Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenentziehung
Orientierungssatz
1. Allein in der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit kann allenfalls dann eine - zur Rentenentziehung berechtigende - Änderung in den Verhältnissen iS des RVO § 1286 Abs 1 S 1 gesehen werden, wenn das Fehlen einer entsprechenden Beschäftigung für die Rentenbewilligung wesentlich mitursächlich gewesen ist.
2. Zum Erwerb neuer Kenntnisse und Fertigkeiten.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23, § 1286 Abs 1 S 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 09.04.1979; Aktenzeichen L 2 J 50/78) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 15.02.1978; Aktenzeichen S 9 J 558/77) |
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger die Rente wegen Berufsunfähigkeit, die die Beklagte ihm mit Bescheid vom 23. Juni 1967 ab 1. April 1967 gewährt hat, entzogen werden kann. Seinen erlernten Beruf als Schreiner kann der Kläger wegen einer Teillähmung des rechten Armes mit herabgesetztem Greifvermögen der rechten Hand nicht mehr ausüben.
Seit dem 12. Juli 1976 arbeitet der Kläger in der Metallindustrie als Absetzer in einer Verzinnerei. Die Beklagte entzog ihm die Rente mit Bescheid vom 12. September 1977, weil er neue Kenntnisse und Fähigkeiten erworben habe, die es ihm ermöglichten, mehr als die Hälfte des Lohnes eines Versicherten mit vergleichbarer Ausbildung zu verdienen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Februar 1978). Auch die dagegen gerichtete Berufung des Klägers blieb erfolglos. Die für die Rentenentziehung nach § 1286 Abs 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) erforderliche Änderung in den Verhältnissen - so hat das Landessozialgericht (LSG) unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. März 1977 (4 RJ 1/76) ausgeführt - könne auch darin liegen, daß der Versicherte einen neuen Arbeitsplatz erlangt habe. Es komme allein darauf an, ob die neue Tätigkeit ihm zuzumuten sei. Das treffe auf den Arbeitsplatz des Klägers in einer Verzinnerei zu.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1286 Abs 1 RVO. In seinen Urteilen vom 28. Februar 1978 (4 RJ 43/77, SozR 2200 § 1286 Nr 5) und vom 28. März 1978 (4 RJ 15/78) sei der 4. Senat des BSG von seiner in der Entscheidung vom 23. März 1977 (aaO) vertretenen Auffassung abgerückt. Im Vergleich zur Zeit der Rentengewährung sei eine Änderung in den Verhältnissen nicht eingetreten. Da die jetzige Tätigkeit nur eine betriebliche Einarbeitungszeit von vier Wochen erfordert habe, fehle es auch an neuen Kenntnissen und Fähigkeiten, die die Rentenentziehung rechtfertigen könnten.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil, das Urteil des SG vom
15. Februar 1978 sowie den Bescheid der Beklagten
vom 12. September 1977 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Berufungsgerichts für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat zugelassene Revision des Klägers hat insofern Erfolg, als der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen wird (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Infolge einer Änderung im Gesundheitszustand ist weder nach den Feststellungen des LSG noch nach der Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts der Beklagten die Berufsunfähigkeit des Klägers beseitigt worden. Das Berufungsgericht hat die für die Rentenentziehung nach § 1286 Abs 1 Satz 1 RVO erforderliche Änderung in den Verhältnissen vielmehr darin gesehen, daß der Kläger nach der Rentenbewilligung und einer Zeit ohne Berufstätigkeit einen Arbeitsplatz erhalten habe, der es ihm ermögliche, auf einem neuen Tätigkeitsgebiet Erwerbseinkommen zu erzielen. Entgegen der Auffassung des LSG kommt es allerdings in solchen Fällen nicht allein darauf an, ob die neue Tätigkeit dem Versicherten zugemutet werden kann.
Insoweit vermag die Entscheidung des 4. Senats vom 23. März 1977 (4 RJ 1/76) das angefochtene Urteil des LSG nicht zu stützen. Wie der 4. Senat inzwischen klargestellt hat (vgl Urteile vom 28. Februar 1978 in SozR 2200 § 1286 Nr 5 und vom 28. März 1979 - 4 RJ 15/78) kann allein in der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit allenfalls dann eine Änderung in den Verhältnissen iS des § 1286 Abs 1 Satz 1 RVO gesehen werden, wenn das Fehlen einer entsprechenden Beschäftigung für die Rentenbewilligung wesentlich mitursächlich gewesen ist. Die gleiche Rechtsauffassung hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 13. September 1978 - 5 RJ 108/77 - vertreten. Weder aus den Feststellungen des LSG noch aus dem Vorbringen der Beklagten ergeben sich Anhaltspunkte für eine solche kausale Verknüpfung zwischen dem Fehlen eines für den Kläger zumutbaren Arbeitsplatzes und der Rentengewährung.
Zur Änderung der Verhältnisse iS des § 1286 Abs 1 Satz 1 RVO zählt jeder nach der Rentengewährung eintretende Umstand, der die Erwerbsfähigkeit des Versicherten erhöht. Folglich gehören dazu auch neue Kenntnisse und Fertigkeiten (vgl Urteil des Senats in SozR 2600 § 1286 Nrn 1 und 3). Das LSG hat festgestellt, die jetzige Arbeit des Klägers setze eine Anlernzeit von vier Wochen voraus, sie erfordere Geschicklichkeit, Verantwortungsbewußtsein, Aufmerksamkeit und Überlegung. Aufgrund der tariflichen Einstufung als angelernter Arbeiter und der Anforderung sei die Berufstätigkeit des Klägers einem Facharbeiter zuzumuten. Generell vermittelt nach der Rechtsprechung des Senats erst eine mindestens dreimonatige Einweisung und Einarbeitung am Arbeitsplatz neue Kenntnisse und Fertigkeiten (vgl SozR Nr 40 zu § 45 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-, 2600 § 1286 Nrn 1 und 3, Urteil vom 1978-09-13 - 5 RJ 108/77). Da die Tätigkeit des Klägers nach den Feststellungen des LSG nur vier Wochen Anlernzeit voraussetzt, würde das allein zur Rentenentziehung nicht ausreichen und auch dagegen sprechen, daß es sich um einen sonstigen Ausbildungsberuf (angelernte Tätigkeit) handelt, auf den ein früherer Facharbeiter zumutbar verwiesen werden kann. Allerdings ist die für den Erwerb der Kenntnisse und Fertigkeiten erforderliche Zeitdauer nicht in jedem Fall und allein maßgebend (vgl BSGE 47, 190, 191 = SozR 2600 § 86 Nr 6). So mag neben der Anlernzeit im engeren Sinne für die vollwertige Ausübung der Tätigkeit in einer Verzinnerei etwa eine gewisse Berufserfahrung notwendig sein, zu der das LSG keine Feststellungen getroffen hat, die aber nach dem Urteil des SG hier Bedeutung erlangen kann. Dann könnte auch eine Entlohnung des Klägers entsprechend einer Beschäftigung in einem Anlernberuf in Verbindung mit den vom LSG aufgeführten Anforderungen der Tätigkeit ihrem qualitativen Wert für den Betrieb entsprechen. Anhand der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen läßt sich das aber nicht abschließend entscheiden.
Das LSG wird daher zu prüfen haben, ob neben der Einarbeitungszeit von vier Wochen zur vollwertigen Ausübung der Tätigkeit in der Verzinnerei eine weitere Berufserfahrung notwendig ist, gegebenenfalls in welchem Umfang und ob erst in Verbindung mit der Berufserfahrung neue Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden. Auch kommt es darauf an, ob der Lohn des Klägers dem eines sonstigen Ausbildungsberufs entspricht, welche Merkmale für die tarifliche Eingruppierung maßgebend sind und ob die entsprechende Lohngruppe - wie möglicherweise ein Vergleich mit anderen Tätigkeiten zeigt - sonstige Ausbildungsberufe erfaßt.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen