Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. Ausländer. Asylberechtigter. Flüchtling. Diskriminierungsverbot
Leitsatz (redaktionell)
Wer nicht Deutscher ist, hat nur dann einen Anspruch auf Erziehungsgeld, wenn er über eine Aufenthaltsberechtigung oder eine Aufenthaltserlaubnis verfügt; die Stellung als anerkannter Asylberechtigter oder als anerkannter Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention genügt hingegen nicht.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; BErzGG § 1 Abs. 1a S. 1; AsylVfG §§ 2-3, 55; VO (EWG) 1408/71 Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1
Beteiligte
Landeskreditbank Baden-Württemberg –Förderbank– |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. August 1998 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Erziehungsgeld (Erzg) für die Zeit vom 30. September 1993 bis zum 12. April 1994.
Die am 4. April 1971 geborene Klägerin, iranische Staatsangehörige, beantragte am 30. November 1992 Asyl in Deutschland. Zur Durchführung des Asylverfahrens wurde ihr der Aufenthalt am 4. Dezember 1992 gestattet. Seit 22. September 1993 ist sie mit ihrem seit 1986 asylberechtigten Landsmann H. verheiratet. Am 13. April 1994 wurde ihr eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18. Mai 1994 wurden – in Ausführung eines am 5. Februar 1994 rechtskräftig gewordenen Urteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart (VG) vom 11. November 1993 – ihre Asylberechtigung und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Abschiebungsverbot iS des § 51 Abs 1 des Ausländergesetzes (AuslG) anerkannt.
Am 6. Dezember 1993 beantragte die Klägerin Erzg für die ersten zwölf Lebensmonate ihrer am 30. September 1993 geborenen Tochter S.. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 1994 mit der Begründung ab, die Klägerin besitze weder eine Aufenthaltsberechtigung noch eine Aufenthaltserlaubnis iS des § 1 Abs 1a Satz 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) in der seit 27. Juni 1993 geltenden Fassung des Gesetzes vom 23. Juni 1993 (BGBl I 944). Während des Klageverfahrens erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 15. August 1994 den Klageanspruch ab dem 13. April 1994 für den 7. bis 12. Monat des Kindes an. Die Klägerin hat insoweit den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Soweit die Rechtssache anhängig geblieben war, wies das Sozialgericht (SG) die Klage durch Urteil vom 25. November 1997 ab. Die Klägerin gehöre keinem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft (EG) an und sei daher nicht nach der Verordnung des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Nr 1408/71 vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Angehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV Nr 1408/71), einer Deutschen gleichgestellt. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Baden-Württemberg vom 4. August 1998).
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision (Beschluss des BSG vom 28. Januar 1999) macht die Klägerin geltend, auch für die Zeit, in der Flüchtlinge noch keine Aufenthaltsgenehmigung besäßen, gebiete das europarechtliche Diskriminierungsverbot des Art 3 EWGV Nr 1408/71 die Gewährung von Familienleistungen wie das Erzg.
Mit Beschluss vom 5. August 1999 setzte der seinerzeitige 14. Senat des BSG das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. Nachdem der EuGH in mehreren Parallelsachen (verbundene Rechtssachen Khalil ua – C-95 bis 98/99, C-90/99 und C-180/99) über eine der Vorlagefragen entschieden hatte, hob der Senat auf Ersuchen des EuGH mit Beschluss vom 8. November 2001 seinen Vorlagebeschluss auf.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. August 1998 sowie das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. November 1997 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 1. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 1994 sowie des Bescheides vom 15. August 1994 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Erziehungsgeld für den ersten bis sechsten Lebensmonat ihrer Tochter in Höhe von 600 DM und für den siebten Lebensmonat in Höhe von 260 DM zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
II
Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erzg für die Zeit vom 30. September 1993 bis zum 12. April 1994.
Nach der – hier noch anwendbaren – Vorschrift des § 1 Abs 1a Satz 1 BErzGG aF (vgl § 24 Abs 1 BErzGG idF des Gesetzes vom 12. Oktober 2000 – BGBl I S 1426) setzte die Gewährung von ErzG an einen ausländischen Staatsangehörigen voraus, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis war. Dies galt selbst dann, wenn der Ausländer – wie hier – zu den anerkannten Asylberechtigten zählte (BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 14 und Nr 18). Die Klägerin besaß vor dem 13. April 1994 lediglich eine Aufenthaltsgestattung iS des § 55 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Ob sie schon damals Anspruch auf Erteilung eines der in § 1 Abs 1a BErzGG aF genannten (qualifizierten) Aufenthaltstitel hatte, war seinerzeit rechtlich ohne Bedeutung. Eine – im vorliegenden Fall nicht zu berücksichtigende – Rechtsänderung ist insoweit erst am 1. Januar 2001 durch § 1 Abs 6 Satz 2 ff BErzGG idF des Gesetzes vom 12. Oktober 2000 eingetreten.
Die Fassung des § 1 BErzGG aF lässt sich mit dem Grundgesetz, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1, vereinbaren (vgl BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 16) und verstößt auch nicht gegen vorrangiges zwischenstaatliches oder überstaatliches Recht. Die Klägerin ist zwar seit dem 5. Februar 1994 (Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des VG-Urteils vom 11. November 1993) anerkannter Flüchtling iS des „Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge” (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28. Juli 1951 (BGBl II 1953, 560 ≪FlüAbk≫) und kann die Flüchtlingen durch dieses Abkommen eingeräumten Rechte in Anspruch nehmen (§ 2 Abs 1 iVm § 3 AsylVfG; Marx, AsylVfG 4. Aufl, RdNr 2 zu § 2; BVerfGE 60, 253, 295). Gleichwohl ist die Beklagte nicht verpflichtet, ihr ErzG für den streitigen Zeitraum zu gewähren. Denn die Vorschriften des FlüAbk, insbesondere die Art 23 und 24 FlüAbk, stehen der Anwendung des § 1 Abs 1a BErzGG aF nicht entgegen. Das ErzG wird von den Bestimmungen des FlüAbk nicht erfasst. Art 23 FlüAbk sieht vor, dass die vertragschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren. Die Bestimmung betrifft aber nur die dem Grunde nach von der individuellen Bedürftigkeit des Beziehers abhängenden öffentlich-rechtlichen Leistungen. Zu ihnen gehört das Erzg – ungeachtet bestimmter im BErzGG vorgesehener Einkommensgrenzen – nicht. Auch der ua gesetzliche Bestimmungen bezüglich des „Familienunterhalts” betreffende Art 24 FlüAbk begründet keinen Leistungsanspruch der Klägerin. Nr 1 Buchst b Abschnitt ii gestattet den Signaturstaaten des FlüAbk („Aufenthaltsland”), hinsichtlich ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestrittener Leistungen besondere Bestimmungen zu treffen, die zu einer Verschiedenbehandlung von Flüchtlingen und eigenen Staatsangehörigen führen. Da das Erzg nur aus Steuermitteln – nicht aus Beiträgen – finanziert wird, bleibt somit die Sonderregelung des § 1 Abs 1a BErzGG aF unberührt und die Klägerin kann bezüglich der von ihr begehrten Leistung nicht mit Erfolg eine Gleichbehandlung mit Deutschen verlangen (vgl insoweit BSGE 70, 197, 203 = SozR 3-7833 § 1 Nr 7; BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 10 und den oben erwähnten Vorlagebeschluss des 14. Senats vom 5. August 1999 – B 14 EG 3/99 R –).
Auch Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 der EWGV Nr 1408/71 iVm Art 1 FlüAbk und § 2 Abs 2 AsylVfG stützen die Klage nicht. Das Diskriminierungsverbot des Art 3 EWGV Nr 1408/71 ist auf die Klägerin nicht anwendbar. Denn da sie und ihr Ehemann unmittelbar aus dem Iran in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, befand sie sich während des streitigen Leistungszeitraums in einer Lage, die – innerhalb der Gemeinschaft – mit keinem Element über die Grenzen des EG-Mitgliedstaates „Deutschland” hinauswies. Unter solchen Umständen unterfallen aber auch als Arbeitnehmer anzusehende Flüchtlinge nicht der EWGV Nr 1408/71 (Art 2 Abs 1 EWGV Nr 1408/71). Auf sie treffen der Koordinierungszweck des Art 51 EG-Vertrag aF (heute Art 42 EG-Vertrag) und das wesentliche Ziel der Verordnung 1408/71 nicht zu. Die EWGV Nr 1408/71 zielt nämlich in erster Linie darauf ab, die Anwendung der einzelnen sozialen Systeme nach gemeinsamen Kriterien für solche Arbeitnehmer sicherzustellen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (vgl Urteil des EuGH vom 11. Oktober 2001 in den Rechtssachen Khalil ua – C-95/99, C-96/99, C-97/99, C-98/99 sowie C-180/99 RdNr 66, RdNr 67 ff). Zu diesen Personen zählt weder die unmittelbar aus einem Drittstaat (Iran) in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste und dort verbliebene Klägerin noch ihr Ehemann.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 193 SGG.
Fundstellen