Leitsatz (amtlich)
Das (teilweise) Ruhen einer knappschaftlichen Witwenrente, neben der bereits im Sterbevierteljahr eine Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlt wird, beginnt mit dem 1. Monat nach Ablauf des Sterbevierteljahres.
Normenkette
RKG § 76 Abs. 3 Fassung: 1965-06-09, Abs. 1 Fassung: 1965-06-09, Abs. 5 Fassung: 1965-06-09, § 75 Abs. 4 Fassung: 1965-06-09, § 85 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1279 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 5 Fassung: 1957-02-23, § 1278 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23, § 1294 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. März 1969 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25. November 1968 wird die Klage auch insoweit abgewiesen, als die Klägerin die Nichtanwendung der gesetzlichen Ruhensbestimmungen für ihre Witwenrente für den Monat Mai 1967 begehrt.
Außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob das Ruhen einer knappschaftlichen Witwenrente, die neben einer Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt wird, bereits im ersten Monat nach Ablauf des sogenannten Sterbevierteljahres oder erst im zweiten Monat nach Ablauf des Sterbevierteljahres beginnt.
Der Ehemann der Klägerin (Versicherter) starb am 11. Januar 1967. Bis zu seinem Tode erhielt er von der Beklagten Knappschaftsruhegeld und von der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Nach dem Tode des Versicherten erhielt die Klägerin von der BBG Vorschüsse auf die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, und zwar wurden am 23. Februar 1967 800 DM und in den Monaten April 1967 bis einschließlich Januar 1968 je 400 DM gezahlt.
Mit Bescheid vom 7. März 1968 stellte die Beklagte die Witwenrente der Klägerin für die Zeit ab 1. Februar 1967 fest, nachdem auch sie vorher nur Abschläge gezahlt hatte. Hierbei wandte sie für die gemäß § 69 Abs. 5 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) während der ersten drei Monate nach dem Tode des Versicherten (Februar bis April 1967) zu zahlenden Bezüge die Ruhensvorschriften des § 76 RKG für das Zusammentreffen einer knappschaftlichen Witwenrente mit einer Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht an, jedoch berücksichtigte sie die gezahlten Vorschüsse der BBG bei der Feststellung des teilweisen Ruhens der knappschaftlichen Witwenrente ab Mai 1967.
Der von der Klägerin eingelegte Widerspruch blieb, soweit jetzt noch Streit besteht, erfolglos.
Mit der vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhobenen Klage begehrte die Klägerin, ihr die Witwenrente vom 1. Mai 1967 bis zum 31. Dezember 1967 ohne Anwendung der Ruhensvorschriften zu gewähren. Das SG hat mit Urteil vom 25. November 1968 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Witwenrente für den Monat Mai 1967 ohne Anwendung der gesetzlichen Ruhensbestimmungen zu gewähren, und im übrigen die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil hat das SG die Berufung zugelassen. Die von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 20. März 1969 zurückgewiesen. Zwar handele es sich auch bei den Bezügen für das Sterbevierteljahr um Witwenrente, so daß die Witwenrente der Klägerin am 1. Februar 1967 begonnen habe. Da aber nach § 76 Abs. 3 RKG der § 76 Abs. 1 und § 75 RKG auf die Bezüge für das Sterbevierteljahr nicht anzuwenden seien, sei kein Ruhen der knappschaftlichen Witwenrente in den Monaten Februar bis April 1967 eingetreten. Aus § 85 Abs. 2 RKG ergebe sich, daß die Ruhensvorschriften auch auf die Rente für den Monat Mai 1967 nicht angewandt werden dürften, weil erst in diesem Monat die Voraussetzungen des Ruhens erstmalig erfüllt gewesen seien.
Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, die Regelung des § 76 Abs. 3 RKG lasse den Schluß zu, daß die Ruhensauswirkung lediglich bis zum Ablauf des Sterbevierteljahres hinausgeschoben werden solle, weil letztlich eine Kürzung der Rente für das Sterbevierteljahr dem vom Gesetzgeber mit dieser Leistung verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde. Diese Auslegung des § 76 Abs. 3 RKG werde auch durch die Materialien der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze von 1957 bestätigt. In der Begründung zu § 1272 Abs. 4 (= § 69 Abs. 5 RKG) des Gesetzentwurfs werde ausgeführt, die in Anlehnung an das Recht der Beamtenversorgung (§ 122 des Bundesbeamtengesetzes aF) getroffene Neuregelung stelle eine wesentliche Leistungsverbesserung dar. Sterbegeld werde im Beamtenrecht für die auf den Sterbemonat folgenden drei Monate gezahlt, dann setze die Zahlung des Witwengeldes ein, auf das Renten entsprechend den sonstigen dafür erlassenen Vorschriften anzurechnen seien. Von der Vergünstigung für die Witwenrente für das Sterbevierteljahr abgesehen seien auch die Tatbestandsmerkmale für das Ruhen der knappschaftlichen Witwenrente der Klägerin im Februar 1967 eingetreten. Somit könne nur § 75 Abs. 4 RKG durchgreifen, d. h. die Rente könne unverkürzt nur bis zum Ende des Monats gewährt werden, in dem die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zum ersten Mal ausgezahlt worden sei. Dieser Termin sei durch die Vergünstigung für die Bezüge für das Sterbevierteljahr bis April 1967 hinausgeschoben worden. Vom vierten Monat an müsse dann aber das Ruhen wirksam werden, weil diese Fälle so zu behandeln seien, als wäre von Anfang an die übliche Witwenrente und nicht die erhöhte Leistung für das Sterbevierteljahr gezahlt worden.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 25. November 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, daß der Wortlaut der in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften nur die vom LSG vorgenommene Auslegung zulasse. Der Wille des Gesetzgebers sei erst dann zu erforschen, wenn der Gesetzestext keine klaren und eindeutigen Konzeptionen erlaube.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht die knappschaftliche Witwenrente für den Monat Mai 1967 nur unter Anwendung der Ruhensbestimmung des § 76 Abs. 1 RKG (= § 1279 Abs. 1 RVO) zu.
Die Klägerin hat, was unstreitig ist, Anspruch auf Witwenrente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung (nach dem am 11. Januar 1967 erfolgten Ableben ihres Ehemannes). Die Witwenrente beginnt, was ebenfalls unstreitig ist, nach § 82 Abs. 1 RKG mit dem 1. Februar 1967. Die Beklagte hat demgemäß zu Recht die Witwenrente der Klägerin für die Zeit ab 1. Februar 1967 festgestellt. Diese Rente ist nach § 69 Abs. 5 RKG für die Zeit vom 1. Februar 1967 bis zum 30. April 1967 zutreffend in Höhe des dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes zustehenden Knappschaftsruhegeldes ohne Anwendung der Ruhensvorschrift des § 75 Abs. 1 RKG berechnet. Für die Zeit vom 1. Mai an ist die Witwenrente zutreffend nach § 69 Abs. 1 bis 3 RKG berechnet.
Außerdem erhält die Klägerin Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, die ebenfalls für die Zeit ab 1. Februar 1967 festgestellt worden ist. Ab Februar 1967 sind bereits laufend Vorschüsse auf diese Rente ausgezahlt worden.
Die knappschaftliche Witwenrente ruht - teilweise - nach § 76 Abs. 1 RKG wegen des gleichzeitigen Bezugs von Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Ruhen würde, da sowohl die knappschaftliche Witwenrente als auch die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung am 1. Februar 1967 beginnen, an sich ab 1. Februar 1967 eintreten. Doch bestimmen eine Reihe von Vorschriften, daß der Beginn des Ruhens hinausgeschoben wird. An sich würde das Ruhen der knappschaftlichen Witwenrente der Klägerin nach § 76 Abs. 5 RKG i. V. m. § 75 Abs. 4 RKG für Februar 1967 ausgeschlossen sein. Zu demselben Ergebnis würde auch die Anwendung des § 85 Abs. 2 RKG führen, wenn man diese Vorschrift neben § 76 Abs. 5 i. V. m. § 75 Abs. 4 RKG überhaupt zur Anwendung kommen lassen kann. Das hängt davon ab, ob und inwieweit man § 76 Abs. 5 i. V. m. § 75 Abs. 4 RKG als Spezialvorschrift gegenüber § 85 Abs. 2 RKG ansieht und welche Fälle § 75 Abs. 4 RKG erfaßt. Dies kann hier jedoch dahingestellt bleiben. Denn im vorliegenden Fall können sowohl § 76 Abs. 5 i. V. m. § 75 Abs. 4 RKG als auch § 85 Abs. 2 RKG nicht angewandt werden, weil § 76 Abs. 3 RKG als spezielle Vorschrift für die Witwenrente der ersten drei Monate nach dem Tode des Versicherten als Spezialvorschrift den beiden anderen Vorschriften vorgeht. Diese Vorschrift enthält, wenn sie auch gesetzestechnisch einen anderen Weg geht, in Wirklichkeit auch nur ein Hinausschieben des Ruhensbeginns.
Die Klägerin meint allerdings, gestützt auf den Wortlaut des § 85 Abs. 2 RKG, das teilweise Ruhen ihrer knappschaftlichen Witwenrente müsse auch für den Monat Mai 1967 noch ausgeschlossen sein. Dieser Ansicht kann aber nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, daß, wie bereits ausgeführt wurde, die Ruhensausschlußvorschrift des § 76 Abs. 3 als Spezialvorschrift der Anwendung der allgemeinen Ruhensausschlußvorschrift des § 85 Abs. 2 entgegensteht, ergibt sich dies auch aus dem Sinn und Zweck aller dieser Ruhensausschlußvorschriften des § 76 Abs. 4 i. V. m. § 75 Abs. 5, des § 76 Abs. 3 und des § 85 Abs. 2 RKG. Sie haben alle für den hier zu entscheidenden Fall des Zusammentreffens einer knappschaftlichen Witwenrente mit einer Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung denselben Zweck: Die Witwe soll beim erstmaligen Zusammentreffen von Hinterbliebenenbezügen aus der knappschaftlichen Renten- und aus der gesetzlichen Unfallversicherung, obwohl eigentlich das Ruhen von Teilen der knappschaftlichen Witwenrente eintreten müßte, übergangsweise von dem Ruhen verschont werden. Dies hat zur Folge, daß von diesen Vorschriften nur eine anwendbar ist, und zwar diejenige, die als Spezialvorschrift den Vorrang vor den übrigen gleichartigen anderen Vorschriften hat, zumal dann, wenn sie zugunsten der Witwe die weitestgehende ist. Das aber ist die in § 76 Abs. 3 RKG getroffene Regelung, die das Ruhen um drei Monate bis einschließlich April 1967 hinausschob und die von der Beklagten auch angewandt worden ist. Der Grundgedanke, daß die Witwe beim erstmaligen Zusammentreffen beider Leistungen übergangsweise von dem Ruhen verschont werden soll, erfordert es, daß bei Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der drei Regelungen immer von dem Zeitpunkt auszugehen ist, in dem das Ruhen der Rente eigentlich eintreten müßte. Wenn aber bei dieser Prüfung immer von diesem Zeitpunkt ausgegangen werden muß, dann kann nicht nach Ablauf der beim Ausgehen von dem erstmaligen Zusammentreffen beider Leistungen ermittelten günstigsten Schonfrist noch einmal eine Schonfrist nach einer der beiden anderen Regelungen beginnen, die bei der ersten Prüfung nicht zum Zuge kamen. Wenn also die Witwe beim erstmaligen Zusammentreffen beider Leistungen übergangsweise von dem Ruhen verschont geblieben ist, so können die anderen, demselben Zweck dienenden Ruhensausschlußvorschriften, die nicht zur Anwendung kommen konnten, nicht noch zusätzlich zu einem weiteren Ausschluß des Ruhens der knappschaftlichen Witwenrente nach Ablauf der Wirksamkeit des § 76 Abs. 3 RKG führen.
Auf die Revision der Beklagten waren daher die Urteile des SG und des LSG aufzuheben, soweit die Beklagte verurteilt worden war, der Klägerin für den Monat Mai 1967 Witwenrente ohne Anwendung der gesetzlichen Ruhensbestimmungen zu gewähren und ihr außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1669808 |
BSGE, 281 |