterversammlung und Vorstand nicht durch eine Doppelmitgliedschaft unterlaufen wird (vgl Hauck/ Haines, SGB IV, K § 43 RdNr 3; Schwerdtfeger, SozVersGesKomm, § 43 SGB IV, Anm 4; Rische/Brandenburger in: Wannagat, SGB IV, § 43 RdNr 24).
Zwar hat § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V für den Bereich der kassenärztlichen Selbstverwaltung nicht mehr die strikte Inkompatibilitätsregelung des § 368 l Abs 1 Satz 5 RVO aF übernommen. Hätte damit aber eine Abkehr von den bisher geltenden - und im Bereich der Sozialversicherungsträger weiterhin gültigen - Grundsätzen der Trennung von Amt und Mandat erfolgen sollen, wäre es erforderlich gewesen, dies zumindest in der Begründung der gesetzlichen Neuregelung hinreichend deutlich zum Ausdruck zu bringen. Das Fehlen eines jeglichen Hinweises ist daher nur in dem Sinne zu verstehen, daß § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V lediglich die Mindestgrenze der Unvereinbarkeiten regelt, weitergehende Unvereinbarkeiten aufgrund untergesetzlicher Vorschriften aber nicht ausschließt.
Nach alledem erweist sich § 3 Abs 3 d.S. idF vom 3. November 1977 als rechtswirksam. Das hat zur Folge, daß die Mitgliedschaft der Ärztin Dr. K. in der Vertreterversammlung aufgrund der Annahme des Amtes als stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Beklagten zu 1) ruht oder gar beendet ist. Der Kläger ist mit der Annahme dieses Amtes durch Frau Dr. K. in die Vertreterversammlung nachgerückt. Daß die - neue - Satzung der Beklagten zu 1) vom 24. April 1991 eine Inkompatibilitätsregelung nicht mehr enthält und damit allein § 80 Abs 2 Satz 2 SGB V maßgeblich ist, wirkt sich auf die Mitgliedschaft des Klägers in der Vertreterversammlung nicht aus. Die Satzung hat rückwirkend Mitgliedschaftsrechte in der Vertreterversammlung weder verändern wollen noch rechtlich zulässig verändern können.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers hat die Beklagte zu 1) als Rechtsträgerin der Beklagten zu 2) gem § 193 SGG zu tragen (vgl VGH Bremen, NVwZ 1990, 1195, 1197). Der Senat hat dabei berücksichtigt, daß der Kläger mit seinem Klagebegehren weitgehend Erfolg hatte, wobei der Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 1) kein besonderes Gewicht zukam.
Fundstellen