Leitsatz (redaktionell)
1. Da das Statistische Bundesamt keine Ermittlungen über die Einkünfte von Friseuren oder ähnlichen Handwerkern erhebt, ist nach BVG§30Abs3u4DV § 3 Abs 2 der Durchschnittsverdienst aller in den erfaßten Handwerkszweigen tätigen Arbeiter maßgebend.
2. Bei schwankenden Einkünften ist als derzeitiges Bruttoeinkommen bei der Feststellung des Berufsschadensausgleichs nach BVG § 60a Abs 1 Buchst b und § 60a Abs 8 das durchschnittliche Monatseinkommen zugrunde zu legen.
Normenkette
BVG § 30 Abs 3 u 4 DV § 3 Abs. 2 Fassung: 1968-02-28, § 60a Abs. 1 Buchst. b Fassung: 1966-12-28, Abs. 8 Fassung: 1966-12-28
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. März 1968 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Kläger bezieht Versorgung unter anderem wegen Knochendefekts, Verlustes von 14 Zähnen im Unterkiefer und entstellenden Narben im Bereich des Mundes und Kinns; seine Rente ist nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. (früher um 30 v. H.) festgesetzt.
Im April 1965 beantragte der Kläger die Gewährung von Berufsschadensausgleich; als gelernter Friseur hätte er mit Sicherheit die Meisterprüfung abgelegt und wäre bestimmt schon mehrere Jahre selbständig. Die Verwaltung lehnte den Antrag ab, weil der Kläger durch die Schädigungsfolgen nicht gehindert sei, seinen früheren Beruf als Friseur weiter auszuüben; auch sei sein derzeitiger Beruf als Verkaufsstellenleiter der Konsum-Genossenschaft dem erlernten Friseurberuf durchaus gleichwertig (Bescheid vom 18. August 1965 und Widerspruchsbescheid vom 25. April 1966).
Mit der Klage hat der Kläger sein Vorbringen wiederholt, wegen der schweren Gesichtsverletzungen habe er die Meisterprüfung als Friseur nicht ablegen können. Das Sozialgericht (SG) hat nach Beweisaufnahme durch Urteil vom 11. Oktober 1966 den Beklagten unter Aufhebung der Verwaltungsbescheide verurteilt, dem Kläger Berufsschadensausgleich zu gewähren. Es hat festgestellt, daß er wegen der Schädigungsfolgen in der Nachkriegszeit nicht wieder als Friseur tätig gewesen sei und wegen seiner beruflichen Fähigkeiten die Meisterprüfung bestanden hätte, auch die erforderlichen kaufmännischen und buchhalterischen Kenntnisse für eine Geschäftsgründung hätte erwerben können.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) nach weiterer Beweisaufnahme durch Urteil vom 14. März 1968 die Entscheidung des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Übereinstimmend mit dem SG hat es festgestellt und näher begründet, daß der Kläger wegen der Schädigungsfolgen nicht in der Lage sei und gewesen sei, in seinem erlernten Beruf als Friseur zu arbeiten. Der Kläger habe jedoch nicht an seinem Friseurberuf gehangen und sei nicht bereit gewesen, das unternehmerische Risiko zu tragen, das mit der Eröffnung eines Friseurgeschäfts verbunden gewesen sei. Schließlich sei kein konkreter Hinweis dafür ersichtlich, daß sich der Kläger wahrscheinlich im Friseurberuf selbständig gemacht hätte und selbständiger Friseurmeister geworden wäre. Das Berufungsgericht hat weiter geprüft, ob der Kläger beim Vergleich mit einem Friseurgehilfen einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich habe. Es hat ausgeführt, für den Handwerkszweig Friseure sei ein Bruttoverdienst durch das Statistische Bundesamt nicht bekanntgegeben worden; es sei auch kein Handwerkszweig aufgeführt, dessen Angehörige eine ähnliche Tätigkeit ausübten oder einen ähnlichen Ausbildungsgang aufzuweisen hätten. Deshalb sei von dem Durchschnittsverdienst aller in den erfaßten Handwerkszweigen tätigen Arbeitern auszugehen. Dieser betrage vom 1, April 1965 an 783,79 DM monatlich und vom 1. Oktober 1966 an 904 DM monatlich. Demgegenüber liege das derzeitige Einkommen des Klägers für 1965 in den Monaten April und Juni, für 1966 in den Monaten Februar, März, Oktober, November und Dezember um mehr als 75 DM unter diesen Beträgen; für 1967 liege das derzeitige Einkommen in den Monaten Februar bis Dezember unter 904 DM und für 1968 im Februar. Ein Berufsschadensausgleich stehe jedoch nicht zu, weil seine Gewährung von dem Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit gemäß § 30 Abs. 2 BVG abhänge, auch wenn dies nicht zu einer Erhöhung der MdE zu führen brauche (diese Ansicht ist näher begründet worden). Das Berufungsgericht hat eine berufliche Betroffenheit gemäß § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) als nicht vorliegend bezeichnet und deshalb die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs für nicht gerechtfertigt erachtet.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Niedersachsen vom 14. März 1968 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Hannover vom 11. Oktober 1966 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen zurückzuverweisen.
Er rügt eine Verletzung des § 30 Abs. 3 ff BVG und ist mit näherer Begründung der Ansicht, daß die Gewährung des Berufsschadensausgleichs nach dieser Vorschrift nicht von einem besonderen beruflichen Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG anhänge.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Kläger hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sein zulässiges Rechtsmittel mußte zu einem Teil Erfolg haben.
Das LSG hat zunächst geprüft, ob dem Kläger deshalb Berufsschadensausgleich zusteht, weil er etwa durch die Schädigungsfolgen daran gehindert worden wäre, Friseurmeister zu werden und sich selbständig zu machen. Diese Anspruchsgrundlage hat es nicht für gegeben erachtet, weil es eine derartige berufliche Entwicklung des Klägers für nicht wahrscheinlich gehalten hat. Zwar hat der Kläger in der Revisionsinstanz beantragt, unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, der Sache nach also zu bestätigen, daß für den Berufsschadensausgleich des Klägers von dem Durchschnittseinkommen eines selbständigen Friseurmeisters ausgegangen werden müßte. Er hat aber keine Revisionsrügen gegen die Feststellung des Berufungsgerichts erhoben, daß ein solcher beruflicher Erfolg des Klägers nicht wahrscheinlich sei. Infolgedessen ist das Bundessozialgericht (BSG) an diese Feststellung des LSG gebunden. Der Kläger hat auch keine Tatsachen vorgetragen, welche insoweit eine Verletzung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG dartun könnten. Die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, welche die Entscheidung des Berufungsgerichts über die mangelnde Wahrscheinlichkeit des beruflichen Aufstiegs (§ 30 Abs. 4 Satz 1 BVG) begründen, sind zutreffend und lassen eine Verkennung des Begriffs "wahrscheinlich" nicht ersichtlich werden. Daher scheidet auch für das Revisionsgericht als Anspruchsgrundlage des Klägers für einen Berufsschadensausgleich aus, daß er ohne die Schädigungsfolgen Friseurmeister geworden wäre und sich selbständig gemacht hätte.
Weiterhin ist das LSG der Auffassung gewesen, weder für den Handwerkszweig Friseur noch für einen anderen Handwerkszweig, dessen Angehörige eine ähnliche Tätigkeit ausüben oder einen ähnlichen Ausbildungsgang aufzuweisen haben, habe das Statistische Bundesamt Bruttoverdienste bekanntgegeben; deshalb sei gemäß § 3 Abs. 2 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG der Durchschnittsverdienst aller in den erfaßten Handwerkszweigen tätigen Arbeiter maßgebend. Diese rechtliche Grundlage ist richtig. Das Statistische Bundesamt führt Erhebungen über das Durchschnittseinkommen von Arbeitern in Handwerksbetrieben nur in recht beschränktem Umfange aus. Die Friseure werden dabei nicht berücksichtigt. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß ein Handwerkszweig mit ähnlicher Tätigkeit und ähnlichem Ausbildungsgang ebenfalls nicht erfaßt worden ist. Die Friseure als Handwerker im heutigen Sinne leiten sich her von dem ursprünglichen Handwerk der Bader. Aus ihm sind weitere moderne Handwerkszweige entstanden, wie die Heilgehilfen, die Masseure, die Optiker u. ä. Allen Angehörigen dieser und ähnlicher Handwerkszweige ist ebenso wie den Badern eigentümlich, daß sie kein Material, keinen toten Stoff bearbeiten, sondern ihre Tätigkeit dem Menschen, dem lebenden Objekt widmen. Dabei gehört zum Friseur nicht nur das Rasieren und Haareschneiden, sondern auch noch Färben und ähnliche kosmetische Verrichtungen. Die vom Statistischen Bundesamt erfaßten Handwerkszweige aber bearbeiten sämtlich den toten Werkstoff und stellen aus ihm ihre Werke her. Infolgedessen hat das Berufungsgericht zu Recht gemäß § 3 Abs. 2 DVO die amtlich bekanntgegebenen Durchschnittsverdienste aller in den erfaßten Handwerkszweigen tätigen Arbeiter zugrunde gelegt. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Streitfall allerdings ist nicht frei von Rechtsirrtum.
Das LSG hat die von ihm ermittelten Durchschnittsverdienste dem jeweiligen monatlichen Gehalt des Klägers gegenübergestellt. Es hat hierbei nicht genügend berücksichtigt, daß das Gehalt des Klägers in den verschiedenen Monaten erhebliche Schwankungen aufweist. Zwar ist weder in § 30 Abs. 3 noch Abs. 4 BVG festgelegt, welcher Zeitraum für die Festsetzung des "derzeitigen Bruttoeinkommens" (§ 30 Abs. 4 Satz 1 BVG) maßgebend sein soll. Eine Zeitspanne enthält nur § 30 Abs. 3 BVG, indem er von "monatlich mindestens 75 Deutsche Mark" spricht. Hieraus allein kann jedoch nicht geschlossen werden, daß es für die Ermittlung des Einkommensverlustes ebenfalls auf die Monatsfrist ankommen sollte. Auch die Anrechnungsvorschrift des § 30 Abs. 5 BVG gibt in dieser Hinsicht keine eindeutigen Hinweise. Dort ist von der Grundrente die Rede. Sie ist eine nach Monaten berechnete Versorgungsleistung. Deshalb fügt sich die Anrechnungsvorschrift systematisch in die Festsetzung der Rente nach dem BVG ein, gibt aber keine Antwort auf die Frage, wie bei einem Einkommen in wechselnder Höhe der Einkommensverlust im Sinne des § 30 Abs. 4 BVG berechnet werden soll. Ein echtes Schweigen des Gesetzes, eine Lücke also, liegt hier jedoch nicht vor.
Seinem Wesen nach ist der Berufsschadensausgleich eine von den Einkünften des Beschädigten abhängige Versorgungsleistung. Für eine andere, ebenfalls vom Einkommen abhängige Versorgungsleistung, nämlich die Ausgleichsrente, enthält § 60 a BVG eine ausdrückliche Regelung für Einkommen von wechselnder Höhe. Diese für die Ausgleichsrente ausdrücklich getroffene Regelung ist nach § 60 a Abs. 8 BVG entsprechend für die Feststellung aller laufenden Versorgungsbezüge anzuwenden, deren Höhe vom Einkommen beeinflußt wird, soweit durch das Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Da das Gesetz - wie bereits dargelegt - insoweit schweigt, ist hier von dem durchschnittlichen Monatseinkommen (§ 60 a Abs. 1 Buchst. b BVG) auszugehen. Das LSG hat jedoch nicht das durchschnittliche Monatseinkommen des Klägers berücksichtigt, sondern sein tatsächliches. Dadurch ist es bei der Gegenüberstellung des Einkommens des Klägers und der maßgebenden Durchschnittseinkommen der Arbeiter im Handwerk zu unrichtigen Ergebnissen gekommen.
Schließlich hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, der Kläger könne deshalb einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht verlangen, weil er nicht beruflich besonders betroffen im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG sei. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 29/208 ff = SozR BVG § 30 Nr. 36), der sich der erkennende Senat in den Entscheidungen vom 27. März 1969 (8 RV 611/67, 629/67 und 827/68) sowie vom 22. Mai 1969 (8 RV 409/67, 737/67, 7/68) angeschlossen hat, ist nach der Entstehungsgeschichte des § 30 Abs. 2 und 3 BVG und nach dem sachlichen Gehalt der Vorschriften die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht von einer Erhöhung der Rente des betreffenden Beschädigten gemäß § 30 Abs. 2 BVG abhängig. Das besondere berufliche Betroffensein im Sinne dieser Vorschrift ist nicht Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift des § 30 Abs. 3 und 4 BVG, vielmehr kommt es insoweit lediglich auf eine geldliche Einbuße, nicht aber auf soziale Erwägungen und die Wertung einer Tätigkeit von der Umwelt an.
Wegen der unzutreffenden Gegenüberstellung von Einkünften des Klägers und dem festgestellten Durchschnittseinkommen hat es der Senat nicht für tunlich gehalten, in der Sache selbst zu entscheiden, sondern hat den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten - auch der Revisionsinstanz - bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen