Orientierungssatz
Bei der Umwandlung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in das flexible Altersruhegeld tritt an die Stelle des bisherigen Versicherungsfalles derjenige des Alters. Der bisherige Versicherungsfall besteht nicht mehr fort. Auf dem neuen Versicherungsfall beruht zugleich ein neuer Leistungsanspruch; eine sofortige Rentenanpassung unterbleibt (vergleiche BSG vom 1975-12-18 12 RJ 100/75 und BSG vom 1976-05-26 4 RJ 95/75).
Normenkette
RVO § 1248 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16, § 1254 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1972-10-16, § 1253 Abs. 2 S. 5 Fassung: 1965-06-09; RAG 16 § 1 Fassung: 1973-06-08
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 1975 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Es ist umstritten, in welcher Höhe die Rente des Klägers vom 1. Juli 1973 an zu gewähren ist, nachdem seine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zum 1. Januar 1973 in das flexible Altersruhegeld umgewandelt wurde (§ 1248 Abs. 1, § 1253 Abs. 2 Satz 5, § 1254 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO - i. d. F. des Rentenreformgesetzes - RRG -; § 1 des 16. Rentenanpassungsgesetzes - RAG -).
Der am 15. November 1908 geborene Kläger und die Beklagte hatten im Juni 1972 vor dem Sozialgericht (SG) einen Vergleich über die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Juli 1972 abgeschlossen. Die Rente wurde nach dem 15. RAG auf 761,- DM monatlich berechnet; die Berechnung nach dem 16. RAG ab 1. Juli 1973 ergab einen Betrag von 847,40 DM monatlich.
Im Dezember 1972 beantragte der Kläger die Gewährung des Altersruhegeldes gemäß § 1248 Abs. 1 RVO; er gab dabei an, der Versicherungsfall solle am 1. Januar 1973 eintreten. Die Beklagte wandelte mit Bescheid vom 30. Juni 1973 die Erwerbsunfähigkeitsrente in das flexible Altersruhegeld um; sie führte aus, der Versicherungsfall sei am 1. Januar 1973 eingetreten, die Rente betrage ab 1. Januar 1973 monatlich 846,40 DM. Eine Anpassung des Altersruhegeldes zum 1. Juli 1973 unterblieb.
Der Kläger meint, zur Wahrung seines Besitzstandes müsse er vom 1. Juli 1973 an eine Rente in Höhe von 847,40 DM monatlich erhalten. Die Beklagte ist der Auffassung, bei der Besitzstandswahrung seien die Rentenbeträge im Zeitpunkt des Beginns des Altersruhegeldes - 1. Januar 1973 - gegenüberzustellen (§ 1254 Abs. 2 RVO). Zu diesem Zeitpunkt habe die Erwerbsunfähigkeitsrente 761,- DM und das Altersruhegeld 846,40 DM betragen. Eine nochmalige Gegenüberstellung zum 1. Juli 1973 nach dem 16. RAG finde im Gesetz keine Stütze.
Das SG hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 24. Juni 1975). Es hat die Rechtsauffassung der Beklagten bestätigt: Die Besitzstandsgarantie des § 1253 Abs. 2 Satz 5, § 1254 Abs. 2 Satz 2 RVO schütze den Rentenzahlbetrag, der dem Versicherten im Zeitpunkt der Rentenumwandlung zustehe. Durch die Rentenumwandlung entstehe ein neuer Leistungsanspruch, der auf einem anderen Versicherungsfall beruhe; die zuvor gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente falle weg. Deshalb könnten nur die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse berücksichtigt werden, die im Zeitpunkt des Eintritts des neuen Versicherungsfalles vorlägen. Maßgebender Zeitpunkt für die Gegenüberstellung könne somit hier nur der 1. Januar 1973 - Beginn des Altersruhegeldes - sein.
Der Senat hat mit Beschluß vom 28. November 1975 die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
|
"1. |
|
die angefochtene Entscheidung sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 14. März 1974 aufzuheben, |
|
2. |
|
den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 1973 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Juli 1973 eine Versichertenrente in Höhe von 847,40 DM monatlich zu zahlen und diesen Betrag zur Grundlage der 17. und aller weiteren Rentenanpassungen zu machen". |
Der Kläger hat ausgeführt, bei der Rentenumwandlung sei der bisherige Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente nicht weggefallen oder untergegangen; er habe rechtlich die äußere Gestalt des Altersruhegeldes angenommen; in dieser Form bestehe er fort. Das bedeute, daß nach Wegfall des vorzeitigen Altersruhegeldes die frühere Rente ohne weiteres wiederzugewähren sei. Die bisherige Erwerbsunfähigkeitsrente mit den künftigen Anpassungen bilde den unteren Grenzwert, der beim Hinzutreten des Anspruchs auf Altersruhegeld nicht unterschritten werden dürfe. Nach Kenntnis des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Dezember 1975 - 12 RJ 100/75 - hat der Kläger im Schriftsatz vom 22. März 1976 erklärt, er verzichte hiermit auf das Altersruhegeld und verlange an dessen Stelle die Wiedergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente (§ 46 Sozialgesetzbuch - SGB -).
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Die Äußerung in dem Schriftsatz vom 22. März 1976, der Kläger "verzichte" auf das Altersruhegeld und verlange an dessen Stelle die Wiedergewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, enthält nicht einen Verzicht auf den geltend gemachten prozessualen Anspruch auf Zahlung von monatlich 847,40 DM; denn der Kläger beantragt nach wie vor, die Beklagte zur Zahlung einer Rente in Höhe von 847,40 DM ab 1. Juli 1973 zu verpflichten. Seine Äußerung, er verlange anstelle des Altersruhegeldes die Wiedergewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, kann darauf hindeuten, daß er sein Begehren anders begründen will. Damit würde er aber einen neuen Sachverhalt - Erwerbsunfähigkeit - in das Verfahren einführen; denn die Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sind nach § 1247 RVO von den Voraussetzungen eines Altersruhegeldes nach § 1248 RVO verschieden. Die Einführung eines neuen Klagegrundes ist nach §§ 163, 168 SGG in der Revisionsinstanz nicht möglich. Der Senat kann deshalb nicht darüber entscheiden, ob der Kläger Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Juli 1973 hat.
Das Vorbringen des Klägers im Revisionsverfahren kann aber auch dahin verstanden werden, daß der Kläger die Zahlung einer Rente von 847,40 DM weiterhin, wenigstens hilfsweise, als Altersruhegeld begehrt; denn der Begriff "Versichertenrente", den der Kläger in seinem Revisionsantrag verwendet hat, ist der umfassendere Begriff: Er umschließt nach § 1245 Nr. 1 RVO i. V. m. der Überschrift "1. Renten an Versicherte" vor §§ 1245 bis 1262 RVO sowohl Renten wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit als auch das Altersruhegeld. Dieses Begehren des Klägers ist jedoch nicht begründet.
Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des SG ohne Gesetzesverletzung zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Altersruhegeld in Höhe des Betrages, der sich bei Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 1. Januar 1973 hinaus und bei ihrer Anpassung zum 1. Juli 1973 nach dem 16. RAG ergeben hätte. Zu Recht hat die Beklagte, wie auch die Vorinstanzen entschieden haben, als "bisherigen monatlichen Rentenzahlbetrag" den Betrag angenommen, den die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bis zum 1. Januar 1973 erreicht hatte (§ 1254 Abs. 2 Satz 3, § 1253 Abs. 2 Satz 5 RVO).
Das BSG hat bereits in dem Urteil vom 18. Dezember 1975 - 12 RJ 100/75 - entschieden, daß bei der Umwandlung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres an die Stelle des bisherigen Versicherungsfalles derjenige des Alters als neuer Versicherungsfall tritt und daß der bisherige Versicherungsfall nicht mehr fortbesteht; auf dem neuen Versicherungsfall beruht zugleich ein neuer Leistungsanspruch; eine sofortige Rentenanpassung unterbleibt. Dies ist auch die Auffassung des erkennenden Senats. Er hat sie bereits in dem Urteil vom 26. Mai 1976 - 4 RJ 95/75 - dargelegt. In der hier umstrittenen Rechtsfrage, welches der "bisherige monatliche Rentenzahlbetrag" im Sinne des § 1254 Abs. 2 Satz 5 RVO ist, besteht kein rechtserheblicher Unterschied zwischen dem Fall, den der 12. Senat entschieden hat, und dem vorliegenden Fall. Dort war die Erwerbsunfähigkeitsrente von Amts wegen in das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres umzuwandeln. Eine ähnliche Rechtslage hat hier der Kläger mit seiner Bestimmung geschaffen, daß der Versicherungsfall des Alters am 1. Januar 1973 eintreten soll (§ 1248 Abs. 7 RVO i. d. F. des Rentenversicherungsänderungsgesetzes - RVÄndG - vom 9. Juni 1965; § 1248 Abs. 6 RVO i. d. F. des RRG vom 16. Oktober 1972). Die Bestimmung des Versicherungsfalles des Alters durch den Versicherten ist eine empfangsbedürftige, rechtsgestaltende Willenserklärung; sie wird mit dem Zugang beim Rentenversicherungsträger wirksam; nach ihrem Zugang beim Rentenversicherungsträger kann sich der Versicherte davon nur unter den Voraussetzungen der Anfechtung von Willenserklärungen bei Irrtum, Täuschung und Drohung (§§ 119 ff BGB) lossagen (BSG vom 22. Mai 1974 - 12 RJ 8/74 - in SozR 2200 § 1248 Nr. 3). Hier hat der Kläger bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG seine Erklärung über den Eintritt seines Versicherungsfalles des Alters zum 1. Januar 1973 nicht angefochten. Im jetzigen Revisionsverfahren kann daher nicht geprüft werden, ob die Bestimmung des Eintritts des Versicherungsfalles des Alters zum 1. Januar 1973 mit der "Verzichts"-erklärung vom 22. März 1976 hinfällig gemacht werden könnte. Die Auffassung des Klägers von einer "permanenten Mindestbetragsgarantie", gestützt auf den jeweils höheren Betrag einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder eines Altersruhegeldes, findet in § 1253 Abs. 2 Satz 5, § 1254 Abs. 2 Satz 2, § 1248 Abs. 8 RVO i. d. F. des RRG keine Stütze; auch das hat der Senat in der Entscheidung vom 26. Mai 1976 - 4 RJ 95/75 - näher ausgeführt.
Die Revision des Klägers war daher nach § 170 Abs. 2 SGG als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen