Leitsatz (amtlich)
1. Hat das LSG das Ablehnungsgesuch eines Beteiligten, durch das ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde, für unbegründet erklärt, so kann diese Entscheidung im Revisionsverfahren nicht nachgeprüft werden.
2. Ein Richter hat nicht bei einem "vorausgegangenen Verwaltungsverfahren" (SGG § 60 Abs 2) mitgewirkt und ist daher nicht kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, wenn er bei Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis eines dienstordnungsmäßig Angestellten (RVO § 358) an dem besonderen, auf Antrag des Versicherungsamtes eingeleiteten Verwaltungsverfahren auf Herbeiführung einer Normenkontrolle durch das Verfassungsgericht eines Landes (Bremische Verfassung Art 142) beteiligt gewesen ist.
Leitsatz (redaktionell)
Unter dem "vorausgegangenen Verwaltungsverfahren" des SGG § 60 Abs 2 ist nur das Verwaltungsverfahren zu verstehen, dessen abschließendes Ergebnis - regelmäßig in der Form eines Verwaltungsakts - zur Anrufung der Sozialgerichte und vor dem Inkrafttreten des SGG zur Anrufung der Versicherungsbehörden geführt hat.
Normenkette
SGG § 60 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 42 Fassung: 1950-09-12; RVO § 358 Fassung: 1924-12-15; Verf BR Art. 142
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 10. November 1954 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe eines im Kriege gefallenen Angestellten der beklagten Krankenkasse, der der Dienstordnung dieser Krankenkasse unterstand. Für die Zeit vom 21. Juni 1948 bis zum 30. Juni 1952 versagte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenbezügen an die Klägerin mit der Begründung, der Ehemann der Klägerin habe nicht eine ruhegehaltsfähige Mindestdienstzeit von zehn Jahren erreicht, die nach der Bremischen Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des Beamten-, Besoldungs- und Versorgungsrechts vom 21. März 1949 (BremGBl. S. 49) - BremSparVO - Voraussetzung für Hinterbliebenenansprüche sei. Nachdem durch das Gesetz zur Änderung der VO über Maßnahmen auf dem Gebiete über Beamten-, Besoldungs- und Versorgungsrecht vom 13. Juni 1952 - Änderungsgesetz - (BremGBl. S. 53) die zehnjährige ruhegehaltsfähige Dienstzeit als Voraussetzung der Hinterbliebenenbezüge für Fälle der vorliegenden Art aufgehoben worden war, nahm die Beklagte die Pensionszahlung an die Klägerin ab 1. Juli 1952 wieder auf.
Die Klägerin verlangt die Nachzahlung der Hinterbliebenenbezüge für die Zeit vom 21. Juni 1948 bis zum 30. Juni 1952 mit der Behauptung, die Vorschrift des § 11 Abs. 2 der BremSparVO sei ungültig, weil sie gegen die Bremische Landesverfassung und gegen das Grundgesetz (GG) verstoße. Nach Ablehnung ihres Antrags durch die Beklagte wandte sich die Klägerin gemäß § 358 Reichsversicherungsordnung (RVO) an das Versicherungsamt (VA.) der Freien Hansestadt Bremen. In diesem Verfahren erging am 13. Oktober 1953 ein Beschluß des VA., wodurch der Senat auf Grund des Art. 142 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 ersucht wurde, eine Entscheidung des Bremischen Staatsgerichtshofes darüber herbeizuführen, ob die BremSparVO und das dazu ergangene Änderungsgesetz mit den Vorschriften des Art. 129 Abs. 1 Satz 3 der Weimarer Verfassung, der Art. 14 und 33 Abs. 5 des GG sowie des Art. 13 Abs. 1 der Bremischen Landesverfassung vereinbar seien. Der Senator für Inneres, dem auf Grund seiner Dienstaufsicht über das VA. der Vorlagebeschluß zum Vortrag im Senat vorgelegt wurde, lehnte durch Verfügung vom 8. Dezember 1953 ab, dem Beschluß zu entsprechen; er verneinte die Voraussetzungen zur Anrufung des Staatsgerichtshofes durch das VA. u.a. deshalb, weil die Versicherungsbehörden im Rahmen des § 358 RVO nicht als Gerichte tätig seien.
Nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gab das VA. das Verfahren an das Sozialgericht (SG.) Bremen ab. Die Klägerin beantragte,
den Ablehnungsbescheid der Beklagten abzuändern, soweit er Einschränkungen nach der BremSparVO und dem Änderungsgesetz enthalte.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Beide Parteien beantragten hilfsweise, den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen.
Das SG. Bremen erklärte sich für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Bremen (Urteil vom 9.6.1954).
Gegen dieses Urteil legten die Klägerin und die Beklagte Berufung an das Landessozialgericht (LSG.) Bremen ein. Während des Berufungsverfahrens lehnte die Klägerin den Vorsitzenden des erkennenden Senats des LSG. als befangen ab, weil er im Jahre 1953 als Justitiar des Senators für Arbeit bei der Bearbeitung des Vorlageersuchens des VA. mitgewirkt habe. Der abgelehnte Richter erklärte sich in seiner dienstlichen Äußerung für nicht befangen.
Das LSG. wies den Antrag der Klägerin durch Beschluß vom 23. Oktober 1954 als unbegründet zurück: Ein vernünftiger Grund, der die Partei von ihrem Standpunkte aus befürchten lassen könne, der von ihr abgelehnte Richter werde nicht unparteiisch entscheiden, sei nicht ersichtlich. Die Bearbeitung der Frage, ob der Beschluß des VA. vom 13. Oktober 1953 dem Staatsgerichtshof vorzulegen sei, habe ausschließlich dem Senator für Inneres obgelegen, so daß eine Mitwirkung des abgelehnten Richters, der damals Justitiar des Senators für Arbeit war, schon deshalb ausgeschlossen sei. Selbst wenn dieser aber die Vorlagefrage hätte dienstlich prüfen müssen, so wäre er insoweit im Rahmen eines gesonderten Verwaltungsverfahrens tätig gewesen, dessen Gegenstand die Vorlageberechtigung des VA. gewesen sei. Der abgelehnte Richter habe sich nur auf eine allgemeine Anfrage eines beim Senator für Inneres tätigen Oberinspektors H. hin darüber geäußert, wie die Tätigkeit der Versicherungsbehörden im Rahmen des § 358 RVO rechtlich zu beurteilen sei und welcher Grund für die Aufhebung dieser Vorschrift durch das SGG maßgebend gewesen sei; die Streitsache W..../. Allgemeine Ortskrankenkasse B... sei bei dieser Auskunft völlig bedeutungslos gewesen.
Das LSG. (Urteil vom 10.11.1954) änderte auf die Berufung der Beklagten die Fassung des angefochtenen Urteils dahin ab, daß der zum SG. Bremen beschrittene Rechtsweg für unzulässig erklärt wurde. Im übrigen wurden die Berufungen der Klägerin und der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Die Revision wurde zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt mit dem Antrag,
"unter seiner Abänderung und des in ihm bestätigten Urteils des SG. Bremen vom 9. Juni 1954 die Vorlage des VA. der Freien Hansestadt Bremen an ihren Staatsgerichtshof über den Senat der Freien Hansestadt Bremen erneut zu vollziehen, hilfsweise an das Bundesverfassungsgericht vorzulegen, notfalls unter ihrer Aufhebung an das Verwaltungsgericht Bremen zu verweisen, äußerstenfalls an das SG., gegebenenfalls an das LSG. zurückzuverweisen."
Sie hat in erster Linie Verstoß gegen §§ 51 SGG, 358 RVO gerügt. Die Versicherungsämter seien im Rahmen des § 358 RVO als Gerichte tätig gewesen. Schon aus dem Rechtsschutz, wie ihn § 358 RVO gewähre, folge die öffentlich-rechtliche Natur des DO-Dienstverhältnisses. Weiterhin erblickt die Klägerin darin eine Verletzung des Art. 100 GG und des Art. 142 Brem. Verfassung, daß das Vorlageersuchen des VA., das sie als zu ihren Gunsten ergangene Vorentscheidung - oder Teilentscheidung - ansieht, unerledigt geblieben sei. Die Grundsätze des Rechtsstaates erforderten es, daß sie selbst einen Verfahrensanspruch auf die Weiterverfolgung der Vorlage geltend machen könne. Schließlich rügt die Klägerin Verstoß gegen die §§ 60, 202, 33 SGG, § 551 Zivilprozeßordnung (ZPO). Der erkennende Senat des LSG. sei nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen, weil ein Richter, den die Klägerin mit Recht wegen Befangenheit abgelehnt habe, als Vorsitzender dieses Senats an der Entscheidung mitgewirkt habe.
Die Beklagte hat keine Anträge gestellt. Sie vertritt jedoch die Auffassung, daß für die Klage der Sozialrechtsweg - und nicht der Arbeitsrechtsweg - gegeben sei.
Aus den beigezogenen Akten des Senators für Inneres ergibt sich über die Bearbeitung des Vorlageersuchens des VA. folgendes:
Der Senator für Justiz und Verfassung ist von dem Senator für Inneres um Stellungnahme zu dem Vorlageersuchen des VA. und zu der beabsichtigten Zurückweisung dieses Ersuchens gebeten worden. Er hat mit Schreiben vom 2. Dezember 1953 erklärt, daß keine Bedenken gegen die vorgesehene Erledigung zu erheben seien. Ferner findet sich in den Akten folgender handschriftlicher Vermerk:
"Der Entwurf ist auch mit Herrn Dr. R. vom Senator für Arbeit besprochen worden. Er hat keine Bedenken gegen den Schriftsatz. 20.12.53 gez. H."
II
Die Revision ist nicht begründet.
Mit der Rüge, § 60 SGG, § 551 ZPO seien durch die Mitwirkung eines zu Recht abgelehnten Richters bei der angefochtenen Entscheidung verletzt worden, greift die Klägerin in erster Linie die Zurückweisung ihres Ablehnungsgesuchs durch das LSG. an.
Die Entscheidung des LSG. über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs kann jedoch vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden. Zwar unterliegen nach § 548 ZPO, der auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 202 SGG anzuwenden ist (BSG. 6, 256 und 7, 240), der Beurteilung des Revisionsgerichts auch diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, sofern sie nicht nach den Vorschriften der ZPO unanfechtbar sind. Versteht man den hier verwendeten Begriff der "Unanfechtbarkeit" rein förmlich in dem Sinne, daß die dem Endurteil vorausgegangene Entscheidung nicht selbständig anfechtbar ist (so noch RG. in Höchstrichterl. Rechtsprechung 1933 Nr. 1697 für den ähnlichen Sachverhalt einer Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch ein OLG.), so könnte schon aus diesem Grunde die Revision nicht auf die - nach Ansicht der Revision rechtswidrige - Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gestützt werden; denn der Beschluß des LSG., mit dem das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wurde, ist nicht selbständig anfechtbar (§ 177 SGG). Jedoch wird man mit einer solchen formalen Betrachtung nicht dem Sinn des § 548 ZPO gerecht. Wie der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG. 7, 240 [241 ff.]; vgl. auch BSG. 6, 256 [262 f.] und RGZ. 167, 203) überzeugend dargelegt hat - insbesondere mit dem zutreffenden Hinweis auf § 512 ZPO -, ist eine Vorentscheidung nicht schon dann im Sinne des § 548 ZPO "unanfechtbar", wenn sie nicht selbständig anfechtbar ist. Vielmehr unterstellt § 548 ZPO der Beurteilung des Revisionsgerichts - wie § 512 ZPO der des Berufungsgerichts - die "an sich anfechtbaren" (BSG. 7,242) Vorentscheidungen. Aus der Regelung, die in der - auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbaren (BSG. 3, 180 [185]; 4, 281; 5, 176 [177]) - Vorschrift des § 551 Nr. 3 ZPO für den Fall getroffen ist, daß bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war, ergibt sich jedoch, daß die ein Ablehnungsgesuch zurückweisende Entscheidung des Berufungsgerichts schlechthin unanfechtbar sein soll. Für den Zivilprozeß ist anerkannt, daß im Falle der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs als unbegründet nicht nur die Vermutung der Ursächlichkeit der Gesetzesverletzung für das Urteil ausgeräumt, sondern die Geltendmachung der Gesetzesverletzung als Revisionsgrund überhaupt ausgeschlossen ist (vgl. Stein-Jonas-Schönke-Pohle, ZPO 18. Aufl. Anm. II 3 zu § 551 und Anm. II zu § 46; Wieczorek, ZPO Anm. B III b 5 zu § 551 und Anm. B II b zu § 46; Baumbach-Lauterbach, ZPO 23. Aufl. Anm. 2 zu § 46). Auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren (vgl. § 49 Abs. 3 AGG) ist unter Berufung auf § 551 Nr. 3 ZPO anerkannt, daß die Revision nicht darauf gestützt werden kann, das gegen einen Richter gerichtete Ablehnungsgesuch sei zu Unrecht zurückgewiesen worden (RAG. in Bensh. Samml. Bd. 9 S. 194 und Bd. 10 S. 198 [mit zustimmender Anm. v. Gerstel ]; Dersch-Volkmar, AGG 6. Aufl. Anm. 45 zu § 49; Dietz-Nikisch, AGG Anm. 9 zu § 49). Aufschlußreich ist die Gegenüberstellung der einschlägigen Regelungen im Zivilprozeß (§ 551 Nr. 3 ZPO) und im Strafprozeß (§ 338 Nr. 3 StPO): Im Strafverfahren gibt auch die zu Unrecht erfolgte Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs einen unbedingten Revisionsgrund ab. Darin kommt die erhöhte Bedeutung zum Ausdruck, die dieses Verfahren den zum Schutz des Angeklagten getroffenen Verfahrenssicherungen beimißt. Eine Übertragung des Grundgedankens dieser strafprozessualen Regelung auf das sozialgerichtliche Verfahren verbietet sich indessen, weil dieses Verfahren in Einzelverweisungen und als Grundsatz (§ 202 SGG) nur die Anlehnung an den Zivilprozeß kennt. Da somit nicht erkennbar ist, daß die grundsätzlichen Unterschiede des zivilprozessualen (einschließlich des arbeitsgerichtlichen) und des sozialgerichtlichen Verfahrens der Anwendbarkeit des § 551 Nr. 3 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren entgegenstehen (vgl. § 202 SGG), ist auch in diesem Verfahren die Zurückweisung eines gegen einen Richter gerichteten Ablehnungsgesuchs für das weitere Verfahren bindend.
Die Revision kann daher nicht auf die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gestützt werden. (Im Ergebnis ebenso Beschluß des 2. Senats des BSG. vom 31.5.1958 in SozR. ZPO § 42 Bl. Da 1 = Die Sozialgerichtsbarkeit 1958, S. 387).
Die Rüge der Klägerin läßt nicht klar erkennen, ob sie sich auch darauf erstrecken soll, daß bei der Entscheidung des LSG. ein Richter mitgewirkt habe, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen gewesen sei (§ 551 Nr. 2 ZPO). Doch kommt es hierauf nicht an. Auch ohne Rüge hat das Revisionsgericht - bei einer zulässigen Revision - diesen Mangel von Amts wegen zu beachten (vgl. Wieczorek a.a.O. Anm. B II b 2 zu § 551). Der Nachprüfung steht auch nicht entgegen, daß das LSG. bereits über ein den Richter betreffendes Ablehnungsgesuch entschieden hat; denn Ablehnungsgesuch und Entscheidung darüber betreffen nur den Ablehnungsgrund der "Besorgnis der Befangenheit". Das "Hindernis" (§ 551 Nr. 2 ZPO), daß ein Richter von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, ist bisher nicht geltend gemacht worden, so daß die in § 551 Nr. 2, 2. Halbsatz ZPO bestimmte Ausnahme hier nicht Platz greift. Keiner der überhaupt in Betracht kommenden Ausschlußgründe (§ 60 Abs. 2 SGG und § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 41 Nr. 6 ZPO) ist jedoch im vorliegenden Streitfall gegeben.
Der Vorsitzende des Berufungssenats hat zwar in seiner früheren Eigenschaft als Justitiar des Senators für Arbeit an dem Verfahren mitgewirkt, das bei dem Senator für Inneres auf die Vorlage des VA. wegen Anrufung des Staatsgerichtshofs stattgefunden hat. Er ist, wenn auch in einer weniger förmlichen Weise als der Senator für Justiz und Verfassung, aber doch unverkennbar "dienstlich" zu der Vorlage gehört worden; die Tatsache der Fühlungnahme - und ihr Ergebnis - ist für wert befunden worden, in einem Aktenvermerk festgehalten zu werden. Dieses durch die Vorlage des VA. ausgelöste Verwaltungsverfahren ist aber nicht das "vorausgegangene Verwaltungsverfahren", das § 60 Abs. 2 SGG meint. Durch § 60 Abs. 2 SGG sollen die aus den Verwaltungsdienststellen der Sozialversicherung, der Versorgung und der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in die Sozialgerichtsbarkeit berufenen Richter von der Ausübung des Richteramts im Einzelfall ausgeschlossen werden (vgl. BSG. in SozR. ZPO § 41 Bl. Da 2 Nr. 3 unter Berufung auf Bundestagsdrucks. Nr. 4357/49 zu § 9 Abs. 2 des Entwurfs einer Sozialgerichtsordnung). Unter dem "vorausgegangenen Verwaltungsverfahren" des § 60 Abs. 2 SGG ist somit nur das Verwaltungsverfahren zu verstehen, dessen abschließendes Ergebnis - regelmäßig in der Form eines Verwaltungsakts - zur Anrufung der Sozialgerichte und vor Inkrafttreten des SGG zur Anrufung der Versicherungsbehörden geführt hat. Im vorliegenden Streitfall hat das "vorausgegangene Verwaltungsverfahren" bei der beklagten Krankenkasse stattgefunden; es endete mit der Ablehnung des von der Klägerin geltend gemachten Nachzahlungsanspruchs. An diesem Verfahren ist der Vorsitzende des Berufungssenats weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt gewesen.
Er hat auch nicht "in einem früheren Rechtszug ... bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung" (§ 41 Nr. 6 ZPO in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG) mitgewirkt. Hierbei wird man zwar davon ausgehen können, daß die Mitwirkung an Entscheidungen der Versicherungsbehörden in Sachen, die auf das sozialgerichtliche Verfahren übergegangen sind (§§ 214, 215 SGG), unter § 41 Nr. 6 ZPO fällt; denn das SGG behandelt sie als erstinstanzielle Entscheidungen (vgl. Peters-Sautter-Wolff, SGG. Anm. 2c zu § 60). Doch ist es im vorliegenden Streitfall zu einer Entscheidung des VA., die hätte angefochten werden können, überhaupt nicht gekommen, da das VA. das bei ihm anhängige Verfahren unerledigt an das nach seiner Ansicht zuständige SG. Bremen abgegeben hatte. Erst das SG. hat die "angefochtene Entscheidung des früheren Rechtszugs" getroffen, die Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. § 41 Nr. 6 ZPO betrifft aber nur eine Mitwirkung unmittelbar beim Erlaß der angefochtenen Entscheidung, nicht aber eine Mitwirkung an gerichtlichen Verfahrenshandlungen, die dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung vorangegangen sind (vgl. Beschl. des BSG. vom 20.8.1958 in SozR. ZPO § 41 Bl. Da 2 Nr. 3). Im übrigen würde die Beteiligung des Vorsitzenden des Berufungssenats an dem Prüfungsverfahren des Senators für Inneres ohnehin keine Mitwirkung an einer Entscheidung des Gerichts, insbesondere auch nicht an dem Vorlagebeschluß des VA. vom 13. Oktober 1953, bedeuten.
Auch die weiteren Rügen der Klägerin, die darauf zielen, daß die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sich die Bedenken des VA. wegen der Verfassungsmäßigkeit der BremSparVO hätten zu eigen machen und dementsprechend das Vorlageersuchen des VA. hätten weiter verfolgen müssen, sind nicht begründet. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der BremSparVO gehört zur Prüfung in der Sache selbst. In die sachlich-rechtliche Prüfung darf das Gericht der Sozialgerichtsbarkeit aber nur eintreten, wenn der Sozialrechtsweg gegeben ist (§ 51 Abs. 1 SGG). Für Ansprüche aus dem Dienstverhältnis von DO.-Angestellten - gleichgültig, ob sie unmittelbar durch das Dienstverhältnis oder erst durch das Gesetz zu Art. 131 GG begründet sind - ist aber ausschließlich der Rechtsweg zu den Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit gegeben (BSG. Bd. 2 S. 53). Wie der erkennende Senat a.a.O. (vgl. insbesondere S. 62 f.) näher begründet hat, sind die am 1. Oktober 1953 bei den Versicherungsbehörden in Angelegenheiten des § 358 RVO anhängigen Sachen gemäß § 118 Abs. 3 Arbeitsgerichtsgesetz auf die zuständigen Arbeitsgerichte übergegangen (ebenso Urteil des BAG. vom 23.9.1958 in NJW 1959 S. 310). Nunmehr wird das mit Recht von den Vorinstanzen für zuständig erachtete Arbeitsgericht Bremen im Rahmen seiner Sachprüfung auch die Verfassungsmäßigkeit der BremSparVO prüfen und gegebenenfalls die zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit erforderlichen Maßnahmen einleiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 192 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2324811 |
NJW 1959, 1101 |
MDR 1959, 525 |