Leitsatz (amtlich)
Es besteht keine "Rechtsvermutung" des Inhalts, daß ein Versicherter, wenn er auf der Betriebsstätte tot aufgefunden wird und die Todesursache nicht einwandfrei zu ermitteln ist, aber eine Betriebseinrichtung als mitwirkende Todesursache in Betracht kommt, einem Arbeitsunfall erlegen sei. Das Gericht hat in freier Beweiswürdigung zu entscheiden, ob der Tod mit der versicherten Tätigkeit ursächlich zusammenhängt.
Normenkette
SGG § 128 Fassung: 1953-09-03; RVO § 542 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. Februar 1961 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des ... 1956 im Alter von 53 Jahren verstorbenen Stewards Walter P (P.). Sie begehrt Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung, der Tod ihres Ehemannes sei die Folge eines Arbeitsunfalls.
P. fuhr auf dem 2640 BRT großen Dampfschiff "B.". Er war auf der Überfahrt von Vlissingen nach Tampa (USA). Am 8. Januar 1956 befand sich das Schiff im Atlantik an der Grenze eines Sturmgebietes; es hatte beigedreht, schlingerte und stampfte hart und nahm Wasser über Deck und Luken. Um 3.40 Uhr war P. noch in der Offiziersmesse gesehen worden. Um 5.45 Uhr fand ihn ein Matrose, der ihn um diese Zeit wecken wollte, im Nachtzeug auf dem Boden seiner Kammer liegend vor. Der 1. Offizier und der Kapitän des Schiffes stellten fest, daß P. anscheinend in tiefer Ohnmacht lag, die linke Gesichtshälfte abgeschürft, die Unterlippe blutig aufgeschlagen war und die linke Stirnseite einen blauen Fleck aufwies. Atmung und Puls waren nicht spürbar. Um 6.05 Uhr erhielt P. eine Coramin-Spritze, um 8.00 Uhr eine zweite. Um 9.00 Uhr wurde sein Tod durch Untertemperatur, gebrochene Augen und Totenflecke an den unteren Körperteilen festgestellt. Am 10. Januar 1956 wurde die Leiche nach Seemannsart den Wellen übergeben. Ein Arzt war nicht an Bord.
Im Verwaltungsverfahren der beklagten Berufsgenossenschaft berichtete der praktische Arzt Dr. E, er habe im Oktober 1955 Herz und Kreislauf des P. untersucht und dabei einen Blutdruck von RR 205/110, aber keine Anzeichen einer Insuffizienz festgestellt. Am 31. Mai 1956 erstattete Dr. D ein Gutachten über die vermutliche Todesursache. Darin heißt es: Die Gesichtsverletzungen des P. ließen darauf schließen, daß er bei dem Sturz keine Abwehrbewegungen ausgeführt habe und somit zu dieser Zeit nicht mehr bei Bewußtsein gewesen sei.
Außerdem spreche der hohe Blutdruck dafür, daß der Tod nicht durch einen Unfall, sondern aus natürlicher innerer Ursache eingetreten sei. Jedenfalls lasse sich ein Unfalltod nicht wahrscheinlich machen. In einem Zusatzgutachten kam Oberregierungsmedizinalrat Dr. Z, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, zu dem Ergebnis, die Wahrscheinlichkeit spreche mehr für einen Tod aus innerer Ursache als für eine schwere traumatische Hirnschädigung.
Gestützt auf diese Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Juni 1956 den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente ab, weil nicht wahrscheinlich sei, daß der Tod ihres Ehemannes infolge eines Arbeitsunfalls eingetreten sei.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg die Akten des Seeamts Flensburg beigezogen. In dessen Spruch vom 24. August 1956 ist ausgeführt, der Tod des P. sei vermutlich darauf zurückzuführen, daß dieser durch das starke Schlingern des Schiffes gestürzt sei und sich tödlich verletzt habe. Ferner hat das SG eine gutachtliche Stellungnahme des Oberregierungs- und Obermedizinalrats Dr. Th eingeholt und in der mündlichen Verhandlung den Facharzt für Chirurgie Dr. G gehört. Beide Ärzte haben einen akuten Herztod als wahrscheinlicher bezeichnet als einen Tod infolge Unfalls. Durch Urteil vom 17. September 1957 hat das SG die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen von Amts wegen ein Gutachten des Doz. Dr. R und auf Grund des § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten Dr. Sch eingeholt. Die Bekundungen des Dr. R stimmen im wesentlichen mit denjenigen der in erster Instanz gehörten Sachverständigen überein. Demgegenüber hat Dr. Sch ausgeführt: Für einen Tod durch innere Erkrankung lägen nur sehr schwache Beweise vor, vor allem besitze die nur einmalige Blutdruckmessung von 205/110 keine Beweiskraft; es könne ein emotionell bedingter Gelegenheitshochdruck gewesen sein. Eine Verletzung mit einem Bruch der Halswirbelsäule, die einen sehr schnellen Tod herbeiführen könne, sei nicht auszuschließen, ja sogar wahrscheinlich.
Das LSG hat durch Urteil vom 14. Februar 1961 die erstinstanzliche Entscheidung und den Ablehnungsbescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren. Es hat zur Begründung ausgeführt: Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung seien zwar im allgemeinen die rechtsbegründenden Tatsachen nur dann dargetan, wenn ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit bestehe, daß sich vernünftigerweise die richterliche Überzeugung darauf gründen könne. Das Reichsversicherungsamt (RVA) sei jedoch von diesem Grundsatz abgewichen, wenn ein Versicherter auf der Betriebsstätte oder in deren unmittelbarer Nähe tot aufgefunden worden sei, die Todesursache nicht einwandfrei zu ermitteln gewesen und die Mitwirkung einer Betriebseinrichtung zum Eintritt des Todes in Frage gekommen sei. In solchen Fällen bestehe im Gegensatz zu der allgemeinen Regel die nur durch strengen Gegenbeweis zu entkräftende Vermutung, daß der Tote einem auf seine Berufstätigkeit zurückzuführenden Arbeitsunfall erlegen sei (EuM Bd. 18, 69; Bd. 22, 100; ArbVersorg 1918, 390). Von dieser Rechtsvermutung müsse auch im vorliegenden Falle ausgegangen werden. Die Todesursache lasse sich bei P. nicht genau ermitteln, weil kein Sachkundiger die Leiche gesehen habe. Daß eine Betriebseinrichtung zum Eintritt des Todes mitgewirkt habe, sei durchaus möglich. P. könne beispielsweise während des Schlafs infolge des Schlingerns des Schiffes aus seiner Koje gestürzt sein und sich dabei eine tödliche Verletzung zugezogen haben. Es sei auch denkbar, daß er nach seiner Rückkehr von der Messe in die Kammer durch eine plötzliche Bewegung des Schiffes gegen die Kammerwand geschleudert worden sei und sich hierbei tödlich verletzt habe. Die Sachverständigen hätten zwar - abgesehen von Dr. Sch - einen Tod aus innerer Ursache als die wahrscheinlichste von vielen Möglichkeiten bezeichnet, sie hätten jedoch diese Wahrscheinlichkeit nicht ausreichend begründen können. Andererseits stehe fest, daß P. wegen des schweren Sturmes einer besonderen Unfallgefahr ausgesetzt gewesen sei und Verletzungen im Gesicht aufgewiesen habe. Bei dieser Sachlage könne von allen möglichen Todesursachen keiner eine größere Wahrscheinlichkeit zuerkannt werden, zumindest aber bestehe für die Möglichkeit, daß P. aus innerer Ursache gestorben sei, nicht ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit, daß hierdurch die Rechtsvermutung entkräftet werde. Der in einer Entscheidung des Landesversicherungsamt (LVAmt) Württemberg-Baden vom 6. Dezember 1950 (BG 1951, 337) zum Ausdruck gekommenen Auffassung, daß die Rechtsvermutung nicht Platz greife, wenn Streit über die medizinische Beurteilung der Todesursache bestehe, könne für Fälle der vorliegenden Art nicht zugestimmt werden.
Das LSG hat die Revision zugelassen "im Hinblick auf die Entscheidung des LVAmts Württemberg-Baden".
Das Urteil ist der Beklagten am 14. März 1961 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 13. April 1961 Revision eingelegt und diese am 13. Mai 1961 mit folgenden Ausführungen begründet: Die vom LSG angeführten Entscheidungen des RVA könnten die Annahme einer ständigen Rechtsprechung mit dem Inhalt einer Rechtsvermutung nicht rechtfertigen. Allerdings sei in anderen Entscheidungen des RVA ausgeführt, das Vorliegen eines Betriebsunfalls sei zu vermuten, wenn ein Versicherter auf seiner Betriebsstätte tot aufgefunden werde, die Todesursache nicht aufzuklären sei und die Einwirkung einer Betriebseinrichtung in Frage komme. Diesen Entscheidungen sei jedoch nicht zu entnehmen, daß das RVA an eine Rechtsvermutung gedacht habe. Eher sei die Annahme gerechtfertigt, daß eine Vermutung lediglich im tatsächlichen Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit gemeint gewesen sei. Außerdem fehle es in den Entscheidungen des RVA an einer näheren Begründung für das Bestehen einer Rechtsvermutung des angeführten Inhalts. Wegen des im Unfallentschädigungsverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes sei es nicht vertretbar, für bestimmte Fälle eine Rechtsvermutung in das Verfahren einzuführen, die dem Versicherungsträger die Last eines strengen Gegenbeweises auferlege. Alle Streitfälle müßten im Wege der freien Beweiswürdigung entschieden werden.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig. Sie hatte auch Erfolg.
Das LSG ist zutreffend von dem Grundsatz ausgegangen, daß auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung die anspruchsbegründenden Tatsachen bewiesen sein müssen, d. h. daß für sie ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit bestehen muß, daß sich vernünftigerweise die richterliche Überzeugung hierauf gründen kann. Fehlt es trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), an dieser Wahrscheinlichkeit, so sind die Folgen der objektiven Beweislosigkeit von demjenigen Beteiligten zu tragen, der aus den feststellungsbedürftigen, aber nicht bewiesenen Tatsachen ein Recht herleiten will. In diesem Sinne gibt es, wie dies für alle Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit allgemein anerkannt ist, auch für die gesetzliche Unfallversicherung den Grundsatz der - von der "Beweisführungslast" zu unterscheidenden sog. objektiven oder materiellen - Beweislast oder Feststellungslast (vgl. BSG 6, 70; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I S. 244 l, m mit weiteren Nachweisen; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 103 Anm. 4). Hiernach wäre, wenn man nicht als erwiesen ansieht, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des P. und dem Eintritt seines Todes besteht, der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente unbegründet.
Das LSG hat es jedoch als gerechtfertigt angesehen, im vorliegenden Streitfalle von dem oben angeführten Grundsatz abzuweichen. Es hat aus der Rechtsprechung des RVA eine "Rechtsvermutung" des Inhalts hergeleitet, daß ein Versicherter, wenn er auf der Betriebsstätte tot aufgefunden wird und die Todesursache nicht einwandfrei zu ermitteln ist, aber eine Betriebseinrichtung als mitwirkende Todesursache in Betracht kommt, einem Arbeitsunfall erlegen sei. In Anwendung einer solchen Rechtsvermutung und ausgehend von der tatsächlichen Feststellung, daß von allen möglichen Todesursachen des P. keiner eine größere Wahrscheinlichkeit zuerkannt werden könne, hat das LSG den Entschädigungsanspruch der Klägerin als gerechtfertigt angesehen. Diese Begründung ist nicht haltbar, weil es eine Rechtsvermutung des angeführten Inhalts nicht gibt.
Rechtsvermutungen sind Rechtssätze, nach denen unter bestimmten Voraussetzungen, d. h. beim Bestehen der Vermutungsgrundlage, eine Tatsache oder ein Rechtszustand als feststehend anzusehen ist, sei es unter Zulassung, sei es unter Ausschluß des Gegenbeweises (vgl. § 292 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Sie bestehen nur, wo das Gesetz sie ausdrücklich vorschreibt und werden zuweilen in Tatsachenvermutungen (zB § 1253 Abs. 2 und § 1591 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) und in Rechtszustandsvermutungen (zB § 1006 BGB, § 1445 aF der Reichsversicherungsordnung - RVO -) unterteilt (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. S. 553; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 292 Anm. I; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 26. Aufl., § 292 Anm. 1 und 2). Hiervon zu unterscheiden sind die sog. tatsächlichen oder natürlichen - unechten - Vermutungen; es sind auf der Lebenserfahrung beruhende, aus freier richterlicher Würdigung hervorgegangene Schlüsse oder Beweisanzeichen, die einen weiteren Beweis überflüssig machen können oder, wenn ihnen eine so starke Beweiskraft nicht zukommt, neben anderen Umständen zu würdigen sind (BGHZ 2, 82; BGH in NJW 1951, 360 und 1961, 777; Buchholz, BVerwG 234 § 7 Nr. 41; Stein/Jonas aaO, § 282 Anm. IV a und § 292 Anm. I; Schönke/Schröder/Niese, Zivilprozeßrecht, 8. Aufl. S. 262; Baumbach/Lauterbach aaO, § 292 Anm. 1 B). Während Rechtsvermutungen die Beweislast im obigen Sinne beeinflussen, gehören tatsächliche (unechte) Vermutungen ebenso wie der Beweis des ersten Anscheins in das Gebiet der Beweiswürdigung (BGH in NJW RzW 1959, 143; Stein/Jonas aaO; Baumbach/Lauterbach aaO).
Das LSG hat nicht verkannt, daß eine Rechtsvermutung des von ihm angeführten Inhalts in keiner gesetzlichen Vorschrift niedergelegt ist. Sie läßt sich aber auch - entgegen der Meinung des LSG - nicht aus der Rechtsprechung des RVA herleiten. In älteren Entscheidungen hat das RVA unter Wahrung des Grundsatzes, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Tod und der Einwirkung durch den Betrieb von den Hinterbliebenen nachzuweisen sei, lediglich ausgeführt, auf einen solchen Zusammenhang könne auch aus Wahrscheinlichkeitsmomenten oder auf Grund einer naheliegenden Vermutung geschlossen werden (RVA, AN 1886, 291; 1888, 280 Nr. 548; 1895, 161). In AN 1911, 389 Nr. 2458 bezieht sich das RVA auf das Handbuch der Unfallversicherung, Bd. I S. 92; dort heißt es u. a.: "Wenn Arbeiter innerhalb der Betriebsstätte tot aufgefunden werden und wenn sich die Ursache des Todes nicht genau ermitteln läßt, aber eine erhebliche Wahrscheinlichkeit - namentlich wegen der Lage des aufgefundenen Körpers - dafür spricht, daß eine Betriebseinrichtung die Ursache des Todes gewesen ist, so ist diese Wahrscheinlichkeit vielfach ausreichend für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Tode des Arbeiters und der Betriebstätigkeit ....". Diese Ausführungen betreffen erkennbar die richterliche Beweiswürdigung, sie geben keinen Anhalt für die Annahme einer Rechtsvermutung. Von einer solchen ist auch in den vom LSG angeführten drei Entscheidungen ( ArbVersorg 1918, 390, EuM Bd. 18, 69 und Bd. 22, 100) keine Rede. In ArbVersorg 1918, 390 hat sich das RVA nicht auf Grund einer Rechtsvermutung, sondern in freier Beweiswürdigung für ein betriebliches Ereignis als Todesursache entschieden. In EuM Bd. 18, 69 spricht das Bayer. LVAmt - nicht das RVA - von einer nur durch strengen Gegenbeweis zu entkräftenden Vermutung, daß der "Tote - ein Müller, der in unmittelbarer Nähe seiner Mühle im Fluß tot aufgefunden worden war - einem auf seine Berufstätigkeit zurückzuführenden Betriebsunfall erlegen sei". Einen gewissen Aufschluß über den Sinngehalt des Ausdrucks "Vermutung" geben die weiteren Ausführungen: "Das Ergebnis der Ermittlungen vermag die hiernach begründete Vermutung in keiner Weise zu erschüttern. Im Gegenteil besteht auch nach der Ansicht des Senats hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Verunglückte einem Betriebsunfalle zum Opfer fiel." Hieraus kann entnommen werden, daß das LVAmt von einer rein tatsächlichen Vermutung ausgegangen ist und das Beweisergebnis frei gewürdigt hat. Dagegen spricht nicht entscheidend, daß die amtliche Veröffentlichung überschrieben ist: "Ursächlicher Zusammenhang zwischen Tod und Betriebsunfall; Beweislast." Anstatt "Beweislast" müßte es "Beweiswürdigung" heißen. Die dritte Entscheidung schließlich - RVA, EuM 22, 100 - ist nicht einschlägig. In zwei weiteren Entscheidungen vom 25. September 1935 und 19. Januar 1941 (Wagner, Der Arbeitsunfall, S. 203 und 205) hat das RVA ebenfalls ausgeführt, ein Arbeitsunfall sei zu vermuten, wenn ein Versicherter auf der Betriebsstätte tot aufgefunden wird und die Todesursache nicht genau zu ermitteln ist. Auch diesen Entscheidungen läßt sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß eine Rechtsvermutung gemeint wäre. Hierauf könnte allenfalls aus der Verwendung des Ausdrucks "Gegenbeweis der BG" geschlossen werden; denn ein Gegenbeweis kommt erst in Betracht, wenn schon ein Beweis, nicht nur ein Beweisanzeichen vorliegt. Aber es erscheint fraglich, ob das RVA als Rekursinstanz hierin immer sorgfältig unterschieden hat. Von einer "Rechtsvermutung" des hier in Betracht kommenden Inhalts ist allerdings im RVO-Mitgl.Kommentar, Bd. I § 1545 Anm. 2 c S. 172 die Rede, aber es bestehen Zweifel, ob hier eine echte Rechtsvermutung gemeint ist; denn zu § 544 RVO Anm. u I D S. 55 heißt es: "... die Vermutung wird verstärkt und kann zur Wahrscheinlichkeit werden, wenn der Versicherungsträger die Leichenöffnung schuldhaft unterlassen hat". Diese Ausführungen können sich nur auf eine tatsächliche - unechte - Vermutung beziehen.
Läßt sich somit eine Rechtsvermutung des vom LSG angeführten Inhalts aus der Rechtsprechung nicht nachweisen, so erübrigte sich die Prüfung, ob kraft Gewohnheitsrechts eine Rechtsvermutung hätte geschaffen werden können.
Hiernach gibt es bei ungeklärter Todesursache keine Rechtsvermutung für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls, auch nicht unter den besonderen Umständen des vorliegenden Streitfalles. Das LSG hätte in freier Beweiswürdigung entscheiden müssen, ob eine der versicherten Tätigkeit des P. zuzurechnende oder eine innere, betriebsfremde Ursache den Tod zur Folge gehabt hat (vgl. LVAmt Württemberg-Baden vom 6. Dezember 1950, BG 1951, 337 mit zustimmender Anmerkung von Podzun; so auch Ricke, BG 1963, 111, 114). Das LSG hat allerdings ausgeführt, von allen möglichen Todesursachen könne keiner eine größere Wahrscheinlichkeit zuerkannt werden. Die damit zum Ausdruck gebrachte Nichterweislichkeit einer der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Todesursache zwang den Senat jedoch nicht schon zur Klagabweisung. Die Entscheidung des LSG wird nämlich nicht von der Feststellung getragen, daß eine betriebliche Todesursache nicht hinreichend wahrscheinlich sei, sondern gründet sich auf die angeführte - zu Unrecht angewandte - Rechtsvermutung in Verbindung mit der Feststellung, daß diese durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht widerlegt sei. Vermeidet man den nicht gangbaren Weg der "Rechtsvermutung", so bedarf es einer erneuten, dem Bundessozialgericht (BSG) verwehrten und deshalb vom LSG vorzunehmenden freien Würdigung des Beweisergebnisses. Dabei ist das LSG nicht gehindert, dem durch die Eigentümlichkeiten der Seefahrt bedingten "Beweisnotstand" der Klägerin dadurch Rechnung zu tragen, daß es an den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsache des behaupteten Unfalltodes weniger hohe Anforderungen stellt, als dies, wenn die Leiche einer medizinischen Begutachtung hätte unterzogen werden können, erforderliche gewesen wäre.
Hiernach war das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG in seiner abschließenden Entscheidung zu befinden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 929574 |
BSGE, 52 |