Entscheidungsstichwort (Thema)

Unbeachtlichkeit der Ausschlußklauseln der Ostgebietsverordnung. Beitragsnachentrichtung. Erhöhung des monatlichen Rentenwerts

 

Leitsatz (amtlich)

Sind ab 1.1.1990 FRG-Zeiten erstmals wegen Unbeachtlichkeit der Ausschlußklauseln der sogenannten Ostgebietsverordnung zu berücksichtigen und deswegen Beiträge nachentrichtet worden, wird der Zeitpunkt der Zahlung dieser Beiträge nicht fiktiv vorverlegt; der monatliche Rentenwert ist nur nach allgemeinen Vorschriften und grundsätzlich nur ab dem auf die Zahlung folgenden Monat zu erhöhen (Weiterführung von BSG vom 29.8.1996 – 4 RA 122/94 = SozR 3-5070 § 21 Nr 4 und Urteil vom 29.8.1996 – 4 RA 76/95).

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

WGSVG § 21 Abs. 4 S. 4; FRG § 17 Abs. 1 Buchst. b; AVG § 67; RVO § 1290; WGSVG § 21 Abs. 1 S. 3; WGSVGÄndG Art. 4 § 2 Abs. 2; AVG § 142 Abs. 1 Nr. 2; RVO § 1420 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 18.10.1995; Aktenzeichen L 6 An 92/95)

SG Berlin (Entscheidung vom 31.01.1995; Aktenzeichen S 9 An 2639/93)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger seiner am 15. Januar 1992 verstorbenen Ehefrau, der Versicherten, von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) höheres Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nach § 25 Abs 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nicht erst ab 1. März 1990, sondern schon ab Rentenbeginn am 1. Mai 1986.

Die am 1. Mai 1921 in L. … (Polen) geborene Versicherte ist Verfolgte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft iS von § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Sie war in L. von Juli 1937 bis Ende August 1939 beschäftigt und wurde anschließend verfolgt. Im Dezember 1956 wanderte sie nach Israel aus, dessen Staatsbürgerin sie wurde. Sie wohnte dort bis zu ihrem Tod.

Im Juli 1982 beantragte sie die Vormerkung ihrer in Polen zurückgelegten Beschäftigungszeiten und die Zulassung zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung nach Art 12 der Durchführungsvereinbarung (DV) zum Deutsch-Israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA). Die Vormerkung der og Beschäftigungszeiten als Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) wurde von der Beklagten abgelehnt, weil nach § 17 Abs 1 Buchst b FRG in der damals gültigen Fassung diese polnischen Beitragszeiten nicht in die deutsche Versicherungslast übergegangen seien; gemäß der Verordnung vom 22. Dezember 1941 – der sog Ostgebietsverordnung (RGBl I S 777) – sei die Überleitung nur für polnische Beiträge von Volksdeutschen und ausländischen Versicherten erfolgt, die weder Juden noch polnische Volkszugehörige gewesen seien; Beiträge von Schutzangehörigen und Staatenlosen polnischen Volkstums seien nicht auf die reichsgesetzliche Rentenversicherung übergegangen (Bescheid vom 18. April 1985). Gestützt auf das DISVA ließ die BfA die Klägerin zur beantragten Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zu und gewährte ihr nachfolgend daraus ein Recht auf Altersruhegeld ab 1. Mai 1986. Im Februar 1990 beantragte die Versicherte bei der BfA erneut die Anerkennung ihrer polnischen Beschäftigungszeiten als Beitragszeiten iS von § 15 FRG und die Vormerkung von Ersatzzeiten iS von § 28 Abs 1 AVG; zugleich beantragte sie die Zulassung zur Neugestaltung der Nachentrichtung im Rahmen der vom 1. Januar 1990 in Kraft gesetzten Neufassung der §§ 20 bis 22 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) iVm § 17 Abs 1 Buchst b FRG (idF des Rentenreformgesetzes 1992 ≪RRG 1992≫, dort Art 15 Abschn A Nr 3 Buchst a bb, in Kraft ab 1. Januar 1990 gemäß Art 85 Abs 5 RRG 1992, gestrichen ab 1. Januar 1992 durch Art 14 Nr 16 Buchst b iVm Art 42 Abs 1 des Rentenüberleitungsgesetzes ≪RÜG≫).

Nach § 17 Abs 1 Buchst b FRG in der vorgenannten Fassung fand ua § 15 FRG auch auf Personen Anwendung, wenn (ihre Rentenversicherungs-)Beiträge an einen nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden waren und ein deutscher Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen sie bei Eintritt des Versicherungsfalles wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge zu behandeln hatte; dies galt (nach dem neu angefügten Halbsatz 2 aaO) nunmehr auch für Beiträge von Personen, deren Ansprüche nach der Verordnung vom 22. Dezember 1941 (RGBl I S 777) ausgeschlossen waren. Nach § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG in der og Fassung waren die für andere Verfolgte ab Januar 1990 eingeführten Vorschriften über die „Wiedereröffnung eines außerordentlichen Nachentrichtungsrechts” entsprechend für Verfolgte gültig, für die nach § 17 Abs 1 Buchst b letzter Halbsatz des FRG in der vorgenannten Fassung Beitragszeiten nach dem FRG erstmals zu berücksichtigen waren; dabei reichte für diese Personengruppe aus, wenn sie vor dem 1. Januar 1976 berechtigt waren, einen Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach § 10 WGSVG zu stellen. Bezüglich des Rentenbeginns bestimmt § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG: „In den Fällen des Abs 1 Satz 1, in denen über einen Nachentrichtungsantrag bereits eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen wurde, und in den Fällen des Abs 1 Satz 2 gelten die Beiträge für den Rentenbeginn als in dem Zeitpunkt entrichtet, der für die Bestimmung des Beitragssatzes nach Abs 2 Buchst a oder Abs 3 Satz 1 maßgebend ist; § 20 Abs 3 Satz 2 und 3 gilt”.

Im März 1992 zeigte der Kläger den Tod der Versicherten an und teilte mit, die „bereits durchgeführte Nachentrichtung gemäß Art 12 DV/DISVA solle in bereits berücksichtigter Höhe verbleiben”. Hingegen sollten die jetzt noch nachzuentrichtenden Beiträge auf den 1. Mai 1986 zurückwirken. Die Beklagte merkte die Zeit vom 1. Juli 1937 bis zum 31. August 1939 als Beitragszeit nach § 15 FRG und die Zeit vom 18. November 1939 bis zum 14. Oktober 1941 als Verfolgungsersatzzeit vor. Am 9. Februar 1993 stellte sie fest, der Kläger sei zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach §§ 21 Abs 1, 10 WGSVG berechtigt. Ferner sicherte sie ihm bei fristgerechter Zahlung einen Rentenbeginn ab 1. März 1990 zu (Bescheid vom 8. Februar 1993; Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 1993). Der Kläger zahlte die freiwilligen Beiträge am 13. April 1993 nach.

Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Berlin, in dem um die Zusicherung eines Rentenbeginns schon ab 1. Mai 1986 gestritten wurde, gewährte die BfA dem Kläger als Rechtsnachfolger der Versicherten ein um die Werte der neu anerkannten Beitrags- und Ersatzzeiten sowie der nachgezahlten freiwilligen Beiträge (16.310 DM) erhöhtes Recht auf Altersruhegeld beginnend ab 1. März 1990 bis zum 31. Januar 1992 (Ablauf des Sterbemonats der Versicherten); die Nachzahlung hierfür betrug 25.009,40 DM.

Das SG hat die Klage auf erhöhtes Altersruhegeld schon ab 1. Mai 1986 durch Urteil vom 31. Januar 1995 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die Berufung durch Urteil vom 18. Oktober 1995 zurückgewiesen. Es ist folgender Ansicht: Zahlung höherer Rente könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) frühestens ab dem Folgemonat nach Eingang des Geldes bei der Beklagten verlangt werden (§ 67 Abs 1 Satz 1 AVG). § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG könne zu keiner früheren Rentenzahlung führen, weil diese Vorschrift nur die in § 21 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 aaO geregelten Fälle betreffe. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift komme nicht in Betracht, weil keine planwidrige Regelungslücke vorliege.

Mit der – vom BSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger, § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG sei zu Unrecht nicht angewandt worden. Richtig sei zwar, daß kein Recht zur Nachentrichtung nach § 21 Abs 1 Satz 1 oder Satz 2 WGSVG bestanden habe, sondern nur nach § 21 Abs 1 Satz 3 aaO iVm § 17 Abs 1 Buchst b FRG. § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG bestimme jedoch ausdrücklich, daß in diesen Fällen die Sätze 1 und 2 aaO entsprechend gelten, so daß auch diese Verfolgten die Nachentrichtung nach Maßgabe des § 21 Abs 2 bis 5 aaO neu ausüben könnten. Damit würden die in Abs 1 Satz 3 aaO erfaßten Verfolgten den beiden anderen Gruppen gleichgestellt; deswegen müßten auch die Regeln über den Rentenbeginn Anwendung finden. Dies ergebe sich auch aus dem Wortlaut in § 21 Abs 2a und Abs 4 Satz 4 WGSVG, wenn dort von den Fällen gesprochen werde, in denen über einen Nachentrichtungsantrag bereits eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen wurde. Hierfür genüge irgendein Nachentrichtungsantrag, den die Versicherte nach Art 12 DV/DISVA gestellt habe und der unanfechtbar beschieden worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 1995 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 7. September 1993 zu verurteilen, dem Kläger als Rechtsnachfolger aus der Versicherung der L. … U. … höheres Altersruhegeld aufgrund der nach § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG nachentrichteten Beiträge schon ab 1. Mai 1986 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. § 67 AVG werde durch § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG in den Fällen einer Nachentrichtung nach § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG nicht verdrängt, weil der vorgezogene Rentenbeginn nach dieser Vorschrift auf die in Abs 1 Satz 1 und Satz 2 aaO geregelten Fälle begrenzt sei. Der 4. Senat des BSG habe im Urteil vom 29. August 1996 (SozR 3-5070 § 21 Nr 11) bereits entschieden, daß in den Fällen der Nachentrichtung nach § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG der Rentenbeginn nach § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG nicht vorverlagert werde.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat seine Berufung gegen das zutreffende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Er kann – aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau – ein Recht auf höheres Altersruhegeld für Bezugszeiten vor dem 1. März 1990 nicht herleiten. Die allgemeinen Vorschriften über den Beginn einer Rentenerhöhung lassen dies nicht zu (dazu unter 1.); sie werden durch § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG nicht verdrängt (dazu unter 2.). Das BSG hat nur darüber zu entscheiden, ob der Kläger höheres Altersruhegeld für Zeiten vor dem 1. März 1990 „aufgrund der nach § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG nachentrichteten Beiträge” beanspruchen kann. Dies ist nicht der Fall. Hingegen stehen Rechte aus dem Zusatzabkommen zum DISVA vom 12. Februar 1995 (BGBl 1996 II S 299) hier nicht im Streit.

1. a) Aufgrund der Beitragszahlung im April 1993 hätte die Rente frühestens ab Mai 1993 erhöht werden dürfen:

Gemäß § 67 Abs 1 Satz 1 AVG, der durch die Bestimmungen des DISVA nicht verdrängt wird (vgl ua BSGE 63, 195, 198 ff = SozR 2200 § 1290 Nr 22; SozR 3-6485 Art 12 Nr 6), ist Rente vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Nach § 67 Abs 3 Satz 1 AVG kann Erhöhung der Rente vom Beginn des „Antragsmonats” (nur) verlangt werden, wenn die Voraussetzungen für die Rentenerhöhung erfüllt waren. Hierzu trifft Art 4 § 2 Abs 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG-ÄndG) vom 22. Dezember 1970 (BGBl I S 1846), geändert durch das RÜG vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606), für die Fälle der Nachentrichtung (Nachzahlung) von freiwilligen Beiträgen ua nach § 10 WGSVG spezialgesetzlich die Anordnung, daß die Rente oder höhere Rente in den Fällen ua des § 10 aaO frühestens vom Ersten des Monats an zu zahlen ist, der auf die Beitragsnachentrichtung folgt (vgl hierzu BSG SozR 5070 § 10a Nr 10, SozR 2200 § 1290 Nrn 13, 21, 22; vgl entsprechend SozR 3-6485 Art 12 Nr 6).

Art 4 § 2 Abs 2 WGSVG-ÄndG findet auf Rentenerhöhungen, die sich aufgrund einer Ausübung eines Nachzahlungsrechtes aus § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG iVm § 10 WGSVG ergeben, Anwendung (Senatsurteile vom 29. August 1996, SozR 3-5070 § 21 Nr 11 und 4 RA 76/95). Zwar ist der Gesetzestext als Übergangsvorschrift aus Anlaß des Inkrafttretens des WGSVG normiert worden, hat seine rechtliche Bedeutung aber nicht mit Ablauf der Fristen für die Ausübung der in dem WGSVG vorgesehenen Nachzahlungsrechte verloren. Vielmehr knüpft gerade die Wiedereröffnung eines außerordentlichen Nachzahlungsrechtes ua aus § 10 WGSVG in § 21 Abs 1 Satz 1 und Satz 3 WGSVG, das nur bis zum 31. Dezember 1990 ausgeübt werden kann (§ 21 Abs 4 Satz 1 WGSVG), an die Rechtslage an, die bei Inkrafttreten der Vorschrift bestanden hatte. Inhaltlich entspricht sie der Grundregel des § 67 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 Satz 1 AVG. Da die Nachzahlung erst im April 1993 erfolgte, durfte höhere Rente erst ab Mai 1993 gewährt werden.

b) Höheres Altersruhegeld für Zeiten vor dem 1. März 1990 kann der Kläger auch nicht etwa wegen einer „Bereiterklärung” iS von § 142 Abs 1 Nr 2 AVG (iVm §§ 21 Abs 1 Satz 3, 10 WGSVG) verlangen:

Nach § 142 Abs 1 Nr 2 AVG steht zwar der Entrichtung der Beiträge iS des § 140 AVG (iVm §§ 21 Abs 1 Satz 3, 10 WGSVG) eine Bereiterklärung des Versicherten zur Nachentrichtung gegenüber dem Versicherungsträger gleich, wenn die Beiträge binnen angemessener Frist entrichtet werden. Eine solche Bereiterklärung liegt jedoch erst dann vor, wenn dem Versicherungsträger erstmals eine unbedingte und uneingeschränkte Erklärung darüber zugeht, für welche Zeiträume und in welcher Höhe Beiträge nachgezahlt werden sollen (Konkretisierung). Der Kläger hat diese Konkretisierung erstmals in seinem Schreiben vom 18. März 1992, also etwa zwei Jahre nach der Rentenerhöhung, vorgenommen.

Eine hinreichend konkretisierte Bereiterklärung kann zwar in eng begrenzten Fällen sogar zu einer Rückwirkung der Beitragszahlung für eine Zeit vor Zugang der Konkretisierung führen (vgl BSG SozR 3-6485 Art 12 Nr 6 mwN). Notwendige Voraussetzung hierfür ist aber, daß in den Zeiträumen, auf welche die Bereiterklärung zurückwirken soll, das Nachentrichtungsrecht (Nachzahlungsrecht), ein Gestaltungsrecht, bereits entstanden war. Denn erst die Entstehung dieses Rechtes ermöglicht seine Ausübung, die darin besteht, daß der Berechtigte die sog Zulassung zur Nachentrichtung, also die behördliche Feststellung seines Nachentrichtungsrechtes, beantragt und aufgrund dessen sein Nachentrichtungsbegehren konkretisiert.

Die Versicherte hat ein derartiges Gestaltungsrecht auf Nachentrichtung jedoch erstmals mit Inkrafttreten von § 17 Abs 1 Buchst b letzter Halbsatz FRG iVm § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG, jeweils iVm Art 85 Abs 5 RRG 1992, also zum 1. Januar 1990, erlangt; ferner hat sie dieses Recht erstmals im Februar 1990 durch den „Antrag auf Zulassung zur Neugestaltung der Nachentrichtung” ausgeübt. Frühestens ab diesem Zeitpunkt konnte das ausgeübte Gestaltungsrecht rechtliche Wirkungen entfalten. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die übrigen Voraussetzungen für eine Rückwirkung der Konkretisierung vorliegen; denn Rechtswirkungen hätte sie frühestens ab dem 1. März 1990 haben können.

2. Ein früherer Beginn der Rentenerhöhung ist – entgegen der Ansicht des Klägers – auch nicht spezialgesetzlich angeordnet worden. § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG ist nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar:

Die Vorschrift lautet:

„In den Fällen des Abs 1 Satz 1, in denen über einen Nachentrichtungsantrag bereits eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen wurde,

und

in den Fällen des Abs 1 Satz 2

gelten die Beiträge für den Rentenbeginn als in dem Zeitpunkt entrichtet, der für die Bestimmung des Beitragssatzes nach Abs 2 Buchst a oder Abs 3 Satz 1 maßgebend ist; § 20 Abs 3 Satz 2 und 3 gilt”.

a) Eine unmittelbare (direkte) Anwendung der Vorschrift würde – worauf die Beklagte zutreffend hinweist – die sprachlichen Grenzen des Gesetzestextes überschreiten. Denn die Rechtsfolge, daß Beiträge „für den Rentenbeginn” als zu dem dort genannten früheren Zeitpunkt entrichtet gelten, ist ausdrücklich nur an die „Fälle des § 21 Abs 1 Satz 1 und Abs 1 Satz 2 WGSVG” geknüpft worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Formulierung: „für den Rentenbeginn” einer ausdehnenden Auslegung in dem Sinne zugänglich ist, daß damit – anders als in § 67 Abs 1 und Abs 3 AVG – auch „für die Rentenerhöhung” gemeint ist. Hinsichtlich der Umschreibung der Anwendbarkeitsvoraussetzungen der Vorschrift („in den Fällen des Abs 1 Satz 1 und Satz 2 aaO”) ist dies ausgeschlossen. § 21 aaO differenziert demgemäß durchgängig danach, ob Fälle des Abs 1 Satz 1, des Abs 1 Satz 2 oder des Abs 1 Satz 3 aaO gemeint sind; sollen alle Fallgruppen erfaßt werden, spricht das Gesetz nur von „Abs 1”, wie gerade in § 21 Abs 4 Satz 1 bis 3 aaO.

b) § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG ist aber auch nicht aufgrund der Verweisung in § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG einschlägig. Abs 1 Satz 3 aaO bestimmt:

„Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für Verfolgte, für die nach § 17 Abs 1 Buchst b letzter Halbsatz des FRG in der vom 1. Januar 1990 an geltenden Fassung Beitragszeiten nach dem FRG erstmals zu berücksichtigen sind, wobei es auch ausreicht, wenn sie vor dem 1. Januar 1976 berechtigt waren, einen Antrag nach § 10 zu stellen.”

Die BfA hat durch den (Zulassungs-)Bescheid vom 9. Februar 1993 für die Beteiligten in der Sache bindend (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) festgestellt, daß der Kläger aus §§ 21 Abs 1 Satz 3, 10 WGSVG das Recht hat, freiwillige Beiträge nachzuzahlen. Daher ist hier nicht zu prüfen, ob die Versicherte die Tatbestandsvoraussetzungen des § 21 Abs 1 Satz 3 aaO erfüllt hatte.

Als Rechtsfolge bestimmt diese Vorschrift, daß „die Sätze 1 und 2 entsprechend gelten”. Die hier genannte „entsprechende” Geltung bedeutet keine „sinngemäße” oder „lückenfüllende” (analoge) Anwendung der Sätze 1 und 2 aaO, sondern eine (statische) Verweisung auf diese Vorschriften, näherhin – wie die Beklagte zutreffend anführt – eine Rechtsfolgenverweisung. Die in Abs 1 Satz 1 und Satz 2 aaO angeordneten Rechtsfolgen sollen auch Rechtsfolgen des Satzes 3 aaO sein; hingegen kommt es für die Anwendung dieser weiteren Rechtsfolgen – worüber die Beteiligten auch nicht streiten – nicht darauf an, ob (auch) die Tatbestände von Abs 1 Satz 1 oder Satz 2 aaO (soweit dies überhaupt möglich sein sollte) erfüllt sind. Es sind dort nachgenannte Rechtsfolgen umschrieben:

  • Abs 1 Satz 1: „Verfolgte, …, können auf Antrag die Nachentrichtung des § 10 (WGSVG) in der am 31. Dezember 1989 geltenden Fassung nach Maßgabe der Abs 2 bis 5 ausüben, …”.
  • Abs 1 Satz 2: „Verfolgte iS des Satzes 1, die …, können auf Antrag die Nachentrichtung nach Maßgabe der Abs 2 bis 5 neu ausüben; ein bei einer früheren Nachentrichtung zuviel gezahlter Betrag ist ohne Anrechnung bisher gewährter Leistungen zurückzuzahlen”.

Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, daß „kein Fall des Abs 1 Satz 2 aaO” gegeben ist. Denn der Kläger hat ausdrücklich erklärt, die früher durchgeführte Nachentrichtung für die Zeit von Januar 1956 bis Juni 1980 solle nicht neu gestaltet werden; das jetzt ausgeübte Nachzahlungsrecht betraf Zeiten zwischen Mai 1937 und Dezember 1955. Die Rechtsfolge von Abs 1 Satz 2 aaO, die (nur bis zum 31. Dezember 1990 eingeräumte) Berechtigung zur Neuausübung der Nachentrichtung, ist vom Kläger gerade nicht ausgeübt worden und kann – im vorliegenden Fall – schon deswegen nicht zur Anwendung des Abs 4 aaO führen. Dies wäre aber – aus den nachgenannten Gründen – auch dann nicht der Fall, wenn der Kläger die von der Versicherten durchgeführte Nachentrichtung neu gestaltet hätte.

Beide Rechtsfolgen, sowohl die der Ausübung des Nachentrichtungsrechts nach Satz 1 aaO als auch die Neuausübung dieses Rechts nach Satz 2 aaO betreffen schon nach ihrem Wortlaut nur „die Ausübung der Nachentrichtung”, nicht aber den Rentenbeginn (oder die Rentenerhöhung). Daß die Ausübung/Neuausübung der (wiedereröffneten Berechtigung zur) Nachentrichtung jeweils „nach Maßgabe der Abs 2 bis 5” offensteht, bedeutet – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht, daß die drei von § 21 Abs 1 WGSVG begünstigten Personengruppen nicht nur hinsichtlich des Nachentrichtungsrechts, sondern darüber hinaus auch bezüglich des Beginns der (Erhöhung der) Renten einander völlig gleichgestellt wären:

c) § 21 WGSVG umschreibt in Abs 1 aaO die drei begünstigten Gruppen von Verfolgten und die Entstehungsvoraussetzungen des für sie (in den Fällen des Satzes 1 aaO: wieder-)eröffneten Rechts auf Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen, bestimmt in Abs 2 und Abs 3 aaO die Kriterien der Beitragsberechnung, befristet in Abs 4 Satz 1 das Nachentrichtungsrecht bis zum 31. Dezember 1990, regelt in Abs 4 Satz 2 aaO Modalitäten der Zahlung von Nachentrichtungsbeiträgen und räumt in Abs 4 Satz 3 aaO das Rechtshindernis des Eintritts des Versicherungsfalles aus. In Abs 5 aaO werden die jeweils für den Berechtigten maßgebend gewesenen allgemeinen Regelungen über die Nachentrichtung für subsidiär maßgeblich erklärt und Abs 6 aaO betrifft Hinterbliebene. Abs 7 aaO bestimmt abrundend, daß frühere Anträge auf Nachentrichtung nach § 10 WGSVG, die noch nicht bestandskräftig beschieden sind, von § 21 aaO nicht berührt werden.

Ausschließlich § 21 Abs 4 Satz 4 aaO befaßt sich mit der Frage, ob und ggf in welchen Fällen die nachentrichteten Beiträge „für den Rentenbeginn” Rückwirkungen auf Zeiten vor ihrer Entrichtung haben. Hierbei unterscheidet das Gesetz ausdrücklich zwischen den Fällen des Abs 1 Satz 2 (Neuausübung), für die eine Rückwirkung immer vorgesehen ist, und den Fällen des Abs 1 Satz 1, in denen Rückwirkung nur zuerkannt wird, wenn „über einen Nachentrichtungsantrag bereits eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen wurde”; hierzu ergänzt § 21 Abs 7 aaO, daß Anträge auf Nachentrichtung nach § 10 aaO, über die noch keine unanfechtbare Entscheidung getroffen wurde, unberührt bleiben. Einer derart differenzierende Regelung der Auswirkungen nachgezahlter Beiträge „für den Rentenbeginn” (offen bleibt, ob auch „für die Rentenerhöhung”) hätte es nicht bedurft, wenn das Gesetz davon ausgegangen wäre, Abs 4 Satz 4 aaO gelte auch für die Fälle des § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG; vielmehr hätte als Abs 4 Satz 4 aaO die Bestimmung genügt, daß „die Beiträge für den Rentenbeginn als in dem Zeitpunkt entrichtet gelten, der für die Bestimmung des Beitragssatzes nach Abs 2 Buchst a oder Abs 3 Satz 1 maßgebend ist; § 20 Abs 3 Satz 2 und 3 gilt”.

Die Rechtsfolgenverweisung in § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG erfaßt also ausschließlich das Recht zur Ausübung/Neuausübung eines Nachentrichtungsrechtes „nach Maßgabe der Abs 2 bis 5”, in denen – mit der thematischen Ausnahme des § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG – das Nähere über Inhalt und Durchführung dieses Gestaltungsrechtes geregelt ist. In diesem Sinne kann auch der Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) des Deutschen Bundestages (BT-Drucks 11/5530, S 70) verstanden werden. Dort heißt es: „Die Regelung stellt klar, daß eine Leistung unabhängig vom Inkrafttreten der Regelung auch dann rückwirkend zu erbringen ist, wenn eine Nachentrichtung erstmals durchzuführen ist und eine Nachentrichtung in der Vergangenheit nach § 10 WGSVG bindend abgelehnt wurde oder wenn eine ungünstige Nachentrichtung neu ausgeübt wird. Auch in diesen Fällen finden allerdings die maßgebenden Verjährungsregelungen Anwendung.” Hätte die Rückwirkung für Zeiten vor der Zahlung der Beiträge „für den Rentenbeginn” alle Fallgruppen des § 21 Abs 1 WGSVG erfassen sollen, wäre nichts „klarzustellen”, sondern nur der einschränkende Tatbestand des § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG nicht zu formulieren gewesen.

d) Dieser schon den Geltungsbereich der Vorschrift auf die Fälle des § 21 Abs 1 Satz 1 und 2 WGSVG begrenzende Text stellt sich auch nicht als offenkundig sinnwidriges Redaktionsversehen dar, das durch die Rechtsprechung korrigiert werden dürfte. Denn es ist nicht auszuschließen, daß die Auswirkungen des – (erstmals) eröffneten – Nachentrichtungsrechts für den von § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG begünstigten Personenkreis den allgemeinen Vorschriften über den Beginn oder die Erhöhung von Rentenansprüchen und -rechten unterliegen sollten:

Berechtigt aus dieser Vorschrift sind – wie aufgezeigt – Verfolgte, für die erstmals aufgrund von § 17 Abs 1 Buchst b letzter Halbsatz FRG (idF des RRG 1992) Beitrags- oder Beschäftigungszeiten berücksichtigt werden konnten, die also FRG-Beitragszeiten jetzt nur aufgrund der polnischen Versicherungszeiten erlangt haben, die sie in den von deutschen Truppen besetzten und in das Deutsche Reich eingegliederten Gebieten zurückgelegt hatten. Die in diesen Gebieten existierenden polnischen Rentenversicherungsträger waren aufgelöst worden, die an sie entrichteten Beiträge und die damit erworbenen Ansprüche auf die deutsche Rentenversicherung übergegangen. Jedoch waren hiervon ausgeschlossen die sog Schutzangehörigen, darunter (vor allem) auch Juden. Ihre nach der sog Ostgebietsverordnung nicht übergegangenen polnischen Versicherungszeiten waren nach der bis zum 31. Dezember 1989 maßgeblichen Rechtsauffassung nach dem FRG nicht anzuerkennen. Erst die Ergänzung des § 17 Abs 1 FRG in der ab 1. Januar 1990 geltenden Fassung klärte, daß die sog Schutzangehörigen „künftig” (so BT-Drucks 11/5530, S 29) – wie die anderen FRG-Berechtigten – Rentenleistungen erhalten konnten. Mit dem dadurch angedeuteten Ziel einer zukunftsorientierten Gleichstellung dieser Personen mit sonstigen Vertriebenen (und vertriebenen Verfolgten) stimmte der einschränkende Wortlaut über die Rückwirkung von Nachzahlungen „für den Rentenbeginn” in § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG überein.

Die unterschiedliche Regelung „für den Rentenbeginn” widerspricht auch nicht offenkundig dem Konzept des § 21 WGSVG. Die in § 21 Abs 1 Satz 1 und 2 WGSVG erfaßten Fälle sind nämlich nach der sozialpolitischen Vorstellung ausgestaltet worden, wegen einer unterschiedlichen Verwaltungspraxis in der Vergangenheit solle den davon nachteilig Betroffenen jetzt ermöglicht werden, sich so einzurichten, als wäre die für sie günstigere Praxis damals auf sie angewandt worden (sozialpolitischer „Herstellungsgedanke”):

§ 21 Abs 1 Satz 1 WGSVG soll für zwei andere Personengruppen Nachentrichtungsrechte wiedereröffnen: Zum einen werden die Verfolgten begünstigt, die wegen der ab 1976 herrschenden Rechtsanwendung bezüglich der Erforderlichkeit des Nachweises eines Nötigungszusammenhangs zwischen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis und dem Verlassen des Vertreibungsgebietes ab Oktober 1953 mit einem Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach § 10 WGSVG (in der bis Ende 1989 gültigen Fassung), der bis Ende Dezember 1975 gestellt worden sein mußte, keinen Erfolg gehabt hatten. Zum anderen werden solche Verfolgte begünstigt, die nach Art 16 Nr 2 der Vereinbarung zur Durchführung des Abkommens vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit in der Zeit vom 1. Dezember 1979 bis zum 1. Dezember 1980 das Recht auf Nachentrichtung von Beiträgen nach §§ 10, 10a WGSVG hatten. Das sind Verfolgte, die amerikanische Staatsangehörige sind und sich gewöhnlich in den USA aufhalten; ihnen wird das Nachentrichtungsrecht aufgrund der Annahme wiedereröffnet, daß sie damals das Recht mit Blick auf die herrschende Praxis zum Nötigungszusammenhang nicht geltend gemacht hatten. Beiden Gruppen wird nicht nur die Ausübung des wiedereröffneten Nachentrichtungsrechts, sondern auch die Neugestaltung einer aufgrund anderer Rechtsgrundlagen vorgenommenen Nachentrichtung eingeräumt (Abs 1 Satz 2 aaO), sofern sich dies nunmehr im nachhinein als für sie ungünstig erwiesen hat.

Aufgrund dieser sachlichen Unterschiede zwischen § 21 Abs 1 Satz 1 und Abs 1 Satz 3 WGSVG kann jedenfalls nicht festgestellt werden, daß die einschränkenden Formulierungen in § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG ein eindeutig dem Sinn des Gesetzes widersprechender Fehlgriff sind. Daraus ergibt sich zugleich, daß eine dem Konzept des § 21 WGSVG widersprechende und somit planwidrige Regelungslücke bezüglich der sog Rückwirkung von nach § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG nachgezahlten freiwilligen Beiträgen nicht vorliegt; eine „entsprechende” (analoge) Anwendung des § 21 Abs 4 Satz 4 WGSVG auf die Fälle des § 21 Abs 1 Satz 3 WGSVG scheidet deswegen aus.

Nach alledem werden die oben aufgezeigten allgemeinen Vorschriften über den Zeitpunkt der Entstehung eines Rechtes auf Rente oder der Erhöhung seines Wertes nicht durch speziellere Vorschriften verdrängt. Der Kläger kann somit eine Rentenerhöhung jedenfalls nicht für die streitigen Zeiträume vor dem 1. März 1990 verlangen. Seine Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173818

SozR 3-5070 § 21, Nr.5

SozSi 1998, 320

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