Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei geringfügiger Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Eine geringfügige Unterbrechung des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit durch eine private Besorgung führt nicht zu einer Unterbrechung des Unfallversicherungsschutzes, wenn die private Besorgung zeitlich und örtlich noch als Teil des Weges in seiner Gesamtheit anzusehen ist.
Normenkette
RVO § 550 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Mai 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin war Inhaber eines Kraftomnibus- und Mietwagenunternehmens in H. Am 25. Januar 1970 hatte er mit seinem Personenkraftwagen einen Fahrgast von L nach M zu einem Fußballspiel gebracht. Nach Beendigung des Spiels und vor Antritt der Rückfahrt bat der Ehemann der Klägerin wegen inzwischen aufgetretener Magenbeschwerden den Fahrgast, seine Ehefrau - die Klägerin - anzurufen, damit sie beide abhole und nach L zurückbringe. Die Klägerin fuhr nach M und nahm dort den Fahrgast und ihren Ehemann auf. Während der Rückfahrt, etwa 2 km vor seiner Wohnung, verlangte der Ehemann der Klägerin auszusteigen, da er wegen einer schweren Magenkolik nicht in der Lage sei, die Heimfahrt fortzusetzen. Nachdem die Klägerin angehalten hatte, stieg ihr Ehemann aus und ging zu Fuß auf der Straße zurück, auf der er gerade gekommen war. Dort traf er nach etwa 200 m auf seinen Bekannten von Sch, der gerade sein an der Straße gelegenes Grundstück mit dem Kraftwagen verließ. Beide unterhielten sich auf der Straße, wobei der Ehemann der Klägerin sich rückwärts zur Gegenfahrbahn der Straße hin bewegte. Dabei wurde er gegen 18.30 Uhr von einem Kraftwagen erfaßt und verletzt. An den Folgen der Verletzungen ist er am 30. Januar 1970 gestorben. Durch Bescheid vom 24. März 1971 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, weil kein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Der Weg, den der Ehemann der Klägerin entgegengesetzt zum Zielort und zur Fahrtrichtung zurückgelegt habe, sowie das Überqueren der Straße zur Unfallzeit hätten mit der Tätigkeit im eigenen Unternehmen nichts zu tun gehabt. Durch das Verlassen des Fahrzeuges wegen starker Magenbeschwerden und das Sichabwenden von dem aus betrieblichen Gründen notwendigen Weg sei eine Lösung vom Unternehmen eingetreten; dadurch habe der Schutz der Unfallversicherung geendet.
Die Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts - SG - Oldenburg vom 16. November 1971). Die auf Hinterbliebenenrente beschränkte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen zurückgewiesen (Urteil vom 24. Mai 1972). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, daß § 548 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als Anspruchsgrundlage ausscheide, da der Ehemann der Klägerin nicht bei einer betrieblichen Tätigkeit verunglückt sei. Er habe sich, nachdem die Rückbeförderung des Fahrgastes von der Klägerin durchgeführt worden sei, auf einem mit seiner betrieblichen Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach Hause befunden, auf dem nach § 550 RVO Versicherungsschutz bestehe. Entscheidend sei, welche Bedeutung der Unterbrechung des Rückweges beizumessen sei, um die der Ehemann der Klägerin wegen seines Gesundheitszustandes gebeten hatte. Das Bundessozialgericht (BSG) habe Versicherungsschutz nach § 550 RVO für einen Unfall bejaht, den ein Versicherter auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstätte während einer Unterbrechung des Weges erlitten hat, um in einer naheliegenden Bedürfnisanstalt seine Notdurft zu verrichten (SozR Nr. 45 zu § 543 RVO aF). Ähnlich lägen die Verhältnisse hier, wenn man den Angaben der Klägerin über den Grund der Fahrtunterbrechung folge. Danach habe der Ehemann der Klägerin unterwegs wegen Magenschmerzen das dringende Verlangen geäußert, den Wagen zu verlassen, um im Freien etwas hin- und herzulaufen. Werde die Notwendigkeit einer solchen Verrichtung unterstellt, wobei allerdings wegen der kurzen Rückfahrt und der nahen Entfernung zur Wohnung erhebliche Zweifel angebracht seien, dann wäre auch die Fahrtunterbrechung versicherungsrechtlich noch geschützt gewesen, wenn sie sich auf eine notwendige Erholung des Ehemannes der Klägerin beschränkt hätte. Der Aufenthalt des Versicherten auf der Landstraße sei jedoch nach Art, Dauer und Umfang so erheblich gewesen, daß die betrieblichen Umstände der Rückfahrt zur Zeit des Unfalls in den Hintergrund getreten seien. Der vom Ehemann der Klägerin durchgeführten Unterbrechung des Heimweges hätte es nach Art und Umfang nicht bedurft, um den Rest der Fahrt zu überstehen. Der Versicherte habe sich nicht auf kurzes Auf- und Abgehen in der Nähe seines Fahrzeuges beschränkt, was nach der Art seines Unwohlseins und der noch zurückzulegenden kurzen Wegstrecke bis nach Hause allenfalls geboten gewesen wäre. Er habe vielmehr die erhebliche Wegstrecke von 200 m zurückgelegt und sich dazu noch aus rein persönlichen Gründen mit seinem Bekannten von Sch unterhalten. Dies zeige, daß der Ehemann der Klägerin jedenfalls während der privaten Unterhaltung von seinen Beschwerden nicht mehr stark beeinträchtigt gewesen sein könne, sonst hätte er seinen Bekannten nicht angehalten und das Gespräch gesucht. Bei dieser Sachlage hätten zur Zeit des Unfalls persönliche Gründe für den Aufenthalt an der Unfallstelle im Vordergrund gestanden und den zuvor bestehenden Versicherungsschutz aufgehoben. Daraus folge, daß ein Arbeitsunfall nicht vorgelegen habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt die unrichtige Anwendung der §§ 548, 550 RVO. Entgegen der Ansicht des LSG sei die Unterbrechung der betrieblichen Fahrt nicht derart wesentlich gewesen, daß ein Arbeitsunfall nicht mehr vorgelegen habe. Immerhin sei die Fahrtunterbrechung so unwesentlich gewesen, daß die anderen Fahrzeuginsassen - Fahrerin und Fahrgast - im Fahrzeug sitzengeblieben seien und sich nicht veranlaßt gesehen hätten, nach ihrem Ehemann Ausschau zu halten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen aufzuheben und die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt vor, daß sich der Unfall nach den von der Revision nicht angefochtenen Feststellungen nicht im Zuge des Hin- und Hergehens wegen der behaupteten Magenkolik, sondern nach einem privaten Gespräch mit dem Bekannten von Sch ereignet habe. Daraus habe das LSG zutreffend geschlossen, daß zur Zeit des Unfalls persönliche Gründe für den Aufenthalt an der Unfallstelle derart im Vordergrund gestanden hätten, daß der zuvor bestehende Versicherungsschutz aufgehoben worden sei.
II
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Ohne Rechtsirrtum ist das LSG davon ausgegangen, daß der festgestellte Sachverhalt nicht von § 548 RVO erfaßt wird. Der Ehemann der Klägerin hat den Unfall nicht bei einer betrieblichen Tätigkeit erlitten. Die Rückfahrt im Kraftwagen der Klägerin war für ihn kein Betriebsweg, der noch einen Teil seiner im eigenen Unternehmen ausgeübten Tätigkeit bildete. Seine betriebliche Tätigkeit war beendet, nachdem er die Rückbeförderung des Fahrgastes wegen der unterwegs aufgetretenen Magenbeschwerden aufgegeben hatte und sich sowie den Fahrgast von seiner Ehefrau in Mühlen abholen ließ. Eine unrichtige Anwendung des § 548 RVO liegt somit nicht vor.
Da der Weg vom Ort der Tätigkeit nach Hause mit der betrieblichen Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin aber noch zusammenhing, stand er auf der Rückfahrt nach L, wie das LSG zutreffend angenommen hat, nach § 550 RVO unter Versicherungsschutz. Der in § 550 RVO verwendete Begriff des Weges bedeutet nicht eine Strecke, sondern das Sichfortbewegen des Versicherten auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und einen Zielpunkt begrenzt ist (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 8. Aufl., S. 486 b; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 3 zu § 550). Den Weg nach Hause hat der Ehemann der Klägerin unterbrochen, indem er die Klägerin das von ihr geführte Kraftfahrzeug anhalten ließ und ausstieg. Bis zum Unfall bewegte sich der Ehemann der Klägerin nach den für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) auch nicht mehr zu Fuß zum Zielpunkt seines Weges nach Langenberg hin. Er entfernte sich vielmehr etwa 200 m in entgegengesetzter Richtung. Eine Unterbrechung des Weges führt nur dann nicht auch zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes, wenn sie entweder einer Verrichtung dient, die mit der versicherten Tätigkeit im ursächlichen Zusammenhang steht, oder wenn sie zwar einer privaten Verrichtung dient, jedoch hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer und der Art ihrer Erledigung rechtlich nicht ins Gewicht fällt und daher als geringfügig anzusehen ist (Brackmann, aaO S. 486 s I, 486 v; Lauterbach, aaO Anm. 17 zu § 550). Das LSG hat für den unterstellten, aber nicht festgestellten Sachverhalt, daß ein Hin- und Hergehen des Ehemannes der Klägerin wegen der Magenschmerzen notwendig gewesen sei, die Fortdauer des Versicherungsschutzes angenommen. Ob diese Auffassung zutrifft, braucht aber nicht entschieden zu werden. Denn in tatsächlicher Hinsicht hat das LSG festgestellt, daß es der vom Ehemann der Klägerin durchgeführten Unterbrechung des Heimweges nach Art und Umfang nicht bedurft hatte, um den Rest der Fahrt nach Hause zu überstehen. Damit hat das LSG eine mit der versicherten Tätigkeit in Zusammenhang stehende Tätigkeit während der Unterbrechung des Weges verneint. Gleichzeitig schließen die tatsächlichen Feststellungen auch die Annahme einer den Versicherungsschutz nicht berührenden geringfügigen privaten Verrichtung aus. Dem versicherten Weg sind nur solche einer privaten Verrichtung dienenden Unterbrechungen zuzurechnen, die üblicherweise zeitlich und örtlich noch als Teil des Weges in seiner Gesamtheit anzusehen sind. Die Rechtsprechung versteht hierunter nur kurze und belanglose Unterbrechungen, bei denen der Versicherte gewissermaßen in Bewegung vom oder zum Ort der Tätigkeit bleibt und nur nebenher anderweitig tätig wird (SozR Nr. 28 zu § 543 RVO aF; BG 1965, 196). Der Ehemann der Klägerin hatte sich nach dem Aussteigen aus dem Kraftwagen eine erhebliche Strecke entgegen der Fahrtrichtung entfernt, war dann am Kraftwagen seines Bekannten von Sch stehengeblieben, der gerade von seinem Grundstück auf die Landstraße gefahren war und hatte mit ihm eine private Unterhaltung geführt. Dieser Sachverhalt hebt sich nach Art und Umfang so eindeutig von der Zurücklegung des Weges ab, daß der Versicherungsschutz in dieser Zeit bis zum Unfall nicht mehr fortbestanden hat. Unerheblich ist, daß die Klägerin und ihr im Kraftwagen sitzender Fahrgast sich bis zum Unfall nicht veranlaßt gesehen haben, nach dem Versicherten Ausschau zu halten. Ob die eingeschobene private Verrichtung zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes führt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen und hängt nicht von der subjektiven Auffassung anderer Personen ab.
Da das LSG zu Recht einen Arbeitsunfall verneint hat, war die Revision gemäß § 170 Abs. 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen