Orientierungssatz

Zur Frage, wann ein Versicherter infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen durch den Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten (bisheriger Beruf: Mechanikerlehrling - jetziger Beruf: Assessor im Lehramt - Diplom-Psychologe) nicht mehr berufsunfähig ist, insbesondere, ob es für die Beurteilung der Wiedererlangung der Berufsunfähigkeit allein auf die objektive Möglichkeit der Ausübung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit ankommt oder ob es von Bedeutung ist, daß sich der Versicherte weiterhin in Vorbereitung oder Ausbildung für den von ihm erstrebten Beruf befindet.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Zu entscheiden ist, ob er infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen durch den Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr berufsunfähig ist. Insbesondere geht es darum, ob es für die Beurteilung der Wiedererlangung der Berufsfähigkeit allein auf die objektive Möglichkeit der Ausübung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit ankommt oder ob es von Bedeutung ist, daß sich der Versicherte weiterhin in Vorbereitung oder Ausbildung für den von ihm erstrebten Beruf befindet.

Der im Jahre 1929 geborene Kläger war von April 1943 bis März 1945 als Mechanikerlehrling versicherungspflichtig beschäftigt. Infolge einer Munitionsexplosion im März 1945 verlor er beide Hände. Er erhält eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 vom Hundert.

Die Beklagte bewilligte ihm Invalidenrente vom 1. September 1950 an (Bescheid vom 5. November 1951). Er besuchte nach dem Unfall die höhere Schule und studierte Latein, Geschichte und Politologie mit dem Ziel, in den höheren Schuldienst übernommen zu werden; im November 1958 bestand er die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen. Danach studierte er Psychologie und legte im Februar 1962 die Diplom-Hauptprüfung für Psychologie ab. Seit dem 16. Oktober 1961 war er als Studienreferendar im Vorbereitungsdienst für die Laufbahngruppe des höheren Schuldienstes beschäftigt und erhielt einen Unterhaltszuschuß in Höhe von monatlich 506,- DM. Im September 1963 legte er die 2. Staatsprüfung für das höhere Lehramt ab. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1963 an wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Assessor im Lehramt ernannt.

Durch Bescheid vom 3. April 1962 entzog die Beklagte gemäß § 1286 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Rente mit Ablauf des Monats Mai 1962 mit der Begründung, obwohl sich in dem körperlichen Zustand des Klägers nichts wesentliches geändert habe, sei eine weitgehende Anpassung an diesen Zustand durch den neuen Beruf des Klägers als Studienreferendar anzunehmen, so daß er in der Lage sei, die für ihn in Betracht kommende gesetzliche Lohnhälfte zu verdienen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben und geltend gemacht, er strebe die Übernahme in den schulpsychologischen Dienst als Oberstudienrat an und seine Umschulung sei erst nach Beendigung seiner Referendarzeit abgeschlossen, so daß er in seinem zukünftigen Beruf noch nicht ganz eingesetzt werden könne. Er befinde sich also noch in der Berufsausbildung, so daß nicht davon gesprochen werden könne, er habe bereits einen Beruf, durch den er mehr als die Hälfte eines Mechanikers verdienen könne. Als Referendar habe er lediglich einen Unterhaltszuschuß von insgesamt 506,- DM monatlich erhalten, also weniger als die Hälfte des Gehalts eines Oberstudienrats von mindestens 1200,- DM im Monat, das er nach Abschluß seiner Berufsausbildung erhalten werde.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Es hat angenommen, der Kläger sei seit dem Bestehen der Diplom-Hauptprüfung für Psychologie im Februar 1962 nicht mehr berufsunfähig. Durch den Abschluß dieses akademischen Studiums sei er in die Lage versetzt worden, durch eine ihm zuzumutende Erwerbstätigkeit mehr als oder doch mindestens die Hälfte dessen zu verdienen, was vergleichbare gesunde Versicherte zu verdienen pflegten. Das Studium der Psychologie ermögliche nach seinem Abschluß nicht nur die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit als Diplom-Psychologe, sondern es gebe auch eine Vielzahl von Arbeitsplätzen, die die Ausübung einer ihrer Art nach rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung ermöglichten. Hier kämen beispielsweise die Tätigkeiten als Diplom-Psychologe in der Arbeitsverwaltung, in der Bundeswehr und in der Wirtschaft auf dem Gebiet der Werbung und der Personalführung in Betracht. Bei dem mit der Diplomprüfung abgeschlossenen Studium handle es sich um einen selbständigen wissenschaftlichen Ausbildungszweig, der nicht nur als Nebenfach oder Zwischenstufe für die Ausbildung der Mediziner oder der Lehrkräfte an Schulen in Betracht komme. Daher könne dahinstehen, ob der Kläger subjektiv von vornherein das Psychologiestudium nur als einen Teil "seiner" Berufsausbildung angesehen habe und ob es etwa in Hessen, wo der Kläger seine Übernahme angestrebt habe, eine besondere Berufslaufbahn des schulpsychologischen Dienstes mit der Eingangsstufe als Oberstudienrat gebe.

Gegen das Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er rügt unrichtige Anwendung der §§ 1286, 1246 Abs. 2 RVO und außerdem eine Verletzung des Artikels 1 Abs. 1, des Artikels 2 Abs. 1 und des Artikels 12 des Grundgesetzes (GG). Die Revision meint, eine Änderung der Verhältnisse sei tatsächlich erst nach bestandener 2. Dienstprüfung und erfolgter Berufung als Beamter auf Widerruf vom 1. Oktober 1963 an eingetreten. Erst von diesem Zeitpunkt an sei der Kläger nicht mehr berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO gewesen. Im Zeitpunkt des Bestehens der Diplom-Hauptprüfung für Psychologie habe er sich noch in der Berufsausbildung befunden. Diese Ausbildung sei entsprechend seinem Berufsziel, als Schulpsychologe tätig zu sein, erst nach bestandener 2. Dienstprüfung beendet worden. Der Kläger habe stets als Berufsziel den Beruf eines Schulpsychologen angestrebt. Nach dem Erlaß des Hess. Kultusministers vom 4. November 1959 habe die Anstellung eines Schulpsychologen die Ablegung der 2. Staatsprüfung für ein Lehramt, die Bewährung im Lehramt und ein mit der Diplomprüfung abgeschlossenes Studium der Psychologie vorausgesetzt.

Es sei nicht zulässig - so führt die Revision weiterhin aus - bei einem derartigen behördlich vorgeschriebenen Ausbildungsweg und bei einem ernsthaft angestrebten Berufsziel die Berufsfähigkeit schon nach einem Teil der Berufsausbildung zu bejahen. Andernfalls würde der Kläger gezwungen sein, seine erstrebte Ausbildung zu unterbrechen und das gewählte Berufsziel aufzugeben. Dadurch würde er gehindert, seinen Beruf frei zu wählen; denn durch den Entzug der Rente vor Abschluß der vollständigen Ausbildung stände er vor der Alternative, einen nicht frei gewählten Beruf zu ergreifen oder auf die Rente zu verzichten. Eine solche Handhabung verstoße aber gegen die im GG festgelegten Grundrechte.

Die Revision trägt weiter vor, der Kläger bestreite nicht, daß er nach Bestehen der Diplom-Hauptprüfung für Psychologie, losgelöst von der Berufsausbildung und dem erstrebten Berufsziel, Beschäftigungsmöglichkeiten, wie sie in dem angefochtenen Urteil angegeben seien, gefunden und auch bewältigt hätte. Eine Verweisung auf derartige Tätigkeiten vor Abschluß der nachgewiesenen Berufsausbildung und des ernsthaft erstrebten Berufsziels sei jedoch nicht zumutbar. Die Wiedererlangung der Berufsfähigkeit hänge daher im Gegensatz zur Ansicht des LSG nicht allein von den sog. objektiven, sozial gleichwertigen Erwerbsmöglichkeiten, sondern auch von dem sog. subjektiven Streben nach dem ersehnten Beruf ab.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 25. Juni 1965 und des SG Reutlingen vom 17. Juli 1963 sowie des Bescheides der Beklagten vom 3. April 1962 diese zu verurteilen, ihm über den 31. Mai 1962 hinaus bis zum 30. September 1963 noch Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie meint, bei Prüfung der BU sei stets von der Beschäftigung auszugehen, die der Versicherte versicherungspflichtig ausgeübt habe. Dies sei unstreitig die Tätigkeit als Mechanikerlehrling. Da von dem Kläger nicht bestritten werde, daß er nach Ablegung der Diplom-Hauptprüfung für Psychologie im Februar 1962 Beschäftigungsmöglichkeiten im Sinne der Ausführungen des LSG gefunden und auch bewältigt hätte und daß er mittels solcher Tätigkeiten auch mehr als die Lohnhälfte eines angelernten Mechanikers verdient hätte, könne BU zum Zeitpunkt der Rentenentziehung nicht mehr anerkannt werden. Die Einlassung des Klägers, daß eine zumutbare Verweisung auf eine BU ausschließende Beschäftigung vor Erreichen des subjektiv erstrebten Berufsziels nicht möglich sei, sei mangels entsprechender gesetzlicher Vorschriften unbegründet und nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu führen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Der Entscheidung des LSG, daß der Kläger seit Bestehen der Diplom-Hauptprüfung für Psychologie im Februar 1962 nicht mehr berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO ist und daß die Entziehung der Rente durch den angefochtenen Bescheid mit Ablauf des Monats Mai 1962 dem Gesetz entspricht, ist im Ergebnis beizupflichten.

Nach § 1286 Abs. 1 Satz 1 RVO, der gem. Art. 2 § 24 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) auch für den vor dem Inkrafttreten des ArVNG (am 1. Januar 1957) eingetretenen Versicherungsfall der Invalidität des Klägers gilt, wird die Rente entzogen, wenn der Empfänger einer Rente wegen BU oder EU infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr berufsunfähig ist. Die Entziehung der Rente des Klägers, die gem. Art. 2 § 38 Abs. 2 ArVNG als Rente wegen EU im Sinne des § 1253 Abs. 2 RVO gilt, hängt demnach einmal davon ab, daß in den Verhältnissen, die zur Gewährung der Rente durch Bescheid vom 5. November 1951 geführt haben, zur Zeit der beabsichtigten Entziehung der Rente durch Bescheid vom 3. April 1962 eine Änderung eingetreten ist, und zum anderen davon, daß der Kläger infolge dieser Änderung nicht mehr berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO ist. In dem Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten ist eine Änderung der Verhältnisse i.S. des § 1286 Abs. 1 Satz 1 RVO zu erblicken, wenn der Versicherte auf Grund der neu erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten imstande ist, eine ihm gemäß § 1246 Abs. 2 RVO zuzumutende Tätigkeit zu verrichten und durch eine solche Tätigkeit die für ihn maßgebliche gesetzliche Lohnhälfte zu erwerben (BSG in SozR Nr. 4 zu § 1293 RVO aF; BSG 11, 123 ff = SozR Nr. 14 zu § 1293 RVO aF; SozR Nr. 5 zu § 1286 RVO). Dies wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt.

Für die Beurteilung, ob der Versicherte infolge des Erwerbs neuer Kenntnisse und Fähigkeiten in der Lage ist, eine ihm nach § 1246 Abs. 2 RVO zuzumutende Tätigkeit auszuüben, ist als sein bisheriger Beruf die Beschäftigung oder Tätigkeit zugrunde zu legen, die er versicherungspflichtig ausgeübt hat (BSG in SozR Nr. 5 zu § 1286 RVO; BSG 24, 7 = SozR Nr. 52 zu § 1246 RVO; SozR Nr. 65 zu § 1246 RVO; BSG 27, 263 = SozR Nr. 67 zu § 1246 RVO). Für die "Verweisungsberufe" im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO gilt dieser Grundsatz nicht; d.h. der Versicherte kann unter Umständen auch auf Beschäftigungen und Tätigkeiten verwiesen werden, die keiner Versicherungspflicht unterliegen (BSG 24, 7, 10 = SozR Nr. 52 zu § 1246 RVO; SozR Nr. 69 zu § 1246 RVO).

Da der Kläger als Mechanikerlehrling versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist, ohne die Lehre abgeschlossen zu haben, ist für die Beurteilung seiner BU im Sinne der Arbeiterrentenversicherung von dieser Tätigkeit als seinem bisherigen Beruf im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO auszugehen. Im Hinblick auf diesen bisherigen Beruf ist er einem Beschäftigten mit einem anerkannten Anlernberuf gleichzustellen. Er muß sich deshalb auf ungelernte Tätigkeiten verweisen lassen, die nicht zu den Arbeiten einfacher Art gehören, weil damit kein für ihn unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden ist (SozR Nr. 32 zu § 1246 RVO). Diese Tätigkeiten stellen indessen nur die untere Grenze der für den Kläger zumutbaren Verweisungsberufe dar. Er muß sich selbstverständlich erst recht auf alle höher bewerteten Tätigkeiten, zB die eines anerkannten Anlernberufs, eines gelernten Berufs und eines in der sozialen Bewertung noch höher stehenden Berufs verweisen lassen, soweit er die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt. Mit Recht ist das LSG daher der Auffassung, daß der Kläger auch auf alle Tätigkeiten verwiesen werden kann, zu deren Ausübung ihn das akademische Studium der Psychologie und der Abschluß dieses Studiums durch das Bestehen der Diplom-Hauptprüfung für Psychologie befähigte. Der Kläger stellt selbst nicht in Abrede, daß er - wie das LSG bereits ausgeführt hat - auf Grund seines abgeschlossenen Studiums der Psychologie nicht nur eine selbständige Tätigkeit als Diplom-Psychologe, sondern auch die eines Diplom-Psychologen in abhängiger Stellung z.B. in der Arbeitsverwaltung, in der Bundeswehr oder in der Wirtschaft hätte verrichten und bewältigen können, da er zu derartigen Tätigkeiten trotz seinem beeinträchtigten Gesundheitszustand voll fähig gewesen sei. Die Revision wendet sich auch nicht dagegen, daß der Kläger durch eine derartige Beschäftigung oder Tätigkeit die Hälfte dessen zu verdienen imstande war, was ein vergleichbarer gesunder Versicherter in einem anerkannten Anlernberuf zu verdienen pflegt.

Da der Kläger seit Bestehen der Diplom-Hauptprüfung im Februar 1962 jedenfalls auf Grund neu erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten imstande war, durch eine zumutbare Tätigkeit die für ihn maßgebliche gesetzliche Lohnhälfte zu erwerben, war er infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen nicht mehr berufsunfähig, so daß die Beklagte ihm zu Recht mit Ablauf des Monats Mai 1962 die Rente entzogen hat.

Welchen endgültigen Beruf der Kläger angestrebt hat, ob er sich auch nach Ablegung der Diplom-Hauptprüfung für Psychologie im Februar 1962 und während seiner Beschäftigung als Studienreferendar seit Oktober 1961 noch in der Ausbildung zu einem anderen Beruf, nämlich dem Beruf eines Schulpsychologen, befunden hat, ist für die Beurteilung, ob bei ihm BU im Sinne der Arbeiterrentenversicherung gemäß § 1246 Abs. 2 RVO bestanden hat, nicht von Bedeutung. Die Renten wegen BU und wegen EU in der Arbeiterrentenversicherung werden den Versicherten nicht gewährt, weil ihnen eine Einbuße an Arbeitsentgelt, also Erwerb erwachsen ist, sondern weil sie eine Einbuße an Erwerbsfähigkeit erlitten haben. Durch die Rente soll der infolge Minderung oder Verlust der Erwerbsfähigkeit in der Regel eintretende Verdienstausfall ersetzt werden (BSG in SozR Nr. 27 und Nr. 58 zu § 1246 RVO). Selbst wenn der Kläger während seiner weiteren Ausbildung und Vorbereitung zu dem von ihm erstrebten Beruf eine Minderung seines Arbeitsverdienstes im Verhältnis zu dem möglichen Verdienst, den er ohne die Unfallfolgen u.U. hätte erzielen können, also eine Erwerbsminderung gehabt haben sollte, so lag bei ihm dennoch keine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit mehr vor, nachdem er auf Grund seiner neuerworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nach Abschluß der Diplom-Hauptprüfung imstande war, durch eine ihm zuzumutende Tätigkeit die für ihn maßgebliche Lohnhälfte zu erwerben.

Die Rente wegen BU stellt auch keine Entschädigung für den Nichtabschluß einer Berufsausbildung, hier die zum Mechaniker, dar. Sie ist ferner nicht dafür gedacht, einen wirtschaftlichen Ausgleich für einen geringeren Verdienst während der Zeit einer Berufsausbildung zu gewähren. Für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit jedes anderen Versicherten in der Arbeiterrentenversicherung nach § 1246 Abs. 2 RVO ist ebenfalls nur entscheidend, ob er nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten und nach seinen gesundheitlichen Verhältnissen eine ihm im Hinblick auf seinen bisherigen versicherten Beruf zuzumutende Tätigkeit ausüben kann. Nicht aber kommt es darauf an, welcher Beschäftigung der Versicherte nachgeht, ob er eine Erwerbstätigkeit überhaupt verrichtet, also einen neuen Beruf oder eine ihm zuzumutende Erwerbstätigkeit auch wirklich ausübt. Entscheidend ist stets nur seine Fähigkeit zur Ausübung einer ihm zuzumutenden Erwerbstätigkeit. Deshalb kann es auch im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung sein, ob der Kläger das von ihm angestrebte Berufsziel zur Zeit der Entziehung der Rente erreicht hatte. Entscheidend ist nur, ob er in diesem Zeitpunkt die Fähigkeit wiedererlangt hatte, durch eine zumutbare Tätigkeit die für ihn maßgebliche gesetzliche Lohnhälfte zu erwerben.

Zu Unrecht beruft die Revision sich des weiteren darauf, durch die hiernach gesetzlich gebotene Entziehung der Rente wegen BU werde der Kläger in seinen Grundrechten verletzt. Inwiefern das durch Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht der menschlichen Würde verletzt sein kann, ist von der Revision des näheren nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich. Dieses Grundrecht hat nicht den Schutz des Einzelnen vor materieller Not, sondern den Schutz gegen Angriffe auf die menschliche Würde durch Andere wie Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung usw. zum Gegenstand (BVerfG 1, 104). Ebenso wie es kein Grundrecht des Einzelnen auf gesetzliche Regelung von Ansprüchen auf angemessene Versorgung durch den Staat begründet (BVerfG 1, 97), bietet dieses Grundrecht auch keine Handhabe für einen Anspruch auf Weiterzahlung einer Rente, die dem Einzelnen nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht zusteht.

Soweit die Revision eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG rügt, kommt ihr neben der Rüge der Verletzung des Art. 12 GG keine eigene Bedeutung zu, weil Art. 12 Abs. 1 GG eine besondere Ausprägung des umfassenderen in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit darstellt (BVerfG 13, 104, 185). Als lex specialis schließt Art. 12 Abs 1 GG für das Gebiet des Berufsrechts die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG insoweit aus (BVerfG 9, 77, 343; 10, 199).

Eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG rügt die Revision aber ebenfalls zu Unrecht. Das Grundrecht der freien Berufswahl gibt dem Einzelnen nicht den Anspruch auf Weiterzahlung von Renten, die ihm nach den hierfür maßgebenden Vorschriften nicht zustehen, nur um ihm die für seine Berufsausbildung notwendigen oder erwünschten finanziellen Mittel zu verschaffen oder zu erhalten.

Die Revision des Klägers muß aus diesen Gründen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284842

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