Leitsatz (amtlich)
Die sich aus der Zugehörigkeit eines Betriebes zur Trägerinnung einer IKK ergebenden mitgliedschaftsrechtlichen Folgen - Mitgliedschaft der im Betrieb beschäftigten versicherungspflichtigen Arbeitnehmer bei der IKK (RVO § 250 Abs 2 S 1) - werden nicht dadurch berührt, daß der Betrieb wegen seiner zum Teil industriellen Fertigungsweise auch der Industrie- und Handelskammer angehört. Das gleiche gilt für den Fall, daß der Betriebsinhaber mit seinem Betrieb mehreren Innungen angehört, von denen nur die eine Trägerinnung ist, jedenfalls dann, wenn das in der Trägerinnung repräsentierte Handwerk im Betrieb das Übergewicht hat und ihm das Gepräge gibt.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Fall einer notwendigen Beiladung iS des SGG § 75 Abs 2 ist nur dann gegeben, wenn die zu erwartende Entscheidung zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift; demnach ist das SG nicht verpflichtet, in einem Zuständigkeitsstreit zwischen OKK und IKK die Handwerkskammer oder die IHK beizuladen.
2. Die Eintragung des Arbeitgebers in die Handwerksrolle gehört - da die in RVO § 250 Abs 1 geforderte Mitgliedschaft zu einer Innung ohne eine solche Eintragung nicht mehr möglich ist - zu den Voraussetzungen von denen die Zuständigkeit einer IKK abhängig ist. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft von Beschäftigten eines Betriebes zur IKK nicht zu prüfen, ob die Eintragung des Betriebsinhabers in die Handwerksrolle und seine Mitgliedschaft bei einer Trägerinnung der IKK zu Recht bestehen.
3. Ist ein sowohl durch handwerkliche Fertigungsmethoden als auch durch industrielle Produktionsformen geprägter Mischbetrieb eines Innungsmitgliedes aufgrund der Art und Weise seiner Produktion, der organisatorischen Verbundenheit der Betriebszweige, des Austausches von Arbeitskräften innerhalb verschiedener Abteilungen sowie der einheitlichen Buchhaltung und Betriebsführung als ein einheitlicher Gewerbebetrieb anzusehen, so gehören alle in diesem Betrieb beschäftigten versicherungspflichtigen Arbeitnehmer nach RVO § 250 Abs 2 der Innungskrankenkasse an. Voraussetzung der Zuständigkeit einer Innungskrankenkasse; Rechtmäßigkeit der Eintragung in die Handwerksrolle; Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Orts- und Innungskrankenkasse bei gemischten Betrieben: 3. Ist ein sowohl durch handwerkliche Fertigungsmethoden als auch durch industrielle Produktionsformen geprägter Mischbetrieb eines Innungsmitgliedes aufgrund der Art und Weise seiner Produktion, der organisatorischen Verbundenheit der Betriebszweige, des Austausches von Arbeitskräften innerhalb verschiedener Abteilungen sowie der einheitlichen Buchhaltung und Betriebsführung als ein einheitlicher Gewerbebetrieb anzusehen, so gehören alle in diesem Betrieb beschäftigten versicherungspflichtigen Arbeitnehmer nach RVO § 250 Abs 2 der Innungskrankenkasse an. 4. Die Zuständigkeit der Innungskrankenkassen für die Beschäftigten eines Handwerksbetriebes, der auch industrielle Produktionsverfahren anwendet, wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Betriebsinhaber zugleich Mitglied der Trägerinnung und der Industrie- und Handelskammer ist; auch die Mitgliedschaft bei mehreren Innungen, von denen nur die eine eine Trägerinnung ist, bleibt jedenfalls dann ohne Einfluß auf die vermittelte Mitgliedschaft bei der betreffenden Innungskrankenkasse, wenn das in der Trägerinnung repräsentierte Handwerk im Gesamtbetrieb das entscheidende Übergewicht hat.
Normenkette
RVO § 250 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1911-07-19; SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; RVO § 250 Abs. 1 Fassung: 1951-02-22
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. November 1967 wird zurückgewiesen, soweit es die Kassenzugehörigkeit der Beigeladenen zu 2) bis 5) betrifft.
Die Beklagte hat der Klägerin und den Beigeladenen zu 2) bis 5) auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist aus einem 1831 entstandenen Handwerksbetrieb hervorgegangen und seit 1941 als Offene Handelsgesellschaft (OHG) im Handelsregister des Amtsgerichts Eßlingen eingetragen. Sie stellt in E und in den in W gelegenen Betriebsstätten Sitzmöbel aller Art, Tische, Orchestereinrichtungen und Großraumbestuhlungen sowie Roll- und Klappläden, Kipptore und Sportgeräte her. Die Roll- und Klappläden sowie Kipptore werden nur im Zweigbetrieb W, der auch im Kreis E und damit im Bezirk der beigeladenen Vereinigten Innungskrankenkasse (VIKK) E liegt, hergestellt; außerdem stellt sie dort aber auch die gleichen Erzeugnisse her wie in E. 1961 hatte die Klägerin rund 300 Beschäftigte und einen Umsatz von 8,2 Millionen DM, wovon 0,6 Millionen DM auf die Rolladen- bzw. die Klappladen- und Kipptorproduktion entfielen. Der Umsatz erhöhte sich 1966 auf rund 12 Millionen DM und die Anzahl der Beschäftigten auf 340.
Die Inhaber der Klägerin sind als Betrieb des Schreinerhandwerks und Betrieb des Rolladen- und Jalousiebauerhandwerks in die Handwerksrolle eingetragen und Mitglied der entsprechenden Innungen. Außerdem gehören sie der Handwerkskammer (HWK) S und der Industrie- und Handelskammer (IHK) E an. Die Klägerin zahlt an die IHK den vollen und an die HWK den halben Beitrag. Die Schreinerinnung ist Trägerinnung der beigeladenen VIKK.
Nachdem das Landesaufsichtsamt für Sozialversicherung im November 1960 den Anschluß der Schreinerinnung E an die VIKK E genehmigt und das Sozialgericht (SG) Stuttgart die hiergegen erhobene Nichtigkeitsklage der Beklagten durch rechtskräftiges Urteil vom 24. April 1961 abgewiesen hatte, meldete die Klägerin alle ihre in den Betrieben O und W beschäftigten, bisher bei der Beklagten versicherten Arbeitnehmer zum 31. Mai 1961 bei dieser ab und bei der VIKK an. Mit Bescheid vom 22. Juni 1961 forderte die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) die Klägerin auf, "die vorgelegte Abmeldung zu berichtigen, damit die in der Schreinerei tätigen Arbeitnehmer ausgesondert und zur IKK überwiesen werden können. Für die übrigen Beschäftigten sind die Beiträge zur Sozialversicherung nach wie vor an unsere Kasse zu entrichten, da sie der Allgemeinen Ortskrankenkasse als Mitglieder angehören". Weil sich nur die Schreinerinnung der IKK angeschlossen habe, könnten auch nur die in diesem Gewerbezweig Tätigen der genannten Kasse angehören.
Der Widerspruch blieb ohne Erfolg.
Auf die Klage der Klägerin hob das SG, das den Betrieb der Klägerin besichtigt hatte, den angefochtenen Bescheid auf und stellte fest, daß die VIKK ab 1. Juni 1961 der zuständige Versicherungsträger für die sozialversicherungspflichtigen Betriebsangehörigen der Klägerin sei.
Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Aus der Tatsache der Mitgliedschaft der Gesellschafter der Klägerin bei und der Zugehörigkeit ihres Betriebes zu einer Trägerinnung sowie der Eintragung dieser Innungsmitglieder in die Handwerksrolle folge, daß die Arbeitnehmer der Klägerin bei der VIKK versichert seien. Bei dem Betrieb der Klägerin handle es sich um einen einheitlichen Gewerbebetrieb bzw. einen Gesamtbetrieb i. S. des § 647 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dafür spreche die einheitliche, nicht nach einzelnen Fertigungszweigen unterteilte Betriebsleitung und Buchführung, die organisatorische Verbundenheit der Betriebszweige, die nach den überzeugenden Angaben des Mitinhabers der Klägerin R Sp nur infolge der Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse und des Mangels an erforderlichem Kapital und dem geeigneten Gelände nicht in einem Gebäude vereinigt seien und die weitgehend genutzte Möglichkeit, die Fach- und Hilfsarbeiter in allen Betriebsabteilungen je nach den Erfordernissen des Gesamtbetriebes in den einzelnen Abteilungen auszutauschen. Es wäre unter den gegebenen Umständen auch praktisch undurchführbar, einzelne Arbeitnehmer je nach der Abteilung, in der sie gerade tätig seien, einer wechselnden Zuständigkeit der Krankenkasse zu unterwerfen. Ob die Eintragung in die Handwerksrolle hinsichtlich des Schreinerhandwerks oder auch des Rolladen- und Jalousiebauerhandwerks im Hinblick auf die Organisation des Betriebes und die Art seiner Fertigung, die Höhe der Umsätze und die Zahl und berufliche Ausbildung der Beschäftigten zu Recht bestehe, hätten die SG nicht nachzuprüfen.
Gegen dieses Urteil hat die AOK die zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt, das LSG habe es zu Unrecht unterlassen, die HWK gemäß § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beizuladen. Außerdem habe das LSG den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Es habe zu der Frage, ob es sich bei dem Betrieb der Klägerin um einen Industrie- oder um einen Handwerksbetrieb handle, nur den Gesellschafter der Klägerin, den Geschäftsführer der HWK Stuttgart sowie einige nach nicht erkennbaren Gesichtspunkten ausgewählte Arbeitnehmer der Klägerin gehört. Ungeachtet der Tatbestandswirkung der Eintragung in die Handwerksrolle sei das LSG zu Unrecht davon ausgegangen, daß es sich bei dem Betrieb der Klägerin um einen einheitlichen Betrieb handle; es sprächen genauso viele Gründe für eine Aufteilung des Betriebes der Klägerin in mehrere selbständig zu wertende Betriebsteile. Schließlich bestünden auch noch Zweifel an dem Eintrag in der Handwerksrolle.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des SG Stuttgart vom 23. Juli 1962 und des LSG Baden-Württemberg vom 10. November 1967 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist unbegründet.
Die Rüge der AOK, das LSG habe es zu Unrecht unterlassen, die HWK nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen, greift nicht durch. Nach der genannten Vorschrift sind diejenigen Dritten beizuladen, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Der Fall einer notwendigen Beiladung ist jedoch nur dann gegeben, wenn die in dem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (BSG 11, 262 = SozR Nr. 17 zu § 75 SGG). Durch die hier zu treffende Entscheidung wird jedoch nicht in die Rechtssphäre der HWK und der IHK unmittelbar eingegriffen; denn die Frage der Zugehörigkeit der Belegschaft zur VIKK oder zur AOK läßt die Mitgliedschaft bei den genannten Kammer unberührt.
§ 250 RVO, der die Errichtung einer IKK regelt und zugleich den Kreis der bei ihr Versicherten gegen den der Versicherten der Orts- und Landkrankenkassen (§§ 234 ff RVO) abgrenzt, weist der IKK - vorbehaltlich gewisser Ausnahmen - "die in den Betrieben (der Innungsmitglieder) beschäftigten Versicherungspflichtigen" zu (Abs. 2 Satz 1), sofern es sich um Betriebe handelt, mit denen der Arbeitgeber der Innung angehört (Abs. 1 Satz 1). Die Zuständigkeit der IKK hängt also davon ab, ob der Arbeitgeber mit seiner Person und dem betreffenden Betrieb Mitglied einer Innung ist, für die die IKK errichtet wurde. Daß er darüber hinaus in die Handwerksrolle eingetragen sein muß, fordert § 250 RVO nicht. Zwar dürfen seit der Änderung dieser Vorschrift durch die Notverordnung vom 26. Juli 1930 nur noch Innungen, deren Mitglieder in die Handwerksrolle eingetragen sind, eine IKK errichten. Diese Einschränkung besagt unmittelbar jedoch nichts über die Zuständigkeit der einmal errichteten IKK. Mittelbar hat sich die Rechtslage jedoch seit dem Inkrafttreten der Handwerksordnung (HwO) vom 17. September 1953 (BGBl I 1411) insofern geändert, als nach § 53 HwO (= § 58 idF vom 28. Dezember 1965, BGBl I 1966, 2) nur noch "selbständige Handwerker" Mitglieder einer Handwerksinnung werden und sein können. Darunter fallen nach der Legaldefinition im § 1 Abs. 1 HwO die in die Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften. Da ohne Eintragung in die Handwerksrolle keine Mitgliedschaft in einer Innung mehr bestehen kann und die Innungsmitgliedschaft wiederum für die Zuständigkeit der IKK maßgebend ist, gehört seit 1953 mittelbar auch die Eintragung des Arbeitgebers in die Handwerksrolle zu den Voraussetzungen, von denen die Zuständigkeit der IKK abhängt (vgl. Urteil des Senats vom 18. Juni 1968 im BSG 28, 111, 112 = SozR Nr. 6 zu § 250 RVO m. w. N.).
Daß die Gesellschafter der klagenden Firma in die Handwerksrolle eingetragen sind und mit ihrem Betrieb einer Trägerinnung der beigeladenen VIKK angehören, hat das LSG festgestellt. Die dagegen erhobenen Zweifel der AOK vermögen nicht durchzugreifen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit eines Beschäftigten zu einer IKK nicht zu prüfen, ob die Eintragung der Betriebsinhaber in die Handwerksrolle und die Mitgliedschaft bei einer Trägerinnung der IKK zu Recht besteht (BSG aaO). Daß in dem zu entscheidenden Fall die Eintragung nichtig ist, hat die AOK nicht behauptet. Irgendwelche Anhaltspunkte hierfür sind auch nicht ersichtlich. Zusammenfassend ist demnach festzustellen, daß die beigeladenen Arbeitnehmer in einem Betrieb beschäftigt sind, mit dem die - in die Handwerksrolle eingetragenen - Inhaber der Klägerin einer Innung angehören, die Trägerinnung der beigeladenen VIKK ist.
Zu Unrecht will die beklagte AOK die sich hieraus für die Arbeitnehmer des Betriebs der Klägerin ergebende mitgliedschaftsrechtliche Folge (§ 250 Abs. 2 Satz 1 RVO) auf diejenigen beschränkt wissen, die in der Schreinerei tätig sind. Die genannte Regelung erfaßt vielmehr - ohne Rücksicht auf die Art der im Betrieb ausgeübten Tätigkeit - alle versicherungspflichtigen Arbeitnehmer eines Betriebs, der einer Trägerinnung einer IKK angehört. Zutreffend hat das LSG aus seinen Feststellungen über die Art und Weise der Produktion, die organisatorische Verbundenheit der Betriebszweige, den Austausch von Arbeitskräften innerhalb der verschiedenen Betriebsabteilungen nach den Erfordernissen der Produktion, vor allem aber auch die einheitliche Buchhaltung und Betriebsführung den Schluß gezogen, daß es sich bei dem Unternehmen der Klägerin nicht um eine Mehrheit von Betrieben, sondern um einen einheitlichen Gewerbebetrieb handelt. Demnach gehören alle in diesem Betrieb beschäftigten versicherungspflichtigen Arbeitnehmer der VIKK an. Dieser Schlußfolgerung steht nicht entgegen, daß der Betrieb der Klägerin insofern einen Mischcharakter aufweist, als er sowohl Züge handwerklicher Fertigungsweise als auch industrieller Produktion trägt. Die sich aus der Zugehörigkeit des Betriebs zur Trägerinnung ergebenden mitgliedschaftsrechtlichen Folgen werden durch die außerdem noch bestehende Zuordnung des Betriebs zur IHK nicht berührt. Auch der Umstand, daß ein Betriebsinhaber mit seinem Betrieb mehreren Innungen angehört, von denen nur die eine eine Trägerinnung ist, bleibt jedenfalls dann ohne Einfluß auf die durch die Zugehörigkeit zur Trägerinnung vermittelte Mitgliedschaft bei der betreffenden IKK, wenn das in der Trägerinnung repräsentierte Handwerk - wie im vorliegenden Fall das Schreinerhandwerk - im Betrieb das entscheidende Übergewicht hat und ihm das Gepräge gibt.
Demnach war die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil zurückzuweisen. Der Senat konnte jedoch nur ein Teilurteil hinsichtlich der Beigeladenen zu 2) bis 5) erlassen, weil der Beigeladene zu 6) inzwischen verstorben ist und seine Rechtsnachfolger den Rechtsstreit noch nicht aufgenommen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen