Leitsatz (amtlich)

Ist dem Träger der Sozialhilfe eine Leistung aus der Rentenversicherung zu Unrecht zugeflossen, so kann er die Rückzahlung nicht unter Berufung auf RVO § 1301 S 2 verweigern.

 

Normenkette

RVO § 1301 S. 1 Fassung: 1965-06-09, S. 2 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. April 1969 wird aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 22. Oktober 1968 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Beklagte der Klägerin einen Betrag von 1204,47 DM zu zahlen hat.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin - Landesversicherungsanstalt - überwies dem beklagten Kreis in Ausführung eines gerichtlichen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in der Zeit von 1960 bis 1966 jeweils einen Teil der monatlichen Rente des Versicherten. Die Ehefrau des Versicherten, die von diesem getrennt lebte, wurde nämlich vom Beklagten - als Sozialhilfeträger - unterhalten. Im Mai 1966 starb der Versicherte. Die Zahlung des auf ihn entfallenden Rentenanteils wurde daraufhin eingestellt, nicht dagegen die an den Beklagten. Den ohne Rechtsgrund gezahlten Betrag verlangt die Klägerin zurück.

Ihrer auf Zahlung von zunächst 1560,60 DM gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben (Urteil des SG Speyer vom 22. Oktober 1968). Die Berufung des Beklagten führte dagegen zur Abweisung der Klage (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Rheinland-Pfalz vom 2. April 1969). In den Gründen der Entscheidung heißt es: Als Rechtsgrundlage komme in dem vorliegenden Fall § 1301 der Reichsversicherungsordnung - RVO - in Betracht. Hiernach könnten Rentenleistungen zurückgefordert werden, wenn die dort bezeichneten Voraussetzungen erfüllt seien. Daran fehle es. Der Beklagte habe nach dem Tode des Versicherten zwar zu Unrecht weitere Zahlungen von der Klägerin erhalten, jedoch sei dies infolge Verschuldens der Klägerin geschehen. Sie habe spätestens im Juni 1966 erfahren, daß der Versicherte gestorben sei. Es hätte daher an ihr gelegen, die Einstellung der Zahlungen zu veranlassen. Dieses Verschulden an der Überzahlung schließe die Rückforderung aus. Ob sich auf die Ausschließungsgründe des § 1301 Satz 2 RVO derjenige nicht berufen könne, den ein Mitverschulden treffe, könne offen bleiben. Der Beklagte habe nicht schuldhaft gehandelt.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin. Ihren Anspruch hat sie inzwischen auf 1204,47 DM ermäßigt. Ihrer Auffassung nach schließt § 1301 Satz 2 RVO den Anspruch nicht aus. Die dort normierten Ausschließungsgründe seien nur im Verhältnis zwischen Versicherungsträgern und Versicherten anzuwenden. Von ihr werde ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch geltend gemacht; dieser unterliege nicht den Einschränkungen des § 1301 RVO.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der Beklagte verpflichtet sei, einen Betrag von 1204,47 DM zurückzuerstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet.

Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch zu Unrecht verneint. Der Beklagte ist verpflichtet, die von der Klägerin ohne Rechtsgrund erbrachte Geldleistung zurückzuerstatten. Die Klägerin war zwar aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zunächst verpflichtet, einen Teil der Rente des Versicherten an den Beklagten zu überweisen. Mit dem Tod des Versicherten ist der Rentenanspruch - mit Ablauf des Sterbemonats (§ 1294 RVO) - jedoch untergegangen. Von Juni 1966 an hat eine Zahlungsverpflichtung der Klägerin dem Beklagten gegenüber nicht mehr bestanden. Hinsichtlich der weiter von ihr erbrachten Zahlungen - über die Höhe der Überzahlung besteht kein Streit - fehlt es an einem rechtlichen Grund. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts gilt - auch ohne ausdrückliche Normierung - allgemein der Grundsatz, daß Leistungen, die eines rechtlichen Grundes entbehren, zu erstatten sind. Insbesondere findet er dann Anwendung, wenn es sich ausschließlich um Beziehungen zwischen Institutionen des öffentlichen Rechts handelt. Für den Bereich der Sozialversicherung ist die Geltung dieses Grundsatzes vom Bundessozialgericht (BSG) bereits in mehreren Entscheidungen ausgesprochen worden (vgl. insbesondere BSG 16, 151 ff; BSG in SozR Nr. 64 zu § 183 RVO mit weiteren Hinweisen). In dem vorliegenden Fall ist die Leistung des Trägers der Rentenversicherung unmittelbar dem beklagten Kreis zugeflossen, also der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, von der sie zurückverlangt wird. Der Anspruch der Klägerin ist begründet. - Dem Beklagten ist zwar zuzugestehen, daß für die Rentenversicherung in § 1301 RVO eine eigene Regelung hinsichtlich der "Rückforderung überzahlter Leistungen" getroffen ist. Hierdurch wird jedoch der öffentlich-rechtliche Ausgleichsanspruch im Verhältnis zwischen Institutionen des öffentlichen Rechts nicht berührt. Die Vorschrift geht davon aus, daß Leistungen, die ohne Rechtsgrund erbracht wurden, grundsätzlich zu erstatten sind. Dies wird als selbstverständlich unterstellt. Nach § 1301 Satz 1 RVO braucht der Träger der Rentenversicherung eine Leistung nicht zurückzufordern, die er zu Unrecht gezahlt hat. Einer solchen Einschränkung bedarf es nur dann, wenn im Grundsatz ein Anspruch auf Rückzahlung besteht. Zwar ist dieser durch § 1301 RVO - insbesondere durch Satz 2 der Vorschrift - in erheblichem Maße eingeschränkt, jedoch können diese Einschränkungen keine Anwendung auf Fälle der vorliegenden Art finden. Dies gilt nach der Auffassung des erkennenden Senats schon für § 1301 Satz 1 RVO. Es widerspricht der allgemein auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts bestehenden Übung, im Verhältnis zwischen Verwaltungsstellen die Geltendmachung einer Forderung in das Ermessen des Berechtigten zu stellen. Für die Anwendung eines Ermessens ist in solchen Fällen nur schwerlich Raum, vielmehr muß der Anspruch in der Regel dann, wenn er besteht, auch geltend gemacht werden. Die Entscheidung hat im Sinne "eines gesetzmäßigen Kassenausgleichs" auszufallen (vgl. hierzu BSG 29, 249 ff - hier: 252, 253). Jedoch mag dies auf sich beruhen, weil eine fehlerhafte Ermessensanwendung hier nicht erkennbar ist. Die in § 1301 Satz 2 RVO enthaltenen Einschränkungen, die auf das Verschulden der Beteiligten sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers abstellen, sind ihrem Wesen nach ausschließlich auf die Beziehungen zwischen Versicherungsträgern und natürlichen Personen anwendbar. Im Rahmen eines solchen Verhältnisses ist es gerechtfertigt, dem Verschulden eines Bediensteten des Versicherungsträgers Bedeutung beizumessen und eine Abwägung unter Berücksichtigung solcher Umstände vorzunehmen, die in der Person des Empfängers liegen. Es gäbe keinen vernünftigen Sinn, wollte man dies auch im Verhältnis zwischen Trägern der öffentlichen Hand tun. Der in dem vorbezeichneten Sinn - Einschränkung der Anwendung des § 1301 RVO - zu verstehende Wille des Gesetzgebers kommt besonders deutlich dadurch zum Ausdruck, daß in § 1301 Satz 2 RVO die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers vorgeschrieben ist. Der Anspruch auf Rückerstattung wird hiernach von sozialen Erwägungen beeinflußt. Für derartige Erwägungen ist im Verhältnis zwischen öffentlichen Verwaltungsstellen kein Raum. Der Beklagte kann die Leistung daher nicht unter Berufung auf § 1301 Satz 2 RVO verweigern.

Das angefochtene Urteil muß aufgehoben und die Berufung - mit den aus dem Urteilsausspruch ersichtlichen Einschränkungen - zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 88

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