Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeitsklage
Leitsatz (amtlich)
1. Die auf eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts gestützte Nichtigkeitsklage ist auch gegen einen unanfechtbaren Beschluß statthaft.
2. Gegen den Verwerfungsbeschluß nach SGG § 169 S 3 gibt es kein Rechtsmittel; er kann auch nicht im Wege einer Nichtigkeitsklage zum Gegenstand einer erneuten Überprüfung gemacht werden.
Normenkette
SGG § 169 S. 3 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 1
Tenor
Die Nichtigkeitsklage des Klägers gegen den Beschluß des Bundessozialgerichts vom 1. Dezember 1964 wird als unbegründet abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 17. April 1964 wurde mit Beschluß des erkennenden Senats vom 1. Dezember 1964 gemäß § 169 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig verworfen, weil wesentliche Verfahrensmängel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht mit Erfolg gerügt worden sind und die Revision deshalb nicht statthaft war. Gegen diesen am 11. Dezember 1964 zugestellten Beschluß hat der Kläger am 8. Januar 1965 Nichtigkeitsklage gemäß § 179 SGG und § 579 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhoben. Die vom LSG nicht zugelassene Revision sei durch die substantiierte Rüge wesentlicher Verfahrensmängel (unterbliebene Sachaufklärung) statthaft geworden. Die im Beschluß gebrauchten Worte "mit Erfolg" fehlten im Wortlaut des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Diese absolut eindeutige Norm sei keiner Auslegung fähig. Eine Änderung ihres Wortlauts und Sinnes sei daher unzulässig und müsse nach den vom Bundessozialgericht (BSG) selbst zu den Verwaltungsvorschriften entwickelten Grundsätzen (vgl. BSG 6, 252) dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Praktikabilität, Prozeßökonomie und ähnliche Erwägungen könnten nur den Gesetzgeber zu einer Änderung veranlassen. Der Zusatz "mit Erfolg" ergebe sich auch nicht aus dem Sinnzusammenhang. Die Frage, ob eine Rüge mit Erfolg erhoben worden ist, betreffe die Sachentscheidung oder sei mindestens ein wesentlicher Teil von ihr; die Mitwirkung der Sozialrichter hierbei sei nach dem Gesetz zwingend geboten. Die Rechtsprechung des BSG sei überholt und werde von Mellwitz, Bettermann und Wilde abgelehnt. Entsprechende Vorschriften fänden sich auch in § 133 der Verwaltungsgerichtsordnung, § 41 p Abs. 3 Nr. 1 bis 5 des Patentgesetzes und in § 73 Abs. 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe zu § 41 p des Patentgesetzes trotz entgegenstehenden Gesetzeswortlauts entschieden, daß das Vorliegen eines Verfahrensmangels nicht Zulässigkeitsvoraussetzung der Rechtsbeschwerde sei, es genüge, daß das Vorliegen des Mangels behauptet werde. Liege der Mangel nicht vor, so sei die Rechtsbeschwerde zulässig, aber nicht begründet. Im vorliegenden Fall hätte daher der erkennende Senat die Revision als statthaft ansehen und bei Nichtbegründetheit der Rüge die Revision durch Urteil als unbegründet zurückweisen müssen. Diese Feststellung führe zum Ergebnis, daß das BSG beim Erlaß seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei, weil die Revision ohne Zuziehung der Bundessozialrichter durch Beschluß verworfen wurde. Überdies sei die Rechtsmittelbelehrung des Landessozialgerichts (LSG) nach der Auslegung des BSG zu § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG unrichtig, weil hier die Worte "mit Erfolg" fehlten; somit liefen Revisions- und Revisionsbegründungsfrist noch weiter. Deshalb werde die Revisionsbegründung nunmehr ergänzt. Der Kläger beantragt, den Beschluß aufzuheben, dem Revisionsverfahren Fortgang zu geben und zur Sache gemäß den gestellten Anträgen (Gewährung von Waisenausgleichsrente) zu entscheiden. Der Beklagte beantragt, die Nichtigkeitsklage als unzulässig zu verwerfen. An einer unvorschriftsmäßigen Besetzung im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO fehle es schon deshalb, weil der erkennende Senat nach seiner von ihm für richtig gehaltenen Auffassung nach §§ 169, 33 und 40 SGG vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei.
Die auf eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts gestützte Nichtigkeitsklage ist form- und fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 586 Abs. 1 ZPO erhoben (vgl. § 179 Abs. 1 SGG i. V. mit §§ 579 Abs. 1 Nr. 1, 584 Abs. 1 ZPO, § 166 SGG). Sie ist trotz des Umstandes, daß sie sich nicht gegen ein Endurteil, sondern gegen einen unanfechtbaren Beschluß richtet, nach §§ 578, 587 ZPO statthaft (vgl. das nicht veröffentlichte Urt. des BSG vom 27. Februar 1962 - 10 RV 1179/60 - und dortige Zitate). Sachlich ist sie nicht begründet, weil die Verhandlung über den Grund der Wiederaufnahme (vgl. Baumbach/Lauterbach, Komm. z. ZPO, 26. Aufl., Anm. 1 A zu § 590 ZPO; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 156 IV, 2, S. 782) ergibt, daß der Senat bei Erlaß des Beschlusses vom 1. Dezember 1964 ordnungsgemäß besetzt gewesen ist. § 169 SGG bestimmt, daß die Revision, sofern das BSG zum Ergebnis gelangt, daß sie nicht statthaft ist, durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung und "ohne Zuziehung der Bundessozialrichter" zu verwerfen ist. Hieraus ergibt sich, daß die Frage der Statthaftigkeit der Revision ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter, also allein von den Berufsrichtern zu prüfen und im Falle ihrer Verneinung die Revision ohne weiteres durch Beschluß zu verwerfen ist. Gegen diesen Beschluß gibt es kein Rechtsmittel. Er kann auch nicht im Wege einer Nichtigkeitsklage zum Gegenstand einer erneuten Überprüfung gemacht werden. Demgemäß ist der 10. Senat in der obengenannten Entscheidung zutreffend zum Ergebnis gelangt, daß es im Rahmen der Wiederaufnahmeklage dahinstehen müsse, ob der Senat des BSG bei Erlaß des Verwerfungsbeschlusses die Voraussetzungen der Statthaftigkeit der Revision zutreffend verneint hat oder nicht. Auf jeden Fall habe er, da es nach seiner Überzeugung an dem Erfordernis der Statthaftigkeit der Revision nach § 162 Abs. 1 SGG fehlte und die Revision daher nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen war, nach § 169 Satz 3 SGG (Verwerfung durch Beschluß und ohne Bundessozialrichter) verfahren können. Auch der 11. Senat des BSG hat mit im wesentlichen gleicher Begründung durch Urteil vom 23. März 1965 - 11 RA 304/64 - die auf die §§ 179 SGG, 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gestützte Nichtigkeitsklage zurückgewiesen, weil sich diese in einem solchen Falle in Wirklichkeit nicht gegen die Besetzung des Senats, sondern gegen die rechtskräftig gewordene Entscheidung richtet, daß die Revision als unzulässig zu verwerfen sei.
Schon deshalb greift der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unvorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Senats nicht durch.
Somit bedurfte es nicht der Prüfung, ob gegen die seitherige Rechtsprechung des BSG zu § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG rechtliche Bedenken bestehen. Der Senat verweist insoweit lediglich auf die zustimmenden Ausführungen von Jansen (NJW 1956, 1387), Haueisen (NJW 1955, 1857, Anm. 5; 1956, 1089 Fußnote 3), Vorndran ("Die Beschränkung der Revision zu den oberen Bundesgerichten mit Ausnahme des Strafprozeßrechts usw." S. 148 ff), Wilde (NJW 1955, 1661), Brackmann (Handbuch der Sozialversicherung, Band I, S. 252 k, 250 w), Peters/Sautter/Wolff (Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 3 zu § 162 SGG, S. III/80-36 -) sowie auf die in RGZ 3, 422 und in den Urteilen des BGH vom 18. November 1952 (NJW 1953, 222 ff) und 25. April 1956 (Lindenmaier-Möhring § 511 ZPO Nr. 8) erörterten vergleichbaren Gesichtspunkte.
Die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen LSG-Urteil entspricht, soweit es heißt, die Revision sei nur statthaft, "wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG)", dem Gesetz und ist deshalb entgegen der Ansicht des Klägers nicht unrichtig (vgl. § 66 Abs. 2 SGG).
Da nach alledem die Nichtigkeitsklage keinen Erfolg haben konnte, war sie als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen