Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls ist Verfügungssatz des Bescheids
Leitsatz (amtlich)
Stellt der Rentenversicherungsträger in einem Bescheid den Tag des Versicherungsfalles fest, so steht dem Versicherten die Klage gegen diese Feststellung zu, wenn von ihr die Gestaltung eines anderen Rechtsverhältnisses - wie die Versorgungs- oder Versicherungsrente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder - abhängt.
Orientierungssatz
Bei der Feststellung des Tages des Versicherungsfalls handelt es sich nicht um die Begründung, sondern um einen Teil der Bescheid-Formel (Verfügungssatz, vgl BSG 31.5.1978 5 RJ 76/76 = BSGE 46, 236, 237 = SozR 1500 § 77 Nr 29 mwN).
Normenkette
SGG § 54 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, S. 2 Fassung: 1953-09-03; VBLSa § 37 Abs. 1, § 39 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
SG Schleswig (Entscheidung vom 24.02.1982; Aktenzeichen S 4 J 83/81) |
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 12.04.1983; Aktenzeichen L 5 J 143/82) |
Tatbestand
Die im Jahre 1922 geborene Klägerin war bis April 1975 als nach Gruppe VII BAT besoldete Telefonistin im öffentlichen Dienst beschäftigt. Von August 1977 bis Mai 1978 führte sie einem Rentner den Haushalt; in dieser Zeit wurden Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung entrichtet. Am 17. Mai 1978 stellte sie bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) den Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 12. Oktober 1978 bewilligte die BfA der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juni 1978 an; als Tag des Versicherungsfalles bezeichnete sie den 17. Mai 1978. Die Klägerin erhob Widerspruch mit dem Ziel einer Erhöhung der Rente. Nunmehr gab die BfA die Akten an die Beklagte ab, weil der letzte Beitrag zur Arbeiterrentenversicherung entrichtet worden sei. Mit Rentenmitteilung vom 23. November 1978 gewährte die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) in Karlsruhe der Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 1978 an "Versicherungsrente" in Höhe von 51,20 DM monatlich. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 26. Oktober 1979 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit neu, und zwar in Höhe von 668,90 DM monatlich ab 1. Juni 1978, fest; der Bescheid enthält wiederum den Zusatz: "Der Leistung liegt ein Versicherungsfall vom 17. Mai 1978 zugrunde." Darauf nahm die Klägerin am 13. Dezember 1979 den Widerspruch zurück.
Im April 1980 stellte die Klägerin "den Antrag, nach § 1300 RVO ... den Beginn des Versicherungsfalles auf den 1. April 1975 festzustellen", weil dann die VBL eine wesentlich höhere Versorgung zahlen werde. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 28. Mai 1980 den Antrag ab, weil die vorhandenen Befundunterlagen ... zu einer ärztlichen Empfehlung mit dem Ziel einer Vorverlegung des Versicherungsfalles nicht ausreichten. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Mit der am 5. Juni 1981 erhobenen Klage zum Sozialgericht (SG) Schleswig hat die Klägerin zunächst beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1980 aufzuheben, sowie festzustellen, daß sie - die Klägerin - seit 1. April 1975 erwerbsunfähig sei, und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Rente schon für die Zeit vom 1. April 1975 an zu zahlen. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG Schleswig hat sie nur noch beantragt, unter Abänderung des Bescheides vom 28. Mai 1980 festzustellen, daß sie ab 1. April 1975 erwerbsunfähig, hilfsweise berufsunfähig sei.
Das SG hat mit Urteil vom 24. Februar 1982 die Klage als unzulässig abgewiesen und die Berufung zugelassen. Mit der Berufung hat die Klägerin beantragt, das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1980 aufzuheben und festzustellen, daß der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise der Berufsunfähigkeit, bereits am 1. April 1975 oder früher eingetreten sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 12. April 1983 die Berufung als unbegründet zurückgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Klage sei unzulässig. Es handele sich im Kern um eine Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin begehre aber nicht die Änderung des zwischen ihr und der Beklagten bestehenden Rechts(Rentenzahlungs-) Verhältnisses, sondern die Feststellung eines einzelnen Elements dieses Rechtsverhältnisses, nämlich der Vorverlegung des angenommenen Zeitpunktes des Eintritts des Versicherungsfalles. Feststellungsklagen wegen einzelner Elemente eines Rechtsverhältnisses seien jedoch nur dann zulässig, wenn durch sie der Streit der Beteiligten im ganzen bereinigt werde. Das sei hier nicht der Fall, weil zwischen der Klägerin und der Beklagten, von der unterschiedlichen Beurteilung des Elementes des Eintritts des Versicherungsfalles abgesehen, überhaupt kein rechtlicher Streit bestehe. Der Klägerin fehle gegenüber der Beklagten jegliche Beschwer. Außerdem könne eine Änderung betreffend den Eintritt des Versicherungsfalles für die VBL nur verbindlich werden, wenn der Versicherungsträger sie feststelle, das sei diesem aber im Hinblick auf § 1290 Abs 2 RVO verwehrt.
Mit der Revision trägt die Klägerin vor: Das LSG habe § 55 Abs 1 Nr 1 SGG verletzt. Es bestehe ein Feststellungsinteresse. Dafür genüge jedes wirtschaftliche Interesse. Würde die Feststellung des Eintritts der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorverlegt werden, müßte die VBL Versorgungsrente zahlen. Die Klägerin beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1980 zu ändern und festzustellen, daß sie, die Klägerin, seit 1. April 1975 erwerbs-, hilfsweise berufsunfähig ist.
Die Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist insoweit begründet, als die Sache zurückverwiesen werden muß. Die Klage ist nicht, wie die Vorinstanzen angenommen haben, unzulässig. Für eine abschließende Entscheidung fehlen jedoch die erforderlichen Feststellungen.
Anstelle des Bescheides der BfA vom 12. Oktober 1978, der durch den folgenden Bescheid in einer von dem angefochtenen Urteil und von der Revision nicht beanstandeten Weise aufgehoben worden ist, kommt es zuerst auf den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1979 an, der durch Nichtanfechtung oder auch durch die Rücknahme des Widerspruchs bindend iS des § 77 SGG geworden ist. Der Bescheid enthält in seiner Formel drei Aussprüche: zunächst die Aufhebung des alten Bescheides, dann die Bewilligung (Neufeststellung) einer - höheren - Rente und schließlich die Angabe des Tages, an dem der Versicherungsfall eingetreten ist.
Bei der Feststellung des Tages des Versicherungsfalles handelt es sich nicht um die Begründung, sondern um einen Teil der Bescheid-Formel (Verfügungssatz, vgl BSGE 46, 236, 237 = SozR 1500 § 77 Nr 29 mwN). Die Feststellung soll bewirken, daß ein Umstand, der für das Rentenversicherungsverhältnis von rechtlicher Bedeutung ist, eindeutig und bindend festgestellt wird. Er kann aber auch darüber hinaus von Bedeutung sein; so sehen es die §§ 37 und 39 Satzung der VBL, die nach dem Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungs-TV) eine Pflichtversicherung der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer durchführt (§ 4 ff Versorgungs-TV), vor, daß die Versorgungsrente und die Versicherungsrente mit dem Eintritt des Versicherungsfalles beginnen (§ 37 Abs 1 der Satzung) und daß "der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit ... an dem Tag eingetreten (ist), der im Bescheid des Rentenversicherungsträgers oder im Gutachten des Amtsarztes angegeben ist" (§ 39 Abs 4 Satz 1 der Satzung). Nach der Rechtsprechung des Oberschiedsgerichts der VBL sind die Angaben im Bescheid des Rentenversicherungsträgers über den Eintritt des Versicherungsfalles für die VBL sowie die ordentlichen und die Schiedsgerichte verbindlich (Gilberg/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, Stand: 1. Juni 1983, Anm 15 zu § 39 der Satzung).
Die Klägerin, die zunächst den Bescheid vom 26. Oktober 1979 hinsichtlich des Rentenbeginns und der Feststellung des Versicherungsfalles hingenommen und dann auch ihre Beanstandungen zur Rentenhöhe zurückgenommen hatte, hat nach Eintritt der Bindungswirkung bei der Beklagten beantragt, (nur) den Tag des Versicherungsfalles anders festzustellen. Der Antrag hatte, wie die Klägerin selbst ausgeführt hat, seine Grundlage in § 1300 RVO aF. Diese Vorschrift, die mit Wirkung vom 1. Januar 1981 durch das SGB X aufgehoben worden ist, sah vor, daß der Träger der Rentenversicherung, der sich bei erneuter Prüfung überzeugt hat, daß eine Leistung zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt oder zu niedrig festgestellt worden ist, diese Leistung neu festzustellen habe. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 28. Mai 1980 den Antrag unter Hinweis auf § 1300 RVO abgelehnt, sinngemäß mit der Begründung, daß sie weder sich überzeugt habe noch als überzeugt gelten müsse.
Damit hat die Beklagte jedenfalls einen - die Klägerin belastenden, weil deren Antrag ablehnenden - Verwaltungsakt erlassen, und die Klägerin hat diesen Verwaltungsakt angefochten. Sowohl die insoweit eindeutigen Formulierungen der Klägerin als auch die Interessenlage ergeben, daß die Klägerin in erster Linie eine Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGG erhoben hat, gerichtet auf die Aufhebung des Teiles des Bescheides vom 28. Mai 1980, der eine anderweitige Feststellung des Tages des Versicherungsfalles ablehnt. Im vorliegenden Fall ist die Anfechtungsklage deshalb zulässig, weil die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid über das Begehren der Klägerin sachlich entschieden hatte. Von der Feststellung des Versicherungsfalles hängt die Gestaltung eines anderen Rechtsverhältnisses ab, nämlich des Rentenanspruchs der Klägerin gegen die Versorgungsanstalt des Bundes oder der Länder. Da eine fehlerhafte Feststellung der Beklagten zu unmittelbaren Rechtswirkungen in jenem anderen Rechtsverhältnis führt, diese aber nur auf dem Weg über eine Änderung der Feststellung durch die Beklagte zu beeinflussen sind, muß der Klägerin der Rechtsweg gegen die Feststellung der Beklagten zustehen, selbst wenn sie damit keine Änderung der Rentenleistung der Beklagten erstrebt.
Die Klage kann auch als Zusammenfassung einer Aufhebungs- und Verpflichtungsklage iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGG (Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten Verwaltungsaktes) aufgefaßt werden. Diese Klageart ist zu wählen, wenn der Versicherungsträger einen Antrag des Versicherten nach § 1300 RVO abgelehnt hat (BSGE 20, 199, 200 = SozR Nr 2 zu § 1300 RVO und Nr 11 zu § 79 SGG).
Diesen Klagen (Aufhebungs-, Abänderungs- und Verpflichtungsklage) ist gemeinsam, daß sie bereits dann zulässig sind, wenn der Kläger - schlüssig - behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes beschwert zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Anders als bei der Feststellungsklage müssen neben den allgemeinen Prozeßvoraussetzungen weitere Voraussetzungen, wie zB ein besonderes Interesse, nicht gegeben sein.
Nichts anderes würde sich ergeben, wenn man davon ausginge, daß die Feststellung des Tages des Versicherungsfalles im Bescheid vom 26. Oktober 1979 nicht Teil des Verfügungssatzes, sondern (nur) Teil der Begründung sei. In diesem Fall müßte der Antrag der Klägerin vom April 1980 nicht als Antrag nach § 1300 RVO aF, sondern als (Neu-)Antrag auf Erlaß eines feststellenden Bescheides angesehen werden. Ob ein solcher Antrag zulässig wäre, kann dahinstehen; denn die Beklagte hat ihn nicht als unzulässig bezeichnet, sondern als in der Sache unbegründet zurückgewiesen und den begehrten Feststellungsbescheid verweigert. Die Klage gegen diesen Bescheid ist ebenfalls eine Anfechtungs-, Abänderungs- oder Verpflichtungsklage (letztere wegen Ablehnung eines beantragten Verwaltungsaktes). Auch für diese Klage genügt außer den allgemeinen Prozeßvoraussetzungen das Vorliegen der schlüssigen Behauptung iS des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG.
Wenn aber das Begehren der Klägerin sich auf Klagen der bezeichneten Art beschränkt, dann ist für die Annahme einer Feststellungsklage iS des § 55 SGG, sei diese nun isoliert oder in Verbindung mit einer Aufhebungsklage erhoben, kein Raum. Nicht das Gericht soll eine Feststellung treffen, sondern eine von der Beklagten getroffene Feststellung oder Nichtfeststellung soll vom Gericht korrigiert werden. Damit entfallen die Argumente, die das LSG für die Unzulässigkeit der Klage anführt.
Die allgemeinen Prozeßvoraussetzungen und die schlüssige Behauptung einer Beschwer (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG) liegen vor. Auf die Revision der Klägerin hin waren die Urteile des SG und des LSG aufzuheben, weil die Klage entgegen der Auffassung der Vorinstanzen zulässig ist. Der Senat vermochte nicht in der Sache zu entscheiden, weil die Tatsachen, die für die Prüfung der Begründetheit der Klage wesentlich sind, bisher noch nicht festgestellt worden sind.
Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
Fundstellen