Leitsatz (redaktionell)
Besondere berufliche Leistungen und Erfolge eines selbständigen Landwirts, der vor 1950 verstorben ist, können die Gleichstellung mit einem landwirtschaftlichen Meister und demgemäß die Einstufung in Besoldungsgruppe A9 rechtfertigen.
Normenkette
BVG § 40a Abs. 2 Fassung: 1964-02-21, § 30 Abs 3 u 4 DV § 5 Abs. 1 Fassung: 1964-07-30
Tenor
Die Sprungrevision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 7. April 1966 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin bezieht Witwenversorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach ihrem im Jahre 1901 geborenen, im Laufe des letzten Weltkrieges gefallenen Ehemann, welcher seit 1928 selbständiger Landwirt gewesen war. Das Versorgungsamt lehnte ihren Antrag vom April 1964 auf Gewährung von Schadensausgleich durch Bescheid vom 30. Dezember 1964 ab, weil ihr Einkommen nicht um mindestens 50,- DM geringer sei als die Hälfte des Einkommens, das ihr Ehemann ohne die Schädigung erzielt hätte; dabei nahm es gemäß § 5 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 BVG vom 30. Juli 1964 eine abgeschlossene Berufsausbildung des Verstorbenen als Landwirt an und legte demgemäß das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 zugrunde. Der Widerspruch, mit dem eine Gleichstellung des Verstorbenen mit einem landwirtschaftlichen Meister begehrt wurde, blieb erfolglos, weil der Ehemann die Meisterprüfung nicht abgelegt habe.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Beweis erhoben über die Einkommensverhältnisse der Klägerin und den beruflichen Werdegang ihres Ehemannes sowie seine besonderen fachlichen Leistungen. Es hat sodann den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beigeladen, welcher die von der Klägerin erstrebte ergänzende Auslegung des § 5 der DVO nicht für zulässig gehalten hat. Das SG hat durch Urteil vom 7. April 1966 den Beklagten unter Aufhebung der Verwaltungsbescheide für verpflichtet erklärt, der Klägerin einen neuen Bescheid dahingehend zu erteilen, daß ihr für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1964 und vom 1. Oktober 1964 bis zum 30. April 1965 ein Schadensausgleich unter Zugrundelegung der Gruppe A 9 der Bundesbesoldungsordnung zu gewähren sei. Es hat die Berufung zugelassen. Zwar sei die Meisterprüfung, die erst nach 1950 vorgesehen worden sei, nicht abgelegt - also diese Voraussetzung des § 5 Abs. 1 DVO für die Zuordnung zur Besoldungsgruppe A 9 nicht erfüllt. Aber der Ehemann der Klägerin müsse im Hinblick auf seinen Berufserfolg und die Befugnis, landwirtschaftliche Lehrlinge auszubilden, einem landwirtschaftlichen Meister gleichgestellt werden. Die DVO gebe insoweit den in § 40 a Abs. 2 BVG niedergelegten Willen des Gesetzgebers nicht richtig wieder. Der Klägerin stehe Schadensausgleich für die im Urteilstenor bezeichneten Zeiträume, während deren ihre sonstigen Einkünfte die Einkommensgrenze des § 40 a BVG nicht erreichten, unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 9 als mutmaßliches Einkommen des verstorbenen Ehemannes zu.
Der Beklagte hat mit Einwilligung der Klägerin Sprungrevision eingelegt und beantragt,
das Urteil des SG Itzehoe vom 7. April 1966 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Er und der Beigeladene halten eine ausdehnende Auslegung des Begriffs "abgelegte Meisterprüfung" nicht für zulässig und sind der Auffassung, die Verordnung weise insoweit keine Lücke auf; infolgedessen beruhe das Urteil des SG auf einer Verletzung der Verordnung.
Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten gegen das Urteil des SG Itzehoe vom 7. April 1966 als unbegründet zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das SG Itzehoe zurückzuverweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beklagte hat die durch Zulassung der Berufung statthafte Sprungrevision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sein Rechtsmittel ist zulässig, kann aber keinen Erfolg haben.
Das SG und der Beklagte haben zutreffend im vorliegenden Falle die Berufung nach § 148 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) deshalb für ausgeschlossen erachtet, weil nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume streitig ist. Infolge des Einkommens, das die Klägerin neben den Versorgungsbezügen erhält, käme die Gewährung von Schadensausgleich - auch nach der vom SG vorgenommenen günstigeren Berechnung - nur für die im angefochtenen Urteil näher bezeichneten Zeiträume in Betracht. Infolge dieser besonderen Verhältnisse ist hier die Berufung an sich ausgeschlossen gewesen, und das SG hat das Rechtsmittel deshalb zu Recht gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen.
In der Sache selbst geht der Streit um die Anwendung des § 5 Abs. 1 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG, der hier nach § 11 DVO maßgebend ist. § 5 aaO bestimmt in seinem hier einschlägigen Teil als Durchschnittseinkommen bei selbständig Tätigen (mit Volksschulbildung) mit abgeschlossener Berufsausbildung das Endgehalt der Besoldungsgruppe A 7 und mit abgelegter Meisterprüfung das der Gruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes. Zwar ist die Wortfassung "abgelegte Meisterprüfung" eindeutig und läßt zunächst dem Anschein nach eine Auslegung und das Heranziehen wirtschaftlicher Gesichtspunkte nicht zu. Wie der Senat aber bereits in dem Urteil vom 19. Oktober 1967 (8 RV 851/66) - SozR DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG § 5 Nr. 2 entschieden hat, ist die Vorschrift des § 5 Abs. 1 DVO als auslegungsfähig und -bedürftig anzusehen. Dies ergibt sich vor allem im Hinblick auf § 40 a Abs. 2 Satz 2 BVG. Denn dort ist es auf die Berufs- oder Wirtschaftsgruppe abgestellt, welcher der Verstorbene angehört hat. Wenn sie durch Merkmale des Ausbildungsganges ausgedeutet werden soll, so kann dies zwar für die große Mehrzahl der Fälle genügen, kann aber nicht abschließend sein. Andererseits reicht die Ermächtigung in §§ 40 a Abs. 4 und 30 Abs. 7 BVG nicht aus, den gesetzlichen Begriff der Berufs- und Wirtschaftsgruppe vom Verordnungsgeber allein durch die Merkmale des Ausbildungsganges ersetzen zu lassen.
Daß § 5 Abs. 1 DVO die Vorschrift des § 40 a Abs. 2 Satz 2 BVG nicht völlig ausfüllt, sondern ausgelegt werden muß, ergibt sich aus Fällen der vorliegenden Art. Im Anschluß an die angeführte Entscheidung des Senates muß aus § 40 a Abs. 2 BVG über § 30 Abs. 4 Sätze 2 und 3 BVG auf die wirtschaftliche Tragweite des § 5 DVO geschlossen werden. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist die Ermittlung von Durchschnittseinkommen aus selbständiger Berufstätigkeit. Für die Erzielung und die Höhe eines Einkommens ist grundsätzlich die Befähigung und die Erlaubnis zur Führung des Betriebes sowie die Ausübung des Betriebes durch einen selbständig Tätigen entscheidend.
Nach den nicht angefochtenen, deshalb bindenden Feststellungen des SG ist der Ehemann der Klägerin seit 1928 selbständiger Landwirt gewesen, hat in den anschließenden Jahren bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges seinen landwirtschaftlichen Betrieb mustergültig geführt und besondere Erfolge auch auf dem Gebiete der Tierzucht erzielt. Wenn das SG im Hinblick auf diesen Berufserfolg den Ehemann der Klägerin zu der Berufs- und Wirtschaftsgruppe gezählt hat, deren Angehörige nach 1950 die Meisterprüfung bestanden haben müssen, so hat es die Vorschrift des § 5 DVO nicht verletzt. Es hat die Einkommenschance des Ehemannes zu Recht als nicht grundsätzlich verschieden gegenüber den jüngeren Inhabern von Landwirtschaftsbetrieben angesehen, welche nunmehr - wie die Söhne der Klägerin - die landwirtschaftliche Meisterprüfung abgelegt haben. Im Hinblick auf die gesetzliche Regelung der Berufsausbildung eines Landwirts nach dem Ende des letzten Krieges kann die Klägerin nicht schlechter gestellt werden, als die Witwe des Landwirts, der die Möglichkeit gehabt hat, die Meisterprüfung abzulegen. Infolgedessen enthält hier § 5 DVO keine abschließende Ausdeutung zu § 40 a Abs. 2 Satz 2 BVG. Das SG hatte die Möglichkeit, die Lücke zwischen dem Rahmen des § 40 a Abs. 2 Satz 2 BVG und der durchführenden Anordnung des § 5 Abs. 1 DVO hinsichtlich des Merkmals "abgelegte Meisterprüfung" sinngemäß zu füllen. Dabei hat es erkennbar die Berufs- oder Wirtschaftsgruppe der erfolgreichen Landwirte den landwirtschaftlichen Meistern gleichgestellt. Diese ist nicht sachfremd und gibt zu Bedenken keinen Anlaß.
Da sonach die angefochtene Entscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht, mußte die Revision des Beklagten gegen das Urteil des SG Itzehoe zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen