Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 28. März 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger brach sich am 30. Juli 1960 durch einen Arbeitsunfall das linke Fersenbein. Deswegen bewilligte ihm die Beklagte zunächst eine Gesamtvergütung (§ 616 a der Reichsversicherungsordnung in der vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes –UVNG– geltenden Fassung –RVO aF) und sodann vorläufige Rente von 20 v.H. der Vollrente. Diese stellte sie durch Bescheid vom 12. November 1962 ein und versagte die Gewährung einer Dauerrente, weil der Kläger durch Unfallfolgen nur noch um 10 v.H. in der Erwerbsfähigkeit gemindert war.
Am 3. Oktober 1965 brach sich der Kläger durch einen Arbeitsunfall das rechte Fußgelenk. Er befand sich deshalb längere Zeit in stationärer und ambulanter ärztlicher Behandlung. In dieser Zeit zahlte ihm die zuständige Allgemeine Ortskrankenkasse im Auftrag der Beklagten Verletztengeld. Seit dem 20. September 1966 war der Kläger wieder arbeitsfähig. Von diesem Tage an gewährte ihm die Beklagte wegen der Folgen dieses Unfalls durch Bescheid vom 11. November 1966 vorläufige Rente unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H.
Im Hinblick auf diese Rentengewährung bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 25. November 1966 wegen der Folgen des Unfalls vom 30. Juli 1960 dem Kläger eine Dauerrente von 10 v.H. der Vollrente. Den Beginn dieser Rente setzte sie mit Rücksicht darauf, daß wegen des anderen Unfalls Rente vom 20. September 1966 an zu gewähren sei, ebenfalls auf diesen Tag fest.
Die hiergegen mit dem Ziel erhobene Klage, die „kleine Rente” schon vom Tage des anderen Unfalls an zu gewähren, hat das Sozialgericht Bremen durch Urteil vom 28. August 1967 abgewiesen.
Auf die – zugelassene – Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Bremen durch Urteil vom 28. März 1968 unter Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichts und Änderung des Bescheides vom 25. November 1966 die Beklagte verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 3. Oktober 1965 bis zum 19. September 1966 Rente nach einer MdE um 10 v. H. zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Durch den späteren Unfall seien für den früheren Unfall im Sinne einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse die Voraussetzungen des § 581 Abs. 3 Satz 1 RVO eingetreten. Diese seien bereits mit dem Ereignis des späteren Unfalls erfüllt, so daß der Rentenanspruch aus dem früheren Unfall an diesem Tag wieder aufgelebt sei. Die kleine Rente sei sonach schon vom 3. Oktober 1965 an zu gewähren, weil an diesem Tag durch einen weiteren Unfall der Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit zusätzlich um wenigstens 10 v.H. gemindert und durch die Hundertsätze aus beiden Unfällen der gesetzliche Mindestsatz von 1/5 erreicht worden sei. Es komme sonach nicht darauf an, daß der Kläger wegen der Folgen des späteren Unfalls bis zum 19. September 1966 Verletztengeld erhalten habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet: Im Gegensatz zu der bis zum Inkrafttreten des UVNG geltenden Vorschrift des § 559 a Abs. 3 Satz 2 RVO aF sei nach der nunmehr maßgeblichen Vorschrift des § 581 Abs. 3 Satz 1 RVO ein Anspruch auf Kranken- und Verletztengeld nicht mehr geeignet, eine kleine Rente zu stützen. Für deren Gewährung sei jetzt allein ausschlaggebend, daß der Verletzte durch den anderen Unfall wenigstens einen Teil seiner Erwerbsfähigkeit verloren habe. Solange wegen dieses Unfalls keine Verletztenrente zu gewähren sei, könne auch nicht vom Vorliegen oder gar der Feststellung einer MdE gesprochen werden. In diesem Zeitraum liege beim Verletzten ein Ungewisser Zustand vor; bis zum Eintritt der Rentenberechtigung nach Ablauf der 13. Woche nach dem Unfall (§ 580 Abs. 1 RVO) sei bei kleineren Unfällen nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit häufig auch die MdE auf weniger als 10 v.H. abgesunken. Nach der Auffassung des LSG würden derartige Unfälle trotzdem zur Rentenberechtigung aus einem früheren Unfall, dessen Folgen die Erwerbsfähigkeit um weniger als 20 v.H. beeinträchtigten, mit der Folge führen, daß nach § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO die kleine Rente mindestens ein Jahr lang zu gewähren sei, obwohl die Folgen des späteren Unfalls längst abgeklungen seien. Der Anspruch auf Kranken- oder Verletztengeld infolge eines anderen Unfalls gehöre seit dem Inkrafttreten des UVNG somit nicht mehr zu den Voraussetzungen für die Stützung einer kleinen Rente. Ob ein anderer Unfall eine kleine Rente zu stützen geeignet sei, könne erst geprüft werden, wenn die Arbeitsunfähigkeit infolge des anderen Unfalls beendet und festgestellt worden sei, ob die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch diesen Unfall noch in rentenberechtigendem Grad gemindert sei. Der Beginn der Zahlung der gestützten kleinen Rente müsse daher zwangsläufig mit dem Beginn der stützenden Rente übereinstimmen.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beklagte beantragt,
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Mit Recht weist die Revision allerdings darauf hin, daß das Recht der „kleinen Renten” nach altem und neuem Recht im Wortlaut voneinander abweicht. Nach § 559 a Abs. 3 Satz 1 RVO aF war, wenn die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge eines Unfalls um weniger als 1/5 gemindert war, Rente nur zu gewähren, „solange” die Erwerbsfähigkeit auch infolge eines anderen Unfalls eingeschränkt war. Nach Satz 2 waren andere Unfälle hierbei ua zu berücksichtigen, wenn für sie ein „Anspruch auf Krankengeld oder Rente” bestand. § 581 Abs. 3 RVO schreibt in seinen Sätzen 1 bis 2 vor, daß für jeden Arbeitsunfall Rente unter der Voraussetzung zu gewähren ist, daß die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge mehrerer Arbeitsunfälle gemindert ist und die MdE durch den einzelnen Arbeitsunfall wenigstens 10 v.H. beträgt.
Das geltende – in der vorliegenden Sache maßgebliche – Recht stellt also darauf ab, daß der Verletzte durch mehr als einen Arbeitsunfall in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist und die Beeinträchtigung durch jeden einzelnen Unfall einen Grad von wenigstens 10 v.H. zur Folge hat. Ist dies der Fall, so ist – als Ausnahme von der Regel des § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO, daß eine Rente für die Folgen eines Arbeitsunfalls nur zu gewähren ist, wenn diese die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 20 v.H. mindern – für jeden dieser Unfälle Rente zu gewähren, selbst wenn in keinem Fall eine MdE um 20 v.H. erreicht ist. Entgegen der Befürchtung der Beklagten vermag auf diese Weise aber nicht jeder geringste Arbeitsunfall zur Gewährung einer kleinen Rente nach § 581 Abs. 3 Satz 1 bis 2 RVO zu führen. Die MdE um mindestens 10 v.H. durch den anderen Unfall muß nämlich wenigstens über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus bestanden haben. In diesem Sinne hat der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 10. Mai 1968 entschieden (BSG 28, 71). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.
Die Ansicht der Beklagten, daß der Verletzte wegen des anderen Arbeitsunfalls eine Rente beziehen müsse und erst dieser Umstand zum Anspruch auf die kleine Rente berechtige, findet im Gesetz keine Stütze (gleicher Meinung: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 16 c zu § 581; RVO-Gesamtkommentar, Anm. 8 zu § 581 RVO; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 480, S. 2). Sie steht auch in Widerspruch zu § 581 Abs. 3 Satz 3 RVO. Nach dieser Vorschrift werden Unfälle oder Entschädigungsfälle nach anderen Gesetzen den Arbeitsunfällen nach Satz 1 bis 2 gleichgestellt, obwohl diese Gesetze (vgl. zB § 31 des Bundesversorgungsgesetzes) die Gewährung einer Entschädigung meist von einem höheren Grad der MdE als die gesetzliche Unfallversicherung abhängig machen. Die Gewährung einer kleinen Rente nach § 581 Abs. 3 RVO setzt vielmehr voraus, daß der Verletzte auch noch durch einen anderen Arbeitsunfall – dem stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach bestimmten anderen Gesetzen – in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. gemindert ist. Es schadet somit dem Anspruch auf die kleine Rente nicht, falls der Verletzte in der ersten Zeit nach diesem Arbeitsunfall zugleich arbeitsunfähig ist und deshalb zunächst keine Rente, sondern allein Verletztengeld (§ 560 RVO) oder Krankengeld (§ 565 RVO) zu beanspruchen hat. Von welchem Zeitpunkt an für die Folgen des anderen Unfalls Rente zu gewähren ist, ergibt sich aus § 580 Abs. 1 RVO; diese Vorschrift schließt indessen, wie ihr Wortlaut deutlich macht, nicht aus, daß vom Tage des Arbeitsunfalls an als dessen Folgen Arbeitsunfähigkeit und – über die 13. Woche hinaus – eine MdE gegeben sind. Träfe die Ansicht der Beklagten zu, so wäre ein Verletzter, welcher durch die Folgen des anderen Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert, aber nicht arbeitsunfähig im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ist, hinsichtlich des Anspruchs auf die kleine Rente besser gestellt als ein Verletzter, bei welchem beides vorliegt, da jenem nach § 580 Abs. 2 RVO bereits vom Tage nach dem Arbeitsunfall an Rente zu gewähren ist. § 581 Abs. 3 RVO stellt jedoch – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht auf die Art der wegen des anderen Unfalls zu gewährenden Leistung, sondern darauf ab, daß für diesen Unfall die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. herabgesetzt ist. Für die Entscheidung dieser Frage ist es ohne Belang, ob – wie die Beklagte meint – nach dem jetzt geltenden Recht für eine kleine Rente, welche als Dauerrente zu gewähren ist, abweichend vom früheren Recht (§ 559 a Abs. 3 Satz 1 RVO aF: „solange”) das Schutzjahr nach § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO selbst dann gilt, wenn der Verletzte durch die Folgen des anderen Unfalls in der Erwerbsfähigkeit nicht mehr gemindert ist (vgl. hierzu Lauterbach, aaO, Anm. 15 a zu § 581 RVO einerseits und Anm. 5 e zu § 622 RVO andererseits).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger durch die Folgen des Arbeitsunfalls vom 30. Juli 1960 auch noch zur Zeit des späteren Arbeitsunfalls und darüber hinaus (s. SozR Nr. 5 zu § 581 RVO) in der Erwerbsfähigkeit um 10 v.H. gemindert. Das LSG hat ferner festgestellt, daß wegen der Folgen des Unfalls vom 3. Oktober 1965 nach dem Gutachten des Chefarztes der Unfallstation für Betriebsverletzte in Bremen vom 11. Oktober 1966 die Erwerbsfähigkeit des Klägers auch damals noch um 30 v.H. herabgesetzt war. Die Verletzungsfolgen für jeden dieser Unfälle haben sonach vom 3. Oktober 1965 an je eine MdE um wenigstens 10 v.H. zur Folge gehabt. Infolgedessen waren die Folgen des Unfalls vom 30. Juli 1960 vom Tage des anderen Unfalls an zu entschädigen. Das LSG hat deshalb die Beklagte zu Recht verurteilt, die kleine Rente bereits vom 3. Oktober 1965 an zu gewähren.
Daher war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Brackmann, Bundesrichter Demiani ist durch Krankheit verhindert das Urteil zu unterschreiben Brackmann, Dr. Kaiser
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 29.01.1971 durch Hanisch RegObersekretär als Urk.Beamter d.Gesch.Stelle
Fundstellen