Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 31.08.1972)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. August 1972 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der im Dezember 1910 geborene Kläger erhält die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen nebst Zulagen sowie Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Der Berufsschadensausgleich wurde mit Bescheid vom 8. September 1970 neu festgestellt, und zwar für Januar und Februar 1970 auf je 63,– DM, für die Zeit ab 1. März 1970 wurde er eingestellt. Anlaß hierzu war einmal die zum 1. März 1970 erfolgte Umwandlung der von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) dem Kläger gezahlten Berufsunfähigkeitsrente (BU-Rente) in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), zum anderen der Umstand, daß der Kläger für sein vorzeitiges Ausscheiden aus den Diensten der Stadt A. eine Kapitalabfindung erhielt. Hierüber enthalten die Personalakten des Klägers mehrere, von den Vorinstanzen ausgewertete Unterlagen, nämlich den Vermerk vom 2. Februar 1970, die Verhandlungsniederschrift vom 20. Februar 1970 und das Schreiben des Stadtkämmerers an den Kläger vom 20. Februar 1970, das wie folgt lautete: „Unter Bezugnahme auf Ihre heutige Unterredung beim Personalamt, teile ich Ihnen mit, daß Ihre Bedingungen entsprechend der beigefügten Verhandlungsniederschrift akzeptiert werden.

Demgemäß bestätige ich Ihnen hiermit folgendes:

  1. Das Arbeitsverhältnis endet vereinbarungsgemäß mit Ablauf des 30. April 1970.
  2. Die Stadt A. zahlt Ihnen anläßlich dieses Ausscheidens eine Abfindung von 20.000,– DM, zahlbar in einer Summe am 30. April 1970.
  3. Die auf diese Abfindung entfallende Lohn- und Kirchensteuer wird von der Stadt A. übernommen”.

Ferner gewährte die Stadt A. dem Kläger aufgrund des Auflösungsvertrages gemäß §§ 58 und 62 BAT ein Übergangsgeld für die Zeit vom 1. Mai bis zum 15. August 1970.

Der Beklagte errechnete den Bruttobetrag der Abfindung auf 23.190,– DM und nahm an, das zuletzt gezahlte Bruttogehalt sei solange als „derzeitiges Bruttoeinkommen” (§ 30 Abs. 4 Satz 1 BVG) anzusetzen, bis jener Betrag verbraucht sei, also auf die Dauer von 14 1/4 Monaten.

Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 4. Januar 1971 zurückgewiesen: Da es sich nicht um eine Abfindung aufgrund von § 7 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) 1951, sondern um eine vertraglich vereinbarte Abfindung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses handele, sei der Betrag als Einkommen anzurechnen.

Während des Klageverfahrens erging der Bescheid vom 6. Oktober 1971, worin die einkommensabhängigen Versorgungsbezüge für die Zeit ab 1. Juli 1971 unter Vorbehalt festgestellt wurden; für Juli 1971 wurde noch ein Arbeitsentgelt von 398,– DM angerechnet, ab August 1971 nur noch die EU-Rente. Durch Urteil vom 29. November 1971 hat das Sozialgericht (SG) A. die Klage abgewiesen: Der Kläger sei durch den Bescheid vom 8. September 1970 und den Widerspruchsbescheid nicht beschwert. Die Abfindungssumme habe ihren Grund im Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Stadt A. und sei als fortlaufendes Erwerbseinkommen anzusehen. Anrechnungsfreiheit aufgrund der Nummern 13, 17 oder 26 von § 2 Abs. 1 DVO zu § 33 BVG bestehe nicht.

Mit seiner vom SG nicht zugelassenen Berufung hat es der Kläger als einen Verstoß gegen § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gerügt, daß das SG nicht auch über den Bescheid vom 6. Oktober 1971 entschieden habe. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 31. August 1972 unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Änderung der Bescheide vom 8. September 1970 und 6. Oktober 1971 sowie des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 1971 den Beklagten verurteilt, bei der Berechnung der einkommensabhängigen Leistungen des Klägers den Betrag von 23.190,– DM außer Ansatz zu lassen: Die an sich gemäß § 148 Nr. 3 SGG unstatthafte Berufung des Klägers sei aufgrund des § 150 Nr. 2 SGG zulässig. Der Bescheid vom 6. Oktober 1971 habe bezüglich des Monats Juli 1971 die Beschwer des Klägers aufrechterhalten und somit den bisherigen Streitgegenstand betroffen, so daß dieser Bescheid nach § 96 SGG – auch ohne förmliche Anfechtung – Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei; darauf, daß dem SG dieser Bescheid nicht bekannt gewesen sei, komme es nicht an, auch sei dem Verhalten des Klägers nicht zu entnehmen, daß er etwa seine Klage auf die Anfechtung des Bescheides vom 8. September 1970 habe beschränken wollen. Da das SG mithin nur über einen Teil des Streitgegenstandes entschieden habe, leide sein Verfahren an einem vom Kläger gerügten wesentlichen Mangel.

Bei der Bemessung des Berufsschadensausgleichs sei die dem Kläger gewährte Abfindung nach § 10 DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO 1967 zu § 33 BVG nicht als derzeitiges Bruttoeinkommen anzurechnen. Zu den vereinzelt vorkommenden Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 26 gehörten insbesondere auch Leistungen nach den §§ 9 und 10 KSchG (i.d.F. vom 25. August 1969); die Aufzählung sei nicht erschöpfend, sondern beispielhaft (BMA Rundschreiben vom 17.9.1968, BVBl 1968, 144 Nr. 69), auch die dem Kläger gewährte Abfindung sei hierunter zu subsumieren. Die Abfindungen nach § 10 KSchG (ebenso auch § 113 Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972 und Sonderregelungen für Beschäftigte im Bergbau – BMA Rundschreiben von 28. August 1968, BVBl 1968, 134 Nr. 59 und vom 2. September 1969, BVBl 1969, 104 Nr. 67) seien kein Arbeitsentgelt, sondern eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes, sie seien einkommen- und lohnsteuerfrei und hätten keine Lohnersatzfunktion, würden insbesondere ohne Rücksicht darauf gezahlt, ob der Entlassene ein geringeres Einkommen als vorher erziele; die Abfindungen bewirkten auch keine Minderung anderer zur Sicherstellung des Lebensunterhalts bestimmter Leistungen. Die dem Kläger gewährte Abfindung sei denjenigen der §§ 9 und 10 KSchG und § 113 Betriebsverfassungsgesetz stark angenähert. Dagegen, daß ihr Lohnersatzfunktion zugekommen sei, spreche auch der Umstand, daß der Arbeitgeber diese Abfindung nicht auf das gemäß §§ 58 und 62 BAT gezahlte Übergangsgeld angerechnet habe. Auch die Höhe der Abfindung, bei der die Maßstäbe des § 10 KSchG nicht überschritten worden seien, spreche gegen die Betrachtungsweise des Beklagten. Daß die Abfindung ihren Grund im Arbeitsverhältnis des Klägers gehabt habe, sei entgegen der Auffassung des SG nicht entscheidend, denn dies treffe auf alle in § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO genannten, beziehungsweise vom BMA gleichgestellten Abfindungen zu.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision hat der Beklagte beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

sie als unbegründet zurückzuweisen.

Innerhalb der nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGG verlängerten Frist hat der Beklagte die Revision folgendermaßen begründet: Das LSG hebe die Berufung zu Unrecht als zulässig erachtet. Daß das SG über den Bescheid vom 6. Oktober 1971 nicht entschieden habe, bedeute keinen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG. Die Berufung sei auch sachlich unbegründet, denn die dem Kläger gezahlte Abfindung sei keine vereinzelt vorkommende Leistung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO zu § 33 BVG gewesen. Von den Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG habe sie sich schon deswegen unterschieden, weil sie nicht auf einer gesetzlichen Regelung, sondern auf einer privatrechtlichen Vereinbarung beruht habe. Aus den s.Zt. getroffenen Absprachen ergebe sich, daß die Abfindling letztlich bezweckte, den weiteren Lebensunterhalt des Klägers in etwa so zu sichern, wie es sein Erwerbseinkommen getan hätte. Sie sei auch nicht als lohnsteuerfrei behandelt worden, vielmehr habe die Stadt A die 20.000,– DM mit insgesamt 4.364,– DM versteuern müssen, damit fehle es an dem im BMA-Rundschreiben vom 25. April 1962 (BVBl 1962, 71 Nr. 40) als wesentlich bezeichneten Merkmal einer Anrechnungsfreiheit nach § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision. Er pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die – an sich durch § 148 Nr. 3 SGG ausgeschlossene – Berufung des Klägers aufgrund des § 150 Nr. 2 SGG zulässig war. Die im Bescheid vom 8. September 1970 vorgenommene Neufeststellung des Berufsschadensausgleichs wurde allerdings durch den Bescheid vom 6. Oktober 1971 nicht „abgeändert oder ersetzt”, so daß eine Anwendung des § 96 SGG dem Wortlaut nach ausscheidet. Der Bescheid vom 6. Oktober 1971 enthielt jedoch eine ergänzende Regelung des streitigen Dauerrechtsverhältnisses für einen anschließenden Zeitabschnitt, wobei der Beklagte seinen im Bescheid vom 8. September 1970 vertretenen, vom Kläger betrittenen Standpunkt aufrecht erhielt; hieraus ergab sich jedenfalls eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG (vgl. BSG 27, 146, 148; 34, 255, 257; SozR Nr. 14 und 19 zu § 96 SGG; siehe auch BSG 18, 93; 25, 161, 163; SozR Nr. 4 zu § 725 RVO). Wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 29. November 1971 bei der Formulierung seines Sachantrages den Bescheid vom 6. Oktober 1971 nicht berücksichtigt hat, so genügt dies nach Lage des Falles nicht, um eine ausdrückliche Beschränkung des Klagebegehrens auf die Zeit bis zum 30. Juni 1971 anzunehmen (vgl. BSG 18, 31, 33, 34). Das SG hätte also auch über den Bescheid vom 6. Oktober 1971 entscheiden müssen. Daß das SG dies unterlassen hat, bedeutete einen wesentlichen Verfahrensmangel (vgl. BSG 4, 24, 26; Urteile des 80 Senats vom 24.6.1960, BVBl 1961, 95 und vom 18.8.1966, Breithaußt 1967, 81, 83), wobei es auf die fehlende Kenntnis des SG vom Erlaß dieses Bescheides nicht ankam. Die von der Revision vertretene Auffassung, das LSG habe die Berufung des Klägers zu Unrecht als zulässig erachtet, trifft somit nicht zu.

Auch in der Sache selbst pflichtet der erkennende Senat dem angefochtenen Urteil bei. Bei der Berechnung des dem Kläger zustehenden Berufsschadensausgleichs durfte die von der Stadt A. gezahlte Abfindung in Höhe von netto 20.000,– DM nicht zum derzeitigen Bruttoeinkommen des Klägers (§ 9 DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG) gerechnet werden, weil dieser Kapitalbetrag gemäß § 10 DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 iVm § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO 1967 zu § 33 BVG unberücksichtigt zu bleiben hatte. § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO 1967 zu § 33 BVG regelt die Anrechnungsfreiheit von „vereinzelt vorkommenden Einkünften, soweit sie nicht an die Stelle einer zur Sicherstellung des Lebensunterhalts bestimmten Leistung treten”; als die zur Sicherstellung des Lebensunterhalts bestimmte Leistung kommt hier nach Lage des Falles das Arbeitsentgelt in Betracht, das der Kläger bis Ende April 1970 bezogen hatte. In der Aufzählung des § 2 Abs. 1 Nr. 26 werden nun zwar neben anderen, hier nicht interessierenden Beispielen ausdrücklich nur „Leistungen nach den §§ 9 und 10 KSchG 1969” genannt. Diese Aufzählung ist aber, wie sich aus den Worten „hierzu gehören insbesondere” ergibt, nicht erschöpfend (Vorberg-van Nuis, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen IV, Beschädigtenversorgung, Seite 189; BMA Rundschreiben vom 17.9.1968, BVBl 1968, 144 Nr. 69); deshalb sind mit Recht Abfindungen, die entlassenen Arbeitnehmern aufgrund ähnlicher Vorschriften gewährt werden, im Verwaltungswege den in §§ 9, 10 KSchG 1969 geregelten Fällen gleichgestellt worden (vgl. BMA Rundschreiben vom 28.8.1968, BVBl 1968, 134 Nr. 59, vom 17.9.1968 aaO und vom 2.9.1969, BVBl 1969, 104 Nr. 67). Die Abfindung, die der Kläger von seiner Arbeitgeberin erhielt, beruhte allerdings auf keiner gesetzlichen Regelung, sondern auf einer in dem Auflösungsvertrag (§ 58 BAT) vom 20. Februar 1970 getroffenen Vereinbarung. Dies bedeutet jedoch nicht – wie die Revision meint – einen so wesentlichen Unterschied zwischen dem vorliegenden Fall und den im KSchG normierten Abfindungstatbeständen, daß der Kläger die Vergünstigung des § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO 1967 zu § 33 BVG nicht für sich geltend machen könnte.

Die Abfindung, zu deren Zahlung an den ausgeschiedenen Arbeitnehmer das Gericht gemäß § 9 Abs. 1 KSchG 1969 den Arbeitgeber verurteilt, hat ihren Ursprung in einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, die „sozial ungerechtfertigt”, d. h. weder durch in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegende Gründe noch durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (§ 1 Abs. 1 und 2 KSchG 1969).

Der Arbeitnehmer, der dies geltend machen will, muß beim Arbeitsgericht die in § 4 KSchG 1969 näher bezeichnete Klage erheben. Hat er damit Erfolg, ist ihm jedoch wegen der Kündigung oder des dadurch veranlaßten Prozesses die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten, so hat das Gericht auf seinen Antrag das Arbeitsverhältnis zu dem sich bei einer sozial gerechtfertigten Kündigung ergebenden Zeitpunkt aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen (§ 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 KSchG 1969); die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers unter den im § 9 Abs. 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen zu treffen. Diese Regelung führt dazu, daß ein – freilich durch gegensätzliche Motive veranlaßtes – Vorgehen beider Prozeßparteien das Arbeitsgericht bindet und ihm nur noch die Prüfung der Frage offenläßt, wie hoch es die Abfindung bemessen will (vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band I, Seite 664, Fußnote 140; Hueck, Komm. zum KSchG 1969, 8. Aufl., Randnote 15 zu § 9); hierdurch drängt sich allgemein schon die Erwägung auf, daß es vielleicht im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 26 DVO 1967 zu § 33 BVG keinen erheblichen Unterschied darstellt, ob eine Abfindung durch Richterspruch zuerkannt oder im Wege der Parteivereinbarung ausgehandelt worden ist. Die Umstände des hier zu entscheidenden Einzelfalles bestätigen dies.

Die Abfindung, deren Hohe § 10 KSchG 1969 im einzelnen regelt, ist ihrem Wesen nach ein Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes (vgl. BAG AP Nr. 24 zu § 7 KSchG); es handelt sich bei ihr weder um Arbeitsentgelt noch um eine dieses ersetzende Leistung (vgl. Hueck aaO, Randnote 10 zu § 10; Haus, KSchG Komm., Randnote 27 bis 36 zu § 10; Fitting/Auffarth, Betriebsverfassungsgesetz, Handkommentar, Randnote 16 zu § 113), sondern um einer Art „soziales Schmerzensgeld”, welches die durch eine soziale ungerechtfertigte Kündigung verursachten Unannehmlichkeiten vergüten soll (vgl. Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Band I, Seite 791; Maus aaO; Randnote 27).

Dieselbe Bezeichnung hat der 7. Senat in dem zu § 96 AVAVG ergangenen Urteil vom 29. August 1963 (BSG 20, 20, 22, 23) gebraucht, bei dem es sich – wie im hier zu entscheidenden Rechtsstreit – um eine nicht auf Richterspruch, sondern auf einem Auflösungsvertrag beruhende Abfindung handelte; beim Vergleich der Sachverhalte ergeben sich noch weitere Parallelen zum vorliegenden Fall: Auch die Stadt A. als Arbeitgeberin des Klägers sah sich – durch die Ergebnisse einer Organisationsprüfung beim Hochbauamt – veranlaßt, mehrere Techniker stellen einzusparen. Sie zog hierfür den Kläger in Betracht – insbesondere offenbar wegen dessen schädigungsbedingter beschränkter Einsatzfähigkeit – und trat mit dem Anliegen, er möge seine Tätigkeit im Hochbauamt einstellen, an ihn her an. Daß sie zu diesem Zwecke – selbst bei an sich gegebener Kündbarkeit des Arbeitsverhältnisses – eine sozial gerechtfertigte Kündigung nicht erklären konnte, war der Stadt A. sicherlich von vornherein klar. Der Kläger hatte nun im Hinblick auf seine Beschäftigungszeit von nicht ganz 15 Jahren den Status der Unkündbarkeit nach allgemeinen Bestimmungen (§ 53 Abs. 3 BAT) zwar noch nicht erreicht; in seiner Eigenschaft als Schwerbeschädigter stand er jedoch unter dem besonderen Schutz der §§ 14 bis 18 des Schwerbeschädigtengesetzes 1953/1961, wobei hinsichtlich der ihn persönlich betreffenden Voraussetzungen eine Zustimmung der Hauptfürsorgestelle gemäß § 18 Abs. 2 Buchst. a und c Schwerbeschädigtengesetz wohl kaum zu erwarten war. Unter diesen Umständen erscheint es hier ebenso wie in dem vom 7. Senat (aaO) entschiedenen Fall nicht angängig, den im Auflösungsvertrag vereinbarten Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem städtischen Dienst an irgendwelchen Kündigungsfristen zu messen und daraufhin etwa einen Teil des Abfindungsbetrages noch als Arbeitsentgelt zu behandeln. – Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf dem in § 59 BAT vorgesehenen Wege war am 20. Februar 1970, als der Auflösungsvertrag zwischen der Stadt A. und dem Kläger geschlossen wurde, nicht zu verwirklichen, da der Kläger damals die EU-Rente bei der BfA noch nicht beantragt hatte; er hat diesen Antrag erst am 26. Februar 1970 gestellt, nachdem ihm die Zahlung der Abfindung verbindlich zugesagt worden war.

Von dem in BAG 20, 20 entschiedenen Sachverhalt, bei dem die Abfindung – aufgrund spezieller Richtlinien – sich auf genau 1 Jahresgehalt belief, unterscheidet sich der vorliegende Fall insofern, als selbst eine solche äußerliche Anknüpfung an die Höhe des bisherigen Arbeitsentgelts hier fehlt. Den vom LSG ausgewerteten Teilen der Personalakten, insbesondere der Verhandlungsniederschrift vom 20. Februar 1970 ist vielmehr zu entnehmen, daß beim Abschluß des Auflösungsvertrages in erster Linie nicht an die Höhe des Tarifgehalts gedacht wurde, das der Kläger nunmehr einbüßen würden, sondern an die besondere Belastung, die sich für den Kläger daraus ergab, daß er künftig als Rentner die auf seinem Haus eingetragene Hypothek von … DM würde verzinsen und amortisieren müssen. Es war also ein in der Privatsphäre des Klägers begründeter Umstand, der dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben außergewöhnliche Schwierigkeiten entgegensetzte, woran sich die Bemessung der Abfindung von 20.000,– DM im vorliegenden Fall orientiert hat. Damit ist es hier um so eher gerechtfertigt, die Abfindung nicht zu den „Einnahmen aus einer früheren unselbständigen Tätigkeit” (§ 9 Abs. 1 Buchst. a DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG) zu zählen, sondern sie als unberücksichtigt bleibende, vereinzelt vorkommende Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr., 26 DVO 1967 zu § 33 BVG zu behandeln. Die pauschale Abfindung mit netto 20.000,– DM hat andererseits den für die Gerichtsentscheidung durch § 10 KSchG 1969 gezogenen Rahmen im wesentlichen eingehalten, zumal wenn bedacht wird, daß dem Kläger bei einer nur geringfügig längeren Dauer seines Arbeitsverhältnisses ein Betrag von 15 Monatsverdiensten hätte zugesprochen werden können.

Daß für den Abfindungsbetrag von netto 20.000,– DM die Arbeitgeberin Lohnsteuer entrichtet hat, mußte das LSG zu einer dem Kläger ungünstigen Entscheidung nicht veranlassen. Zwar wird im Lohnsteuerrecht differenziert zwischen Abfindung aufgrund arbeitsgerichtlicher Urteile, bei denen die Finanzbehörden und -gerichte die rechtsgestaltende Entscheidung ohne weiteres hinnehmen müssen, und Abfindungen gemäß Vergleich oder vertraglicher Vereinbarung, bei denen steuerrechtlich eine selbständige Prüfung stattfindet (vgl. BFH AP Nr. 23 zu § 7 KSchG; Hueck aaO, Randnote 12 zu § 10). Im vorliegenden Fall hat es die Stadt A. jedoch offenbar aus eigenem Entschluß unterlassen, dem Finanzamt die – oben dargelegten – für eine Gleichstellung mit §§ 9, 10 KSchG 1969 und damit auch für Steuerfreiheit sprechenden besonderen Umstände zu unterbreiten, so daß es zu einer Beurteilung durch diese Behörde und erst recht durch die Finanzgerichtsbarkeit gar nicht erst kommen konnte.

Anlaß zu einer abweichenden Entscheidung bietet schließlich auch nicht die Rechtslage, wie sie sich in vergleichbaren Fällen beim Anspruch auf Arbeitslosengeld gestaltet hat. Die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 2 AVAVG (vgl. hierzu BSG 20, 20) ist seit dem 1. Juli 1969 durch § 117 Abs. 1 AFG ersetzt worden, worin die Möglichkeiten, daß eine Abfindung der hier gegebenen Art das Arbeitslosengeld nicht zum Ruhen bringt, sehr weitgehend eingeschränkt worden sind. Maßgebend hierfür war insbesondere, daß die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (insbesondere BAG 20, 324 f; 21, 154, 157, 159) von der Arbeitsverwaltung als unbefriedigend erachtet wurde (vgl. Hennig/Kühl/Heuer, AFG Kommentar, Anm. 1 zu § 117; Schönefelder/Kranz/Wanka, AFG Kommentar, Randnote 1 zu § 117). Die jetzige Regelung stellt es entscheidend darauf ab, daß das Arbeitsverhältnis nicht fristgerecht gelöst wurde, und unterscheidet bei der darauf abzielenden Prüfung nicht zwischen vereinbarten und gerichtlich zuerkannten Abfindungen (vgl. Hennig/Kühl/Heuer, aaO, Anm. 5; Schönefelder/Kranz/Wanka, aaO, Randnote 13). Diese Betrachtungsweise ist offensichtlich davon beeinflußt, daß das Arbeitslosengeld eine spezifische Sozialleistung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses darstellt. Von dieser Besonderheit sind aber die einkommensabhängigen Geldleistungen aufgrund des BVG nicht gekennzeichnet.

Die Revision ist hiernach unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 93

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