Leitsatz (amtlich)
RVO § 1250 Abs 2 ist für Ausfallzeiten, die an entrichtete Wochenbeiträge anschließen, nicht entsprechend anwendbar.
Normenkette
RVO § 1250 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 27 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23; AVG § 36 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. März 1969 in vollem Umfang und das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 5. Dezember 1967 insoweit aufgehoben, als sie der Klage stattgegeben haben.
Die Klage auf Anrechnung weiterer Ausfallzeiten wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten jetzt nur noch darüber, wie die in den Jahren 1915 und 1924 vom Kläger zurückgelegten Krankheitszeiten bei der Berechnung seiner Rente zu berücksichtigen sind.
Der am 4. Februar 1899 geborene Kläger bezieht seit dem 1. Februar 1964 von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Er war am 4. Februar 1915 in die Arbeiterrentenversicherung (ArV) eingetreten und hatte zu ihr den letzten Beitrag am 9. Juli 1933 entrichtet. Seit November 1933 sind für ihn Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) abgeführt worden. Seine versicherungspflichtige Beschäftigung war ua vom 18. Februar bis 14. Mai 1915 und vom 19. Mai bis 12. Juli 1924 durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden. Unmittelbar vor und nach diesen Krankheitszeiten waren für ihn Pflichtbeiträge zur ArV abgeführt worden.
Aufgrund der Neufassung des § 36 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 berechnete die Beklagte durch Bescheid vom 13. September 1966 die Rente vom 1. Juli 1965 an neu, und zwar für das Jahr 1966 auf nunmehr 483,90 DM monatlich statt bisher 442,50 DM monatlich. Dabei hatte sie ua 58 Monate Ausfallzeit als vor dem 1. Januar 1957 nachgewiesen berücksichtigt. Dazu war sie gekommen, indem sie ua die Krankheitszeit vom 18. Februar bis 14. Mai 1915 mit vier Monaten und die Krankheitszeit vom 19. Mai bis 12. Juli 1924 mit zwei Monaten angerechnet hatte.
Die Beklagte berechnete die Rente durch Bescheid vom 29. Mai 1967 nochmals neu. Dabei rechnete sie nunmehr von den erwähnten Krankheitszeiten die erste nur noch mit zwei Monaten (März und April 1915) und die letzte nur noch mit einem Monat (Juni 1924) Ausfallzeit an, weil für die Monate Februar und Mai 1915 sowie für die Monate Mai und Juli 1924 teilweise, nämlich jeweils bis zur Krankheit und unmittelbar danach Pflichtbeiträge zur ArV entrichtet worden waren und insoweit die stärkere Beitragszeit die Ausfallzeit verdränge. Die Neuberechnung ergab einen geringeren monatlichen Auszahlungsbetrag, als er bis dahin gezahlt wurde. Die Beklagte teilte dem Kläger jedoch mit, daß der derzeitige monatliche Zahlbetrag nicht berichtigt werden könne und weitergezahlt werde.
Das Sozialgericht (SG) Kiel hat unter Abweisung der Klage im übrigen die Beklagte in Abänderung ihrer Bescheide vom 13. September 1966 und 29. Mai 1967 verpflichtet, bei der Errechnung der Versicherungsjahre die Krankheitszeiten vom 18. Februar bis 14. Mai 1915 und vom 19. Mai bis 12. Juli 1924 in vollem Umfang nach Maßgabe der Entscheidungsgründe als Ausfallzeiten anzurechnen. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt, die vom Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen worden ist. Es hat in seinem Urteil vom 12. März 1969 die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,
das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Abänderung des Urteils des SG Kiel vom 5. Dezember 1967 die Klage auf Zahlung eines höheren Altersruhegeldes in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht vertreten lassen.
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Nach § 1250 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) (= § 27 Abs. 1 AVG) sind für die Erfüllung der gesetzlichen Wartezeit anrechnungsfähige Versicherungszeiten einmal die Beitragszeiten und sodann die Ersatzzeiten, wobei bei einem Wanderversicherten wie dem Kläger die in der ArV und in der AnV zurückgelegten Versicherungszeiten (Beitrags- und Ersatzzeiten) zusammenzurechnen sind (§ 1309 RVO, § 88 AVG). Dazu bestimmt § 1250 Abs. 2 RVO für den Fall der Entrichtung von Wochenbeiträgen zur ArV, daß für je dreizehn Wochenbeiträge drei Kalendermonate als Versicherungszeit angerechnet werden; von einem verbleibenden Rest gelten je vier Wochenbeiträge als eine Versicherungszeit von einem Kalendermonat (Satz 1). Verbleibt danach ein Rest von weniger als vier Wochenbeiträgen, so gilt dieser als ein voller Kalendermonat (Satz 2). Sätze 1 und 2 gelten für Ersatzzeiten, die an entrichtete Wochenbeiträge anschließen, entsprechend (Satz 3).
Das SG ist hinsichtlich der Frage der Anrechnung der erwähnten Krankheitszeiten der Auffassung, für diese Ausfallzeiten müsse das gleiche gelten wie für Ersatzzeiten der in § 1250 Abs. 2 Satz 3 RVO erwähnten Art, weil sie von Pflichtwochenbeiträgen umrahmt seien. Hier sei der genannte Abs. 2 Satz 3 i.V.m. den Sätzen 1 und 2 entsprechend anzuwenden mit der Folge, daß die Ausfallzeiten wochenweise zu berücksichtigen und nach Zusammenrechnung mit den mit Wochenbeiträgen belegten Beschäftigungszeiten in Kalendermonate umzurechnen seien. Das LSG hat sich dieser Auffassung im wesentlichen angeschlossen, jedoch unter Berufung auf das nicht veröffentlichte Urteil des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. September 1965 - 12 RJ 382/61 - entschieden, daß die Ausfallzeiten zwar nicht zusammen mit den vorausgegangenen und nachfolgenden Beitragszeiten, sondern getrennt von diesen, im übrigen aber gleichartig mit diesen, nämlich nach Wochen, zu berücksichtigen und dann gesondert in Monate umzurechnen seien. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit Recht.
Die genannte Vorschrift des § 1250 Abs. 2 RVO bezieht sich nach ihrem Wortlaut nur auf Versicherungszeiten im Sinne des § 1250 Abs. 1 RVO, also auf Beitragszeiten und auf Ersatzzeiten. Dazu hat das BSG bereits entschieden, daß Ersatzzeitwochen, die an entrichtete Wochenbeiträge anschließen, zu den Wochenbeiträgen hinzuzuzählen sind und erst die Summe beider dann nach den angeführten Vorschriften in Kalendermonate umzurechnen ist (SozR § 1250 RVO Nr. 12). Diese Regelung ist bewußt unter Beschränkung auf die Beitragszeiten und die Ersatzzeiten so getroffen worden. Von der Zurücklegung der erforderlichen Versicherungszeiten des § 1250 RVO (= § 27 AVG) hängt nämlich die Erfüllung der erforderlichen Wartezeit ab, welche die Grundvoraussetzung für den jeweils erhobenen Rentenanspruch bildet. Hier ist es deshalb auch berechtigt, die für den Versicherten günstige besondere Berechnungsart des § 1250 Abs. 2 RVO vorzuschreiben. Die Beitrags- und Ersatzzeiten bilden damit eine Einheit, die in erster Linie für die Erfüllung der gesetzlichen Wartezeit von Bedeutung sind. Ihnen stehen die Ausfall- und Zurechnungszeiten gegenüber. Diese wirken sich beim Kläger, für den die durch das RVÄndG eingefügten §§ 1255 a RVO und 32 a AVG noch nicht in Betracht kommen, nach § 1258 RVO (= § 35 AVG) lediglich auf die Höhe der Rente aus, nämlich bei der Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre im Sinne der §§ 1253 und 1254 RVO (= §§ 30 und 31 AVG).
Die am 1. Januar 1957 in Kraft getretenen Rentenversicherungsgesetze sehen nunmehr auch in der ArV - vor allem aus Gründen der Vereinfachung der Rentenberechnung - für Beitrags- und Ersatzzeiten als kleinste Zeiteinheit nicht mehr die Kalenderwoche, sondern nur noch den Kalendermonat vor. Dies gilt auch für die durch die Neuregelungsgesetze neu eingeführten Ausfallzeiten.
§ 1259 Abs. 4 RVO (= § 36 Abs. 4 AVG) schreibt besonders vor, daß Kalendermonate, die nur teilweise mit Ausfallzeiten belegt sind, voll angerechnet werden. Diese Bestimmung trifft damit für Ausfallzeiten eine Regelung, wie sie in den §§ 1250 Abs. 3 und 1401 Abs. 3 RVO (= § 27 Abs. 2 und § 123 Abs. 3 AVG) auch für Beitragszeiten gilt, nach denen ebenfalls Kalendermonate, die nur teilweise mit Beitragszeiten belegt sind, als volle Beitragsmonate gewertet werden. Ebenso ist für die Rentenberechnung im Rahmen der Rentenformel kleinste Zeiteinheit der Kalendermonat. Seit dem 1. Januar 1957 kann stets nur ein Kalendermonat als Beitrags- oder Ausfallzeit berücksichtigt werden, wobei ein Kalendermonat als Ausfallzeit nur dann in Betracht kommt, wenn er nicht schon als Beitragszeit berücksichtigt ist, wie sich aus § 1258 Abs. 1 RVO = § 35 Abs. 1 AVG ergibt.
Die mit Wirkung vom 1. Januar 1957 eingeführte Geltung des Kalendermonats als kleinste Zeiteinheit allein würde dem nicht entgegenstehen, für Zeiten vor dem 1. Januar 1957, in denen in der ArV kleinste Zeiteinheit nicht der Kalendermonat, sondern die Kalenderwoche gewesen ist, wie dies in den Jahren 1914 und 1924 der Fall war, Ausfallzeitwochen, die sich Beitragswochen (Wochenbeiträgen) anschließen, zu berücksichtigen und sie ebenso wie Beitrags- und Ersatzzeitwochen entsprechend der Vorschrift des § 1250 Abs. 2 RVO in Kalendermonate für die Berechnung der Rente nach neuem Recht umzurechnen. Jedoch setzt dies voraus, daß das Gesetz solche vor dem 1. Januar 1957 liegenden Ausfallzeitwochen durch Umrechnung in Kalendermonate auch berücksichtigt wissen wollte. Das kann indessen auf Grund der gesetzlichen Regelung über die Anerkennung und Anrechnung von Ausfallzeiten nicht angenommen werden. Vielmehr können die vom 1. Januar 1957 an erstmals in das Gesetz eingefügten Ausfallzeiten stets nur nach vollen Kalendermonaten berücksichtigt werden. Eine Anrechnung von Kalenderwochen als Ausfallzeiten kennt das Gesetz ebensowenig wie deren Umrechnung in Kalendermonate.
Mit den Ausfallzeiten bezweckt das Gesetz bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre nicht allein die Beitrags- und Ersatzzeiten, sondern auch Zeiten angemessen zu berücksichtigen, in denen die üblichen Pflichtbeiträge auf Grund besonderer Umstände ausgefallen sind. Dabei soll aber nur denjenigen Versicherten, die unverschuldet eine wesentliche Verkürzung ihrer Versicherungsdauer durch länger währende Krankheit oder Arbeitslosigkeit oder Ausbildungszeit erlitten haben, eine ausreichende Rente gesichert werden. Das Gesetz erkennt aus diesen Gründen solche Zeiten als Ausfallzeiten auch für die gegenwärtige Zeit nur dann an, wenn sie mindestens einen Kalendermonat angedauert haben (§ 1259 Abs. 1 Nr. 1, 2a, 3 RVO = § 36 Abs. 1 Nr. 1, 2a, 3 AVG). Z.B. sind Krankheitszeiten, die sich über mehrere Kalenderwochen erstrecken, aber nicht mindestens einen Kalendermonat angedauert haben, keine Ausfallzeit. Allerdings werden Kalendermonate, die nur teilweise, z.B. nur während einer Kalenderwoche mit Ausfallzeiten belegt sind, als Ausfallzeit angerechnet; wenn z.B. eine Krankheitszeit fünf Wochen und gleichzeitig einen Kalendermonat angedauert hat, so kommen als Ausfallzeit beide volle Kalendermonate in Betracht, in die die Ausfallzeit fällt. Andererseits wird ein Kalendermonat, der nur zum Teil mit einer Ausfallzeit belegt ist, als Ausfallzeit nicht angerechnet, wenn für den Kalendermonat ein Monatsbeitrag entrichtet ist; denn in diesem Fall wird er als Beitragszeit und nicht als Ausfallzeit angerechnet.
Läßt demnach das Gesetz schon für das geltende Recht erkennen, daß nicht alle Zeiten, die als Ausfallzeiten in Betracht kämen, zu berücksichtigen sind, sondern nur solche, die mindestens einen Kalendermonat andauern, so hat dies in gleicher Weise für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 zu gelten, in dem die niedrigste Zeiteinheit die Kalenderwoche war. Auch für diese Zeiten können als Ausfallzeiten nur Kalendermonate angerechnet werden, so daß zwar Kalendermonate, die nur teilweise mit Ausfallzeiten belegt sind, gemäß § 1259 Abs. 4 RVO (= § 36 Abs. 4 AVG) voll anzurechnen sind. Kalendermonate aber, in die ein Wochenbeitrag fällt, scheiden als Ausfallzeit aus. Wenn zwar als Beitragszeit nur die mit dem Wochenbeitrag belegte Kalenderwoche, nicht aber der volle Kalendermonat anzurechnen ist, so kann der nur teilweise mit der Ausfallzeit belegte Kalendermonat doch deshalb nicht als Ausfallzeit berücksichtigt werden, weil sonst bei Errechnung der Anzahl der Versicherungsjahre sowohl der volle Kalendermonat als Ausfallzeit als auch die in denselben Monat fallende Kalenderwoche als Beitragszeit (Wochenbeitrag) angerechnet würde. Eine Kalenderzeit, die als Beitragszeit anzurechnen ist, scheidet aber als Ausfallzeit aus. Daraus ergibt sich, daß die nicht mit Beiträgen belegten restlichen Kalenderwochen eines solchen Kalendermonats nicht als Ausfallzeiten berücksichtigt werden können und deshalb als anrechnungsfähige Zeiten überhaupt ausfallen. Dieses Ergebnis hält sich auch in dem Rahmen des Gesetzeszwecks, nach dem nur in einem begrenzten Umfang Zeiten als Ausfallzeiten gelten sollen.
Hiernach hat die Beklagte mit Recht nur die vollen Kalendermonate März und April 1915 und Juni 1924 als Ausfallzeit angerechnet. Die Kalendermonate Februar und Mai 1915 sowie Mai und Juli 1924 können als Ausfallzeiten nicht berücksichtigt werden, weil für Kalenderwochen, die in diese Monate fallen, Wochenbeiträge entrichtet und diese Kalenderwochen als Beitragszeiten zu berücksichtigen sind.
Mithin hat die Beklagte in ihrem Rentenbescheid vom 29. Mai 1967 die Ausfallzeit richtig berechnet. Dieser Bescheid war im Verfahren nach § 79 AVG (§ 1300 RVO) ergangen. Die Beklagte durfte hierbei Berechnungsfehler, die sich zugunsten des Klägers ausgewirkt hatten, mit solchen ausgleichen, die ihn benachteiligt hatten (BSG 14, 154; DAngVers 1966, 338). Damit erweist sich die Klage als unbegründet. Die Revision der Beklagten muß den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg haben.
Einer Anrufung des Großen Senats bedurfte es nicht. Der 12. Senat hat auf Anfrage erklärt, daß er an der in dem genannten Urteil vom 30. September 1965 - 12 RJ 382/61 - vertretenen Rechtsauffassung nicht festhält, soweit sie der hier getroffenen Entscheidung entgegensteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen