Leitsatz (amtlich)

Der Unfallversicherungsträger kann von der zur Unfalluntersuchung für zuständig gehaltenen Gemeinde die Kosten einer Leichenöffnung nicht ersetzt verlangen, wenn er diese selbst durchführen läßt, ohne der Gemeinde vorher die (nach Sachlage mögliche) Gelegenheit zu geben, hierüber eine Entscheidung zu treffen.

 

Normenkette

RVO § 1559 Abs. 2 Fassung: 1942-03-09, § 1564

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Oktober 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der im Jahr 1895 geborene, im Unternehmen seines Sohnes als mithelfender Familienangehöriger tätige Auszügler Josef B stürzte am 17. Mai 1968 bei der Arbeit im W von einer etwa 1,5 m hohen Mauer. Am darauffolgenden Tag wurde er wegen Zunahme der Beschwerden in das Kreiskrankenhaus H aufgenommen. Die Gemeinde Ziegelanger, die inzwischen in die Stadt Z eingemeindet worden ist (Beklagte), führte - als Gemeinde des Unfallorts - auf das Ersuchen der Klägerin (Berufsgenossenschaft) vom 22. Mai 1968 die Unfalluntersuchung, u. a. durch Befragung von Zeugen, durch. Die Vernehmung des Verletzten erfolgte auf Ersuchen der Klägerin durch die Stadtverwaltung H im dortigen Krankenhaus.

Am 30. Mai 1968 setzte der Chefarzt des Kreiskrankenhauses, der Facharzt für Chirurgie Dr. K, die Klägerin fernmündlich davon in Kenntnis, daß der Verletzte am Vormittag plötzlich gestorben sei. Da bei dem Krankheitsgeschehen ein Schlaganfall sicher eine Rolle gespielt habe, sei eine Leichenöffnung erforderlich. Der von der Klägerin fernmündlich zu Rate gezogene Dr. St hielt diese ebenfalls für geboten.

Die Akten der Klägerin enthalten nun folgende Vorgänge:

"... I. Aktenvermerk ... Herr Dr. K vom Kreiskrankenhaus H wurde telefonisch davon verständigt, daß die BG auf der Durchführung der Sektion besteht.

Wie der Arzt am Telefon mitteilte, sind die Angehörigen des Verstorbenen mit der Durchführung einer Sektion einverstanden.

Herr Dr. K wird die Sektion durch einen B Pathologen durchführen lassen.

II.

An die

Gemeindeverwaltung

8729 Z

....

Herr B, der am 17.5.1968 in seinem Weinberg verunglückte, ist am 30.5.1968 im Kreiskrankenhaus H verstorben.

Da nach Auskunft des Chefarztes des Kreiskrankenhauses Herrn Dr. med. K, nicht feststeht, ob der Tod Unfallfolge ist, war zur Klärung dieser Frage eine Sektion erforderlich.

Wir weisen Sie darauf hin, daß Sie als Ortspolizeibehörde die Kosten der Sektion zu tragen haben. (Vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.7.1965)."

Diese Aktenverfügung enthält kein Datum.

Am 7. Juni 1968 fragte die Klägerin bei Dr. K an, "wer in Ihrem Auftrag die Sektion durchgeführt hat. Wir benötigen von dem Pathologen ein ausführliches Gutachten".

Der Obduzent, Regierungsmedizinalrat Dr. K erstattete am 7. Juli 1968 der Klägerin ein Gutachten sowie einen Bericht über die von ihm, wie die Revision mit Recht betont, nicht am 31. Mai, sondern am 30. Mai 1968 durchgeführte Leichenöffnung. Er kam zu dem Ergebnis, daß der Tod des Verletzten eine Folge der von ihm am 17. Mai 1968 erlittenen Hirnverletzung sei. Daraufhin gewährte die Klägerin der Witwe des Verstorbenen Hinterbliebenenrente.

Von den der Klägerin von Dr. K für die Erstattung des Gutachtens und die Leichenöffnung in Rechnung gestellten und von ihr bezahlten ärztlichen Gebühren verlangt sie von der Beklagten Ersatz in Höhe von insgesamt 336,- DM mit der Begründung, daß die Kosten der Leichenöffnung von der Beklagten zu tragen seien, weil die gesamte Unfalluntersuchung Aufgabe der Ortspolizeibehörde sei und dazu auch eine notwendige Leichenöffnung gehöre.

Die Beklagte lehnte es hingegen ab, der Klägerin diese Kosten zu erstatten.

Das Sozialgericht (SG) Würzburg hat durch Urteil vom 17. Mai 1971 die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß die Leichenöffnung ein Teil des von der Klägerin zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs des Todes des Verletzten mit einem Arbeitsunfall angeforderten ärztlichen Gutachtens und insoweit die Beklagte nicht zuständig gewesen sei.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 26. Oktober 1972 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die nach § 149 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an sich ausgeschlossene Berufung sei nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig, weil, wie die Klägerin zutreffend gerügt habe, bei der Entscheidung des SG ein ehrenamtlicher Richter mitgewirkt habe, der seinerzeit nicht mehr zum Personenkreis der Arbeitgeber gehört habe. Obwohl dieser ehrenamtliche Richter deshalb erst im Oktober 1971 seines Ehrenamts enthoben worden sei, hätte er an der Entscheidung des Erstgerichts nicht mitwirken dürfen. Dieses sei somit bei seiner Entscheidung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Dieser wesentliche Mangel des Verfahrens mache die Berufung statthaft. Das Rechtsmittel sei jedoch nicht begründet. Die für die Unfalluntersuchung zuständige Ortspolizeibehörde habe vom Tod des Verletzten erst Kenntnis erlangt, nachdem die Leichenöffnung bereits durchgeführt worden sei. Sie habe somit keine Entscheidungsfreiheit gehabt, ob eine Leichenöffnung vorgenommen werden sollte. Wie sich aus den Akten der Klägerin ergebe, habe diese eine Leichenöffnung im Rahmen der Zuständigkeit der Beklagten gar nicht in Erwägung gezogen. Sie habe diese vielmehr selbst veranlaßt, indem sie gegenüber Dr. K erklärt habe, daß sie auf einer Leichenöffnung bestehe und damit einverstanden sei, daß Dr. K einen Bamberger Pathologen damit betraue. Der Beklagten sei damit jede Möglichkeit genommen gewesen, eine angeblich ihr obliegende Untersuchung mit den ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln, nämlich mit einem eigenen Obduzenten, durchzuführen. Da die Klägerin die Leichenöffnung somit außerhalb der ortspolizeilichen Unfalluntersuchung selbst in die Wege geleitet habe, könne sie von der Beklagten nicht verlangen, deren Kosten ersetzt zu erhalten.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:

Sie habe im Rahmen der Unfalluntersuchung keinen Antrag nach § 1564 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf Zuziehung eines ärztlichen Sachverständigen - mit der Folge, daß dessen Kosten ihr zur Last gefallen wären - gestellt. Da sonach die Ausnahmeregelung dieser Vorschrift nicht gegeben sei, dürfe sie - die Klägerin - mit Kosten der Unfalluntersuchung nicht belastet werden, denn dazu gehöre auch eine Leichenöffnung. Dem stehe nicht entgegen, daß der Verletzte nicht am Unfallort "getötet" worden sei (§ 1559 Abs. 1 RVO), sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort verstorben sei. Die Beklagte sei auch nach § 1559 Abs. 2 RVO zur Unfalluntersuchung verpflichtet gewesen. Sie - die Klägerin - habe bereits am 22. Mai 1968 von der Beklagten die Unfalluntersuchungsniederschrift angefordert. Damit habe sich zusätzlich deren Verpflichtung zur Unfalluntersuchung und damit auch zur Vornahme einer Leichenöffnung ergeben. Sie - die Klägerin - habe auch schon am 30. Mai 1968 die Beklagte auf ihre Verpflichtung zur Unfalluntersuchung bzw. zur Kostentragung auch hinsichtlich der Leichenöffnung hingewiesen. Die Darstellung des Geschehensablaufs durch das Berufungsgericht, insbesondere im Hinblick auf die Wiedergabe des Inhalts der Akten und die darauf aufbauenden Überlegungen des LSG, verstoße gegen die §§ 103 und 128 SGG. Es stehe außer Frage, daß eine Leichenöffnung notwendig gewesen sei. Hätte sich Dr. K an die Beklagte gewandt, hätte diese sich ihrer Verpflichtung zur Unfalluntersuchung, hier im Wege einer Leichenöffnung, nicht verschließen können. Sie - die Klägerin habe somit die Geschäfte der Beklagten besorgt, als sie das Gespräch mit Dr. K geführt habe; sie habe die Beklagte sofort davon in Kenntnis gesetzt, daß sie - entsprechend einer Geschäftsführung ohne Auftrag - für die Beklagte tätig geworden sei, ohne diese damit ihrer eigenen Pflichten entheben zu wollen. Deshalb müsse die Beklagte die Kosten der Leichenöffnung tragen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es gehe nicht an, der - nach der Meinung der Klägerin - originär zuständigen Behörde durch eigene Tätigkeit zuvorzukommen und anschließend die angefallenen Kosten zurückzufordern. Dem Begehren der Klägerin stehe ferner entgegen, daß den Gemeinden die Polizeigewalt entzogen worden sei, es somit keine Ortspolizeibehörden im Sinne des § 1559 RVO mehr gebe; die Ordnungsämter hätten nur deren Verwaltungsfunktionen, nicht aber polizeiliche Untersuchungsfunktionen übernommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zu verurteilen, ihr die Sektionskosten in der Unfallsache Josef B zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, daß in der vorliegenden Streitsache die an sich nach § 149 SGG mangels Erreichung des Beschwerdewerts ausgeschlossene Berufung gemäß § 150 Nr. 2 SGG zulässig gewesen ist (vgl. BSG 23, 26).

Auch in der Sache erweist sich die angefochtene Entscheidung im wesentlichen als zutreffend. Auf die vom LSG und von der Revision erörterte Frage, wie die Vorschrift des § 1559 Abs. 1 RVO, die die Verpflichtung der Ortspolizeibehörde des Unfallorts zur Unfalluntersuchung, wenn ein Versicherter "getötet" worden ist, begründet, auszulegen ist, braucht nicht eingegangen zu werden. Dasselbe gilt für den Einwand der Beklagten, daß angesichts der zwischenzeitlichen Rechtsänderungen im kommunalen Bereich ihre Aufgaben als Ortspolizeibehörde im Sinne dieser Vorschrift weggefallen seien. Denn der geltend gemachte Ersatzanspruch ist schon aus anderen Gründen nicht gegeben.

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Juli 1965 (BSG 23, 213, 217) hat der für die Entschädigung zuständige Unfallversicherungsträger grundsätzlich einen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch gegen die zur Durchführung der Unfalluntersuchung verpflichtete Gemeinde, wenn zur Klärung der Frage, ob der Tod des Verletzten die Folge eines Arbeitsunfalls ist, eine Leichenöffnung geboten ist, der Versicherungsträger eine solche Anordnung durch die Ortspolizeibehörde als eine dieser nach § 1559 RVO in eigener Verantwortung obliegende Aufgabe ansieht und die Vornahme der Leichenöffnung verlangt. Der vorliegenden Streitsache liegt indessen ein anderer Sachverhalt zugrunde.

Nach den - mit begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen - tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Klägerin, nachdem ihr vom Chefarzt des Kreiskrankenhauses H der Tod des Verletzten mitgeteilt und sie auf die Notwendigkeit einer Leichenöffnung hingewiesen worden war, von sich aus eine entsprechende Anordnung getroffen, wobei sie Dr. K die Auswahl eines geeigneten Obduzenten überließ. Entgegen ihrer bloßen Behauptung in der Revision hat sie die Beklagte nicht etwa rechtzeitig auf ihre Verpflichtung aufmerksam gemacht, auch insoweit, d. h. über ihre durch das noch zu Lebzeiten des Verletzten gestellte, somit auf § 1559 Abs. 2 RVO beruhende Ersuchen der Klägerin vom 22. Mai 1968 begründete Verpflichtung hinaus, ihrer gesetzlichen Aufgabe nachzukommen. Sie hat sie vielmehr allein davon in Kenntnis gesetzt, daß eine Leichenöffnung erforderlich "war", und - unter Hinweis auf das o. a. Urteil des BSG - daß sie die Kosten zu tragen habe. Dieses Schreiben, das in den Akten nicht mit einem Datum versehen ist, könnte auch dann nicht als eine rechtzeitige Unterrichtung der Beklagten angesehen werden, wenn es noch am Todestag (30. Mai 1968) ausgefertigt und - von W nach Z - abgegangen wäre, da die Obduktion auf Veranlassung der Klägerin noch am Todestag erfolgt ist. Damit hat die Klägerin von vornherein der Beklagten jede Möglichkeit abgeschnitten, in eigener Entscheidungsfreiheit zu prüfen, ob eine Leichenöffnung geboten und welcher Sachverständige dafür geeignet sei. Unter diesen Umständen kann weder angenommen werden, daß das LSG bei der Darstellung des Geschehensablaufs oder bei der Wiedergabe des Akteninhalts gegen die §§ 103 und 128 SGG verstoßen hätte, noch kann die Klägerin für sich in Anspruch nehmen, sie habe - im Wege der Geschäftsführung ohne Auftrag - für die Beklagte eine keinen längeren Aufschub duldende Amtshandlung vorgenommen, für die diese zuständig gewesen sei.

Dadurch, daß die Klägerin durch ihre Maßnahmen den Amtshandlungen der Beklagten, welche diese nach Ansicht der Klägerin hätte treffen müssen, vorgegriffen hat, steht dem von ihr erhobenen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegen (BSG 23, 213, 217, 218).

Die Revision der Klägerin war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646736

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