Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsgenehmigungsfreiheit für ausländische Arbeiter. Türkische Kraftfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr. Verstoß gegen das Verbot der Beschränkung des Dienstleistungsverkehrs mit der Türkei nach dem Zusatzprotokoll vom 23.11.1970. Rechtmäßige Dienstleistung. Unzulässige Arbeitnehmerüberlassung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die 1996 in Deutschland erfolgte Änderung des Arbeitsgenehmigungsrechts, wonach Arbeitsgenehmigungsfreiheit für das fahrende Personal im Güterfernverkehr nur noch vorgesehen ist, sofern das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist, verstößt gegen das Verbot des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen der Türkei mit der EWG, neue innerstaatliche Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs mit der Türkei einzuführen.
2. Auf das Verbot des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls können sich Unternehmer und Arbeitnehmer nur berufen, soweit es sich um eine rechtmäßige Dienstleistung handelt. Nicht rechtmäßig ist dabei eine Dienstleistung, bei der der Einsatz von Arbeitnehmern unerlaubter Arbeitnehmerverleih ist.
3. Der Einsatz von Arbeitnehmern eines anderen Unternehmers auf den Lkw eines Güterkraftverkehrsunternehmers ist nicht stets Arbeitnehmerverleih. Der Einsatz kann vielmehr auch in Form eines Werk- oder Dienstvertrags geschehen.
4. Die Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19.09.1980 ist nicht auf Arbeitnehmer anzuwenden, die bei einem Unternehmen mit Sitz in der Türkei beschäftigt sind, von diesem entlohnt werden und nur wegen ihrer Tätigkeit als Kraftfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr immer wieder kurzfristig in Deutschland arbeiten (vgl. EuGH, Urteil v. 21.10.2003, Az. C-317/01 und C-369/01).
Normenkette
ArbErlVO § 9 Nr. 2; ArGV § 9 Nr. 3a; EWGZusProtTürkei Art. 41 Abs. 1; ARB 1/80 Art. 13
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. August 2000 – L 11 AL 408/98 – aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger ist seit 1995 Arbeitnehmer bei dem türkischen Unternehmen E.…A.…S.… I.…, das im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen Deutschland und der Türkei tätig ist. Dieses Unternehmen übernimmt mit seinen Fahrern die in Deutschland zugelassenen Lkw des Transportunternehmens K.… Internationale Transporte in H.…. Die Fahrer übernehmen die von der Firma K.… mit vollständigen Papieren versehenen, beladenen und gewarteten Lkw in Deutschland und überführen diese in die Türkei, löschen dort die Ladung und bringen die Lkw zurück.
Für seine Tätigkeit war dem Kläger zuletzt eine Arbeitserlaubnis bis zum 30. April 1997 erteilt worden. Seinen Antrag auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis ab 30. April 1997 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 11. Juni 1997; Widerspruchsbescheid vom 12. September 1997). Der Inhaber des Unternehmens Kacar Internationale Transporte erwirkte beim Sozialgericht (SG) Bayreuth im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Feststellung, dass der Kläger vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Tätigkeit arbeitserlaubnisfrei ausüben dürfe.
Das SG Nürnberg hat mit Urteil vom 27. Oktober 1998 festgestellt, dass der Kläger, der im grenzüberschreitenden Verkehr auf den Lkw der Firma Kacar Internationale Transporte tätig ist, keiner Arbeitserlaubnis bedarf.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 30. August 2000 zurückgewiesen: Der Kläger könne sich als türkischer Arbeitnehmer auf die zwischenstaatlichen Vereinbarungen berufen, die die Europäische Gemeinschaft mit der Türkei abgeschlossen habe. Diese Vereinbarungen konservierten den Rechtszustand, der zu Beginn der Beschäftigung des Klägers in Deutschland bestanden habe. Die Stillhalteklausel des Art 13 des Beschlusses Nr 1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 9. September 1980 (ARB Nr 1/80) erfasse auch die streitrelevante Beschäftigung des türkischen Fahrers auf den deutschen Teilstrecken seiner grenzüberschreitenden Tätigkeit. Durch die Neuregelung des Arbeitserlaubnisrechts ab 10. Oktober 1996 sei eine wesentliche Beschränkung des Zugangs von ausländischen Lkw-Fahrern zum deutschen Arbeitsmarkt eingetreten. Diese generelle Einschränkung verstoße gegen das Assoziationsrecht und sei deshalb unbeachtlich. Dahingestellt bleibe, ob, wie die Beklagte geltend mache, der Kläger, sein Arbeitgeber oder der deutsche Auftraggeber gegen das deutsche Güterkraftverkehrsrecht verstießen. Etwaige derartige Verstöße zu ahnden oder zu unterbinden sei den für das Güterkraftverkehrsrecht zuständigen Behörden und Gerichten aufgegeben und vorbehalten. Eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung liege nicht vor. Der Arbeitgeber des Klägers erbringe die von ihm der deutschen Auftraggeberin geschuldeten Leistungen, die Lkw an die vereinbarten Ziele zu fahren.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Der Senat hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Beschluss vom 20. Juni 2001 Fragen zur Auslegung des Art 13 ARB Nr 1/80 und des Art 41 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 zu dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vorgelegt. Nach dem Urteil des EuGH vom 21. Oktober 2003 (C-317/01 sowie C-369/01) ist das Verfahren fortgeführt worden.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 9 Nr 2 Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) bzw des § 9 Nr 3a Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV). In den vorgenommenen Änderungen des Arbeitsgenehmigungsrechts liege keine neue Beschränkung für die Dienstleistungserbringung durch Unternehmen mit Sitz in der Türkei. Die Änderung des Arbeitsgenehmigungsrechts stelle lediglich eine Anpassung an die ohnehin geltenden Regelungen des Verkehrsrechts dar. Der grenzüberschreitende Straßenverkehr sei generell nicht uneingeschränkt möglich. Er hänge vielmehr von den bestehenden Transportgenehmigungen ab, wonach nur im Staat der Niederlassung des Unternehmens zugelassene Fahrzeuge eingesetzt würden. Die Änderung des Arbeitsgenehmigungsrechts verfolge lediglich eine Anpassung des Arbeitsgenehmigungsrechts an andere Rechtsbereiche (Verkehrsrecht) und damit die Wahrung der Rechtseinheit. Durch die Änderung der ArGV sei kein neuer Regelungsinhalt geschaffen worden, sondern lediglich die Gesetzessystematik und die Regelungstechnik geändert worden. Neben den verkehrsrechtlichen Ausführungen sei auch eine Überlassung der Lkw durch ein deutsches Unternehmen an einen türkischen Arbeitgeber im Wege der Vermietung unzulässig, weil eine Verlegung des Fahrzeugs durch ein deutsches Unternehmen ins Ausland ohne Wechsel des Kennzeichens gegen § 27 Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO) verstoße. Die “Fahrzeug-Vermietung” stelle in Verbindung mit der Beschäftigung von türkischen Arbeitnehmern Arbeitnehmerüberlassung dar. Bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzabkommens im Jahr 1971 sei diese Dienstleistung grenzüberschreitend nicht zulässig gewesen. Damit könne weder von einer rechtmäßig erbrachten Dienstleistung noch von einer ordnungsgemäßen Beschäftigung die Rede sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. August 2000 – L 11 AL 408/98 – sowie das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27. Oktober 1998 – S 5 AL 777/97 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Kläger künftig berechtigt ist, als von der E.… A.…S.…, I.…, beschäftigter Kraftfahrer auf in Deutschland zugelassenen Lastkraftwagen des Güterkraftverkehrsunternehmens K.… Internationale Transporte, H.…, im grenzüberschreitenden Güterverkehr in Deutschland ohne Arbeitsgenehmigung tätig zu werden.
Er ist der Auffassung, die Beklagte setze sich mit ihrem Vorbringen in Widerspruch zu der von ihr im Jahre 1989 nachhaltig vertretenen Rechtsauffassung. Es gebe in der Bundesrepublik ca 100 Transportfirmen, die sich auf die Nahostroute Bundesrepublik – Türkei – Iran – Irak – Bundesrepublik spezialisiert hätten. Die deutschen Firmen hätten türkische Fahrer mit Wohnsitz und Arbeitgeber in der Türkei einsetzen können. Visa und Arbeitserlaubnisse seien nicht gebraucht worden. Die Änderung der AEVO vom 1. September 1993 habe sodann den arbeitserlaubnisfreien Einsatz türkischer Fahrer nur für den Fall gestattet, dass der jeweilige Fahrer bei einer Firma in der Türkei angestellt sei. Es habe damals zwischen der Beklagten und den betroffenen Speditionsfirmen zahlreiche Gespräche und Verhandlungen gegeben. Im Rahmen dieser Verhandlungen sei den Unternehmern ausdrücklich empfohlen worden, sich in der Türkei Kooperationspartner zu suchen, die die Fahrer anstellten. Entsprechend dieser Empfehlung sei es sodann zu Kooperationen zwischen deutschen und türkischen Firmen gekommen. Es sei in Form einer Arbeitsgemeinschaft zwischen den Firmen zusammengearbeitet worden. Aufgabe der türkischen Firmen sei die Auswahl und die Beschäftigung geeigneter qualifizierter Kraftfahrer und die Akquisition von Frachtgut vom Orient nach Deutschland bzw in die EU gewesen. Aufgabe der deutschen Firma sei die Bereitstellung ordnungsgemäß gewarteter und versicherter Lkw sowie die Akquisition von Frachtaufträgen von Deutschland bzw der EU in den Nahen Osten. Die Direktionsbefugnis des Arbeitgebers für den Einsatz der Fahrer liege ausschließlich bei den in der Türkei ansässigen Firmen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Der Senat kann auf Grund der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden.
- Der Kläger als Arbeitnehmer begehrt die Feststellung, dass er künftig berechtigt ist, als von der E.… A.…S.…, I.…, beschäftigter Kraftfahrer auf in Deutschland zugelassenen Lastkraftwagen (LKW) des Güterkraftverkehrsunternehmens K.… Internationale Transporte, H.…, im grenzüberschreitenden Verkehr in Deutschland arbeitsgenehmigungsfrei tätig werden zu können. Die Feststellungsklage ist zulässig. Etwaigen Bedenken hinsichtlich des Feststellungsinteresses angesichts der weiteren Fassung des Feststellungsantrages in den Vorinstanzen hat der Kläger dadurch Rechnung getragen, dass er sein Feststellungsbegehren auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit beschränkt hat. Insoweit handelt es sich nicht um eine im Revisionsverfahren nach § 168 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz unzulässige Klageänderung, sondern um eine Klarstellung dessen, was der Kläger bereits in den Vorinstanzen begehrt hat (s dazu BSG 3-1500 § 55 Nr 34; vgl auch BSGE 88, 231, 233 = SozR 3-4210 § 9 Nr 2).
Die Begründetheit des Feststellungsbegehrens hängt davon ab, ob hinsichtlich der beabsichtigten Beschäftigung Arbeitsgenehmigungsfreiheit besteht. Nach dem anzuwendenden deutschen Recht ist der Kläger als Arbeitnehmer eines türkischen Arbeitgebers nicht berechtigt, im grenzüberschreitenden Güterverkehr auf in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen in Deutschland arbeitsgenehmigungsfrei tätig zu werden. Die vom Kläger begehrte Arbeitsgenehmigungsfreiheit folgt jedoch aus einer Anwendung des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 (ABl 1972 L 293 S 1; BGBl II 1972 S 385).
a) Abzustellen ist jeweils auf die Rechtslage, die das im Streit befindliche Rechtsverhältnis erfasst (BSGE 2, 188, 192; 3, 95, 103; 74, 90, 92 = SozR 3-4210 § 9 Nr 1), also die derzeit geltenden Bestimmungen. Nach § 9 Nr 3a ArGV – erlassen auf Grund des § 288 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – bedarf keiner Arbeitsgenehmigung das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, wenn das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist. Nach den Ausführungen im Urteil des LSG ist der Kläger bei der E.… A.…S.…, einem türkischen Unternehmen, angestellt. Zu Gunsten des Klägers kommt deshalb in Betracht, dass er derzeit bzw in Zukunft als Fernfahrer für einen Arbeitgeber mit Sitz im Ausland tätig werden will. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Arbeitserlaubnisfreiheit gemäß § 9 Nr 3a ArGV weiter erforderlichen Voraussetzung der Zulassung des jeweiligen Fahrzeugs im Sitzstaat des Arbeitgebers; denn die vom Kläger gelenkten bzw in Zukunft zu lenkenden Fahrzeuge sind in Deutschland, nicht in der Türkei zugelassen.
b) Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, die Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung (ArbErlaubV) vom 10. Oktober 1996 sei eine nach Art 13 ARB 1/80 unzulässige neue Beschränkung des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Diese Vorschrift ist nicht auf Arbeitnehmer anzuwenden, die bei einem Unternehmen mit Sitz in der Türkei beschäftigt sind, von diesem entlohnt werden und nur wegen ihrer Tätigkeit als Kraftfahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr immer wieder kurzfristig in Deutschland arbeiten, wie der EuGH in dem auf Vorabentscheidungsersuchen des Bundessozialgerichts ergangenen Urteil vom 21. Oktober 2003 C-317/01 (Abatay) und C-369/01 (Nadi Sahin) entschieden hat (aaO RdNr 87 – 91). Die Situation des Klägers bei der im Feststellungsantrag umschriebenen Tätigkeit entspricht der vom EuGH zu Grunde gelegten Situation.
c) Der Kläger kann sich jedoch darauf berufen, dass die bereits genannte Änderung der ArbErlaubV zum 10. Oktober 1996 zu einer unzulässigen Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs iS des Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 (ABl 1972 L 293 S 1; BGBl II 1972 S 385) geführt hat. In dieser Vorschrift verpflichten sich die Vertragsparteien, untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen. Der Dienstleistungsverkehr in diesem Sinne umfasst auch den Einsatz von Arbeitskräften des Dienstleisters (EuGH, Urteil vom 21. Oktober 2003 RdNr 111). Auf die Inanspruchnahme dieser Bestimmung können sich nicht nur das Unternehmen in der Türkei, das rechtmäßig Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat erbringt, sondern auch türkische Fernfahrer, die von einem derartigen Unternehmen mit Sitz in der Türkei beschäftigt werden, berufen (EuGH aaO RdNr 105 und 106).
d) Der EuGH hat unter Hinweis auf seine Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit nach Art 59 EG-Vertrag (Art 49 EG-Vertrag neu) dargelegt, dass eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs iS von Art 41 Abs 1 Zusatzprotokoll darin liegt, dass eine nationale Regelung die Erbringung von Dienstleistungen durch ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen im Inland von der behördlichen Erlaubnis wie einer Arbeitserlaubnis abhängig macht (EuGH Urteil vom 21. Oktober 2003 RdNr 111). Im Hinblick darauf ist es nicht zweifelhaft, dass es sich bei der Einführung einer Arbeitserlaubnispflicht für den grenzüberschreitenden Verkehr bei Zulassung des Fahrzeuges im Inland um eine Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs handelt (vgl EuGH aaO RdNr 112 – 115).
Es handelt sich auch gegenüber dem Rechtszustand beim Inkrafttreten des Zusatzprotokolls am 1. Januar 1973 um eine neue Beschränkung des Dienstleistungsverkehrs.
Im Jahre 1973 war das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr allgemein und ohne weitere ausdrückliche Einschränkung arbeitserlaubnisfrei (§ 9 Nr 2 ArbErlaubV idF vom 2. März 1971, BGBl I 152). Mit der durch Verordnung vom 1. September 1993 (BGBl I 1527) für die Zeit ab September 1993 vorgenommenen Änderung des § 9 Nr 2 ArbErlaubV (Einfügung der Worte “bei Arbeitgebern mit Sitz im Ausland”) war eine Verschlechterung der Position in der Türkei beschäftigter Arbeitnehmer noch nicht verbunden. Die später in Kraft gesetzten Regelungen des § 9 Nr 2 ArbErlaubV in der ab 10. Oktober 1996 geltenden Fassung (Verordnung vom 30. September 1996, BGBl I 1491) sowie des § 9 Nr 3a ArGV, die Arbeitsgenehmigungsfreiheit nur noch für das fahrende Personal bei ausländischen Arbeitgebern vorsehen, “sofern das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist”, sind jedoch im Vergleich zu den davor geltenden Regelungen für die betroffenen türkischen Staatsangehörigen “weniger günstig”.
e) Dem Einwand der Beklagten, in den Änderungen des Arbeitsgenehmigungsrechts für die Zeit ab Oktober 1996 liege keine neue Beschränkung, sondern lediglich eine Anpassung an die ohnehin geltenden Regelungen des Verkehrsrechts, ist nicht zu folgen. Dem hier zu beurteilenden Einsatz von in der Türkei in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Arbeitnehmern auf den LKW des deutschen Güterkraftverkehrsunternehmers, der Inhaber der Erlaubnis nach § 3 Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) vom 22. Juni 1998 (BGBl I 1485; bis zum 30. Juni 1998: Genehmigung nach § 8 GüKG) ist, stehen ausdrückliche Vorschriften des GüKG nicht entgegen. Die Frage, ob der inländische Erlaubnisinhaber seine Pflichten nach dem GüKG oder den europarechtlichen Vorschriften für den Güterverkehr auf LKW (vgl etwa Art 15 EWGV 3820/85 vom 20. Dezember 1985, ABl L 370 S 1 und Art 13 und 14 EWGV 3821/85 vom 20. Dezember 1985, ABl L 370 S 8) beim Einsatz des Klägers als Kraftfahrer auf seinen LKW verletzt, weil etwa der türkische Unternehmer als Arbeitgeber Weisungsrechte gegenüber dem Kläger hat und auch wahrnimmt, ist für diesen Rechtsstreit unerheblich. Etwaige Pflichtverstöße hätte die nach dem GüKG zuständige Behörde zu beurteilen und zu ahnden.
Bedenken der Beklagten, die Überlassung von LKW an ein türkisches Unternehmen verstoße gegen § 27 StVZO, gehen ins Leere, denn das Feststellungsbegehren des Klägers richtet sich nur auf den Einsatz von LKW eines deutschen Güterkraftverkehrsunternehmers.
Der Senat vermag auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG jedoch nicht zu entscheiden, ob sich die vorliegende Vertragsgestaltung und tatsächliche Handhabung als unzulässige Arbeitnehmerüberlassung darstellt. Diese Frage kann – anders als die erörterten güterkraftverkehrsrechtlichen Vorfragen – nicht unentschieden bleiben, weil sie unmittelbar die rechtliche Zulässigkeit der von dem türkischen Arbeitnehmer im Inland ausgeübten Tätigkeiten betrifft und an diese anknüpft. Insoweit steht auch die in Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls enthaltene Stillhalteklausel nicht entgegen, denn die grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung war jedenfalls auch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls genehmigungspflichtig (vgl zur den Fragen der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung im Einzelnen Feuerborn in Schüren, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ≪AÜG≫, 2. Aufl 2003, Einleitung RdNr 572 ff). Im Übrigen schützt Art 41 Abs 1 des Zusatzprotokolls nur diejenigen Unternehmen in der Türkei, die rechtmäßig Dienstleistungen im Inland erbringen.
Da das türkische Unternehmen nicht über eine Erlaubnis nach dem AÜG verfügt, ist die Beschäftigung des Arbeitnehmers im Inland nur dann rechtmäßig, wenn dieser nicht als dem deutschen Unternehmen K.… Internationale Transporte, H.…, überlassener Arbeitnehmer tätig wird. Zwar hat das LSG ausgeführt, es liege keine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung vor, ohne allerdings die nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitgerichts (BAG) erforderlichen Feststellungen zu treffen. Der Hinweis des LSG, § 9 Nr 3b ArGV spreche gegen eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung, ist nicht zwingend; denn die Freistellung von der Arbeitsgenehmigungsfreiheit für bei ausländischen Arbeitgebern beschäftigte Fahrer im grenzüberschreitenden Linienverkehr mit Omnibussen lässt keine Schlussfolgerungen auf die tatsächliche Gestaltung im Einzelfall zu. Zwar ist es nach der Rechtsprechung des BAG nicht ausgeschlossen, dass das türkische Unternehmen für das deutsche Unternehmen im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages tätig wird, denn auch im erlaubnispflichtigen Personen- und Güterverkehr ist nicht jeder drittbezogene Arbeitnehmereinsatz zugleich Arbeitnehmerüberlassung iS des AÜG (BAG 6. August 2003 – 7 AZR 180/03 = BB 2004, 669; vgl auch BAGE 94, 144 = AP Nr 8 zu § 14 AÜG). Jedoch rechtfertigt nicht allein die Erwägung, das türkische Unternehmen erbringe mit seinen Arbeitnehmern die von ihr der deutschen Auftraggeberin geschuldete Leistung, die Schlussfolgerung des LSG, hier liege ein Werkvertrag vor.
Ob Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, beurteilt sich nach der Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen dem Entleiher und dem Arbeitnehmer andererseits (Leiharbeitsvertrag) sowie dem Fehlen arbeitsvertraglicher Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Entleiher. Hiervon ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei Dritten auf Grund eines Werk- oder Dienstvertrages zu unterscheiden, die vorliegt, wenn der Unternehmer die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen organisiert und er dem Drittunternehmer für die Erfüllung der im Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks verantwortlich bleibt. Im letztgenannten Fall unterliegen die Arbeitnehmer den Weisungen des Arbeitgebers, wobei ein Weisungsrecht des Dritten im Einzelfall, wie sich auch aus § 645 Abs 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch ergibt, unschädlich sein kann (BAG Urteil vom 6. August 2003 aaO). Maßgebend für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Dienst- und Werkverträgen ist der tatsächliche Geschäftsinhalt des Vertragsverhältnisses (BAG aaO). Zu den maßgebenden vertraglichen Beziehungen und deren Handhabung hat das LSG jedoch keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Dies wird nachzuholen sein.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen