Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschlußarbeitslosenhilfe. Bemessungsentgelt. Arbeitslosengeldbewilligung. fehlerhaftes Bemessungsentgelt. Bindungswirkung. Bemessungszeitraum. unbillige Härte
Leitsatz (amtlich)
Arbeitslosenhilfe ist auch dann nach dem materiell-rechtlich festzustellenden Bemessungsentgelt zu bemessen, wenn dieses für das Arbeitslosengeld fehlerhaft nicht berücksichtigt worden ist.
Orientierungssatz
1. Erst wenn das erarbeitete Arbeitsentgelt vollständig errechnet ist, so daß es ohne weiteres an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden kann, ist der Lohnabrechnungszeitraum iS des § 112 Abs 2 S 1 AFG abgerechnet. An der Festlegung des Bemessungszeitraumes nach diesem Merkmal hat sich durch den Wandel der Rechtsprechung zum sogenannten Zuflußprinzip nichts geändert (vgl BSG vom 28.6.1995 - 7 RAr 102/94 = BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22).
2. Das Merkmal der unbilligen Härte nach § 112 Abs 7 AFG setzt einen erheblichen Unterschied zwischen dem Regelbemessungsentgelt und dem in den letzten drei Jahren überwiegend erzielten Arbeitsentgelt voraus. Hieran fehlt es, wenn das Arbeitsentgelt des Arbeitslosen allenfalls in sechs Monaten seiner fünfzehnmonatigen Beschäftigung in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung höher war, er also nicht überwiegend mehr als im Bemessungszeitraum verdient hat.
Normenkette
AFG § 136 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 139a Abs. 2, § 112 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1989-06-30, Abs. 7
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Bemessung von Anschluß-Arbeitslosenhilfe (Alhi); die Beteiligten streiten darüber, ob für die Bemessung der Anschluß-Alhi das beim Arbeitslosengeld (Alg) tatsächlich berücksichtigte oder das von Rechts wegen zu berücksichtigende Bemessungsentgelt maßgebend ist.
Der Kläger stand nach Jahren ohne beitragspflichtige Beschäftigung vom 1. Juli 1990 bis 30. September 1991 in einem Beschäftigungsverhältnis als Außendienstmitarbeiter gegen Fixum und Provision. Vom 1. Oktober 1991 bis 23. Februar 1992 bezog er Krankengeld.
Im Februar 1992 meldete er sich arbeitslos. Die Arbeitsbescheinigung vom 30. Oktober 1991 enthielt für die Lohnabrechnungszeiträume Juli 4.462,54 DM, August 5.728,90 DM und September 6.500,00 DM Bruttoarbeitsentgelt. Dementsprechend ging die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) für die Bemessung des Alg ab 24. Februar 1992 von einem durchschnittlichen Monatsentgelt von 5.563,81 DM und einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.280,00 DM aus (Bewilligungsbescheid vom 2. April 1992). Nachdem der Kläger die korrigierte Arbeitsbescheinigung vom 25. März 1992 vorgelegt hatte, die als Arbeitsentgelt für September 1991 9.226,65 DM auswies, teilte der frühere Arbeitgeber auf Anfrage der BA mit, die Provisionsabrechnung für September sei erst im Oktober 1991 erfolgt; das Arbeitsentgelt für Juni 1991 habe 3.834,84 DM betragen. Daraufhin erließ das Arbeitsamt den Änderungsbescheid vom 19. August 1992, in welchen sie von einem im Bemessungszeitraum von Juni bis August 1991 mit einem monatlichen Durchschnittsentgelt von 4.675,43 DM und einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.080,00 DM (ab 1. Oktober 1992 1.150,00 DM) ausging. In dem gegen diese Regelung gerichteten Sozialgerichtsprozeß überzeugte sich die BA davon, es habe bei der Teilrücknahme des Bewilligungsbescheides an der Ermessensausübung gefehlt. Sie nahm den Änderungsbescheid zurück und stellte damit den Bewilligungsbescheid wieder her, der von einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.280,00 DM ausging, welches ab 1. Oktober 1992 bis zur Erschöpfung des Anspruches am 22. Dezember 1992 auf 1.360,00 DM dynamisiert war.
Bei der Bemessung der Anschluß-Alhi ab 23. Dezember 1992 ging die BA nunmehr von dem im Bemessungszeitraum Juni bis August 1991 erzielten Durchschnittsentgelt von 4.675,43 DM und einem dynamisierten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.150,00 DM als dem für die Bemessung des Alg zuletzt richtigerweise maßgebenden Entgelts aus; entsprechend bewilligte sie Alhi von 382,80 DM (allgemeiner Leistungssatz, Leistungsgruppe A; Bescheid vom 21. Dezember 1992, Widerspruchsbescheid vom 2. August 1995).
Die dagegen gerichtete Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 10. Juli 1997 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 29. Januar 1999). Das LSG hat sich der Ansicht des SG angeschlossen, für die Bemessung der Anschluß-Alhi sei auf das bei der Bemessung des Alg materiell-rechtlich richtig zugrunde zu legende Arbeitsentgelt abzustellen. Etwas anderes könne nur gelten, wenn die Feststellung des Bemessungsentgelts im Bewilligungsbescheid selbständig Bindungswirkung erlangt hätte. Davon sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) regelmäßig nicht auszugehen. Im vorliegenden Fall spreche dagegen schon der Umstand, daß die BA das Alg nur aus verfahrensrechtlichen Gründen nach einem als unrichtig erkannten Bemessungsentgelt weiterbewilligt habe. Das materiell richtige Bemessungsentgelt sei nach dem im Bemessungszeitraum von Juni bis August 1991 erzielten durchschnittlichen Monatsentgelt von 4.675,43 DM zutreffend ermittelt. Die nachträgliche Abrechnung von Provisionen sei kein Grund, von der gesetzlichen Regelung abzuweichen. Diese habe den Zweck, eine rasche Feststellung der Leistung zu ermöglichen. Dies gelte auch, wenn der Leistungsantrag - wie hier - erst geraume Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis gestellt werde. Für die vom Kläger angeregte Ausdehnung des Bemessungszeitraumes auf 12 Monate gäbe es keine gesetzliche Grundlage. Im Hinblick auf die schwankenden Einkünfte des Klägers als Provisionsvertreter sei die Anwendung des § 112 Abs 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in Betracht zu ziehen. Aufgrund der Beschäftigung des Klägers von Juli 1990 bis September 1991 - allein auf diese Tätigkeit sei abzustellen - lasse sich nicht überwiegend ein höheres als das von der BA berücksichtigte Arbeitsentgelt feststellen. Allenfalls in sechs der fünfzehn Monate und damit nicht überwiegend sei das Arbeitsentgelt des Klägers höher gewesen als das bei der Bemessung der Alhi zugrunde gelegte. Selbst wenn von überwiegend höheren Arbeitsentgelten im Jahreszeitraum ausgegangen werde, führe dies nicht zu einer unbilligen Härte iS des § 112 Abs 7 AFG. Es ergebe sich nämlich im Vergleich zum Bemessungszeitraum Juni bis August 1991 ein lediglich etwa 12 % höheres Durchschnittsentgelt. Nach der Rechtsprechung des BSG begründe jedoch erst ein Unterschied von 25 % eine unbillige Härte. Die der Beschäftigung eines Provisionsvertreters immanente Schwankungsbreite des Arbeitsentgelts spreche eher dafür, eine unbillige Härte iS des § 112 Abs 7 AFG erst bei größeren Abweichungen anzunehmen als denjenigen, die üblicherweise vorausgesetzt werden. Im übrigen sei nicht ersichtlich, daß die Rechtsfolge des § 112 Abs 7 AFG zu einem höheren Bemessungsentgelt führen könne.
Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 136 Abs 2 Nr 1, 112 Abs 2 Satz 1 und Abs 7 AFG:
Es sei nicht richtig, wenn das LSG die Feststellung des Bemessungsentgelts für das Alg nicht in die Bindungswirkung einbeziehe. Der Gesetzgeber habe die Anschluß-Alhi im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes grundsätzlich an die letzte Alg-Bewilligung binden wollen. Davon sei nur unter den Voraussetzungen des § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) abzuweichen, weil die inhaltliche Bestimmung des Bemessungsentgeltes auf einem begünstigenden Verwaltungsakt beruhe. Das LSG sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, die nachträgliche Abrechnung von Provisionen rechtfertige kein Abweichen von der Regel des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG. Entscheidend sei vielmehr, daß die nachträglich abgerechnete Provision für September 1991 jedenfalls zu berücksichtigen sei, weil das Alg erst nach dem Zeitpunkt des Zuflusses beantragt worden sei. Für diese Frage komme der materiellen Gerechtigkeit ein höherer Rang als Gesichtspunkten der Verwaltungspraktikabilität zu. Auch der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von Provisionsvertretern im Vergleich zu Arbeitnehmern mit festen Monatsgehältern spreche für eine solche Lösung. Entgegen der Ansicht des LSG habe das BSG eine feste Grenze für die Annahme einer unbilligen Härte iS des § 112 Abs 7 AFG nicht festgelegt. Nach ständiger Praxis der BA werde schon eine Abweichung von 10 % als unbillige Härte angesehen. In ihrer Dienstanweisung zu § 131 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) sehe die BA nunmehr jede Verschlechterung der Bemessungsentgelte als unbillige Härte an. Den saisonalen Einflüssen auf die Provision werde am besten Rechnung getragen, wenn der Bemessungszeitraum auf alle Jahreszeiten, also auf 12 Monate, erstreckt werde. Gegenüber den Ausführungen des LSG zu § 112 Abs 7 AFG sei die Frage aufzuwerfen, ob der Arbeitslose zwischen einem höheren tatsächlichen Arbeitsentgelt und dem Tarifentgelt wählen könne, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Insoweit liege eine Gesetzeslücke vor, die bei analoger Anwendung des § 112 Abs 7 AFG zur Berücksichtigung des höheren tatsächlichen Arbeitsentgelts führen müsse. Die Entscheidung des LSG beruhe auf den erörterten Rechtsverletzungen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Januar 1999 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juli 1997 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 1995 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger vom 23. Dezember 1992 an Arbeitslosenhilfe nach einem Arbeitsentgelt von 1.360,00 DM wöchentlich, hilfsweise nach einem Arbeitsentgelt der letzten zwölf Monate vor dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Regelung des § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG enthalte richtiger Ansicht nach lediglich eine Verweisung auf das für die Bemessung des Alg geltende materielle Recht. Der 7. Senat des BSG habe zwar dem § 112 Abs 5 Nr 8 AFG eine Feststellungswirkung entnommen, jedoch in einem Urteil vom 16. September 1999 - B 7 AL 22/98 R - erkennen lassen, daß er nicht von der Bindungswirkung der Alg-Bemessung für die Anschluß-Alhi ausgehe. Der Monat September 1991 sei beim Ausscheiden des Klägers aus dem Beschäftigungsverhältnis nicht vollständig abgerechnet gewesen. Für die Festlegung des Bemessungszeitraumes sei dies auch nach den Entscheidungen des BSG über "eine kombinierte Anspruchs- und Zuflußtheorie" maßgebend. Im Falle des Klägers handele es sich nicht um die Korrektur vertragswidriger Lohnabrechnungen. Auch nach den Grundsätzen des § 112 Abs 7 AFG stehe dem Kläger eine höhere Leistung nicht zu. Wenn nach damaliger Verwaltungspraxis eine Abweichung der Bemessung von 10 % als unbillige Härte angesehen worden sei, treffe dies nur zu, wenn eine solche Abweichung innerhalb der letzten drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs in der überwiegenden Zahl der Monate vorgelegen habe. Das treffe für den Kläger nicht zu. Er habe im Bemessungszeitraum ein durchschnittliches monatliches Entgelt von 4.675,00 DM erzielt, ein um 10 % höheres Entgelt sei jedoch nur in vier Monaten erreicht.
Wegen der Folgebescheide für die Zeit vom 1. Januar 1993 bis 30. September 1994 haben die Beteiligten Prozeßerklärungen abgegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet, denn die Entscheidung des LSG beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung.
1. Der Zahlbetrag der Alhi wird nach § 136 Abs 1 AFG durch einen Vomhundertsatz des Netto-Arbeitsentgelts bestimmt. In den Fällen, in denen der Vorbezug von Alg während der Vorfrist anspruchsbegründend wirkt (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst a AFG), ist grundsätzlich das Arbeitsentgelt maßgebend, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hat (§ 136 Abs 2 Nr 1 AFG). Der Wortlaut dieser Vorschrift ist für verschiedene Deutungen offen.
1.1 Auf den ersten Blick spricht der Wortlaut für die Ansicht der Revision, maßgebend für die Anschluß-Alhi sei das Arbeitsentgelt, welches der Bemessung des Alg tatsächlich zugrunde gelegen hat. Im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung und systematische Zusammenhänge kann diese Ansicht jedoch nicht überzeugen. Der Gesetzgeber des AFG hat die Regelung des § 148 Abs 1 Nr 1 Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) übernommen (§ 136 Abs 2 Satz 1 idF vom 25. Juni 1969, BGBl I 581). In der Rechtsprechung ist die Regelung erst in neuester Zeit problematisiert worden (BSG Urteil vom 16. September 1999 - B 7 AL 22/98 R - SozR 3-4100 § 138 Nr 13). Die Praxis zu § 148 Abs 1 Nr 1 AVAVG scheint das tatsächliche (auch falsche) Bemessungsentgelt für das Alg auch für die Anschluß-Alhi als bindend angesehen zu haben (Draeger/Buchwitz/Schönefelder, AVAVG, 1961, § 148 RdNr 4). Nach den Materialien wollte der Gesetzgeber des AFG an das AVAVG anknüpfen (BT-Drucks IV/2291 S 86). Eine Bindungs- oder Feststellungswirkung fehlerhaft festgestellten Bemessungsentgelts des Alg für die Bemessung der Alhi wurde möglicherweise wegen der freien Rücknehmbarkeit fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte für die Zukunft (§ 185 Abs 1 AVAVG; § 151 Abs 1 AFG idF vom 25. Juni 1969) als unproblematisch angesehen. Vertrauensschutz des rechtswidrig Begünstigten griff im Rahmen des § 185 Abs 2 AVAVG wie des § 152 Abs 1 AFG idF vom 25. Juni 1969 nur gegenüber der Rückforderung zu Unrecht empfangener Leistungen ein. Durch Art II § 2 Nr 1 SGB X vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) wurde § 151 Abs 1 AFG aF gestrichen. Damit wurde der Grundsatz freier Rücknehmbarkeit von Leistungsbewilligungen auch im Arbeitsförderungsrecht eingeschränkt. Die Korrektur rechtswidriger Leistungsbewilligungen fand nunmehr - bis zum Inkrafttreten des § 152 Abs 2 AFG idF des 1. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353) - allein nach den Maßstäben des § 45 SGB X statt. Kennzeichnend für diese ist, daß Vertrauensschutzgesichtspunkte nach § 45 Abs 2 SGB X sich schon gegenüber der Rücknahme der rechtswidrigen Leistungsbewilligung ins Feld führen lassen und die Rücknahme nicht zwingend geboten, sondern für die Zukunft oder die Vergangenheit grundsätzlich in das Ermessen des Sozialleistungsträgers gestellt ist. Von diesem Umstand hat der Kläger bei Bekanntwerden der fehlerhaften Bemessung des Alg profitiert. Die BA hat die Teilrücknahme des Alg bewilligenden Bescheides nach einem Hinweis des LSG auf die (angeblich) fehlende Ermessensausübung zurückgenommen. Ob das der tatsächlichen Rechtslage entsprach, ist hier nicht weiter zu verfolgen. Wegen der veränderten Rechtslage im Vergleich zum Zeitpunkt des Erlasses von § 136 Abs 2 Nr 1 AFG ist nicht mehr gewährleistet, daß die Bemessung des Alg der Rechtslage entspricht.
Gegen eine in der Rechtsprechung des BSG erwogene Bindungs- oder Feststellungswirkung des für das Alg maßgebenden Bemessungsentgelts spricht eine weitere Rechtsentwicklung. Durch das 4. Gesetz zur Änderung des AFG vom 12. Dezember 1977 (BGBl I 2557) hat der Gesetzgeber für die Alhi Bewilligungszeiträume eingeführt, wonach die Alhi jeweils für längstens ein Jahr bewilligt werden soll (§ 139a Abs 1 AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1497). In § 139a Abs 2 AFG ordnet das Gesetz vor einer erneuten Bewilligung ausdrücklich die Prüfung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Alhi an. Die Rechtsprechung hat daraus gefolgert, bei der Weiterbewilligung seien alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach ohne Bindung an frühere Bescheide zu überprüfen (BSG SozR 3-4100 § 136 Nr 3; BSGE 82, 198, 211 = SozR 3-4100 § 242 Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 138 Nr 13). Sollte § 136 Abs 2 Nr 1 AFG seiner ursprünglichen Intention nach auf einem Kontinuitäts- oder Einheitsgedanken beruhen, so spricht - wie schon der 7. Senat des BSG in der letztgenannten Entscheidung hervorgehoben hat - die Regelung des § 139a AFG dagegen, aus dieser Vorschrift eine Bindung an eine nicht der wahren Rechtslage entsprechende Feststellung des Bemessungsentgelts zu entnehmen. Gegenüber dem Urteil des Senats vom 24. Juni 1999 - B 11 AL 75/98 R unveröffentlicht - ist klarzustellen, daß § 136 Abs 2 Nr 1 AFG eine solche Feststellungswirkung, unabhängig von der allgemeinen Bindungswirkung des § 77 SGG, nicht enthält.
Die aufgezeigte Rechtsentwicklung und die erörterten systematischen Zusammenhänge sprechen vielmehr dafür, als Bemessungsentgelt für die Alhi nach § 136 Abs 2 Nr 1 AFG dasjenige Arbeitsentgelt anzusehen, nach dem das Alg zuletzt von Rechts wegen zu bemessen war (Gagel/Ebsen, AFG, § 136 RdNr 28; Gagel/Ebsen, SGB III, § 200 RdNr 9 - Stand: Juli 1999).
1.2 Entgegen der Ansicht der Revision läßt sich aus der Bindungswirkung (§ 77 SGG) des Bewilligungsbescheides über Alg anderes nicht entnehmen. Nach ständiger Rechtsprechung beschränkt sich die Bindungswirkung von Bewilligungsbescheiden über Leistungen bei Arbeitslosigkeit auf den Verfügungssatz - dh die Entscheidung über Art, Dauer (Beginn und Ende) und Höhe einer Leistung. Begründungselemente der Entscheidung nehmen auch dann nicht an der Bindungswirkung teil, wenn sie - wie das Bemessungsentgelt für die Leistungshöhe - wesentlicher Bestandteil der Begründung sind (BSGE 66, 168, 175 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; BSGE 72, 206 f = SozR 3-4100 § 103a Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 136 Nr 3; BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 9; BSG Urteil vom 24. Juni 1999 - B 11 AL 75/98 R -). Etwas anderes kann nur gelten, wenn das Bemessungsentgelt nicht bloßes Begründungselement der festgestellten Leistung, sondern Gegenstand einer gesonderten Entscheidung war, deren Verfügungssatz sie bildete. Dafür bietet weder die der Höhe nach materiell rechtswidrige Alg-Bewilligung noch die Aufhebung der Teilrücknahme im Vorprozeß einen Anhaltspunkt. Letztere bestätigt vielmehr, daß die BA das Bemessungsentgelt für das Alg nicht gesondert feststellen, sondern lediglich der ihr durch prozeßleitende Verfügung mitgeteilten Rechtsansicht des LSG Rechnung tragen wollte. Nimmt die Feststellung des Bemessungsentgelts nicht an der Bindungswirkung iS des § 77 SGG der Alg-Bewilligung teil, stellt sich die von der Revision aufgeworfene Frage nicht, ob eine abweichende Feststellung des Bemessungsentgelts für die Anschluß-Alhi von einer vorausgehenden Gestaltungsentscheidung der BA abhängig ist.
1.3 Der im Schrifttum vertretenen Ansicht, in der erstmaligen Bewilligung von Alg sei typischerweise eine Regelung über das Stammrecht enthalten, aus dem der Leistungsanspruch erwachse (Gagel/Ebsen, AFG, § 136 RdNr 31; Gagel/Ebsen, SGB III, § 200 RdNr 12), kann sich der Senat nicht anschließen. Der Senat hat bereits entschieden, daß das Stammrecht Ausdruck einer materiellen Rechtslage ist, nicht aber durch den Bescheid über die Bewilligung von Alg konstitutiv zuerkannt wird (BSGE 75, 235, 237 = SozR 3-4100 § 100 Nr 5). Das Stammrecht ist deshalb gerade nicht geeignet, für den Leistungsberechtigten weitergehende Ansprüche zu begründen, als ihm von Rechts wegen zustehen.
2. Das Arbeitsentgelt, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hat (§ 136 Abs 2 Nr 1 AFG), ist mithin aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG nach § 112 AFG in der zum Zeitpunkt des Leistungsfalls (Februar 1992) geltenden Fassung zu ermitteln. Nach § 112 Abs 1 Satz 1 AFG ist das Arbeitsentgelt maßgebend, welches der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Stunde erzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfaßte nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung die beim Ausscheiden des Arbeitslosen abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, der Bemessungszeitraum erfasse hier die Monate Juni bis August 1991. Für September 1991 war die Provision noch nicht abgerechnet, so daß eine vollständige Abrechnung des Arbeitsentgelts für diesen Monat beim Ausscheiden des Klägers noch nicht vorlag. Erst wenn das erarbeitete Arbeitsentgelt vollständig errechnet ist, so daß es ohne weiteres an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden kann, ist der Lohnabrechnungszeitraum iS des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG abgerechnet. An der Festlegung des Bemessungszeitraumes nach diesem Merkmal hat sich durch den Wandel der Rechtsprechung zum sog Zuflußprinzip nichts geändert (BSGE 76, 162, 164 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22). Das im maßgebenden Bemessungszeitraum Juni bis August 1991 erzielte durchschnittliche Arbeitsentgelt hat das LSG mit 4.675,43 DM monatlich zutreffend festgestellt. Es ergibt das wöchentliche Arbeitsentgelt von anfänglich 1.080 DM und ab 1. Oktober 1992 von 1.150 DM, das der Alhi zugrundegelegt worden ist. Dabei kann dahinstehen, daß das im Bemessungszeitraum in der Woche durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt grundsätzlich nicht dadurch zu ermitteln ist, daß das im Bemessungszeitraum erzielte (bereinigte - § 112 Abs 1 Satz 2 AFG) Arbeitsentgelt nicht einfach auf die Woche umgerechnet wird (BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 19). Die Regelung des § 112 Abs 3 Satz 1 AFG wirkt sich hier nicht aus, weil der Kläger im Bemessungszeitraum nur in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, und sein Arbeitsentgelt in der tariflichen Arbeitszeit von 37 Stunden in der Woche erzielt hat. Für eine Verlängerung des Bemessungszeitraums auf 12 Monate findet sich im Gesetz keine Grundlage, wenn der Kläger im Bemessungszeitraum ein geringeres durchschnittliches Arbeitsentgelt erzielt haben sollte als im Jahresdurchschnitt (BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 19). Für solche Fälle sieht § 112 Abs 7 AFG die Feststellung eines fiktiven Bemessungsentgeltes anstelle des im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelts vor.
3. Eine Abweichung von dem Regelbemessungsentgelt eröffnet § 112 Abs 7 AFG aber nur unter der Voraussetzung, daß es mit Rücksicht auf die von dem Arbeitslosen in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit unbillig hart wäre, von dem nach den Abs 1 bis 6 maßgebenden Arbeitsentgelt auszugehen. Das Merkmal unbilliger Härte setzt einen erheblichen Unterschied zwischen dem Regelbemessungsentgelt und dem in den letzten drei Jahren überwiegend erzielten Arbeitsentgelt voraus. Hieran fehlt es schon deshalb, weil nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG das Arbeitsentgelt des Klägers allenfalls in sechs Monaten seiner fünfzehnmonatigen Beschäftigung in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung höher war, der Kläger also nicht überwiegend mehr als im Bemessungszeitraum verdient hat. Die Frage, bei welchem Unterschied zwischen überwiegend erzieltem Arbeitsentgelt und dem Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum eine unbillige Härte vorliegt, stellt sich nicht. Auf der Rechtsfolgeseite führt § 112 Abs 7 AFG nicht etwa dazu, ein höheres Durchschnittsentgelt während der Beschäftigung des Klägers an die Stelle des Regelbemessungsentgelts zu setzen. Der Bemessung des Alg wäre bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 112 Abs 7 AFG vielmehr das am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalts des Arbeitslosen maßgebliche tarifliche oder mangels einer tariflichen Regelung ortsübliche Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Nach den Feststellungen des LSG, die mit Revisionsrügen nicht angegriffen sind, wäre das tarifliche Arbeitsentgelt des Klägers aber geringer als das berücksichtigte Bemessungsentgelt.
4. Da auch im übrigen Einwände gegen die Feststellung der Anschluß-Alhi nach Leistungsgruppe A und dem allgemeinen Leistungssatz nicht ersichtlich sind, kann die Revision keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 743276 |
NJ 2001, 164 |
NZS 2001, 48 |
SozR 3-4100 § 136, Nr. 12 |
SozSi 2001, 36 |
info-also 2000, 205 |