Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung und Apothekenrabatt. Gewährung von Arzneimitteln in der Form als Sachleistung. Kostenerstattung für selbstbeschaffte Arzneimittel an freiwillige Ersatzkassenmitglieder
Orientierungssatz
Eine Ersatzkasse ist nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, bei Erstattung der Kosten für vom Versicherten selbstbeschaffte Arzneimittel den ihr gesetzlich zustehenden Apothekenrabatt in Abzug zu bringen.
Normenkette
RVO § 376 Abs 1 S 1 Fassung: 1972-08-10, § 507 Abs 4 Fassung: 1974-08-07, § 525c Abs 4 Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte berechtigt war, bei Erstattung der Kosten für vom Kläger selbstbeschaffte Arzneimittel einen Apothekenrabatt in Abzug zu bringen.
Der Kläger hat als freiwilliges Mitglied der Beklagten Anspruch auf kostenfreie ärztliche Behandlung auf Krankenschein; er gehört nicht zu dem Personenkreis, dem nach § 12 Abs 3 und 4 der Versicherungsbedingungen (VB) der Beklagten ein Kostenerstattungsanspruch zusteht. Dessen ungeachtet ließ er sich stets ohne Krankenschein behandeln und kaufte verordnete Arzneimittel gegen Barzahlung. Die Apothekenrechnungen reichte er der Beklagten ein, die ihm den Rechnungsbetrag voll erstattete.
Im Dezember 1974 kürzte die Beklagte den Betrag einer vom Kläger vorgelegten Apothekenrechnung um einen Apothekenrabatt von 7 vH, in diesem Fall um 121,87 DM. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Sofern der Kläger für selbstbeschaffte Arzneimittel Kostenerstattung verlange, bestünden bei ihm gleiche Voraussetzungen nicht mit den Sachleistungen in Anspruch nehmenden, sondern mit jenen Mitgliedern der Beklagten, die Kostenerstattung beanspruchen können. Deshalb sei dem Kläger Ersatz nur nach den für andere Kostenerstattungsfälle geltenden Maßstäben zu leisten. Das bedeute, daß er die Regelung des § 14 Abs 5 Satz 2 der VB der Beklagten gegen sich gelten lassen müsse, von der Beklagten also nur Aufwendungen in der Höhe fordern könne, wie sie bei vertragsärztlicher Behandlung entstanden wären. Die Beklagte habe mithin seine Arzneimittelrechnung um den gesetzlich vorgeschriebenen Apothekenrabatt kürzen dürfen. Ihre früher anders gehandhabte Abrechnungsweise stehe dem nicht entgegen; es habe sich dabei um eine bevorzugte Behandlung im Kulanzwege gehandelt, von der die Beklagte zu Gunsten des wirklichen Rechtszustandes jederzeit habe abweichen können.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und einen Verstoß gegen Treu und Glauben. Er gehöre zweifelsfrei nicht zu dem in § 12 Abs 3 und 4 der VB der Beklagten angesprochenen Personenkreis. Er habe Anspruch darauf, mit einem Krankenschein Vertragsärzte kostenfrei zu konsultieren und könne die erforderlichen Medikamente - von der Verordnungsblattgebühr abgesehen - kostenfrei in den Apotheken erhalten. Er müsse deshalb mit jenen Mitgliedern der Beklagten verglichen werden, die ausschließlich auf die Inanspruchnahme von Sachleistungen angewiesen seien. Es könne von ihm nicht verlangt werden, daß er 7 vH seiner Arzneimittelkosten selbst trage. Abgesehen hiervon sei die Beklagte verpflichtet gewesen, ihn rechtzeitig von einer Änderung ihrer Abrechnungsweise in Kenntnis zu setzen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die vorinstanzlichen Urteile sowie die Bescheide der Beklagte aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 121,87 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte ist zur Erstattung des geltend gemachten Kostenbetrages nicht verpflichtet.
Der Kläger ist freiwilliges Mitglied einer Ersatzkasse. Nach Art 2 § 4 Abs 2 der 12. Verordnung (VO) zum Aufbau der Sozialversicherung vom 24. Dezember 1935 - 12. Aufbau-VO - (RGBl I 1537) in der Fassung der 15. VO zum Aufbau der Sozialversicherung vom 1. April 1937 - 15. Aufbau-VO - (RGBl I 439) - beide VOen sind nach Art 123, 125 Nr 1 des Grundgesetzes (GG) Bundesrecht geworden (vgl BSGE 16, 165, 168 sowie BGBl III 8230-13) - ist die Regelung derartiger Versicherungsverhältnisse grundsätzlich der Satzung vorbehalten. Der Umfang der Leistungspflicht der Kasse ist deshalb ihrem lediglich durch übergeordneten Normen begrenzten (vgl § 323 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) Satzungsrecht zu entnehmen (vgl BSGE 25, 195, 197). Nach § 12 Abs 3 und 4 der VB der Beklagten, die Bestandteil ihrer Satzung sind (vgl § 5 Abs 5 der Satzung), haben nur diejenigen ihrer Mitglieder Anspruch auf Kostenerstattung, die kostenfreie ärztliche Behandlung auf Krankenschein nicht beanspruchen können. Arzneimittelkosten wurden diesen Mitgliedern in der hier in Betracht kommenden Zeit (Dezember 1974) in dem Umfang erstattet, wie sie bei Durchführung einer vertragsärztlichen Behandlung entstanden wären (§ 14 Abs 5 Satz 3 VB idF des 8. Nachtrages, Stand 1. Januar 1974). Nach den mit der Revision nicht angegriffenen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), vom Kläger in seiner Revisionsbegründung vielmehr ausdrücklich als richtig bezeichneten tatsächlichen Feststellungen des LSG gehört er jedoch nicht zu diesem Personenkreis. Es ist deshalb nicht ersichtlich, wieso ihm gegen die Beklagte überhaupt ein Kostenerstattungsanspruch zustehen soll; denn das System der gesetzlichen Krankenversicherung wird nicht vom Kostenerstattungsprinzip, sondern vom Sachleistungsprinzip geprägt. Dementsprechend hat der Kläger nach § 12 Abs 1 und 2 der VB der Beklagten lediglich Anspruch auf kostenfreie ärztliche Behandlung auf Krankenschein und kann nach § 14 dieser VB Arzneimittel - abgesehen von der Verordnungsblattgebühr - kostenfrei aus der Apotheke entnehmen. Das bestreitet er auch selbst nicht.
Die Kosten der auf diese Weise zu beziehenden Arzneimittel abzüglich der vom Kläger selbst zu entrichtenden Verordnungsblattgebühr hat die Beklagte direkt an die Apotheke zu zahlen (§ 14 Abs 5 Satz 1 VB idF des 8. Nachtrages; jetzt § 14 Abs 4 Satz 1 VB idF des 20. Nachtrags). Diese hat ihr dabei einen Abschlag von den Preisen der Arzneitaxe zu gewähren, der in der hier in Betracht kommenden Zeit (Dezember 1974) 7 vH betrug. Das ergibt sich aus § 376 Abs 1 Satz 1 RVO. Daß diese Vorschrift auch für alle Mitglieder von Ersatzkassen gilt, schrieb § 507 Abs 4 RVO in seiner für die streitige Zeit in Frage kommenden Fassung ausdrücklich vor (vgl Art 2 Nr 22 Buchst b des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfall und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung vom 27. Juli 1969, BGBl I 946; § 21 Nr 33 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation -RehaAnglG- vom 7. August 1974, BGBl I 1881; Art 1 § 1 Nrn 23 und 26, Art 2 § 9 des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts vom 28. Dezember 1976, BGBl I 3871; zum heutigen Rechtszustand vgl § 525c Abs 4 RVO). Die Beklagte war deshalb nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, bei Erstattung der Kosten für vom Versicherten selbstbeschaffte Arzneimittel den ihr gesetzlich zustehenden Apothekenrabatt in Abzug zu bringen. Wenn sie dem Kläger - aus welchen Gründen auch immer - schon gestattete, sich ohne Krankenschein behandeln zu lassen sowie verordnete Arzneimittel gegen Barzahlung zu kaufen und ihr seine Arztrechnungen und Arzneimittelrechnungen zur Kostenerstattung einzureichen, statt ihn zur Inanspruchnahme der ihm satzungsgemäß allein zustehenden Sachleistungen anzuhalten, dann durfte sie ihn nicht auch noch zu Lasten der Solidargemeinschaft ihrer Mitglieder dadurch begünstigen, daß sie ihm die Beträge seiner Arzneimittelrechnungen voll erstattete und damit auf den ihr gesetzlich zustehenden Apothekenrabatt auf Kosten ihrer übrigen Mitglieder verzichtete. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist hier ebensowenig ersichtlich wie ein Verstoß gegen Treu und Glauben; das Vertrauen darauf, daß ein anderer sein bisheriges rechtswidriges Verhalten fortsetzen werde, wird von der Rechtsordnung nicht geschützt (vgl BSGE 7, 75, 78; 15, 10, 14; 38, 63, 68; BSG in SozR Nr 2 zu § 1 d.14. DVO/AVAVG und in SozR 2200 § 1237 RVO Nr 10). Die Frage aber, ob die Beklagte die dem Kläger infolge ihrer fehlerhaften Abrechnungsweise früher zu Unrecht zugeflossen und damit der Solidargemeinschaft ihrer Mitglieder Verlorengegangenen Beträge zurückfordern kann, hat der Senat nicht zu entscheiden; sie ist nicht Gegenstand des Rechtsstreites.
Nach alledem ist der Revision des Klägers der Erfolg versagt; denn die Vorinstanzen haben seine Klage zu Recht abgewiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen