Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 10.08.1990) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. August 1990 hinsichtlich der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als die Klage auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe abgewiesen worden ist. In diesem Umfange wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im übrigen, dh soweit der Kläger Arbeitslosengeld beansprucht, wird die Revision zurückgewiesen.
Tatbestand
I
Streitig sind Leistungen wegen Arbeitslosigkeit.
Der 1931 in R. … (Ostoberschlesien) geborene Kläger meldete sich am 31. Juli 1987 im Grenzdurchgangslager Friedland arbeitslos und beantragte Arbeitslosenhilfe (Alhi), nachdem er an diesem Tage mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland gekommen war. Er gab im Lager an, zuletzt 1983 als Bergmann in Polen gearbeitet zu haben, von 1984 bis 1987 in R. … (Oberschlesien) gewohnt zu haben und neben der polnischen Staatsangehörigkeit aufgrund Sammeleinbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen. Vom 1. Februar 1984 an hatte der Kläger ein Altersruhegeld aus der polnischen Sozialversicherung bezogen.
Das Arbeitsamt Kiel, in dessen Bereich der Kläger und seine Angehörigen alsbald untergebracht worden sind, lehnte den Antrag ab, weil der Kläger innerhalb des letzten Jahres nicht beschäftigt gewesen sei (Bescheid vom 18. August 1987). Mit seinem Widerspruch berief sich der Kläger auf § 90a Bundesvertriebenengesetz (BVFG) und machte geltend, seit 1980 hätten er und seine Ehefrau mehrmals erfolglos die Ausreise aus Polen beantragt. Ihnen sei bedeutet worden, die Anträge würden nicht genehmigt, so lange sie in Beschäftigung stünden. Sie hätten daher in der Hoffnung, bald ausreisen zu können, die Beschäftigungen aufgegeben und Renten beantragt, sobald dies möglich gewesen sei. Den Widerspruch wies das Arbeitsamt zurück; dabei führte es ua auch aus, daß die Anwartschaftszeit für Arbeitslosengeld (Alg) nicht erfüllt sei (Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage, mit der der Kläger dem förmlichen Antrage nach lediglich Alhi verfolgte, abgewiesen (Urteil vom 15. November 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 10. August 1990).
Zur Begründung seines Urteils hat das LSG ausgeführt, ein Anspruch auf Alhi setze ua voraus, daß der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen erfüllt seien, mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden habe (§ 134 Abs 1 Nr 4 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫). Hieran fehle es schon deshalb, weil der Kläger nach dem 1. Februar 1984 keine Beschäftigung mehr ausgeübt habe. Er habe auch keine Zeit zurückgelegt, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen könne. Auch auf § 90a BVFG könne er sich nicht berufen. Nach § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG würden zwar, soweit ein Anspruch nach dem AFG davon abhänge, daß der Antragsteller in einer in die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe, auch Zeiten berücksichtigt, in denen Deutsche bzw Vertriebene in bestimmten Gebieten wegen ihrer Volkszugehörigkeit, ihrer Aussiedlungs- oder Übersiedlungsabsicht oder wegen eines vergleichbaren nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Grundes gehindert worden seien, als Arbeitnehmer tätig zu sein. Der Kläger sei indessen nicht wegen seiner Aussiedlungs- oder Übersiedlungsabsicht oder wegen eines vergleichbaren Grundes gehindert worden, als Arbeitnehmer tätig zu sein. § 90a BVFG setze voraus, daß der Betroffene durch einen unmittelbaren Eingriff der staatlichen Gewalt an einer Arbeitnehmertätigkeit gehindert worden sei. Erforderlich sei ein zielgerichtetes Handeln Dritter. Ein unmittelbarer Eingriff staatlicher Gewalt müsse Grund dafür sein, daß der Betroffene keine Erwerbstätigkeiten ausüben konnte. Die 1985 eingeführte Regelung habe nämlich sicherstellen sollen, daß Alg oder Alhi auch an Personen geleistet werden, die in den Aussiedlungsgebieten aus von ihnen nach freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht zu vertretenden Gründen keine Erwerbstätigkeit ausüben durften. Insbesondere hätten diejenigen deutschen Volkszugehörigen erfaßt werden sollen, die arbeitslos geworden seien, weil sie die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland betrieben hätten oder in sonstiger Weise Opfer von gegen Deutsche gerichteten Maßnahmen geworden seien. Der Kläger sei aber nicht aufgrund einer gegen ihn gerichteten Maßnahme nicht erwerbstätig gewesen, sondern aufgrund eigenen Entschlusses. Zwar habe dieser Entschluß auf einer gewissen Zwangslage beruht, da der Kläger seine Aussiedlung wiederholt erfolglos beantragt habe und – wie eine Auskunft des Bundesministers des Innern ergebe – die zuständigen polnischen Behörden den Aussiedlungsanträgen von Bergleuten besonders restriktiv gegenübergestanden hätten. Eine derartige Zwangslage reiche jedoch nicht aus. Der Kläger habe durch die Aufgabe seiner Tätigkeit als Bergmann lediglich seine Chancen zur Aussiedlung erhöht. Er sei jedoch nicht unmittelbar daran gehindert worden, diese oder eine andere Tätigkeit auszuüben. Im übrigen hätte er seine Ausreisechancen auch erhöht, wenn er eine andere Beschäftigung als die des Bergmannes aufgenommen hätte. Es komme auch keine entsprechende Anwendung des § 90a BVFG in Betracht. Es liege keine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes vor.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 90a Abs 1 BVFG. Er macht geltend, zu Unrecht habe das LSG den Begriff der Freiwilligkeit dahin ausgelegt, daß Freiwilligkeit nur dann nicht vorliege, wenn die weitere Berufstätigkeit durch staatlichen Hoheitsakt untersagt werde. Es könne keinen Unterschied machen, ob jemandem eine Berufsausübung durch staatlichen Hoheitsakt untersagt werde oder aber ob durch den Staat Rahmenbedingungen geschaffen würden, die nur ein einziges persönliches Handeln möglich machten. Polen sei kein demokratischer Rechtsstaat gewesen; noch immer könne man Rechtsstaatlichkeit nicht erkennen. Insoweit seien die Ausreiseanträge des Klägers das einzige Mittel gewesen, um diesen Verhältnissen zu entgehen. Dem Kläger sei es auch nicht möglich gewesen, eine andere berufsfremde Tätigkeit aufzunehmen. Diesbezügliche Versuche seien von den staatlichen Arbeitgebern abschlägig mit dem Hinweis beschieden worden, der Kläger solle seiner Berufstätigkeit als Bergmann nachgehen; private Arbeitgeber seien damals nicht vorhanden gewesen. Der Antrag auf Frührente sei die einzige Möglichkeit gewesen, um für sich und die Familie die Ausreise zu erreichen. Es liege keine freiwillige Aufgabe der Arbeit vor. Die Regelung des § 90a BVFG habe lediglich ausschließen wollen, daß Personen, die sich im Ausland bereits im Ruhestand befunden hätten, in Deutschland in den Genuß der lukrativen Alhi kämen. Den Fall eines erzwungenen Vorruhestandes habe der Gesetzgeber übersehen. Ein freiwilliger und ein durch tatsächliche Verhältnisse erzwungener Ruhestand könnten aber nicht gleichgestellt werden. Deshalb komme entgegen der Auffassung des LSG jedenfalls eine entsprechende Anwendung zugunsten des Klägers in Betracht.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid des Arbeitsamtes aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger vom 1. August 1987 an Alhi aus der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte führt aus, § 90a BVFG enthalte kein Tatbestandsmerkmal der Freiwilligkeit. Es gehe dem Kläger ersichtlich um die Darlegung, daß er aus einem der in § 90a Abs 1 BVFG vorgesehenen Gründen gehindert gewesen sei, als Arbeitnehmer tätig zu sein. Daß indes das Gesetz abstrakt das Ziel verfolgt hätte, jedes erlittene Unrecht zu kompensieren, lasse sich schon aufgrund der Vielzahl einschränkender Tatbestandsmerkmale, die die Vorschrift enthalte, ausschließen. Vielmehr sei mit den Vorinstanzen ein unmittelbarer zielgerichteter Eingriff staatlicher Gewalt in die persönliche Sphäre des Betroffenen zu fordern, an dem es im vorliegenden Falle unstreitig fehle. Aus § 90a BVFG lasse sich nicht herleiten, Aussiedlern bereits dann einen Leistungsanspruch zu gewähren, wenn sie im Ausreisestaat an der Verwirklichung ihres Ausreisewunsches gehindert worden seien. Politisch motivierte Ausreisehemmnisse ließen allenfalls die Gewährung staatlicher Kompensationsleistungen gerechtfertigt erscheinen, nicht aber die Inanspruchnahme eines prinzipiell nur Arbeitsmarktrisiken abdeckenden Solidarfonds.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist zu einem Teil im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Im übrigen ist sie nicht begründet.
Die Vorinstanzen haben gemeint, entsprechend dem ursprünglich formulierten Klagantrag sei lediglich über einen Anspruch auf Alhi zu entscheiden. Das ist indessen unrichtig. Auch für die Auslegung von Klageanträgen ist nämlich die – für rechtsgeschäftliche Willenserklärungen geltende – Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch anzuwenden, wonach nicht am Wortlaut der Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen ist. Der wirkliche Wille des Klägers geht aber nicht auf Alhi, sondern zunächst auf das in jeder Beziehung günstigere Alg, wie der Begründung der Klage zu entnehmen ist. Denn trifft die Rechtsauffassung des Klägers zu, die Zeit seiner Nichtbeschäftigung von 1983 bis Juli 1987 sei gemäß § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG wie die Zeit einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung zu berücksichtigen, hat er, sofern er am 31. Juli 1987 schon verfügbar war, in der dann maßgebenden Rahmenfrist vom 31. Juli 1984 bis 30. Juli 1987 mehr als die 360 Kalendertage anrechenbarer Zeiten zurückgelegt, die nach § 104 AFG für einen Anspruch auf Alg erforderlich sind. Hat der Kläger aber einen Anspruch auf Alg, entfällt bis zu dessen Erschöpfung ein Anspruch auf Alhi (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG). Das formulierte Klagziel erreicht der Kläger daher von vornherein nicht, wenn seiner Rechtsauffassung gefolgt wird; es ist – bezogen auf originäre Alhi – unschlüssig. Sein Begehren hat daher von Anfang an nur so verstanden werden können, daß er Alg und nur hilfsweise Alhi erstrebt.
Prozessuale Hindernisse stehen einer sachlichen Entscheidung über das so verstandene Klagebegehren nicht entgegen. Die Klage ist nicht geändert worden, was im Revisionsverfahren unzulässig wäre (§ 168 SGG); der Inhalt der Klage ist von den Vorinstanzen lediglich verkannt worden. Es liegt, obwohl die Vorinstanzen lediglich über Alhi entschieden haben, auch nicht nur ein Teilurteil vor, sondern ein – an der Verletzung des § 123 SGG leidendes – Vollendurteil (vgl BVerwG Buchholz 448.0 § 18 WPflG Nr 10). Das nach § 78 SGG erforderliche Vorverfahren ist eingehalten. Das Arbeitsamt hat sich zwar entsprechend dem vom Kläger verwendeten Antragsvordruck zunächst nur mit Alhi befaßt; im Widerspruchsverfahren hat das Arbeitsamt indessen erkannt, daß Alg in Betracht kommt, wenn die Rechtsauffassung des Klägers zutrifft. Im übrigen genügt es für das Vorverfahrenserfordernis, wenn insgesamt ein Antrag abgelehnt ist, auch wenn die Begründung nicht ausreicht (BSGE 49, 114, 116 = SozR 4100 § 100 Nr 5).
Alg steht dem Kläger allerdings nicht zu.
Der Anspruch auf Alg setzt ua voraus, daß die Anwartschaftszeit erfüllt ist (§ 100 Abs 1 AFG). Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Die Rahmenfrist beträgt drei Jahre (§ 104 Abs 3 AFG) und geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind oder, was hier nicht in Betracht kommt, nach § 105 AFG als erfüllt gelten (§ 104 Abs 2). Im Falle des Klägers lief die Rahmenfrist günstigenfalls vom 31. Juli 1984 bis 30. Juli 1987, da er frühestens am 31. Juli 1987 die sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs auf Alg (Antrag, Arbeitslosmeldung, Verfügbarkeit) erfüllt haben konnte. In dieser Rahmenfrist ist der Kläger indessen nach den von der Revision nicht angegriffenen und damit den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) überhaupt nicht beschäftigt gewesen. Er hat schon deshalb keine die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit begründende Beschäftigung in der Rahmenfrist aufzuweisen, die er im übrigen nur in der Bundesrepublik Deutschland hätte zurücklegen können.
Dem Kläger kommt auch keine der arbeitsförderungsrechtlichen Vergünstigungen zugute, die zu Zwecken der Entschädigung und baldigen Eingliederung für zugewanderte Personen deutscher Staats- oder Volkszugehörigkeit vorgesehen waren bzw sind.
In der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) sah § 107 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG vor, daß den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung Zeiten einer Beschäftigung gleichstehen, die ein Deutscher iS des Art 116 des Grundgesetzes (GG) im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937, aber außerhalb des Geltungsbereichs des AFG ausgeübt hat. Darüber hinaus bestimmte § 107 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes, daß Zeiten einer Beschäftigung, die ein Vertriebener, der nach den §§ 9 bis 12 des BVFG Rechte und Vergünstigungen in Anspruch nehmen kann, außerhalb des Gebiets des Deutschen Reichs nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 ausgeübt hat, den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleichstehen. Beide Vorschriften galten allerdings nur, wenn die Beschäftigung bei einer Ausübung im Geltungsbereich des AFG die Beitragspflicht des Arbeitnehmers begründet hätte oder nur deshalb beitragsfrei gewesen wäre, weil der Arbeitnehmer das 63. Lebensjahr vollendet hatte (§ 107 Abs 1 Satz 2 AFG). Durch das Eingliederungsanpassungsgesetz (EinglAnpG) vom 22. Dezember 1989 (BGBl I 2398) sind diese Vorschriften zwar zum 1. Januar 1990 gestrichen worden; sie bleiben aber nach dem gleichzeitig eingeführten § 242j Abs 2 AFG für Personen weiterhin anwendbar, die wie der Kläger vor dem 1. Januar 1990 ihren ständigen Aufenthalt im (damaligen) Geltungsbereich des AFG genommen hatten. Sie greifen vorliegend allerdings nicht Platz, weil der Kläger während der Rahmenfrist in seiner Heimat nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.
Eine weitere arbeitsförderungsrechtliche Vergünstigung für zugewanderte Personen deutscher Staats- oder Volkszugehörigkeit brachte der durch das Sechste Gesetz zur Änderung des BVFG vom 2. Dezember 1985 (BGBl I 2138) neu geschaffene § 90a BVFG. Nach § 90a Abs 1 Nr 2 Buchst a BVFG werden, soweit ein Anspruch nach dem AFG davon abhängt, daß der Antragsteller in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, auch Zeiten berücksichtigt, in denen ein Deutscher iS des Art 116 GG im Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937, aber außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes (ua also auch in R. …, dem letzten Wohnsitz des Klägers im jetzigen Polen) wegen seiner Volkszugehörigkeit, seiner Aussiedlungs- oder Übersiedlungsabsicht oder wegen eines vergleichbaren nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm nicht zu vertretenden Grundes gehindert worden ist, als Arbeitnehmer tätig zu sein. Gleiches sieht § 90a Abs 1 Nr 2 Buchst b BVFG für Vertriebene iS des § 1 BVFG vor, die in den in § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG genannten Gebieten, aber außerhalb des Gebietes des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 (zB also in R. …, dem Geburtsort des Klägers) aus den genannten Gründen gehindert worden sind, als Arbeitnehmer tätig zu sein. Anlaß für diese Vergünstigungen, deren Kosten zu Lasten des Bundes gehen (§ 90a Abs 3 BVFG), hatten Berichte gegeben, denen zufolge insbesondere in Rumänien (vgl Antwort des Staatsministers Möllemann auf Anfragen des Abgeordneten Hupka, Sitzung des Deutschen Bundestages vom 16. September 1983, Stenografische Berichte Bd 125 S 1622) und der Deutschen Demokratischen Republik (vgl Abgeordneter Reddemann, Sitzung des Deutschen Bundestages vom 3. Mai 1984, Stenografische Berichte Bd 128 S 4938 f; Kleine Anfrage der SPD, BT-Drucks 10/1312) Aus- und Übersiedler berufliche Benachteiligungen hinnehmen mußten, sobald ihr Aus- bzw Übersiedlungswunsch offenbar wurde. Begünstigt werden sollten nach der Begründung des Gesetzentwurfs die Personen, die an der Ausübung einer Beschäftigung „gehindert worden sind” bzw „keine Erwerbstätigkeit ausüben durften” (BT-Drucks 10/3407 S 1 und 4; vgl Abgeordnete Dr. Nöbel und Jagoda, Sitzung des Deutschen Bundestages vom 3. Oktober 1985, Stenografische Berichte Bd 134, S 12, 100 f), dh diejenigen deutschen Staatsangehörigen und deutschen Volkszugehörigen, die arbeitslos waren, weil sie die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland betrieben haben oder in sonstiger Weise Opfer von gegen Deutsche gerichteten Maßnahmen geworden waren (BT-Drucks 10/3407 S 4). Das schon erwähnte EinglAnpG änderte § 90a Abs 1 BVFG dahingehend, daß die begünstigten Zeiten nur noch Ansprüche auf Berufsausbildungsbeihilfe, Eingliederungsgeld oder Alhi begründeten. Für Personen, die wie der Kläger vor dem 31. Dezember 1989 ihren ständigen Aufenthalt im damaligen Geltungsbereich des BVFG genommen hatten, blieb § 90a Abs 1 BVFG in der bisherigen Fassung indes maßgebend (§ 90a Abs 4 idF des EinglAnpG). Diese – rechtswahrende – Überleitungsvorschrift gilt nach wie vor; sie ist von den durch Art 27 des Gesetzes zu dem Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. Juni 1990 (BGBl II 518) vorgenommenen weiteren Änderungen des § 90a BVFG nicht betroffen worden.
Indes sind, wie die Vorinstanzen zu Recht erkannt haben, die Voraussetzungen des § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG nach den vom LSG getroffenen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist, nicht erfüllt, weil der Kläger weder wegen seiner Volkszugehörigkeit, noch wegen seiner Aussiedlungsabsicht oder wegen eines vergleichbaren nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm nicht zu vertretenden Grundes gehindert gewesen ist, als Arbeitnehmer tätig zu sein.
Nach § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG wird vorausgesetzt, daß der Aussiedler an einer Arbeitnehmertätigkeit gehindert worden ist, und zum anderen, daß dies wegen der Volkszugehörigkeit, wegen der Aussiedlungsabsicht oder wegen eines vergleichbaren nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm nicht zu vertretenden Grundes geschehen ist; ein solcher Grund muß ursächlich dafür sein, daß der Aussiedler nicht beschäftigt gewesen ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob immer ein unmittelbares Eingreifen staatlicher Gewalt erforderlich ist, wie das LSG angenommen hat, und das tatsächliche Verschlossensein des heimischen Arbeitsmarktes für den Aus- bzw Übersiedlungswilligen nicht ausreicht, selbst wenn Ursache hierfür die Volkszugehörigkeit, die Aus-oder Übersiedlungsabsicht oder ein vergleichbarer Grund war. Jedenfalls liegt eine Verhinderung, als Arbeitnehmer tätig zu sein, nach dem Grundgedanken des Gesetzes nur vor, wenn äußere Umstände eine Arbeitsaufnahme unmöglich machten, wie das LSG im Ergebnis zutreffend erkannt hat.
Die Gleichstellung der beschäftigungslosen Zeiten mit den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung hat den Charakter einer Entschädigung wegen politischer Verfolgung; damit ist jedenfalls die Übernahme der aus § 90a Abs 1 BVFG folgenden Aufwendungen der Beklagten durch den Bund begründet worden (Begründung zu § 90a Abs 2 BVFG-Entwurf, BT-Drucks 10/3407 S 4). Erforderlich ist daher jeweils eine „politische”) Reaktion auf die Volkszugehörigkeit, auf die Aus-oder Übersiedlungsabsicht oder auf ein Verhalten des Deutschen (zB auf eine Forderung nach Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit usw). Es genügt daher grundsätzlich nicht, wenn der Aus- oder Übersiedler aus eigenem Entschluß eine Arbeitnehmertätigkeit nicht ausgeübt hat. Auch die Funktion des § 90a Abs 1 BVFG im System der Arbeitsförderung, als Ersatztatbestand die Zugehörigkeit des Aus- bzw Übersiedlers zum Kreise der Arbeitnehmer zu dokumentieren, zwingt zu einem solchen Verständnis; denn beruht die Beschäftigungslosigkeit auf eigenem Entschluß des Aus- oder Übersiedlers, besteht kein Grund für den Ersatztatbestand. Äußere, nicht in der Person des Aus-oder Übersiedlers liegende Umstände fordert § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG auch zur Abgrenzung von solchen Aus- und Übersiedlern, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten konnten oder wollten; denn für solche Aus- und Übersiedler ist weder Alg noch Alhi vorgesehen, und zwar selbst dann nicht, wenn sie in ihrer Heimat eine ausländische Sozialleistung bezogen haben (BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 3).
Da der Kläger nach den vom LSG getroffenen Feststellungen nicht gehindert gewesen ist, als Bergmann oder in anderer Weise tätig zu werden, sind die Voraussetzungen des § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG nicht gegeben. Mit seiner Revision trägt der Kläger zwar vor, Versuche, andere Beschäftigungen als die eines Bergmannes zu finden, seien mit dem Hinweis abschlägig beschieden worden, er solle wieder als Bergmann tätig werden. Dieser Vortrag ist indessen neu und kann schon deshalb vom Senat nicht berücksichtigt werden. Im übrigen bestätigt dieser Vortrag, daß der Kläger eine Erwerbstätigkeit ausüben durfte, wenn möglicherweise auch nur als Bergmann. Damit liegt folglich ein Tatbestand des § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG nicht vor; denn vorausgesetzt wird, daß der Aus- bzw Übersiedler keine Erwerbstätigkeit ausüben durfte.
Anders ist der Fall nicht deshalb zu beurteilen, weil der Kläger, wie er behauptet, seine Beschäftigung als Bergmann nur aufgegeben hat, um eher eine Ausreisebewilligung zu erhalten. Daß Aus- und Übersiedler in ihrer Heimat an der Verwirklichung ihres Ausreisewunsches gehindert worden sind, rechtfertigt nach § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG den Ersatztatbestand noch nicht. Der allgemein bekannte Umstand, daß die Staaten des Ostblocks Personen eher haben ausreisen lassen, wenn sie aus dem Erwerbsleben ausgeschieden waren und zu Lasten des Ausreiselandes Sozialleistungen bezogen, hat den Gesetzgeber nicht veranlaßt, Vergünstigungen für solche Aus- und Übersiedler vorzusehen, die frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden waren, um eher ausreisen zu können. Ebensowenig sind für Angehörige von bei der Ausreise benachteiligten Berufsgruppen (wie nach der Mitteilung des Bundesministers des Inneren Ärzte und Bergleute in Polen) Vergünstigungen vorgesehen worden, wenn sie ihren Beruf aufgegeben haben, um eher eine Ausreiseerlaubnis zu erhalten. Der Gesetzgeber hat sich hiernach zur Eingliederung und Entschädigung von zugewanderten deutschen Staats- und Volkszugehörigen auf Benachteiligungen bestimmter Art beschränkt, die sich nicht in der Vorenthaltung von Alg oder Alhi fortsetzen sollten. Insonderheit ging es jedoch nicht darum, sämtliche Nachteile auszugleichen, die diese Personengruppen erleiden mußten oder für die vage Aussicht, eher Ausreiseerlaubnisse zu erhalten, in Kauf genommen haben. Deshalb verbietet sich auch eine entsprechende Anwendung des § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG auf den Fall des Klägers, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat. Eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes liegt insoweit nicht vor. Es darf nicht übersehen werden, daß die für diesen Personenkreis vorgesehenen Vergünstigungen auch sonst nicht in allen Fällen zur Folge haben, daß Alg oder Alhi zu zahlen ist. So begünstigte § 107 Abs 1 Satz 1 Nrn 3 und 4 AFG aF nicht jeden Aus- oder Übersiedler, der in seinem Herkunftsland beschäftigt gewesen ist. Da zusätzlich gefordert wurde, daß die Beschäftigung bei einer Ausübung im Geltungsbereich des AFG die Beitragspflicht des Arbeitnehmers begründet hätte (§ 107 Abs 1 Satz 2 AFG aF), fanden die vorgenannten Vergünstigungen zB auf Personen keine Anwendung, die außerhalb des Geltungsbereichs des AFG in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis tätig waren (vgl BSG SozR 4100 § 134 Nr 40).
Ist hiernach ein Anspruch auf Alg zu verneinen, muß die Revision insoweit ohne Erfolg bleiben. Anders steht es mit dem vom Kläger auch geltend gemachten Anspruch auf Alhi.
Nach § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG setzt der Anspruch auf Alhi ua voraus, daß der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt sind (Vorfrist), mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaft dienen können. Wie schon zum Alg ausgeführt, hat der Kläger solche Zeiten nicht aufzuweisen, und zwar weder nach dem AFG noch nach § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG. Ebenso bedarf keiner weiteren Ausführungen, daß der Kläger in Ermangelung einer Beschäftigung im letzten Jahr in R. … sich nicht auf den Ersatztatbestand des § 134 Abs 3a AFG und mangels Bezugs deutscher Sozialleistungen nicht auf den Ersatztatbestand des § 134 Abs 3 AFG berufen kann.
Es kommt indessen der Ersatztatbestand des § 90a Abs 2 BVFG in Betracht. Nach dieser Vorschrift steht für den Anspruch auf Alhi die Tätigkeit als Selbständiger oder mithelfender Familienangehöriger einer die Beitragspflicht nach dem AFG begründenden Beschäftigung gleich, die eine in § 90a Abs 1 Nr 2 genannte Person in dem dort genannten Gebiet hauptberuflich ausgeübt hat. Durch Art 27 des oben schon erwähnten Gesetzes vom 25. Juni 1990 (BGBl II 518) ist auch § 90a Abs 2 BVFG geändert worden. Seitdem begünstigt die Vorschrift nicht mehr Übersiedler aus der damals noch bestehenden Deutschen Demokratischen Republik, sondern nur noch Aussiedler wie den Kläger. Allerdings blieb § 90a Abs 2 BVFG aF bis zum 31. Dezember 1990 anwendbar, wenn die Voraussetzungen des Anspruchs für Alhi für einen Zeitraum im Juni 1990 bestanden haben (§ 90a Abs 5 BVFG nF). Die Vorschrift des § 90a Abs 2 BVFG könnte die kleine Anwartschaft begründen. Denn nach seinem Vortrag vor dem LSG (S 4 des Schriftsatzes seines Prozeßbevollmächtigten vom 29. März 1990), dem das Berufungsgericht nicht weiter nachgegangen ist, hat der Kläger in der Landwirtschaft seiner Schwiegermutter gearbeitet; er könnte daher in der Vorfrist 150 Tage hauptberuflich als mithelfender Familienangehöriger tätig gewesen sein. Es fehlen Feststellungen, ob das der Fall gewesen ist.
Kann hiernach nicht ausgeschlossen werden, daß der Kläger die Anwartschaftsvoraussetzungen und auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für Alhi erfüllt, muß das angefochtene Urteil in Ermangelung der erforderlichen Feststellungen in diesem Umfange aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, damit die fehlenden Feststellungen nachgeholt werden.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen