Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsverfahren. Bevollmächtigung. schriftliche Vollmacht-Nachreichung
Orientierungssatz
In Fällen, in denen die Berufung alten Rechts vor dem Inkrafttreten des SGG eingelegt war, ist deren Wirksamkeit nach der damals geltenden § 14 OVAV zu beurteilen. Hiernach ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen. Die schriftliche Vollmacht kann bis zur Verkündung der Entscheidung nachgereicht werden.
Normenkette
OVAV § 14 Fassung: 1923-12-24
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 22.03.1960) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 13.09.1955) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichtes in München vom 22. März 1960 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Versorgungsamt (VersorgA) N erkannte mit Bescheid vom 23. Oktober 1952 nach dem Bayerischen Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (BKBLG) als Leistungsgrund epidemische Leberentzündung und Hirnerschütterung an und gewährte ab 1. September 1948 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H.. Mit Umanerkennungsbescheid gleichen Datums entzog das VersorgA die Rente, weil Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ab 1. September 1952 nicht mehr vorlägen; die Nachuntersuchung vom 8. August 1952 habe ergeben, daß die bisher anerkannten Gesundheitsstörungen folgenlos abgeklungen seien.
Gegen diese Bescheide, die am 7. November 1952 an den Kläger abgesandt worden sind ist mit Schriftsatz vom 24. November 1952 Berufung alten Rechts eingelegt worden. Der Schriftsatz ist am 25. November 1952 beim VersorgA und am 23. April 1953 beim früheren Oberversicherungsamt (OVA) N eingegangen. Die Berufungsschrift ist mit dem Namen K vom Verband der Kriegsbeschädigten (VdK), Kreisverband R, unterzeichnet. Eine schriftliche Vollmacht für K befindet sich nicht bei den Akten, vielmehr liegt eine schriftliche Vollmacht zur Prozeßvertretung für Peter K und M. T vom VdK, Bezirksgeschäftsstelle M, vor. Die Schriftsätze im Verfahren erster Instanz sind mit dem Namen M unterzeichnet, für den eine schriftliche Vollmacht nicht vorliegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg, auf das die Berufung alten Rechts gemäß § 215 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) übergegangen ist, sind der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter T erschienen und haben die Sachanträge gestellt. Das SG hat mit Urteil vom 13. September 1955 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23. Oktober 1952 verurteilt, dem Kläger Rente nach einer MdE um 30 v. H. ab 1. September 1952 zu gewähren.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 22. März 1960 das Urteil des SG Nürnberg vom 13. September 1955 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, daß die gegen die Bescheide vom 23. Oktober 1952 eingereichte Berufung, die vom 1. Januar 1954 an als Klage auf das SG übergegangen ist, nicht ordnungsgemäß eingelegt ist, da eine schriftliche Vollmacht auf den Unterzeichner der Berufungsschrift K nicht vorgelegen habe. Insoweit bezieht es sich auf ein Urteil desselben Senats des LSG vom 4. Juni 1957. Das Berufungsgericht habe von Amts wegen zu prüfen, ob die Prozeßvoraussetzungen für ein Klageverfahren vorlägen, ob also insbesondere die Berufungs- bzw. Klageschrift von dem Kläger oder seinem Bevollmächtigten unterzeichnet sei. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über den Geschäftsgang und das Verfahren der Oberversicherungsämter (OVAO) vom 24. Dezember 1911 müsse eine schriftliche Vollmacht vorliegen, andernfalls sei die Berufung nicht ordnungsgemäß eingelegt. Dies müsse zur Klageabweisung führen. Zwar habe sich der Angestellte Keith vom VdK als Bevollmächtigter bezeichnet, jedoch habe er die zwingend vorgeschriebene schriftliche Vollmacht auf seine Person nicht bis zum Erlaß des Urteils erster Instanz zu den Akten eingereicht. Die zu den Akten eingereichte Vollmacht laute nur auf die Namen K und M. T und nicht auch auf K. Selbst wenn die Berufungs-Begründungsschrift der Bezirksgeschäftsstelle des VdK vom 8. Dezember 1952, die beim OVA am 10. Dezember 1952 eingegangen sei, etwa als rechtzeitige Berufungsschrift angesehen werden würde, so stehe fest, daß auch auf den Unterzeichner dieses Schriftsatzes, M, eine Vollmacht nicht vorliege. Schließlich habe auch der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 13. September 1955 keine Bevollmächtigung auf den die Berufung einlegenden Vertreter zur Sitzungsniederschrift erklärt. Da es an einer rechtswirksamen Berufungsschrift ermangele, sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses, am 19. April 1960 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25. April, beim Bundessozialgericht (BSG) am 26. April 1960 eingegangen, Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
In seiner mit Schriftsatz vom 1. Juni, beim BSG am 2. Juni 1960 eingegangenen Revisionsbegründung rügt er die Verletzung der §§ 106, 159 SGG sowie allgemeiner prozeßrechtlicher Grundsätze durch das LSG. Er trägt hierzu vor, daß zwar die Berufung alten Rechts gegen die Bescheide vom 23. Oktober 1952 noch unter der Gültigkeit des früheren Verfahrensrechts eingelegt worden sei, die letzte mündliche Verhandlung vor dem SG habe jedoch erst am 13. September 1955 stattgefunden, so daß die verfahrensrechtliche Lage hinsichtlich der Vollmacht nach den Vorschriften des SGG zu beurteilen sei. Der Mangel der schriftlichen Vollmacht sei zwar eine wesentliche Prozeßvoraussetzung und daher von Amts wegen zu prüfen, jedoch müsse über § 202 SGG die Vorschrift des § 88 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) entsprechend angewendet werden. Aus den allgemein-prozeßrechtlichen Grundsätzen ergebe sich, daß der Vorsitzende des SG hätte darauf hinwirken müssen, daß vom Kläger eine auf den Unterzeichner der Berufungsschrift lautende schriftliche Prozeßvollmacht vorgelegt oder die Vollmacht zur Niederschrift des Gerichts erteilt wurde. Gegebenenfalls hätte der Vorsitzende des SG unter Fristsetzung den Kläger zur Vorlage der Vollmacht auffordern müssen. Diese Verpflichtung ergebe sich auch aus § 106 SGG. Dadurch hätte sich der Mangel der fehlenden Prozeßvollmacht bis zur mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil gefolgt sei, beheben lassen. Hierbei handele es sich um eine Rechtspflicht des Vorsitzenden schon deshalb, um das Scheitern der Rechtsverfolgung aus formalen Gründen zu verhindern. Dieser Auffassung stehe auch nicht die Entscheidung des LSG vom 4. Juni 1957 entgegen. Das LSG übersehe, daß das BSG in den vom LSG zitierten Entscheidungen die Prozeßhandlungen erst dann als unwirksam angesehen habe, nachdem der Prozeßbevollmächtigte der ausdrücklichen Aufforderung des Gerichts, sich ordnungsgemäß zu legitimieren, nicht entsprochen habe. Mit dieser Auffassung werde die Auffassung der Revision ausdrücklich bestätigt. Im übrigen hätte der Mangel der fehlenden Prozeßvollmacht im Verfahren vor dem LSG dadurch geheilt werden können, daß dieses die Streitsache an das SG zurückverwiesen hätte (§ 159 Abs. 1 SGG), da das Verfahren des SG an einem wesentlichen Mangel gelitten habe. Dem Kläger wäre dann die Möglichkeit der nachträglichen Beibringung der Prozeßvollmacht auf den Unterzeichner der Berufungsschrift im erneuten Verfahren vor dem SG gegeben worden. Zwar handele es sich bei der Entscheidung nach § 159 Abs. 1 SGG um eine Ermessensentscheidung des LSG, jedoch habe das LSG insoweit die Grenzen seines Ermessens überschritten.
Der Beklagte stellt keinen Antrag.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig. Die Revision ist auch begründet. Streitig ist die Frage, ob die Berufung gegen die Bescheide vom 23. Oktober 1952 rechtswirksam eingelegt worden ist. Das LSG hat diese Frage verneint, weil die Berufungsschrift vom 24. November 1952 von einem Angestellten des VdK mit Namen K unterzeichnet ist und für diesen eine schriftliche Vollmacht bis zum Erlaß des Urteils erster Instanz vom Kläger nicht vorgelegt worden ist. Die Rüge des Klägers, das LSG habe allgemein-prozessuale Grundsätze verletzt, greift durch. Entgegen der Auffassung des LSG ist die Berufung alten Rechts (Klage neuen Rechts) nicht deshalb unzulässig, weil eine schriftliche Vollmacht für Keith bis zum Ende der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil erster Instanz ergangen ist, nicht vorgelegen hat. Die Frage, wie das Fehlen einer schriftlichen Vollmacht im Verfahren vor dem OVA prozeßrechtlich beurteilt werden muß, beantwortet sich - entgegen der Auffassung des Klägers - nach dem Recht vor Inkrafttreten des SGG. Zwar ist neues Prozeßrecht in der Regel in anhängigen Streitigkeiten anzuwenden, dies gilt aber nicht, soweit Prozeßhandlungen zu beurteilen sind, die beim Inkrafttreten des neuen Prozeßrechts bereits abgeschlossen waren. Ihre Wirksamkeit beurteilt sich, wenn in einer besonderen Übergangsvorschrift keine andere Regelung getroffen ist, nach altem Recht (BSG 1, 44, 46; 8, 135, 136; BSG in SozR SGG § 215 Bl. Da 1 Nr. 4; Bl. Da 6 Nr. 23; Bl. Da 17 Nr. 48; Haueisen, NJW 1958 S. 1067 Anm. 32). Da im vorliegenden Fall die Berufung alten Rechts mit dem Schriftsatz vom 24. November 1952 vor dem Inkrafttreten des SGG eingelegt war, ist deren Wirksamkeit nach dem damals geltenden § 14 OVAO vom 24. Dezember 1911 (RGBl I, 1095) in der Fassung vom 24. Dezember 1923 (RGBl I, 1199) zu beurteilen. Nach dieser Vorschrift ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen. Die OVAO besagt aber nichts darüber, bis zu welchem Zeitpunkt die Vollmacht dem Gericht vorgelegt sein muß; insbesondere ist aus ihrem Wortlaut nichts dafür zu entnehmen, daß - wenn eine schriftliche Vollmacht nicht vorgelegt ist - die Klage (Berufung alten Rechts) unzulässig ist. Das frühere Reichsversicherungsamt (RVA) hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die schriftliche Vollmacht bis zur Verkündung der Entscheidung nachgereicht werden könne (RVA in AN 91, 217 Nr. 1362; AN 94, 330 Nr. 570; AN 97, 317). Im vorliegenden Fall hat der Kläger für den Angestellten Keith des VdK eine schriftliche Vollmacht nicht vorgelegt, jedoch hat er im Laufe des Verfahrens der ersten Instanz eine Vollmacht auf die Bezirkssekretäre des VdK K und T überreicht. Daß die Begründung der Berufung wiederum durch einen anderen Angestellten des VdK namens M unterzeichnet ist, für den eine schriftliche Vollmacht nicht vorgelegen hat, ist unerheblich. Es ergibt sich aus den vom Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 13. September 1955 mit seinem durch schriftliche Vollmacht ausgewiesenen Prozeßbevollmächtigten T vorgenommenen Prozeßhandlungen, daß er die Prozeßführung des Unterzeichners der Berufungsschrift K stillschweigend genehmigt hat. Eine solche stillschweigende Genehmigung ist unter entsprechender Anwendung des § 89 Abs. 2 ZPO auch im Verfahren nach der OVAO zulässig und wirksam, wie dies der 11. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 19. Juli 1961 - 11 RV 604/58 - mit ausführlicher Begründung dargelegt hat. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Da der Beklagte weder im Laufe des Verfahrens vor dem OVA noch nach dem 1. Januar 1954 vor dem SG der Prozeßführung durch K widersprochen hat, durfte das SG aufgrund der vor ihm im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. September 1955 vorgenommenen Prozeßhandlungen durch den Kläger und dessen Prozeßbevollmächtigten ... eine stillschweigende Genehmigung der Prozeßführung, nämlich die stillschweigende Genehmigung der Berufungseinlegung durch K, annehmen (siehe dazu auch Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. S. 224, 230; Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur SGb § 73 Anm. 3 e; Baumbach/Lauterbach, Komm. zur ZPO, 26. Aufl. Anm. 3 zu § 89). Strengere Anforderungen an das Verfahren vor dem OVA zu stellen, als sie für das Verfahren in Zivilsachen durch die ZPO vorgesehen sind, erscheint nicht gerechtfertigt. Auch wenn man annimmt, daß § 14 OVAO sich nicht nur auf den Nachweis der Vollmacht, sondern auch auf ihre Form bezieht, so ist diesem Erfordernis durch die schriftliche Vollmacht für T und die spätere Prozeßführung des Klägers vollauf genügt. Damit war es ohne Bedeutung, daß eine Vollmacht in schriftlicher Form für K nicht vorgelegen hat.
Bei dieser Rechtslage bedurfte es keiner Erörterung darüber, ob - wie der Kläger meint - das LSG die Sache gemäß § 159 Abs. 1 SGG unter Aufhebung des Urteils erster Instanz an das SG hätte zurückverweisen müssen, da die Berufung des Klägers gegen die Bescheide vom 23. Oktober 1952 rechtswirksam eingelegt war. Das LSG hätte demnach in der Sache selbst entscheiden müssen. Somit ist die Revision begründet. Das angefochtene Urteil war gemäß § 170 Abs. 2 SGG aufzuheben. Mangels ausreichender Feststellungen konnte der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden, so daß sie an das LSG zurückverwiesen werden mußte.
Fundstellen