Orientierungssatz
Die nach ArVNG Art 2 §§ 31, 36 umgestellte Witwenrente ist für die Anwendung des RVO § 1280 Abs 1 so zu behandeln, daß in ihr die Zurechnungszeiten (RVO § 1260) enthalten sind, die sich aus der Berechnung der Rente nach ArVNG Art 2 § 32 als Faktorenrente ergibt. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes des ArVNG Art 2 § 36 über den garantierten Mindestbetrag der Rente kann das Ruhen der Witwenrente sich nur dahin auswirken, daß sie - als die Rente mit der ungünstigeren Zurechnungszeit - in Höhe des Betrages ruht, der sich aus der Anrechnung der Zurechnungszeit ergibt, also in Höhe des Unterschiedsbetrages der Witwenrente mit Zurechnungszeit und der Witwenrente ohne Zurechnungszeit, die sich aus ihrer Berechnung als Faktorenrente ergibt.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 31 Fassung: 1957-02-23, § 36 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1280 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1260 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 1964 und des Sozialgerichts Detmold vom 12. September 1963 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18. August 1961 unter Abweisung der Klage im übrigen dahin abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin über den 1. Oktober 1959 hinaus die Witwenrente im Betrage von monatlich 58,- DM unter Berücksichtigung der seit dieser Zeit erfolgten Rentenanpassungen zu zahlen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Der Rechtsstreit betrifft das Ruhen eines Teils der Rente, wenn eine nach Art. 2 §§ 31, 36 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) umgestellte Witwenrente mit einer Rente wegen Berufsunfähigkeit des neuen Rechts aus eigener Versicherung zusammentrifft und beide Renten auf Versicherungsfällen beruhen, die vor Vollendung des 55. Lebensjahres eingetreten sind.
Aus der Versicherung ihres im Jahre 1905 geborenen und am 1. September 1956 gestorbenen Ehemannes bezog die Klägerin vom 1. Januar 1957 an Witwenrente, die die Beklagte nach den Vorschriften des alten Rechts berechnete, gemäß Art. 2 §§ 31,36 ArVNG umstellte, um den Sonderzuschuß von 14,- DM erhöhte und mit 60,30 DM monatlich zahlte. Aus der eigenen Versicherung der im Jahre 1910 geborenen Klägerin gewährte die Bundesbahnversicherungsanstalt Hannover ihr Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 1. September 1959 an in Höhe von 36,40 DM monatlich. Bei dieser Rente ist eine Zurechnungszeit von 69 Monaten angerechnet. Sie würde ohne Zurechnungszeit monatlich 24,30 DM betragen. Die nach Art. 2 §§ 31, 33 ArVNG umgestellte, als Faktorenrente berechnete und nach dem Ersten Rentenanpassungsgesetz (RAG) erhöhte Witwenrente beträgt monatlich 25,25 DM; in diesem Betrag sind 2,34 DM enthalten, die auf die Anrechnung der Zurechnungszeit entfallen.
Die Beklagte wandte auf die Renten der Klägerin die Vorschrift des § 1280 der Reichsversicherungsordnung (RVO) an. Da in der Versichertenrente die günstigere Zurechnungszeit enthalten sei, gewährte sie durch Bescheid vom 18. August 1961 vom 1. Oktober 1959 an zu der von der Bundesbahnversicherungsanstalt gezahlten vollen Versichertenrente die Witwenrente nur in Höhe von 23,- DM monatlich (Faktorenrente ohne Zurechnungszeit).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Witwenrente in der nach Art. 2 § 36 ArVNG berechneten Höhe ohne Anwendung von Ruhensvorschriften weiter zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt, mit der sie unrichtige Anwendung des Art. 2 § 36 ArVNG und des § 1280 RVO rügt. Sie beantragt sinngemäß, die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 1964 und des SG Detmold vom 12. September 1963 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die Revision der Beklagten ist im wesentlichen unbegründet.
Der Klägerin steht die gemäß Art. 2 §§ 31, 36 ArVNG umgestellte und um den Sonderzuschuß erhöhte Witwenrente zwar nicht in voller Höhe zu, wie die Vorinstanzen angenommen haben. Sie ist ihr aber auch nicht nur im Betrage von 23,- DM monatlich zu zahlen, wie die Beklagte festgestellt hat. Die Klägerin hat vielmehr Anspruch darauf, daß ihr neben der vollen Versichertenrente die nach Art. 2 §§ 31, 36 ArVNG umgestellte Witwenrente im Betrage von 60,30 DM abzüglich 2,34 DM, also in Höhe von - aufgerundet - 58,- DM monatlich gezahlt wird. Die Witwenrente ruht gemäß § 1280 Abs. 1 RVO nur in Höhe des Unterschiedsbetrages, der sich aus der Berechnung der Witwenrente als Faktorenrente (Art. 2 §§ 31,33 ArVNG) mit und ohne Zurechnungszeit ergibt, also in Höhe von 2,34 DM.
Der Auffassung des LSG, daß die Vorschrift des § 1280 Abs. 1 RVO deshalb nicht anzuwenden sei, weil in der nach Art. 2 §§ 31, 36 ArVNG umgestellten Besitzstandsrente der Klägerin - ihrer Witwenrente - keine Zurechnungszeit im Sinne des § 1260 RVO angerechnet worden sei, ist der Senat nicht gefolgt.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß gemäß Art. 2 § 23 ArVNG die Vorschrift des § 1280 RVO für Rentenbezugszeiten nach dem 1. Januar 1957 auch für Versicherungsfälle gilt, die vorher, also bis zum 31. Dezember 1956, eingetreten sind, und daß die Ruhensvorschrift des § 1280 RVO grundsätzlich auch für die Witwenrente der Klägerin gilt, weil der Versicherungsfall des Todes des versicherten Ehemannes vor dem 1. Januar 1957 eingetreten ist. Nach § 1280 Abs. 1 RVO wird beim Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Witwenrente von zwei Zurechnungszeiten nur die für den Berechtigten günstigere angerechnet; die Rente, bei der die Zurechnungszeit nicht berücksichtigt wird, ruht insoweit. Es ist ebenfalls richtig, wie das LSG angenommen hat, daß die Vorschrift des § 1280 Abs. 1 RVO nur anzuwenden ist, wenn bei beiden zusammentreffenden Renten Zurechnungszeiten angerechnet worden sind.
Wird allein davon ausgegangen, daß die Witwenrente der Klägerin als Sonderzuschußrente gemäß Art. 2 §§ 31, 36 ArVNG nur nach altem Recht berechnet und um den Sonderzuschuß von 14,- DM erhöht worden ist, so ist allerdings dem LSG darin zuzustimmen, daß bei dieser Berechnung der Rente Zurechnungszeiten im Sinne des § 1260 RVO nicht berücksichtigt worden sind, da dem alten Recht das Rechtsinstitut der Zurechnungszeit unbekannt war. Das LSG hat auch nicht übersehen, daß in der Witwenrente eine pauschale Zurechnungszeit enthalten wäre, wenn sie nach Art. 2 §§ 31, 33 ArVNG umgestellt worden wäre; denn die amtlichen Berechnungsunterlagen (Bundesarbeitsblatt 57, 230, 231) ergeben, daß bei der Höhe der Umstellungsfaktoren die Bestimmungen über die Zurechnungszeit beachtet worden sind, so daß theoretisch in allen Renten, die aus Versicherungsfällen vor dem 55. Lebensjahr bewilligt worden sind, die Zeit zwischen dem Rentenbeginn und dem 55. Lebensjahr voll als Zurechnungszeit enthalten ist. Dem Umstand, daß die Höhe der Sonderzuschußrente von dem Vergleich zwischen der nach Art. 2 §§ 31, 33 ArVNG zunächst berechneten Faktorenrente und der sodann gemäß Art. 2 § 36 ArVNG aus der Altrente und dem Sonderzuschuß berechneten Besitzstandsrente abhängig ist, hat das LSG nicht die Bedeutung beigemessen, daß in der gemäß Art. 2 § 36 ArVNG schließlich gewährten höheren Besitzstandsrente mittelbar eine Zurechnungszeit Berücksichtigung gefunden habe. Selbst wenn dies richtig wäre, so müssen doch die nach Art. 2 §§ 31, 36 ArVNG umgestellten Renten so behandelt werden, als ob in ihnen die Zurechnungszeiten enthalten wären, die sich aus der Berechnung der Faktorenrente ergeben; denn auch die Feststellung dieser Renten ist von der am 1. Januar 1957 in Kraft getretenen Neuregelung über die Berechnung der Renten erfaßt und beeinflußt worden. Diese Renten werden nur deshalb gewährt, weil das rechnerische Ergebnis der Vervielfältigung von Steigerungsbetrag und Umstellungsfaktor - dessen Höhe von dem Jahr des Rentenbeginns abhängig ist - ungünstiger ist als der bisherige Rentenzahlbetrag zuzüglich des Sonderzuschusses des Artikels 2 § 36 ArVNG. Mit diesen Renten wird also über die Faktorenrente hinaus der Unterschied zwischen dem Rentenbetrag dieser Rente und dem sich nach Art. 2 § 36 ArVNG ergebenden Betrag gewährt, so daß die letztere Rente als "Rente mit einer angerechneten Zurechnungszeit" angesehen und behandelt werden kann. Der Bezug einer solchen Rente kann dann auch gemäß § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO als Ausfallzeit berücksichtigt werden; denn dann fallen die Zeiten des Bezuges dieser Rente mit einer angerechneten Zurechnungszeit zusammen (vgl. hierzu Urteil des 1. Senats vom 23. November 1962 in SozR Nr. 7 zu § 1259 RVO; Verbandskommentar, 6. Aufl., § 1259 Anm. 23; Elsholz-Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung, Synopt.Komm., Nr. 41, Anm. 8, zu c, § 1259 - S. 130).
Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 31. August 1967 - 12 RJ 538/62 - ausgesprochen, daß sowohl die nach Art. 2 § 31 in Verbindung mit § 36 ArVNG umgestellte Rente als auch die gemäß Art. 2 § 42 ArVNG nach altem Recht berechnete Rente im Sinne des § 1280 Abs. 1 RVO als Renten mit einer angerechneten Zurechnungszeit zu behandeln sind (vgl. auch das Urteil des Senats vom 28. September 1967 - 12 RJ 40/65 -).
Grundsätzlich pflichtet der erkennende Senat in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen der Entscheidung des 4. Senats in seinem Urteil vom 24. Januar 1963 (BSG 18, 207 ff) bei, daß auf die nach Art. 2 § 36 Abs. 1 ArVNG umgestellten Renten, deren Zahlbetrag um den Sonderzuschuß erhöht ist, die Kürzungs- und Ruhensvorschriften des neuen Rechts nicht anzuwenden sind. Der 4. Senat hat dies zu Art. 2 § 35 ArVNG und § 1280 Abs. 2 RVO in der Fassung vor dem Rentenversicherungsänderungsgesetz ausgesprochen, nämlich für das Zusammentreffen von zwei Vollwaisenrenten aus verschiedenen Versicherungsfällen. Die hier zu entscheidende Rechtsfrage, die sich aus der Anwendung des § 1280 Abs. 1 RVO beim Zusammentreffen der dort genannten Renten und aus der Anrechnung von Zurechnungszeiten ergibt, ist in der Entscheidung des 4. Senats nicht behandelt worden, so daß das Urteil des 4. Senats der hier zu treffenden Entscheidung nicht entgegensteht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann sich das Ruhen der einen Rente gemäß § 1280 Abs. 1 RVO mit Rücksicht auf den Grundsatz des Artikels 2 § 36 ArVNG über den garantierten Mindestbetrag der Rente auch bei Anwendung des § 1280 Abs. 1 RVO nur dahin auswirken, daß die Rente mit der ungünstigeren Zurechnungszeit in Höhe des Betrages ruht, der sich aus der Anrechnung der Zurechnungszeit ergibt, also in Höhe des Unterschiedsbetrages der Witwenrente mit Zurechnungszeit und der Witwenrente ohne Zurechnungszeit, der aus ihrer Berechnung als Faktorenrente folgt. Da dieser Unterschiedsbetrag nach den nicht angegriffenen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil 2,34 DM beträgt - bei dem in dem angefochtenen Urteil angegebenen Betrag von 2,84 DM handelt es sich um einen offenbaren Schreibfehler -, hat die Klägerin vom 1. Oktober 1959 an Anspruch auf Auszahlung der Witwenrente in Höhe von 60,30 DM abzüglich dieses Unterschiedsbetrages von 2,34 DM, also im Betrage von - aufgerundet - 58,- DM. Die Witwenrente der Klägerin ruht gemäß § 1280 Abs. 1, Halbsatz 2 RVO nur im Betrage von 2,34 DM.
Auf die Revision der Beklagten sind aus diesen Gründen die Urteile des LSG und des SG dahin abzuändern, daß die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 18. August 1961 verurteilt wird, der Klägerin die Witwenrente über den 1. Oktober 1959 hinaus im Betrage von monatlich 58,- DM unter Berücksichtigung der seit dieser Zeit erfolgten Rentenanpassungen zu zahlen. Im übrigen ist die Klage abzuweisen. Darüber hinaus aber kann die Revision keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen