Leitsatz (redaktionell)

Ein Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente besteht nicht, wenn der Versicherte in den beiden letzten Jahren vor seinem Tode nur zu kurzfristigen Unterhaltsleistungen in der Lage war.

 

Normenkette

AVG § 42 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. September 1960 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin erstrebt die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des am 18. August 1947 verstorbenen Karl Otto K. Ihre Ehe mit dem Versicherten wurde in Juni 1937 aus dessen alleinigen Verschulden geschieden. Eine vertragliche oder gerichtliche Regelung des Unterhalts erfolgte nicht. Nach der Ehescheidung leistete der Versicherte an die Klägerin keine Unterhaltszahlungen: Er war bis zum 30. Juni 1945 erwerbstätig; danach hatte er bis zu seinem Tode nur in der Zeit vom 1. August 1946 bis 21. September 1946 (Entgelt: 696,65 RM) und vom 1. Januar bis 31. Januar 1947 (Entgelt: 320,-- RM) eine bezahlte Beschäftigung. Er besaß kein Vermögen. Die Klägerin, die bis Ende 1944 als Wirtschaftsleiterin tätig war, pflegte von 1945 bis 1948 ihre betagten Eltern und erhielt hierfür neben Verpflegung und Unterkunft lediglich geringfügige Zuwendungen; auch sie ist vermögenslos.

Die Klägerin beantragte im Juni 1953 die Gewährung einer Hinterbliebenenrente. Ihre gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid der Beklagten erhobene Klage wurde abgewiesen. Auch ihre Berufung blieb erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) ließ die Revision zu.

Die Klägerin legte Revision ein mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung der Witwenrente von der Antragstellung an zu verurteilen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Sie begründete die Revision mit der Rüge, die Vorschriften der §§ 28 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) aF, 1256 Abs. 4 Reichsversicherung (RVO) aF und 42 AVG nF seien fehlerhaft angewandt worden. Das LSG habe die Bedeutung der Worte "zur Zeit des Todes" verkannt. Es gehe nicht an, aus der Regelung des § 42 AVG nF zu folgern, daß nunmehr, und zwar auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) mit den Worten "zur Zeit des Todes" nur noch ein Zeitraum von der Dauer etwa eines Vierteljahres gemeint sei. Das LSG habe verkannt, daß es genüge, wenn der geschiedenen Frau während des strittigen Zeitraumes überhaupt - wenn auch nur vorübergehend und nur in geringem Umfang ein Unterhaltsanspruch zugestanden habe.

Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Der Versicherungsfall ist vor den 1. Januar 1957 (Inkrafttreten des AnVNG) eingetreten. Das LSG geht deshalb mit Recht davon aus, daß der Anspruch der Klägerin für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 nach § 28 Abs. 3 AVG aF in Verbindung mit § 1256 Abs. 4 RVO aF und für die Zeit nach den genannten Stichtag nach § 42 AVG nF zu beurteilen ist. Es steht fest, daß der verstorbene Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode an die Klägerin keinen Unterhalt geleistet hat und auch nicht aus einem anderen Grunde als allenfalls nach den Vorschriften des Ehegesetzes von 1946 zum Unterhalt verpflichtet war. Es geht deshalb allein um die Beantwortung der Frage, ob er der Klägerin "zur Zeit des Todes" Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes zu leisten hatte oder nicht. Da § 1256 Abs. 4 RVO aF und § 42 AVG nF - soweit es die hier zu entscheidende Frage der Unterhaltspflicht angeht - inhaltlich und auch in den Grundgedanken übereinstimmen (BSG 5, 276, 282), ist es im vorliegenden Falle ohne rechtliche Bedeutung, ob der Anspruch der Klägerin nach bisherigen Recht oder nach den AnVNG zu beurteilen ist.

Das LSG könnt zutreffend zu dem Ergebnis, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes nach den Vorschriften des Ehegesetzes von 1946 zur Unterhaltsleistung ah die Klägerin nicht verpflichtet war. Hierbei geht es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 3, 197; 5, 179, 276) davon aus, daß die Unterhaltspflicht auch eines für allein schuldig erklärten geschiedenen Mannes nicht nur die Bedürftigkeit seiner früheren Ehefrau sondern auch seine eigene Leistungsfähigkeit voraussetzt. Der Senat hat bereits entschieden, daß bei der Beurteilung der Frage, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes der geschiedenen Frau Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes zu leisten hatte, zurückliegende Zeiten einer nur kurzfristigen Unterhaltspflicht außer Betracht zu bleiben haben, wenn der Versicherte im übrigen wegen Arbeitslosigkeit und Krankheit vor seinem Tode keinen Unterhalt leisten konnte (SozR § 1265 RVO Aa 9 Nr. 9). Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit der des 4. Senats, wonach als maßgebender Zeitraum, innerhalb dessen eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten seiner früheren Ehefrau gegenüber bestanden haben muß, der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten anzusehen ist, soweit er nach der Scheidung liegt (BSG 14, 129, 255). Im vorliegenden Fall hatte der Versicherte vom 1. Juli 1945 bis zu seinem Tode (18. August 1947) nur innerhalb von zwei kurzen Zeitspannen eigenes Einkommen, das ihn zur Unterhaltsleistung an die Klägerin hätte verpflichten können. Während des weitaus überwiegenden Teiles dieses Zeitraumes war er jedoch nicht imstande, der Klägerin Unterhalt zu leisten. Er war daher, weil nicht seine Leistungsunfähigkeit, sondern gerade seine Leistungsfähigkeit nur vorübergehend und zufällig war - wobei es auf ein etwaiges Verschulden nicht ankommt - zur Unterhaltsleistung an die Klägerin nicht verpflichtet.

Unter diesen Umständen ist es für die Entscheidung ohne rechtliche Bedeutung, ob der Begriff "zur Zeit des Todes" weit aus gelegt wird, d.h. ob er in Ausnahmefallen auch eine Zeitspanne bis zu einem Jahr umfassen kann (BSG 12, 278), oder ob darunter - wie das LSG annimmt - im allgemeinen nur ein Zeitraum von der Dauer etwa eines Vierteljahres zu verstehen ist. Es kann deshalb im vorliegenden Falle die Beantwortung dieser Frage dahingestellt bleiben. Der Senat verkennt nicht, daß es wünschenswert wäre, wenn der Begriff "zur Zeit des Todes" eine zeitlich klar abgegrenzte Auslegung erfahren könnte; dem steht jedoch entgegen, daß dann dem Einzelfall unter Umständen nicht immer genügend Rechnung getragen werden könnte.

Das Urteil des Berufungsgerichts ist somit im Ergebnis richtig. Die Revision der Klägerin muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2973821

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