Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachuntersuchung als stationäre Heilbehandlung. Diagnosestellung und Beobachtung des Patienten als stationäre Heilbehandlung

 

Orientierungssatz

Sowohl zur Krankenhausbehandlung iS des § 184 Abs 1 S 1 Halbs 1 RVO als auch zur stationären Behandlung iS des § 559 RVO gehören nicht nur therapeutische Maßnahmen selbst, sondern die hierzu erforderliche Diagnosestellung oder die Beobachtung des Patienten einschließlich der hierfür notwendigen Untersuchungen, soweit hierzu die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist. Dabei macht es sowohl für die Einbeziehung in die Krankenhausbehandlung iS des § 184 RVO als auch in die stationäre Behandlung iS des § 559 RVO keinen Unterschied, ob die Diagnosestellung und die Beobachtung therapeutischen Maßnahmen vorangehen oder ob sie zur Sicherung der Diagnose und einer durchgeführten Behandlung erforderlich sind (vgl BSG 1976-07-20 3 RK 10/75 = SozR 2200 § 1244a Nr 7).

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a Fassung: 1974-08-07, §§ 559, 184 Abs 1 S 1 Halbs 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.01.1983; Aktenzeichen L 4 Kr 624/80)

SG Mannheim (Entscheidung vom 25.01.1980; Aktenzeichen S 7 Kr 1687/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Kind M G (G.) bei seinem Unfall im Kinderkrankenhaus St. H in F  am 25. April 1976 gemäß § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert war. Die Klägerin verneint dies und begehrt die Erstattung ihrer Aufwendungen für die Behandlung der Unfallfolgen in Höhe von 5.561,22 DM von der Beklagten. Sozialgericht -SG- (Urteil vom 25. Januar 1980) und Landessozialgericht -LSG- (Urteil vom 21. Januar 1983) haben dem Begehren der Klägerin nicht entsprochen, weil G. einen Arbeitsunfall erlitten habe.

G. wurde vom 25. Februar bis zum 17. März 1976 in dem Kinderkrankenhaus wegen einer Encephalitis behandelt. Leistungsträger war die Beklagte; der Vater des Kindes hatte Anspruch auf Familienhilfe. Wegen "kontrollbedürftiger Befunde" wurde eine "stationäre Kontrolle" für erforderlich angesehen (Arztbrief vom 22. März 1976) und ab 20. April 1976 durchgeführt. Während dieser stationären Nachuntersuchung ereignete sich der Unfall des G. Er rutschte vom Bett ab und erlitt einen Bruch des rechten Oberarmes. Für die Behandlung der Unfallfolgen trug die Klägerin die oben bezifferten Kosten.

Nachdem der Klägerin bekanntgeworden war, daß sich der Unfall während einer Nachuntersuchung ereignet hatte, verlangte sie ihre Aufwendungen von der Beklagten mit der Begründung erstattet, G. sei nicht gemäß § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen, weil keine stationäre Behandlung iS von § 559 RVO, sondern vielmehr lediglich eine stationäre Nachuntersuchung gewährt worden sei. Da die Beklagte die Rechtsauffassung der Klägerin nicht teilte, erhob die Klägerin nach der Ablehnung der Erstattung Klage.

In den Gründen des Urteils des SG heißt es ua, ebenso wie die Maßnahmen zur Erkennung der Krankheit zählten auch notwendige abklärende Untersuchungen, welche später gesondert durchgeführt werden, zur stationären Behandlung. Da die Nachuntersuchung bei G. nur dem Zweck gedient habe festzustellen, ob noch weitere Heilbehandlungsmaßnahmen angezeigt gewesen seien, sei er gemäß § 559 RVO stationär behandelt worden. Diese Auffassung hat das LSG geteilt; die Nachuntersuchung des G. ab 20. April 1976 sei der Schlußpunkt der stationären Behandlung der Encephalitis und mit dieser untrennbar verbunden gewesen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Nach ihrer Überzeugung muß § 559 RVO eng ausgelegt werden, weil es um die Ausdehnung von Versicherungsschutz auf Personen außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses geht. Als Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung iS dieser Vorschrift sei nicht die Krankenhauspflege anzusehen. Während zur Krankenhauspflege nach § 184 RVO auch diagnostische Maßnahmen zählten, gehe es in § 559 ausschließlich um die stationäre Behandlung. Diese stationäre Behandlung der Encephalitis sei am 17. März 1976 abgeschlossen gewesen, zumal da G. keine Medikamente mehr benötigt habe. Das LSG habe sich die Überzeugung, wonach die stationäre Behandlung des G. am 17. März praktisch nur unterbrochen worden sei, unter Verletzung von § 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebildet.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 25. Januar 1980 sowie das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Januar 1983 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 5.561,22 DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Meinung muß auch eine systematisch enge Auslegung des § 559 RVO zur Bejahung von Versicherungsschutz bei G. führen. Es gebe weder einen rechtlichen noch einen tatsächlichen Grund dafür, die notwendige stationäre Erfolgskontrolle von der stationären Behandlung abzukoppeln.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Der Ersatzanspruch der Klägerin ist weder nach § 1509a RVO idF bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I 1450; s Art II § 3 Nr 1 dieses Gesetzes) noch nach § 105 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) begründet. Nach beiden Vorschriften ist Voraussetzung eines Ersatzanspruches eines Trägers der Unfallversicherung gegen einen Träger der Krankenversicherung, daß der Unfallversicherungsträger Leistungen aus Anlaß eines Unfalles erbracht hat, der kein Arbeitsunfall war. G. hat jedoch einen Arbeitsunfall erlitten.

Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. G. war im Zeitpunkt des Unfalles nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versichert. Ihm wurde von der Beklagten, einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, stationäre Behandlung iS des § 559 RVO gewährt. Nach dieser Vorschrift ist stationäre Behandlung Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus oder in einer Kur- oder Spezialeinrichtung. Sowohl zur Krankenhausbehandlung iS des § 184 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 RVO als auch zur stationären Behandlung iS des § 559 RVO gehören nicht nur therapeutische Maßnahmen selbst, sondern die hierzu erforderliche Diagnosestellung oder die Beobachtung des Patienten einschließlich der hierfür notwendigen Untersuchungen, soweit hierzu die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist. Dabei macht es sowohl für die Einbeziehung in die Krankenhausbehandlung iS des § 184 RVO als auch in die stationäre Behandlung iS des § 559 RVO keinen Unterschied, ob die Diagnosestellung und die Beobachtung therapeutischen Maßnahmen vorangehen oder ob sie zur Sicherung der Diagnose und einer durchgeführten Behandlung erforderlich sind (vgl zur Kontrolluntersuchung als Heilbehandlung iS des § 1244a Abs 3 RVO: BSGE 29, 87, 89; BSG SozR 2200 § 1244a Nr 7). Dem steht nicht entgegen, daß die Aufnahme in ein Krankenhaus, um die Krankheit zu erkennen, nur in § 184 Abs 1 RVO nicht aber in § 559 RVO ausdrücklich aufgeführt ist (s zur Rechtslage vor der Neufassung des § 184 RVO schon BSGE 26, 240, 242). Zur Heilbehandlung iS des § 557 RVO, die mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus oder in einer Kur- oder Spezialeinrichtung als stationäre Behandlung (§ 559 RVO) gewährt wird, gehören schon nach § 557 Abs 1 Nr 1 RVO, jedenfalls aber nach § 557 Abs 2 RVO auch die zur Sicherung der Diagnose und Therapie erforderlichen Untersuchungen. Es ist auch, soweit ersichtlich, im Unfallversicherungsrecht niemals streitig gewesen, daß eine ärztlich für notwendig erachtete mehrtägige Nachuntersuchung in einem Krankenhaus mit Unterkunft und Verpflegung zur stationären Behandlung iS des § 559 RVO zählt (s ua Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 560x und y). Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob es notwendig und mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus durchzuführende Maßnahmen geben kann, die zwar in die Leistungsverpflichtung der Krankenversicherung, trotz § 557 Abs 1 und Abs 2 RVO aber nicht in die Unfallversicherung fallen können, wenn diese Maßnahmen aus Anlaß eines Arbeitsunfalls erforderlich werden. Ebenso bedarf es keiner Entscheidung, ob dies nach Sinn und Zweck des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO dazu führen könnte, daß dafür der nach dieser Vorschrift bestehende und mit Beitragsleistungen der Krankenversicherung gedeckte Versicherungsschutz nicht gegeben wäre. Im Schrifttum wird zwar, soweit ersichtlich, wohl in Anschluß an das Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften VB 110/77 die Auffassung vertreten, nicht zu den nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versicherten Personen zählten die, welchen zur Beobachtung oder Feststellung der Diagnose Krankenhauspflege gewährt würde (s Baumann/Fischer/Salzmann, Die gesetzliche Unfallversicherung, § 539 Anm 129; Hamacher BG 1978, 567; Benz, BG 1980, 366, 371 und 373), doch findet sich zunehmend die vom Senat vertretene Auffassung (vgl Martin ZfS 1978, 287, 289; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 97h Buchst a; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 301, S 1; Bereiter-Hahn/ Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4. Aufl, § 539 RdNr 30). Das von der Revision zitierte Urteil des Senats vom 23. Februar 1983 (BSGE 55, 10) besagt nichts Gegenteiliges, da es die Frage betrifft, ob auch eine teilstationäre Behandlung eine stationäre Behandlung iS des § 559 RVO ist. Der Senat hat nicht entschieden, daß medizinische Maßnahmen in einem Krankenhaus (BSG aaO S 12) nur solche therapeutischer Art sind.

G. hat den Unfall somit bei einer versicherten Tätigkeit iS des § 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO erlitten, so daß die Klägerin aus Anlaß der hierfür entstandenen Aufwendungen gegen die Beklagte keinen Ersatzanspruch hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663719

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