Leitsatz (amtlich)
1. Die Anrufung des Großen Senats des BSG ist nicht erforderlich, wenn ein Senat - abweichend von der Entscheidung eines anderen Senats dieses Gerichts - in der Auslegung einer Norm des Gemeinschaftsrechts sich einer Entscheidung des EuGH anschließen will (Weiterentwicklung von BSG 1972-09-26 5 RKnU 21/70 = BSGE 34, 269).
2. Unter den Voraussetzungen der SozSichAbkZVbg BEL 3 Art 1, 2 der 3. ZV sind auch Witwenrentenabfindungen den Berechtigten nachzuzahlen.
3. Aufwendungen des am Verfahren beteiligten Königreichs Belgien sind nicht erstattungsfähig (SGG § 193 Abs 4).
Normenkette
SGG §§ 42, 193 Abs. 4; SozSichAbkZVbg BEL 3 Art. 1-2; SozSichAbk BEL; EWGVtr Art. 177
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Sozialgerichts München vom 9. Februar 1971 und des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. August 1972 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Änderung ihres Bescheides vom 8. März 1968 verurteilt, Frau Anna Maria C geborene C Witwenrentenabfindung nach ihrem am 29. Oktober 1944 verstorbenen ersten Ehemann Amandus A zu gewähren, soweit der Anspruch nicht auf den Kläger übergegangen ist.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der während des 2. Weltkriegs in Deutschland beschäftigte belgische Staatsangehörige Amandus A kam am 29. Oktober 1944 durch einen Fliegerangriff ums Leben. Seine Witwe Anna Maria C, geborene C, verehelichte sich am 27. April 1946 wieder.
Durch Bescheid vom 8. März 1968 bewilligte ihr die Beklagte Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung vom Todestag bis zum Ablauf des Monats April 1946. Die Auszahlung einer Witwenrentenabfindung lehnte sie hingegen mit der Begründung ab, daß nach der 3. Zusatzvereinbarung (ZV) zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit - Allgemeines Abkommen - nur Renten nachzuzahlen seien.
Hierauf hat das belgische Ministerium für Volksgesundheit und Familie, Abteilung Kriegszivilopfer, unter Hinweis auf sein ihm in Art. 7 Abs. 3 der 3. ZV eingeräumtes Recht beim Sozialgericht (SG) München Klage mit der Begründung erhoben, daß - wie sich aus Art. 1 Nr. 12 des Allgemeinen Abkommens ergebe - nach der 3. ZV Renten und Leistungen einschließlich aller Zuschläge und Zuschüsse nachzuzahlen seien.
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG München vom 9. Februar 1971, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 1. August 1972).
Das Berufungsgericht hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossene Berufung sei zulässig, weil das SG die Berufung - wenn auch nur in den Entscheidungsgründen, was jedoch ausreiche - zugelassen habe. Das Königreich Belgien sei nach Art. 7 Abs. 3 der 3. ZV zur Prozeßführung befugt. Die Berufung sei jedoch nicht begründet. Nach Art. 54 des Allgemeinen Abkommens bestehe kein Anspruch auf Leistungen für die Zeit vor seinem Inkrafttreten (1. Januar 1959). Da die Witwe des durch Folgen eines Arbeitsunfalls tödlich Verletzten bereits im Jahre 1946 wieder geheiratet habe, ergäben sich Leistungsansprüche lediglich aufgrund der 3. ZV. Nach deren Artikel 1 bis 4 seien indessen nur Renten oder Rententeile nachzuzahlen. Witwenrentenabfindungen seien jedoch keine Renten, sondern fielen unter den Oberbegriff "Leistungen". Zwischen beiden Ansprüchen werde in Art. 1 Nr. 12 des Allgemeinen Abkommens unterschieden. Der Hinweis des Klägers, daß in dem in französischer Sprache abgefaßten Vertragstext von "prestations" (Leistungen) gesprochen werde, sei unbeachtlich, da der deutsche Vertragstext gleichermaßen verbindlich sei, jedenfalls für deutsche Gerichte. Die Entscheidungen des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) über die Auszahlung von Witwenrentenabfindungen nach § 1302 der Reichsversicherungsordnung (RVO) an im Ausland wohnende Berechtigte (BSG 33, 280) rechtfertigten keine andere Beurteilung.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:
Es widerspreche dem Willen der Vertragsschließenden, daß an belgische Berechtigte aus dem Abkommen lediglich Renten nachgezahlt werden sollten, Das Vertragswerk müsse als Ganzes betrachtet werden; Art. 3 der 3. ZV dürfe nicht isoliert ausgelegt werden. Die Legaldefinition des Art. 1 Nr. 12 des Allgemeinen Abkommens, wonach die im Vertragswerk verwendeten Ausdrücke "Leistung" und "Rente" Leistungen oder Renten "einschließlich aller Zuschläge und Zuschüsse" umfasse, dürfe nicht unbeachtet bleiben. Die Vorschriften in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d und Nr. 2 Buchstabe b des Allgemeinen Abkommens bezögen auch die Unfallversicherung in der Bundesrepublik Deutschland in das Abkommen mit ein; zusammen mit dem in Art. 3 Abs. 2 statuierten Gleichbehandlungsgrundsatz seien alle Vorschriften der deutschen Unfallversicherung, somit auch die über Abfindungen, zugunsten von belgischen Berechtigten anzuwenden. Insoweit sei auch Art. 34 des Allgemeinen Abkommens von Bedeutung, obwohl diese Vorschrift keine Leistungspflicht begründe, sondern eine Zuständigkeitsvorschrift sei. Die 3. ZV ändere an dieser Rechtslage nichts. In deren Art. 3 werde vielmehr allgemein von der Berechtigung nach den Rechtsvorschriften über die - ganz allgemein ausgedrückt - "Entschädigung" von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten gesprochen. Der Auffassung des LSG, daß für die deutschen Gerichte nur der deutsche Vertragstext verbindlich sei, könne nicht gefolgt werden. Bei Zweifeln an der Auslegung eines mehrsprachig abgefaßten Vertragstextes müsse auch der fremdsprachliche Text zur Erforschung des mutmaßlichen Willens der Vertragsparteien herangezogen werden. In der maßgeblichen Vorschrift des Art. 2 Abs. 1 der 3. ZV werde nach dem deutschen Vertragstext ein Anspruch auf Nachzahlung von "Renten oder Rententeilen", nach dem französischen Vertragstext von "prestations ou fractions de prestations" eingeräumt. Dieser Begriff scheine aber mehr zu besagen als Renten oder Rententeile, vielmehr den umfassenderen Sinn von Entschädigungsleistungen im allgemeinen zu haben. In diesem Sinn spreche auch der deutsche Vertragstext des Art. 54 Abs. 1 des Allgemeinen Abkommens, der auf die 3. ZV verweise, von "Leistungen" und der französische von "prestations". Eine Rentenabfindung werde zwar nicht als Vorwegzahlung eines in der Zukunft liegenden Zwecks gewährt, sei aber eine Art Kapitalisierung der Rente und werde nach der Neugestaltung des Rechts der deutschen Unfall-Rentenversicherung aus dieser berechnet. Es bestehe somit eine sehr enge Verknüpfung zwischen Abfindung und Rente. Dies spreche ebenfalls dafür, daß von den Artikeln 2 und 3 der 3. ZV auch Rentenabfindungen erfaßt würden.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der französische und der deutsche Text wichen an wesentlicher Stelle, wenn auch wohl nur geringfügig, voneinander ab. Nach den Regeln des Völkerrechts sei bei Vertragswerken, deren Text in mehreren untereinander gleichrangigen Sprachen abgefaßt sei, jeder Vertragspartner nur durch den Text seiner Sprache gebunden.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen sowie in Abänderung des Bescheids der Beklagten diese zu verurteilen, Frau Anna Maria C C eine Witwenabfindung nach ihrem am 29. Oktober 1944 verstorbenen Mann Amandus A zu gewähren, soweit der Anspruch nicht auf den Kläger übergegangen ist,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Berechtigung des Königreichs Belgien zur Einlegung der Revision hinsichtlich der Ansprüche der ehemaligen Witwe des tödlich verletzten Amandus A auf Witwenrentenabfindung, die nach dem Revisionsantrag weiter geltend gemacht werden, ergibt sich - wie SG und LSG zutreffend für das Klagerecht angenommen haben - aus Art. 7 Abs. 3 der 3. ZV (i. d. F. des Art. 5 des Zusatzprotokolls vom 10. November 1960 - abgedruckt bei Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, Teil X - Belgien, S. 38, 46, 48) zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens, ebenfalls vom 7. Dezember 1957 (BGBl. 1963 II, S. 404, 406 ff., 438). Nach dieser Vorschrift kann das Königreich Belgien, das den Hinterbliebenen des Verletzten eine Rente gezahlt hat, die Feststellung der Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung betreiben und Rechtsmittel einlegen. Die 3. ZV ist ungeachtet der EWG-VOen Nr. 3 und Nr. 1408/71 weiterhin anwendbar, da sie im Anhang D zu jener und im Anhang II zu dieser VO (vgl. Art. 6 Abs. 2 Buchst. e EWG-VO Nr. 3, Art. 7 Abs. 2 Buchst. c EWG-VO Nr. 1408/71) als weitergeltend aufgeführt ist (vgl. auch SozR Nr. 32 zu § 548 RVO).
Die - zugelassene - Revision ist begründet.
Die - wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG an sich ausgeschlossene Berufung ist nach § 150 Nr. 1 SGG zulässig. Hierfür reicht es aus, daß das SG die Berufung in den Entscheidungsgründen seines Urteils zugelassen hat (BSG 2, 245; 8, 147).
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist in der vorliegenden Sache ein Anspruch auf Witwenrentenabfindung entstanden. Auf den Kläger - Königreich Belgien - sind infolgedessen Ansprüche nach Art. 7 Abs. 3 der 3. ZV übergegangen.
Nach Art. 54 Abs. 1 des genannten Allgemeinen Abkommens begründet dieses keinen Anspruch auf Leistungen (im französischen Text: prestations) für die Zeit vor seinem Inkrafttreten, soweit nicht eine Zusatzvereinbarung etwa anderes bestimmt. Das Allgemeine Abkommen ist am 9. November 1963 mit Wirkung vom 1. Januar 1959 in Kraft getreten (Bekanntmachung vom 19. November 1963 - BGBl. 1964 II S. 10). Da die Witwe des tödlich Verletzten sich bereits lange vor diesem Stichtag wieder verehelicht hat, ist ein Anspruch auf Witwenrentenabfindung nur unter den Voraussetzungen der 3. ZV begründet.
Nach Art. 1 der 3. ZV gelten u. a. Art. 1 sowie die Vorschriften über die Unfallversicherung (Art. 33 bis 37 des Allgemeinen Abkommens) für Personen, die sich im Gebiet eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten und Anspruch auf "eine Rente oder einen Teil einer Rente" aufgrund der Rechtsvorschriften eines der beiden Staaten über die Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten haben, bereits vom 1. Oktober 1944 an. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 der 3. ZV bestimmt, daß "Renten oder Rententeile", welche die deutschen oder belgischen Träger nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften "unter Berücksichtigung des Artikels 1" den dort genannten Personen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Allgemeinen Abkommens schulden, den Berechtigten auf Antrag nach Maßgabe des Art. 3 nachzuzahlen sind.
Durch die Verweisung in Art. 1 der 3. ZV auf den Art. 1 des Allgemeinen Abkommens ist klargestellt, daß für den in Art. 2 der 3. ZV verwendeten Begriff "Rente oder Rententeile" die in Art. 1 des Allgemeinen Abkommens enthaltenen Begriffsbestimmungen maßgebend sind. In der Nr. 12 dieser Vorschrift werden die Begriffe "Leistung" und "Rente" ("prestation", "pension" ou "rente") erläutert.
Die Begriffsbestimmungen in Art. 1 des Allgemeinen Abkommens sind jedoch durch die Begriffsbestimmungen ersetzt worden, welche die nach ihrem Art. 56 Abs. 1 am 1. Oktober 1958 in Kraft getretene Verordnung Nr. 3 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (EWG-VO Nr. 3) in ihrem Art. 1 enthält. Dies ergibt sich aus Art. 5 dieser VO, wonach diese hinsichtlich der Personen, auf die sie Anwendung findet, grundsätzlich an die Stelle der zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften (EG) abgeschlossenen Abkommen über Soziale Sicherheit tritt. Wie sich aus Art. 4 Abs. 2 der EWG-VO Nr. 3 ergibt, gehört die (ehemalige) Witwe des Verletzten dem Personenkreis an, zu dessen Gunsten die EWG-VO Nr. 3 anzuwenden ist. Eine Ausnahme gilt für Art. 1 des Allgemeinen Abkommens nicht, weil dieser im Anhang D der EWG-VO Nr. 3 (in Verbindung mit deren Art. 5), welcher die Bestimmungen der Abkommen über Soziale Sicherheit, die durch diese VO nicht berührt werden, enthält, nicht aufgeführt ist. Sonach bestimmt sich der Begriff "Rente oder Rententeile" in Art. 2 der 3. ZV nach der entsprechenden Begriffsbestimmung in Art. 1 Buchstabe s der EWG-VO Nr. 3. Danach "bedeuten die Ausdrücke "Leistungen" oder "Renten" die Leistungen oder Renten einschließlich aller ihrer Teile aus öffentlichen Mitteln, aller Erhöhungen, Aufwertungsbeträge und Zuschläge sowie die Kapitalzahlungen, die an die Stelle von Renten treten können". Die Begriffsbestimmung in Art. 1 Buchstabe t der EWG-VO Nr. 1408/71, die inzwischen die EWG-VO Nr. 3 ersetzt hat, ist für die hier zu entscheidende Frage im wesentlichen unverändert geblieben, insbesondere sind auch hier "Kapitalabfindungen, die an die Stelle der Renten treten" ausdrücklich aufgeführt. Diese Vorschrift ist von dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) durch Urteil vom 27. November 1973 (Rechtssache 130/73), anders als vom 4. Senat des BSG im Urteil vom 12. November 1969 (SozR Nr. 6 zu EWG-VO Nr. 3, Art. 1, u. a. aufgrund des Anhangs D der EWG-VO Nr. 3 dahin ausgelegt worden, daß der Begriff "Rente" auch die Witwenabfindung umfaßt. Der EuGH ist der Auffassung, daß die an die Witwe bei ihrer Wiederverheiratung zu zahlende Entschädigung eine Kapitalabfindung ist, die an die Stelle einer Rente getreten ist. Er hat hierbei berücksichtigt, der Zweck dieser Leistung sei einerseits, zu verhindern, daß die Witwe wegen des im Falle der Wiederverheiratung eintretenden Verlustes der Witwenrente von einer Wiederverheiratung absehe, und andererseits, den verpflichteten Versicherungsträger dadurch zu entlasten, daß ein einmaliger Pauschalbetrag gezahlt werde, der an die Stelle regelmäßig wiederkehrender sich möglicherweise über einen langen Zeitraum erstreckender Leistungen trete.
Diese Entscheidung des EuGH ist auf den Vorlagebeschluß des LSG Baden-Württemberg vom 26. April 1973 nach Art. 177 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) ergangen. In diesem Beschluß hatte das LSG dem EuGH zur Vorabentscheidung ua die Frage vorgelegt, ob von Art. 2 der 3. ZV auch Ansprüche auf Witwenrentenabfindungen erfaßt würden. Der erkennende Senat ist in der vorliegenden Streitsache durch diese Entscheidung des EuGH an einer abweichenden Rechtsauffassung nicht gehindert. Er müßte in einem solchen Fall jedoch die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung nach § 177 des EWG-Vertrags vorlegen, nachdem der EuGH bereits über die Auslegung einer nach der Auffassung des erkennenden Senats in der vorliegenden Sache maßgeblichen Vorschrift des Gemeinschaftsrechts entschieden hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH besteht nach Art. 177 des EWG-Vertrags eine klare Aufgabenteilung zwischen den staatlichen Gerichten und dem EuGH dahin, daß dieser über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu befinden hat, es hingegen Aufgabe der nationalen Gerichte ist, über die Vereinbarkeit von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden (EuGH 15, 125, 135; 16, 1197, 1206). Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 27. November 1973 zum Ausdruck gebracht, daß er aufgrund des Art. 177 des EWG-Vertrags nicht befugt sei, über die Auslegung völkerrechtlicher Bestimmungen zu entscheiden, die - wie Art. 2 der 3. ZV - zwischen den Mitgliedsstaaten der EG Bindungen außerhalb des gemeinschaftsrechtlichen Bereichs schafften. Er hat sich jedoch zu einer Vorabentscheidung für zuständig gehalten, weil dem Vorlagebeschluß des LSG Baden-Württemberg zu entnehmen sei, daß es nach der Meinung des LSG für die Auslegung der 3. ZV darauf ankommen könne, welche rechtliche Bedeutung den entsprechenden Begriffen in den Gemeinschaftsverordnungen über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer zukomme; dies gelte um so mehr, als die in Artikel 1 Nr. 12 des Abkommens gegebenen Begriffsbestimmungen durch die EWG-VO Nr. 1408/71 - die insoweit der EWG-VO Nr. 3 entspreche - ersetzt worden seien. Der EuGH hat danach die Frage beantwortet, die auch im vorliegenden Falle von Bedeutung ist. Denn nach der - bereits dargelegten - Auffassung des erkennenden Senats hängt die hier zu fällende Entscheidung ebenfalls davon ab, wie der im Gemeinschaftsrecht verwendete Begriff "Rente" auszulegen ist. Dabei ist es unerheblich, daß in der hier maßgeblichen Vorschrift nicht nur von "Rente", sondern alternativ auch von einem "Teil einer Rente" bzw. von "Renten und Rententeilen" gesprochen wird.
Der erkennende Senat schließt sich hinsichtlich des hier auszulegenden Begriffs der "Rente" im Ergebnis der o. a. Entscheidung des EuGH an. Wenn auch nicht zu verkennen ist, daß, wovon der 4. Senat des BSG aaO ausgegangen ist, nach der RVO Renten und Abfindungen von Renten rechtlich unterschiedliche Arten von Sozialversicherungsleistungen sind (vgl. ferner BSG 6, 19, 21 mit Nachweisen; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.8.1973, Band III S. 720 e zu § 1302 RVO), so hat doch der Große Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 21. Dezember 1971 auf die starke Wechselwirkung zwischen Witwenrente und Witwenrentenabfindung sowie darauf hingewiesen, daß diese wirtschaftlich gesehen eine Rentenzahlung für einen bestimmten Zeitraum nach der Wiederverheiratung darstelle (BSG 33, 280, 291). Ähnliche Gesichtspunkte haben den EuGH bewogen, dem Begriff "Rente" des Gemeinschaftsrechts einen umfassenderen Sinn dahin beizumessen, daß er auch Kapitalzahlungen umfaßt, "die an die Stelle von Renten treten können". Wenn er darunter auch Witwenabfindungen verstanden hat, so stimmt ihm der erkennende Senat unter Würdigung der obigen Gesichtspunkte, der Entscheidung in BSG 33, 280 und des Umstandes, daß die hier strittige Vorschrift eine der Auslegung bedürftige Kurzfassung der in Betracht kommenden Unfallversicherungsleistungen darstellt, zu.
Der 4. Senat des BSG hat im o. a. Urteil (vgl. aaO Aa 4 Rückseite) sich für befugt erachtet, Art. 1 Buchstabe s der EWG-VO Nr. 3 dahin auszulegen, daß Witwenrentenabfindungen nach § 1302 Abs. 1 RVO nicht zu den Kapitalzahlungen im Sinne jener Bestimmung des Gemeinschaftsrechts zählten. Ob der erkennende Senat, indem er sich der Rechtsauffassung des EuGH anschließt, trotz der späteren Entscheidung des Großen Senats vom 21. Dezember 1971, die sich auch auf zwischenstaatliche Abkommen bezieht und des Umstandes, daß der Senat in der vorliegenden Sache - unmittelbar - eine andere Vorschrift als der 4. Senat, nämlich den Art. 2 der 3. ZV anzuwenden hat, von der Entscheidung des 4. Senats "abweicht", konnte dahinstehen. Denn auch wenn man dies annimmt, ist eine Anrufung des Großen Senats des BSG nach § 42 SGG hier nicht erforderlich. Der 5. Senat des BSG hat im Urteil vom 26. September 1972 (BSG 34, 269) entschieden, daß ein Senat des BSG - abweichend von der Entscheidung eines anderen Senats dieses Gerichts - den Großen Senat des BSG nicht anzurufen brauche, wenn er sich in einer Rechtsfrage der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes anschließen möchte. Er hat dies insbesondere damit begründet, daß Art. 95 Abs. 3 des Grundgesetzes und das Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl. I S. 661) dem Gemeinsamen Senat die Aufgabe zugewiesen hätten, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sämtlicher Senate aller obersten Gerichtshöfe des Bundes zu wahren und daß diese Aufgabe der den Großen Senaten der einzelnen Gerichtshöfe insoweit innerhalb des Gerichts zukommenden Aufgabe übergeordnet sei (aaO S. 271). Dieser Rechtsauffassung stimmt der erkennende Senat zu. Eine ähnliche Aufgabe hat jedoch nach Art. 177 des EWG-Vertrags der EuGH zu erfüllen, soweit es sich um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht handelt. Nach Abs. 3 dieser Vertragsbestimmung besteht eine Vorlagepflicht der staatlichen Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, an den EuGH, damit dieser im Wege der Vorabentscheidung das Gemeinschaftsrecht auslegt und damit dessen einheitliche Anwendung in den Mitgliedsstaaten der EG gewährleistet (vgl. auch BSG in SozR Nr. 1 zur 3. ZV zum Abk. Belgien SozSich Allg.). Hat - wie hier - der EuGH auf die Vorlage eines innerstaatlichen Gerichts eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nachträglich abweichend von der Rechtsprechung eines Senats des BSG ausgelegt, so bedarf es, wenn sich ein anderer Senat dieser Entscheidung des EuGH anschließen will, somit nicht mehr der Anrufung des Großen Senats nach § 42 SGG.
Da die 3. ZV sonach auch die Pflicht zur Nachzahlung von Witwenrentenabfindungen umfaßt, war unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides zur Gewährung von Witwenrentenabfindung an die (ehemalige) Witwe des Verletzten zu verurteilen, soweit der Anspruch nicht auf den Kläger übergegangen ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 4 SGG. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des 2. Senats des BSG an, daß diese Vorschrift auch auf den Kläger anzuwenden ist, weil er den in § 193 Abs. 4 SGG genannten Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts gleichzuerachten ist (Urteil vom 16. Dezember 1971 - 2 RU 14/68 -, (insoweit nicht abgedruckt in SozR Nr. 1 zur 3. ZV zum Abk. Belgien SozSich Allg.) und vom 27. April 1972 - 2 RU 104/71 - vgl. im übrigen auch BSG in SozR Nr. 8 zu § 193 SGG).
Fundstellen