Leitsatz (amtlich)
1. Eine Beschäftigte in einer Bäckerei steht beim Umkleiden in ihrer Betriebsgebäude befindlichen Privatwohnung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn der Wechsel der Kleidung durch den Übergang von einer anderen dem Betrieb zuzurechnenden Verrichtung zu der Verkaufstätigkeit im Bäckerladen erforderlich wird.
2. zur Frage des Versicherungsschutzes beim Vorbereiten einer Mahlzeit, an der familienfremde Betriebsangehörige teilnehmen sollen.
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. März 1959 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Klägerin ist in dem von ihrem Schwiegervater betriebenen Unternehmen - Bäckerei, Konditorei und Café - beschäftigt. Ihre Tätigkeiten umfassen Verkauf, Auslieferung, Bedienung und Haushalt. Ihre eheliche Wohnung befindet sich im ersten Stockwerk des Betriebsgebäudes. Am 13. November 1957 war die vom Unternehmer beschäftigte Hausangestellte nicht verfügbar. An ihrer Stelle erledigte die Klägerin bis gegen 10 Uhr die im Haushalt erforderlichen Arbeiten, u.a. die Vorbereitung des Mittagessens für die im Betrieb zu verpflegenden Personen. Um anschließend beim Verkauf im Ladengeschäft mitarbeiten zu können, kleidete sich die Klägerin in ihrem Schlafzimmer um; hierbei fiel sie hin und verletzte sich das linke Knie.
Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch der Klägerin ab mit der Begründung, das Wechseln der Kleidung stelle keine betriebliche Tätigkeit dar, sondern sei eine Privatangelegenheit. Auch habe sich die Klägerin in ihrem Schlafzimmer außerhalb der Betriebsstätte befunden.
Das Sozialgericht (SG) Gießen hat die Klage abgewiesen und u.a. ausgeführt, die Klägerin könne nicht mit einem Arbeitnehmer verglichen werden, der sich nach Beendigung seiner Tätigkeit in der Backstube zum Zweck des Ausfahrens von Waren reinigen und umkleiden müsse; denn die Klägerin habe sich bis zum Unfallzeitpunkt in ihrem häuslichen Bereich befunden.
Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Entgegen der Auffassung des SG sei zwar davon auszugehen, daß die Klägerin sich am Morgen des Unfalltages nicht ausschließlich in ihrem häuslichen Wirkungskreis aufgehalten habe, sondern insbesondere in der im Erdgeschoß gelegenen Küche mit der Essensvorbereitung für die im Betrieb zu verköstigenden Personen beschäftigt gewesen sei. Dadurch ändere sich jedoch nichts an der rechtlichen Beurteilung. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin bei Verrichtung der Arbeiten in Haushalt und Küche überhaupt Versicherungsschutz genossen habe. Selbst wenn dies zuträfe, sei diese Tätigkeit mit dem Betreten des Schlafzimmers beendet gewesen; das anschließende Umkleiden sei nicht anders zu beurteilen als das erstmalige Anlegen der üblichen Arbeitskleidung an einem gewöhnlichen Arbeitstag; bei einer solchen privaten Verrichtung im häuslichen Bereich entfalle der Versicherungsschutz. Im übrigen habe die als Verkäuferin beschäftigte Klägerin die am Morgen des Unfalltages verrichtete Haushaltsarbeit wahrscheinlich vor allem im Hinblick auf das Verwandtschaftsverhältnis zu ihrem Schwiegervater übernommen, in dessen Hause sie mit ihrer Familie wohnte und beköstigt wurde. Die Mithilfe im schwiegerelterlichen Haushalt habe somit in erster Linie rein eigenwirtschaftlichen Interessen gedient, zumal da es auch der Verkehrssitte widerspreche, daß sich Schwiegertöchter hierbei als Hausangestellte betätigten. Die von einer Verkäuferin im Bäckereiunternehmen getragene allgemeine Arbeitskleidung, die sich nicht von der im Privatleben getragenen Kleidung unterscheide, sei auch nicht als Arbeitsgerät im Sinne des § 543 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzusehen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 26. März 1959 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. April 1959 Revision eingelegt und sie am 11. Mai 1959 wie folgt begründet: Das LSG habe zu Unrecht angenommen, daß die von der Klägerin bis zum Umkleiden ausgeübte Haushaltsarbeit lediglich auf dem Familienverhältnis beruht und daher eigenwirtschaftlichen Interessen gedient habe. Das Umkleiden habe dem Übergang von dieser - schon betriebsbezogenen - Haushaltsarbeit zur Verkaufstätigkeit gedient, welche die Klägerin in beschmutzter Kleidung nicht hätte ausüben können; in dem Umkleiden sei somit eine betriebsnotwendige, mit dem Beschäftigungsverhältnis der Klägerin wesentlich zusammenhängende Tätigkeit zu erblicken. Mangels eines zum Betrieb gehörenden besonderen Garderobenraumes sei die Klägerin genötigt gewesen, sich in ihrem Schlafzimmer umzuziehen, das sie zu diesem Zweck auch dann hätte aufsuchen müssen, wenn sie sich etwa im Geschäft durch ein Mißgeschick beim Bedienen ihre Kleidung beschmutzt haben würde. Das Umkleiden der Klägerin am Unfalltage sei nicht als Vorbereitung zur Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit, sondern als Fortsetzung der an dem betreffenden Morgen bereits ausgeübten Betriebsarbeit aufzufassen. Die Klägerin beantragt,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für den Unfall vom 13. November 1957 die gesetzliche Entschädigung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist statthaft durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, daher zulässig. Sie hatte auch zum Teil Erfolg.
Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß sich die Betriebsräume und die Wohnräume innerhalb desselben Gebäudes befanden. In einem solchen Falle ist - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - die Annahme des Versicherungsschutzes nach § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO für einen Unfall, den ein Beschäftigter innerhalb des häuslichen Bereichs erleidet, schon begrifflich ausgeschlossen (vgl. BSG 11, 267; SozR RVO § 543 Bl. Aa 15 Nr. 20; Urteil vom 30.1.1962, 2 RU 148/58). Auch Abs. 2 dieser Vorschrift kommt im vorliegenden Fall schon deshalb nicht in Betracht, weil eine allgemeine Arbeitskleidung - wie offenbar auch von der Revision nicht bezweifelt wird - nicht als Arbeitsgerät anzusehen ist (vgl. BSG in Breith. 1957, 902).
In Fällen der hier gegebenen Art erstreckt sich also grundsätzlich der Versicherungsschutz - wie der erkennende Senat in seiner angeführten Rechtsprechung entschieden hat - nicht auf einen Aufenthalt des Beschäftigten in seiner im Betriebsgebäude gelegenen Privatwohnung. Mit dem Unternehmen nicht in rechtlich wesentlichem Zusammenhang stehende Betätigungen innerhalb dieses rein persönlichen, von den Betriebsräumen abgrenzbaren Lebensbereichs - wie zB morgens das Aufstehen und Ankleiden im Schlafzimmer, ferner das Ausruhen während einer Arbeitspause - stehen nicht unter Versicherungsschutz; dieser beginnt vielmehr in der Regel erst in dem Augenblick, da der Beschäftigte zum Zweck der Arbeitsaufnahme einen Teil des Gebäudes betritt, der wesentlich betrieblichen Zwecken dient. Diese allgemein zutreffende Rechtsauffassung hat das LSG hier jedoch in einer Weise herangezogen, welche die Besonderheiten des Falles nicht genügend berücksichtigt. Das LSG hat nicht hinreichend beachtet, daß die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls nicht etwa gerade die Nachtruhe beendet hatte und überhaupt erst mit Arbeiten beginnen wollte, sondern bereits einige Stunden lang gearbeitet hatte und die hierbei getragene Kleidung mit einer solchen vertauschen wollte, die ihrer bevorstehenden Verkaufstätigkeit im Ladengeschäft besser angepaßt war. Der vom LSG vertretene Standpunkt, ein solches Umkleiden sei nicht anders zu beurteilen als das erstmalige Anlegen der üblichen Arbeitskleidung an einem gewöhnlichen Arbeitstag, trifft jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht zu. Gewiß stellt das Ablegen der bei der Haushaltsarbeit getragenen Sachen und das Anziehen einer besseren Kleidung eine Verrichtung dar, die von zahlreichen nicht berufstätigen Hausfrauen im Laufe des Tages ausgeübt wird. Im Falle der Klägerin gewinnt dieser Vorgang aber deshalb eine andere Bedeutung, weil sie an dem fraglichen Tage nicht wie sonst von früh morgens an als Verkäuferin tätig war, sondern zunächst im Haushalt gearbeitet hatte und das Umkleiden dem Übergang von der ersten zur zweiten Tätigkeit diente; der Kleidungswechsel am Unfalltage war eine zusätzliche Betätigung, die sich im Falle der Ausübung der Haushaltsarbeiten durch die Hausangestellte erübrigt hätte. Reinigen und Umkleiden im Schlafzimmer wären zB als versicherungsgeschützt anzusehen, wenn die Klägerin angewiesen worden wäre, ihre Verkaufstätigkeit zu unterbrechen und den Lieferwagen zu waschen. Hieraus folgt, daß das Umkleiden als wesentlich von betrieblichen Vorgängen beeinflußt anzusehen ist, falls die Haushaltsarbeit, die von der Klägerin aushilfsweise übernommen worden war, ihrerseits wesentlich den Zwecken des Bäckereibetriebs gedient haben sollte. Auf diese Frage kommt es nach Meinung des Senats für die Entscheidung des Rechtsstreits ausschlaggebend an. Das LSG hat zu Unrecht diese Frage in erster Linie dahingestellt gelassen und sie hilfsweise mit Erwägungen beurteilt, die nicht frei von inneren Widersprüchen sind.
Bereits die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen vermitteln kein klares Bild davon, welche Tätigkeiten im einzelnen die Klägerin am 13. November 1957 bis gegen 10 Uhr verrichtet hat. Es heißt hierzu in den Urteilsgründen einmal, sie habe sich nicht ausschließlich in ihrem häuslichen Wirkungskreis aufgehalten, sondern sei insbesondere in der im Erdgeschoß gelegenen Küche mit der Essensvorbereitung für die im Betrieb zu verköstigenden Personen beschäftigt gewesen; später bezeichnet das LSG dann diese Betätigung als Mithilfe im schwiegerelterlichen Haushalt. Unklar bleibt hierbei insbesondere, ob die Küche zur schwiegerelterlichen Privatwohnung oder zu den Betriebsräumen gehört und ob das von der Klägerin vorbereitete Essen nur für die Familien der Klägerin und ihrer Schwiegereltern oder aber auch für familienfremde im Unternehmen beschäftigte Personen bestimmt war; die Vermutung liegt nahe, daß das Essen nicht nur im Familienkreise stattfand, denn an anderer Stelle der Urteilsgründe ist von zwei weiteren Verkäuferinnen im Bäckereibetrieb die Rede; im übrigen hätte das LSG bereits aus den im Feststellungsverfahren gemachten Angaben nähere Einzelheiten zu dieser Frage entnehmen können.
Nach Ansicht des Senats kann ein wesentlicher Zusammenhang der von der Klägerin verrichteten Haushaltstätigkeit mit dem Unternehmen jedenfalls dann nicht verneint werden, wenn die Klägerin in der zum Betrieb gehörenden Küche das Essen für nicht zur Familie gehörende Belegschaftsmitglieder vorbereitet hat. In einer solchen Arbeit ist nicht mehr eine bloße Mithilfe im schwiegerelterlichen Haushalt zu erblicken, für die es allerdings im hier gegebenen Fall an einer dem § 916 Abs. 1 Nr. 1 RVO entsprechenden Rechtsgrundlage des Versicherungsschutzes fehlen würde. Vielmehr würde es sich dabei um ein Tätigwerden im unmittelbaren Betriebsinteresse handeln, zumal wenn die Beköstigung der familienfremden Beschäftigten auf einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung des Unternehmers beruht oder dem Zweck dient, den Belegschaftsmitgliedern eine zeitsparende Gelegenheit zum Mittagessen zu bieten, um ihre baldige Weiterarbeit zu ermöglichen. Dem vom LSG herangezogenen Erfahrungssatz, daß eine Schwiegertochter im schwiegerelterlichen Haushalt sich in der Regel nicht als Hausangestellte betätigt, würde unter diesen Umständen keine entscheidende Bedeutung zukommen.
Falls diese Merkmale vorliegen und der von der Klägerin am Unfalltag verrichteten Haushaltsarbeit das Gepräge einer versicherten Betriebstätigkeit geben, kann der Versicherungsschutz im Unfallzeitpunkt jedenfalls nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil die Klägerin zum Zwecke des Umkleidens ihre Privatwohnung aufgesucht hatte. Diese räumliche Abgrenzung des Versicherungsschutzes wäre wohl bedeutsam, wenn die Klägerin nach Erledigung ihrer Haushaltsarbeit sich zunächst ausgeruht oder sonst rein privatem Belangen zugewandt und alsdann erst umgekleidet hätte. Geschah das Umkleiden jedoch ohne solche Verzögerung - eine ausreichende Sachaufklärung ist bisher auch insoweit unterblieben -, so ist in dem Aufsuchen des Schlafzimmers eine wesentliche Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit nicht zu erblicken; der Umstand, daß das Umkleiden außerhalb der betrieblichen Sphäre stattfand, ist unter diesen Umständen nicht von rechtserheblicher Bedeutung.
Die Revision ist hiernach begründet. Die bisher getroffenen Feststellungen reichen für eine Entscheidung des Senats in der Sache selbst nicht aus. Daher war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Dieses wird den Sachverhalt in der angegebenen Richtung weiter zu erforschen haben. Für den Fall, daß die Voraussetzungen für die Bejahung des Entschädigungsanspruchs dem Grunde nach sich als gegeben erweisen sollten, dürfte die bisher unterlassene Prüfung nachzuholen sein, ob dieser Anspruch auch in der erforderlichen Mindesthöhe besteht (vgl. SozR SGG § 130 Bl. Da 3 Nr. 3, Da 4 Nr. 4).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen