Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 15.11.1995; Aktenzeichen L 6 An 147/94)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. November 1995 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin Altersruhegeld ab 1. Januar 1986 zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist das Recht der Klägerin, die als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt ist (Feststellungsbescheid vom 27. Juni 1958), von der Beklagten die monatliche Zahlung von Altersruhegeld (ARG) an ihren Wohnort in Israel statt ab 1. April 1990 bereits ab 1. Januar 1986 zu verlangen.

Die am 24. Dezember 1920 in Polen geborene Klägerin war während des Zweiten Weltkriegs in verschiedenen Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern inhaftiert und wanderte im Anschluß an eine Krankenhausbehandlung sowie einen Aufenthalt im Lager für „Displaced Persons” (DP) in S. … im Juni 1946 von B. … in die USA aus. Seit August 1970 besitzt sie die israelische Staatsangehörigkeit und ist seit Jahren in Israel wohnhaft.

Auf die entsprechenden Anträge vom März 1990 erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 25. März 1992 Beitragszeiten nach § 17 Abs 1 Buchst b Fremdrentengesetz (FRG) von Juli 1936 bis September 1939 sowie nach dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) vom 4. Oktober 1939 bis 8. Mai 1945 Ersatzzeiten wegen nationalsozialistischer Verfolgung mit Beitragswert an und bewilligte nach Durchführung der zugelassenen Nachentrichtung freiwilliger Beiträge mit Rentenbescheid vom 22. Januar 1993 ein ARG ab 1. April 1990.

Mit ihrem hiergegen am 15. Februar 1993 zunächst eingelegten Widerspruch machte die Klägerin im wesentlichen geltend, daß ihr im Hinblick auf die feststehende Auswanderung aus Deutschland das ARG gemäß § 18 Abs 2 WGSVG bereits ab dem 1. Januar 1986 zustehe. Ob sie in S. … polizeilich gemeldet gewesen sei, könne sie heute nicht mehr sagen. Innerhalb des Lagers sei sie keiner Beschäftigung nachgegangen. Da auch keine Wohnung zur Verfügung gestanden habe, sei für sie und ihren Ehemann, den sie am 17. Mai 1946 geheiratet habe, ein Weiterverbleiben in Deutschland aussichtslos gewesen. Die Ausreisebewilligung sei über den in den USA lebenden Bruder ihres Ehemannes erteilt worden.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 29. Oktober 1993 den „Antrag … auf Rentenzahlung nach § 18 Abs 2 WGSVG” ab und bestätigte diese Entscheidung sowie den Rentenbescheid vom 22. Januar 1993 mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 1994.

Das Sozialgericht (SG) hat diese Entscheidung mit Urteil vom 4. Juli 1994 bestätigt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 22. Januar 1993 idF des Bescheides vom 29. Oktober 1993 und des Widerspruchsbescheides vom 1. März 1994 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von ARG für die Zeit von Januar 1986 bis März 1990 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden: Nach den hier noch maßgeblichen Bestimmungen des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) habe die Klägerin seit Dezember 1985 Anspruch auf Gewährung eines ARG. Eine Auslandszahlung bereits ab diesem Zeitpunkt komme jedoch wegen § 98 Abs 1 AVG nicht in Betracht, da sie Beitragszeiten im Geltungsbereich des AVG erst aufgrund der Nachentrichtung habe und hiermit rentenrechtliche Auswirkungen erst ab dem 1. April 1990 verbunden seien. Indessen habe sich die Klägerin zutreffend auf § 18 Abs 2 WGSVG berufen. Die Vorschrift erfordere nämlich unter den dort näher umschriebenen Bedingungen lediglich die Aufgabe des bisherigen Aufenthaltsorts und nicht etwa eines gewöhnlichen Aufenthalts oder Wohnsitzes. Dies ergebe sich gleichermaßen aus Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Der Tatbestand des § 18 Abs 2 WGSVG sei jedenfalls dann als erfüllt anzusehen, wenn nicht ausgeschlossen werden könne, daß der Verfolgte im Reichsgebiet bzw in Danzig geblieben wäre, hätte er sich nicht wegen der erlittenen Verfolgung daran gehindert gesehen. Eine Verurteilung der Beklagten zur Leistungserbringung komme dennoch nicht in Betracht, da diese zunächst das ihr eingeräumte Ermessen zu betätigen habe.

Die Beklagte hat hiergegen am 17. Januar 1996 die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung ausgeführt: § 18 Abs 2 WGSVG treffe Regelungen für Verfolgte aus dem Reichsgebiet nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 und dem Gebiet der Freien Stadt Danzig. Das Tatbestandsmerkmal des Verlassens sei im Rahmen von Auslandszahlungsvorschriften in seinem rentenversicherungsrechtlichen Zusammenhang auszulegen. Ebensowenig wie der bloße Aufenthalt sei auch das Verlassen ohne rentenversicherungsrechtlich relevante Anbindung nicht geeignet, Vergünstigungen oder Einschränkungen zu begründen. Auf die besonderen Verhältnisse im Bereich des Unfallrechts könne insofern nicht abgestellt werden. Die vom LSG vertretene Auffassung führe zu Zufallsergebnissen. Es gebe keinen ersichtlichen Grund, die Klägerin besser zu stellen, als eine Verfolgte, die nach ihrer Befreiung von Görlitz in ihre Heimat (zB die in den Jahren 1938 und 1939 eingegliederten Gebiete) zurückgegangen und von dort aus im Jahre 1946 nach Amerika ausgewandert wäre. Aus diesem Grunde forderten die §§ 18, 19 WGSVG, daß die Berechtigten vor dem Verlassen dieser Gebiete auch dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt haben müssen. Die Klägerin habe jedoch durch ihre Verbringung in das Reichsgebiet ihren ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthalt nicht aufgegeben und auch vor ihrer Auswanderung in die USA keinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. November 1995 abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juli 1994 in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils. Die Behauptung der Beklagten, die dort vertretene Auffassung führe zu Zufallsergebnissen, sei schon deshalb nicht richtig, „da Auswanderungen aus dem Gebiet des Deutschen Reichs nach den Grenzen von 1937 und Auswanderungen aus anderen Gebieten unabhängig davon, ob jemand im Nachkriegsdeutschland seinen Wohnsitz genommen hat oder nicht, schon deshalb unterschiedlich geregelt sein müssen, weil zum dortigen System ein anderes Verhältnis bestand als bei Wohnsitznahme anderswo und infolgedessen eine besondere Regelung und Zahlung von Rentenleistungen wegen der näheren Beziehungen zum gesetzlichen System erfolgen mußte”.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat der Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage abweisende Urteil des SG zu Recht stattgeben und der zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (dazu unter A) jedenfalls im Hinblick auf die tatsächlichen Auswirkungen seiner Entscheidung bereits zutreffend zum Erfolg verholfen. Denn die Klägerin hat für Bezugszeiten ab 1. Januar 1986 das Recht (dazu unter B), von der Beklagten monatlich Zahlung von ARG wie eine Verfolgte zu verlangen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (§ 18 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 WGSVG; dazu unter C; ferner Urteil des Senats vom 29. August 1996 – 4 RA 85/95, zur Veröffentlichung vorgesehen). Unter diesen Umständen geht die vom Senat vorgenommene Klarstellung des Urteilsausspruchs weder über den auch in der Revisionsinstanz maßgeblichen Sachantrag der Klägerin hinaus noch erhöht sich hierdurch die mit der angefochtenen Entscheidung verbundene Beschwer der Beklagten.

A. Die sog kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist statthaft. Das Begehren der Klägerin (iS von § 123 SGG) ist darauf gerichtet, die Beklagte unter Aufhebung des dies ablehnenden Bescheides vom 22. Januar 1993 in der Gestalt des Bescheides vom 29. Oktober 1993 und des Widerspruchsbescheides vom 1. März 1994 zur monatlichen Zahlung von ARG schon für Zeiten ab 1. Januar 1986 zu verurteilen.

1. Die Beklagte hat durch Ablehnung eines Rentenbeginns vor dem 1. April 1990 eine mit der Anfechtungsklage angreifbare Entscheidung über das subjektive Recht (sog Stammrecht) der Klägerin auf ARG getroffen, aus dem grundsätzlich monatliche Ansprüche auf Rentenzahlung entstehen. Die gesetzlichen Bestimmungen über die „Erbringung von Leistungen an Berechtigte im Ausland/außerhalb des Geltungsbereichs des AVG” (§§ 94 ff AVG; §§ 110 ff des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫) regeln im Sinne von (materiell-rechtlich) rechtshindernden Einwendungen die (negativen) Voraussetzungen, unter denen aus einem subjektiven Recht auf Rente, einem sog Rentenstammrecht, (aus der Berufsunfähigkeits-≪BU≫Versicherung, der Erwerbsunfähigkeits-≪EU≫Versicherung oder der Altersversicherung) monatliche Rentenzahlungsansprüche entgegen den allgemeinen, für Versicherte mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland (§ 30 Abs 1 und 3 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) gültigen Bestimmungen (§§ 32 ff AVG; §§ 64 ff SGB VI) nicht oder in geringerer Höhe entstehen (stellvertretend BSG SozR 3-2200 § 1321 Nr 1). Der die Entstehung monatlicher Zahlungsansprüche hindernde Umstand liegt vor, solange der Berechtigte sich im Ausland gewöhnlich aufhält oder wohnt und keine (hinreichenden) sog Bundesgebietsbeitragszeiten (vgl § 113 Abs 1 Satz 2 SGB VI) hat. Deshalb enthält die Ablehnung einer (irreführend sog) „Auslandsrente” stets eine Entscheidung über das subjektive Recht auf Rente und die daraus herleitbaren monatlichen Ansprüche.

So hat auch die Beklagte in dem streitigen Bescheid nicht in Frage gestellt, daß die Klägerin Versicherte ist und das 65. Lebensjahr bereits im Dezember 1985 vollendet sowie die Wartezeit, dh eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten, iS von § 25 Abs 5 und Abs 7 Satz 3 AVG erfüllt und damit ein subjektives Recht auf ARG erlangt hat. Der angefochtene Bescheid hält dieser Rechtsposition der Klägerin entgegen, aus ihrem subjektiven Recht könnten monatliche Rentenzahlungsansprüche vom 1. Januar 1986 bis zum 31. März 1990 wegen ihres Wohnsitzes im Ausland und des Fehlens von Bundesgebietsbeiträgen nicht entstehen. Hiergegen richtet sich die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG).

2. Die Klägerin hat sie nach § 54 Abs 4 SGG zulässigerweise mit der Leistungsklage verbunden. Ein Recht auf Zahlung von ARG (je Monat) gibt monatlich einen „Rechtsanspruch”; hierfür kommt es allein darauf an, ob die vom Rechtsschutz suchenden Bürger begehrte Rechtsfolge im Gesetz ihrer Art nach als Rechtsanspruch ausgestaltet ist. Unerheblich für die richtige Klageart ist hingegen, ob – was im Blick auf § 18 Abs 1 und 2 WGSVG nicht zutrifft (dazu unten) – die Ausübung eines „Gegenrechts” in das Ermessen des Leistungsträgers gestellt ist. Denn der Bürger, der aus seinem Rentenstammrecht erwachsende „Einzel”-)Ansprüche auf monatliche Rentenzahlungen geltend macht, die als Rechtsansprüche ausgestaltet sind (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3 S 5 und Urteil des Senats vom 22. Februar 1995 – 4 RA 88/94), muß bei der Konkretisierung seines Rechtsschutzbegehrens (§ 123 SGG) nicht berücksichtigen, ob der Leistungsträger meint, ein in seinem Ermessen stehendes „Gegenrecht” zu haben; dies ist vielmehr ggf vom Gericht im Rahmen der sog Spruchreife zu prüfen.

B. Das LSG hat im Ergebnis richtig gesehen, daß die Klage begründet ist. Die Klägerin hat ein subjektives Recht auf Altersrente, aus dem ihr (jedenfalls seit dem 1. Januar 1986) monatliche Ansprüche auf Zahlung gegen die Beklagte entstanden sind. Nach § 25 Abs 5 AVG, der hier gemäß § 300 Abs 2 SGB VI weiterhin anwendbar ist, erhält der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs 7 Satz 3 aaO erfüllt hat, ARG.

Diese Vorschrift ist trotz des Auslandswohnsitzes (§ 30 Abs 1 SGB I) anwendbar. Hierbei bedarf keiner Darlegung, daß dies sich bereits daraus ergibt, daß §§ 94 ff AVG (§§ 110 ff SGB VI) die Berechtigtenstellung, dh die Innehabung eines subjektiven Rentenrechts, auch den Versicherten ausdrücklich zuerkennen, die Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben; denn zugunsten der Klägerin greift vorrangig (§ 30 Abs 2 SGB I) Art 4 Abs 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (DISVA) vom 17. Dezember 1973 idF des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl II 863) ein. Die Klägerin ist Staatsbürgerin des Staates Israel (Art 3 Abs 1 Buchst a DISVA) und hält sich gewöhnlich in Israel auf, so daß sie bei Anwendung der rentenrechtlichen (Art 2 Abs 1 Nr 1 Buchst c DISVA) Rechtsvorschriften Deutschlands den deutschen Staatsangehörigen gleichsteht. Sie erfüllt für Zeiten ab Januar 1986 die Voraussetzungen für das subjektive Recht auf ARG nach § 25 Abs 5 AVG: Nach § 15 Abs 1 Satz 1 und 2 FRG stehen die anerkannten Fremdbeitragszeiten der Klägerin aufgrund entgeltlicher Beschäftigung entsprechenden nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich; die Anwendbarkeit des § 15 FRG auf die von Juni 1939 bis März 1941 in Polen (bzw den sog eingegliederten Gebieten) zurückgelegten Beitragszeiten ergibt sich aus § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b Halbsatz 2 und Abs 3 FRG in der bis zum 31. Dezember 1991 gültigen, mit Wirkung vom 1. Januar 1990 durch Art 15 des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261) eingeführten Fassung. Denn die Ansprüche der Klägerin gegen den nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung waren nach der „Eingliederung” Ost-Oberschlesiens aufgrund der nationalsozialistischen Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten (sog Ostgebietsverordnung) vom 22. Dezember 1941 (RGBl I S 777) ausgeschlossen gewesen (zur Beseitigung dieses nationalsozialistischen Unrechts vgl Begründung zum Entwurf des RRG 1992, BT-Drucks 11/4124 S 218 und BT-Drucks 11/5530 S 29). Da die Beklagte diese Beitragszeiten nach dem FRG bindend (§ 77 SGG) anerkannt hat, sind hierzu weitere tatsächliche Feststellungen, die dem Berufungsgericht vorbehalten wären, nicht zu treffen. Damit ist das subjektive Recht auf ARG zum 1. Januar 1986 entstanden.

Der rechtliche Zuweisungsgehalt eines solchen subjektiven Rechts (sog Stammrechts) auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung besteht hauptsächlich darin, daß der Berechtigte für die Dauer des Bestehens dieses Rechts grundsätzlich (im Erlebensfall) zu Beginn jedes Monats vom Rentenversicherungsträger Zahlung des Rentenbetrags verlangen kann, soweit rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendungen oder aufschiebende oder dauerhafte Einreden dem nicht entgegenstehen. Dies ist hier nicht der Fall. Die von der Beklagten geltend gemachte Einwendung greift nicht durch (unter C).

C. Die im genannten Sinn rechtshindernde Einwendung der Beklagten, die Klägerin wohne im Ausland und habe keine Bundesgebietsbeitragszeiten zurückgelegt, greift nicht durch:

1. Zwar kann Berechtigten, die im Inland wohnen, grundsätzlich nicht rechtshindernd entgegengehalten werden, ihnen fehlten Bundesgebietsbeitragszeiten; für sie gelten die allgemeinen Bestimmungen über die Entstehung von Ansprüchen zum jeweiligen Monatsersten. Demgegenüber können für Berechtigte – wie die Klägerin – mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland, solange sie dort wohnen oder sich gewöhnlich aufhalten, monatliche Rentenansprüche nur insoweit entstehen, als dies in den §§ 95 ff AVG zugelassen ist (vgl §§ 110 ff SGB VI). In jedem Fall, dh gleich ob der Berechtigte Deutscher oder Ausländer ist, setzt danach die Entstehung von monatlichen Rentenansprüchen Beitragszeiten voraus, die im Geltungsbereich des AVG zurückgelegt wurden (sog Bundesgebietsbeitragszeiten); es reicht nicht aus, wenn ausschließlich Fremdbeitragszeiten vorliegen. Die Klägerin hat bis zur Nachentrichtung von Beiträgen keine Bundesgebietsbeitragszeiten erworben. Nach Maßgabe des AVG (und des SGB VI) greift die Einwendung somit durch.

Es kann hierbei dahingestellt bleiben, wann genau und in welcher Höhe die Klägerin Beiträge nachentrichtet hat, die als Bundesgebietsbeiträge gelten; denn sie können nicht so behandelt werden, als seien sie vor dem 1. April 1990 oder sogar schon während der Zeit entrichtet worden, für welche sie nachentrichtet wurden (näher dazu Urteile des Senats vom 29. August 1996 – 4 RA 122/94, zur Veröffentlichung vorgesehen, und 4 RA 76/95). Beiträge begründen Beitragszeiten erst, wenn sie wirksam entrichtet, dh tatsächlich gezahlt worden sind (BSGE 63, 195, 200 = SozR 2200 § 1290 Nr 22). Eine „Rückwirkung” einer Beitragsnachentrichtung für Zeiträume vor Zahlung der Beiträge tritt nur ausnahmsweise ein oder soweit dies – anders als hier – spezialgesetzlich geregelt ist (stellvertretend BSG SozR 3-6485 Art 12 Nr 6 mwN). Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil die Beklagte eine Rückwirkung bis zum 1. April 1990, dem auf den Zulassungsantrag folgenden Monat, zuerkannt hat.

2. Die Anwendbarkeit der Einwendung des Auslandswohnsitzes und der fehlenden Bundesgebietsbeiträge wird auch nicht durch Art 4 oder Art 3 DISVA ausgeräumt. Die Inländergleichstellung durch Art 3 aaO führt nur dazu, daß die für im Ausland lebende Deutsche maßgeblichen Vorschriften (§§ 98, 99 AVG ≪§ 114 SGB VI≫) anwendbar sind, die aber auch Bundesgebietsbeitragszeiten voraussetzen. Die Gebietsgleichstellung des Art 4 DISVA, nach der ua deutsche Rechtsvorschriften, nach denen ein Anspruch auf oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängen, nicht für israelische Staatsbürger gilt, die sich gewöhnlich in Israel aufhalten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach Nr 3 Buchst a des Schlußprotokolls zum DISVA bleiben die deutschen Rechtsvorschriften über Leistungen aus Versicherungszeiten, die nicht nach Bundesrecht zurückgelegt sind, unberührt. Die in Art 20 Abs 1 DISVA geregelte „Zusammenrechnung” deutscher und israelischer Versicherungszeiten bedeutet keine Gleichstellung der israelischen Versicherungszeiten mit im Bundesgebiet zurückgelegten Beitragszeiten. Jedoch steht gemäß Nr 9 des Schlußprotokolls zum DISVA dieses Abkommen der Anwendung der deutschen Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts nicht entgegen.

3. Gleichwohl ist die rechtshindernde Einwendung des Auslandswohnsitzes ohne Bundesgebietszeiten nicht anwendbar. Denn die Klägerin kann ihr nach § 18 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 1 WGSVG als Einwendungsausschluß durchgreifend entgegenhalten, daß ihr Rente wie Verfolgten zusteht, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des WGSVG haben:

a) Nach § 18 Abs 1 Satz 1 WGSVG können Verfolgte, die zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 das Gebiet des Deutschen Reichs oder der Freien Stadt Danzig verlassen haben, um sich einer von ihnen nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen, oder die aus den gleichen Gründen nicht in das Gebiet des Deutschen Reichs oder der Freien Stadt Danzig zurückkehren konnten, Rente wie die Verfolgten erhalten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben. Nach Abs 2 aaO gilt Abs 1 entsprechend für Verfolgte, die nach dem 8. Mai 1945 und vor dem 1. Januar 1950 das Gebiet des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 oder das Gebiet der Freien Stadt Danzig verlassen haben. Hierzu bestimmt Abs 4 aaO, daß die Renten nach den Abs 1 bis 3 aaO nicht als Leistungen der sozialen Sicherheit (iS von § 1 SGB I) gelten. Es handelt sich nämlich um Entschädigung.

b) Diese Vorschriften sind gemäß § 1 Abs 1 WGSVG auf die Klägerin anzuwenden. Danach gilt dieses Gesetz für Versicherte, die Verfolgte im Sinne des BEG sind und durch die Verfolgung Schaden in der (deutschen) Sozialversicherung erlitten haben. Zweck der Vorschriften des WGSVG ist, den Versicherten, die – wie die Klägerin – Verfolgte iS von § 1 BEG sind, den vollen Ausgleich des durch die nationalsozialistische Verfolgung erlittenen Schadens ua in ihrer Rentenversicherung zu ermöglichen (BSGE 63, 282, 288 f = SozR 2200 § 1251a Nr 2 mwN). Hierzu gehört ua auch, die Beeinträchtigungen der Rechtsposition des Verfolgten in der deutschen Rentenversicherung auszugleichen, die sich daraus ergeben, daß er sich (im wesentlichen) aufgrund der Verfolgung im Ausland aufhält oder dort wohnt; diese Entschädigung bewirken §§ 18, 19 WGSVG „kraft Gesetzes” durch die Gleichstellung mit im Inland wohnenden Verfolgten.

Alle Entschädigungsregelungen des WGSVG, auch § 18 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 aaO, setzen aber einen durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen verursachten Schaden in einem Rentenstammrecht, in einem Rentenanspruch, in einer Rentenanwartschaft oder einem zuerkannten rentenversicherungsrechtlichen Vorteil voraus. Da die Verfolgung mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, also vor dem 9. Mai 1945 beendet worden ist, kann nur die Beeinträchtigung einer solchen Rechtsposition in der deutschen Rentenversicherung wiedergutmachungsrechtlich von haftungsbegründender Bedeutung sein, die aufgrund eines vor dem 9. Mai 1945 zurückgelegten Erwerbstatbestands entstanden und durch einen Verfolgungseingriff bis Kriegsende verletzt worden ist. Hingegen ist es eine Frage des Umfangs der Entschädigung, inwieweit mittelbare Nachwirkungen der Verfolgung, vor allem in der Zeit nach dem 8. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1949, wesentliche Ursachen einer Vertiefung oder Ausweitung des Schadens geworden sind. § 18 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 WGSVG umschreiben, unter welchen Voraussetzungen der Einwand des Auslandswohnsitzes einem Verfolgten nicht entgegengehalten werden darf, dessen Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland im wesentlichen auf dem nationalsozialistischen Verfolgungszugriff bzw dessen Nachwirkungen beruht.

c) Der Einwendungsausschluß zugunsten der Klägerin ergibt sich allerdings nicht aus § 18 Abs 1 Satz 1 WGSVG. Sie hat nämlich das Gebiet des Deutschen Reichs (in seiner jeweiligen Ausdehnung) nicht schon zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 verlassen. Zwar gibt der Senat die Ansicht auf (BSG SozR 2200 § 1321 Nr 2 S 2), das „Verlassen” müsse „freiwillig” erfolgt sein; denn die Versicherten, die sich ab dem 30. Januar 1933 im jeweiligen Reichsgebiet und damit in der unmittelbaren Zugriffssphäre des NS-Regimes befanden und zu den Personen gehörten, die typischerweise oder im Einzelfall verfolgt wurden, waren in der Regel nicht mehr in der Lage, aus „freiem” Willen über eine „Auswanderung” (vgl § 4 BEG) zu entscheiden. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil die Klägerin während des Zweiten Weltkrieges inhaftiert war und damit zu dem besonders betroffenen Personenkreis derjenigen gehört, dem es – anders als den von § 18 Abs 1 Satz 1 WGSVG (in direkter Anwendung) Begünstigten -nicht mehr gelang, dem nationalsozialistischen Zugriff zu entfliehen.

4. Für sie gilt jedoch gemäß § 18 Abs 2 WGSVG der Einwendungsausschluß des Abs 1 Satz 1 aaO „entsprechend”. Sie ist Verfolgte und hat nach dem 8. Mai 1945 und vor dem 1. Januar 1950, nämlich im Juni 1946, das Gebiet des Deutschen Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 verlassen, als sie von B. … aus in die USA auswanderte. Damit hatte sie den im Wortlaut von Abs 2 aaO umschriebenen Tatbestand erfüllt. Insbesondere stellt das Gesetz – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht das Erfordernis auf, der Verfolgte müsse nach dem 8. Mai 1945 im Reichsgebiet nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt genommen oder einen verfestigten Aufenthalt erlangt haben, bevor er das dort umschriebene Gebiet verließ. Dies ergibt sich auch nicht als – ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal – aus der gebotenen entsprechenden Anwendung von Abs 1 aaO.

a) Zwar ist der Beklagten insoweit beizutreten, als Verfolgte mit nationalsozialistisch-bedingtem Schaden in ihrer deutschen Sozialversicherung unzweifelhaft zu dem durch § 18 WGSVG entschädigten Personenkreis gehören, wenn sie nach dem 8. Mai 1945 und vor dem 1. Januar 1950 bereits Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im „Reichsgebiet” genommen hatten; dies ist aber lediglich eine hinreichende, keine notwendige Voraussetzung für die entsprechende Geltung des Abs 1 aaO. Auch § 18 WGSVG unterscheidet nämlich nicht zwischen versicherten Verfolgten mit deutscher oder anderer Staatsangehörigkeit oder staatenlosen Verfolgten. Vielmehr werden alle, die dem NS-Zugriff nicht entrinnen konnten und dadurch auch einen Schaden in ihrer deutschen Rentenversicherung erlitten haben, entschädigt, falls sie sich nach dem Krieg vor Ablauf der Überlegungsphase (bis zum 31. Dezember 1949) dazu entschlossen haben, das ehemalige Verfolgungsgebiet zu verlassen. Etwas anderes gilt auch nicht für die DP. Auch sie werden durch die Inlandsgleichstellung nach § 18 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 1 WGSVG nur entschädigt, wenn sie vor dem 9. Mai 1945 einen (aus heutiger Sicht) die Versicherteneigenschaft in der deutschen Rentenversicherung begründenden Tatbestand erfüllt hatten und durch die nationalsozialistische Verfolgung in ihrer rentenrechtlichen Position beeinträchtigt worden sind (§ 1 Abs 1 WGSVG). Dies gilt auch für die durch die nationalsozialistische Ostgebietsverordnung Geschädigten, obwohl ihr Schaden erst durch Einfügung von § 17 Abs 1 Satz 1 Buchst b Halbsatz 2 FRG zum 1. Januar 1990 gesetzlich anerkannt worden ist; denn die nationalsozialistische Schädigungshandlung war vor dem 9. Mai 1945 wirksam geworden.

b) Die von § 18 Abs 2 WGSVG angeordnete „entsprechende Geltung des Abs 1” aaO verlangt aber auch die Prüfung, ob der (durch die Inlandsgleichstellung auszugleichende) Schaden in der Sozialversicherung durch einen im wesentlichen verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt eingetreten ist. Unzweifelhaft „hat” die Klägerin das ehemalige Verfolgungsgebiet „verlassen”, nämlich den tatsächlichen Aufenthalt dort auf Dauer beendet, als sie im Juni 1946 in die USA auswanderte (vgl dazu schon BSGE 28, 99, 100 = SozR Nr 2 zu § 1321; SozR 3-5750 Art 2 § 62 S 44 f). Dies ist im wesentlichen auch verfolgungsbedingt geschehen. In den Fällen der direkten Anwendung von Abs 1 Satz 1 aaO ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn der Verfolgte das jeweilige Reichsgebiet verlassen hat, „um sich einer von ihm nicht zu vertretenden und durch die politischen Verhältnisse bedingten besonderen Zwangslage zu entziehen”. Dieser besondere Fluchtgrund liegt rechtsgrundsätzlich und auch faktisch regelmäßig jedenfalls bei dem Personenkreis vor, dem nach der nationalsozialistischen Ideologie Leben oder andere Menschenrechte genommen werden sollten. Befand sich ein solcher Versicherter in den Zeiten seit dem 30. Januar 1933 im jeweiligen Reichsgebiet bzw der Freien Stadt Danzig und hat er diesen Aufenthalt durch Verlassen des Gebiets beendet, ist nur dann nicht von einem verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt auszugehen, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände erweist, daß das Verlassen des Verfolgungsgebiets allein wesentlich auf anderen Umständen als den nationalsozialistisch-geprägten politischen Verhältnissen und der durch sie bedingten besonderen Zwangslage beruhte; hierfür ist der Versicherungsträger darlegungspflichtig und objektiv beweisbelastet.

§ 18 Abs 2 WGSVG setzt ein gleich schweres Verfolgungsschicksal (vgl von Borries, BArbBl 1971, 153, 156; auch schon BSG SozR 2200 § 1321 Nr 1 S 3) voraus. Denn § 18 WGSVG (eingeführt durch Art 2 § 10 Nr 1 des Gesetzes vom 27. Juni 1977 ≪BGBl I S 1040≫) soll gerade die Verfolgten entschädigen, die vor Kriegsende nicht auswandern konnten und häufig weit Schlimmeres erdulden mußten als diejenigen, die sich noch rechtzeitig dem Zugriff der Nationalsozialisten entziehen konnten (vgl Begründung zum Entwurf des WGSVG-ÄndG, BT-Drucks VI/715 S 9, 11; BR-Drucks 73/70 S 9 f). Gerade im Blick auf das von den in Abs 2 aaO Erfaßten ausnahmslos erlittene Verfolgungsschicksal ist hier „erst recht” rechtsgrundsätzlich und faktisch in aller Regel davon auszugehen, daß der in der deutschen Rentenversicherung versicherte Verfolgte und in seiner Rentenberechtigung durch die NS-Verfolgung Geschädigte Nachkriegsdeutschland verfolgungsbedingt verlassen hat. Etwas anderes kann auch hier – wie in den Fällen von Abs 1 aaO – nur gelten, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles bewiesen ist, daß allein wesentliche Ursache für das Verlassen Deutschlands etwas anderes als das durchlittene Verfolgungsschicksal war; auch hierfür ist der Versicherungsträger darlegungspflichtig und objektiv beweisbelastet.

c) Für DP – wie die Klägerin – ergibt sich nichts anderes deswegen, weil sie eine fremde Staatsangehörigkeit hatten oder staatenlos waren. Denn sie waren (was für verfolgte Deutsche iS von Art 116 des Grundgesetzes ≪GG≫ außer Frage steht) berechtigt, in Deutschland Wohnung zu nehmen und sich hier gewöhnlich aufzuhalten; sie waren also nicht etwa rechtlich gezwungen, das deutsche Staatsgebiet (alsbald) zu verlassen (vgl Nehlert, Die Beschränkung der deutschen Gerichtsbarkeit, 1948, S 21, 26; von Schmoller/Maier/Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, 1957, Band I § 36 II 1a; Brandl, Das Recht der Besatzungsmacht, 1947: Art II des Kontrollratsgesetzes Nr 1 vom 20. September 1945; Ziff 2 Buchst d des Besatzungsstatuts vom 10. April 1949, Handbuch des Besatzungsrechts, aaO, Band II § 100 S 21; Hrsg Institut für Besatzungsfragen, Das DP-Problem, Tübingen 1950, S 75 ff sowie eben dort Anlage 7, S 149 ff = Statut der internationalen Flüchtlings-Organisation ≪IRO≫ und Abmachung über die Übergangsmaßnahmen, dort Art 2 Nr 1 Buchst b Ziff 1 und Abschn B). Diese Personen haben sich also nach Kriegsende materiell berechtigt in Deutschland aufgehalten und hatten die Befugnis, sich hier dauerhaft niederzulassen.

Durch die Inlandsgleichstellung des § 18 WGSVG werden allerdings auch DP nur entschädigt, wenn sie nicht nur Verfolgte waren, sondern auch die weiteren og Voraussetzungen des § 1 Abs 1 WGSVG vor dem 9. Mai 1945 tatbestandlich erfüllt hatten. Daher begünstigt auch § 18 Abs 2 WGSVG nur geschädigte Versicherte der deutschen Rentenversicherung, nicht Verfolgte schlechthin mit Schäden in ihrer – ausländischen – Altersversorgung.

Wer hingegen erstmals nach dem 8. Mai 1945 einen Tatbestand erfüllt hat, aufgrund dessen ein Versicherungsverhältnis in der deutschen Rentenversicherung entstanden ist, dann aber vor dem 1. Januar 1950 Deutschland verlassen hat, wird von § 18 Abs 2 WGSVG nicht „entschädigt”. Der die Entschädigungspflicht begründende Tatbestand des § 1 Abs 1 WGSVG ist nämlich nicht erfüllt, weil die Berechtigung von vornherein dem NS-Zugriff nicht unterlag.

d) Zu Unrecht meint die Beklagte, § 18 WGSVG setze einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in den bezeichneten Gebieten voraus. Die Bezugnahme auf § 4 BEG trägt nicht. Soweit dort (Abs 1 Nr 1 Buchst c und Nr 2) engere Voraussetzungen für eine Entschädigung aufgestellt worden sind (vgl aber §§ 149, 150 ff, 160 ff BEG), sind diese in § 18 WGSVG nicht übernommen worden. Insbesondere verwendet das WGSVG nicht den Ausdruck der „Auswanderung”, der in § 4 Abs 2 BEG als Verlegung des Wohnsitzes oder dauernden Aufenthalts umschrieben ist.

Nicht zu folgen ist der Ansicht der Beklagten, ohne das Erfordernis eines „gefestigten Aufenthalts” komme es zu Zufallsergebnissen, die allein davon abhingen, ob der Verfolgte aus einem Konzentrationslager in Polen oder in Deutschland befreit worden ist. Vorrangig ist darauf hinzuweisen, daß § 18 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 WGSVG in der Auslegung des Senats Zufallsergebnisse weitgehend ausschließt. Wie ausgeführt, bewirkt § 18 WGSVG selbst und unmittelbar den Ausgleich des Schadens, welcher der deutschen rentenversicherungsrechtlichen Berechtigung eines versicherten Verfolgten dadurch droht, daß er im wesentlichen verfolgungsbedingt Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen hat; die anderen Versicherten gegenüber durchgreifende rechtshindernde Einwendung des Auslandsaufenthalts mit dem sich daraus ergebenden Erfordernis von Bundesgebietsbeiträgen wird für Verfolgte und nationalsozialistisch-rentengeschädigte Versicherte im dargelegten Umfang ausgeschlossen. Damit werden alle versicherten Verfolgten mit nationalsozialistisch-bedingtem Schaden in ihrer deutschen Rentenberechtigung gleichbehandelt, wenn sie auch noch im wesentlichen verfolgungsbedingt im Ausland leben und deswegen weiteren Schaden hinnehmen müßten. Für diese Entschädigung durch Gleichstellung mit Inlandsbewohnern kommen alle, aber auch nur die versicherten Verfolgten in Betracht, die – aus heutiger Sicht – einen ein Versicherungsverhältnis in der deutschen Rentenversicherung begründenden Tatbestand vor dem 9. Mai 1945 erfüllt hatten, sich in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entweder im jeweiligen Reichsgebiet (einschließlich Danzig) wenigstens tatsächlich aufhielten und von der Verfolgung bedroht waren und deshalb flohen oder aber in dieser Zeit im Ausland waren und wegen einer drohenden Verfolgung nicht zurückkehrten; erst recht gehören hierzu diejenigen versicherten Verfolgten, die vor dem 9. Mai 1945 sich tatsächlich im jeweiligen Reichsgebiet aufhielten und vor dem Verfolgungszugriff nicht mehr fliehen konnten, die glücklicherweise überlebten und sich bis zum Ende der Überlegungszeit (31. Dezember 1949) zum Verlassen Deutschlands entschlossen. Zu diesem Personenkreis gehört auch die Klägerin.

Träfe die Auffassung der Beklagten zu, dann hätte die Klägerin auch nach ihrer Inhaftierung noch Wohnsitz in Polen gehabt; dies liefe darauf hinaus, ihrem Entschädigungsanspruch entgegenzuhalten, daß sie dem NS-Zugriff nicht rechtzeitig entflohen ist. Das stellte den entschädigungsrechtlichen Wertungszusammenhang geradezu auf den Kopf, wenn ihr eine Entschädigung für verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalt nur dann zuzuerkennen wäre, wenn sie erfolgreich vor dem nationalsozialistischen Zugriff geflohen wäre, nicht aber, wenn sie ihn – wie geschehen – jahrelang durchleiden mußte.

§ 18 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 WGSVG zielt auf eine weitgehende Erfassung der Fälle des verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts eines in seiner deutschen Rentenberechtigung nationalsozialistisch-bedingt geschädigten Versicherten. Soweit es darüber hinaus im Einzelfall zu zufälligen Ergebnissen kommen sollte, liegt dies an den Folgen des im Einzelfall zufälligen Zugriffs der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, so daß dies den geschädigten Verfolgten nicht entgegengehalten werden darf. Im übrigen ist hier nicht darüber zu entscheiden, daß § 18 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 WGSVG auch zugunsten von verfolgten Deutschen iS von Art 116 GG sowie von vertriebenen Verfolgten (vgl § 19 WGSVG) einschließlich der dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zugehörigen Verfolgten (vgl § 20 WGSVG) eingreift.

Nach alledem „kann” (so § 18 Abs 1 Satz 1 WGSVG) die Klägerin ab 1. Januar 1986 die Rente wie eine Verfolgte erhalten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des WGSVG hat.

5. Die Leistungsklage durfte gemäß § 130 Satz 1 Regelung 1 SGG mit einem Grundurteil beschieden werden, das die Beklagte durch Erlaß eines die Höhe der monatlichen ARG-Zahlungsansprüche der Klägerin seit 1. Januar 1986 festsetzenden Verwaltungsakts ausführen muß. Das LSG hat dem zwar nicht durch die Formulierung des Tenors, wohl aber im praktischen Ergebnis des angegriffenen Urteils Rechnung getragen. Die getroffenen Feststellungen ermöglichen nämlich eine abschließende Entscheidung bereits jetzt (sog Spruchreife; vgl zum Begriff Kopp, Komm zur Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl, RdNr 83 zu § 113 VwGO) und zwingen dazu, sie alternativlos so zu treffen, wie geschehen. Etwas anderes gilt insbesondere nicht aufgrund des in § 18 Abs 1 Satz 1 WGSVG gebrauchten Ausdrucks „können”; der Versicherungsträger ist hierdurch nicht etwa ermächtigt, nach seinem Ermessen über Entstehung, Bestand oder Durchsetzbarkeit monatlicher Rentenansprüche zu entscheiden (in diesem Sinne wohl LSG Hamburg, Urteile vom 15. November 1995, L 6 An 147/94, L 6 An 137/95, und vom 12. Mai 1995, L 1 An 46/94; Finke, SGb 1983, 336, 338 ff; Fichte, AVG, § 100 II S V 656; Breuer, AmtlMitt LVA Rheinprovinz 1977, 501 f). Schon der Wortlaut des Gesetzes spricht gegen diese Auslegung. Adressat der Rechtsfolge des § 18 Abs 1 Satz 1 WGSVG ist nicht der Rentenversicherungsträger; nicht ihm wird gesagt, daß er etwas tun „könne”, vielmehr heißt es dort, daß die Verfolgten Rente erhalten können. Das BSG (BSGE 34, 38, 39) hat allerdings im vergleichbaren Zusammenhang des § 100 Abs 1 und Abs 5 AVG idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93), der eine im wesentlichen später von § 18 Abs 1 WGSVG übernommene Regelung enthielt, darauf hingewiesen, der Leistungsträger müsse prüfen, ob der Berechtigte tatsächlich die Leistung in ihrem vollen Wert und zusätzlich zu den Einkünften in dem auswärtigen Staat erhalte; es sei zu beachten, daß durch die erhöhte Leistung nicht lediglich das Devisenaufkommen des auswärtigen Staates gefördert werde; zu klären sei, ob der Aufenthaltsstaat die Leistung auf eigene Leistungen anrechne.

§ 18 Abs 1 Satz 1 WGSVG verdeutlicht hinreichend, daß der verfolgungsbedingt im Ausland lebende Versicherte die nach den Inlandsbestimmungen berechnete Rente „erhalten können” muß. Mit dieser Vorschrift ist dem Versicherungsträger jedoch kein Ermessen eingeräumt, also nicht die verpflichtende Befugnis erteilt worden, zu prüfen und zu entscheiden, ob er verschiedene rechtmäßige Handlungsmöglichkeiten hat und welche von ihnen erlaubt, den Zweck des Gesetzes möglichst weitgehend zu verwirklichen. Vielmehr erteilt Abs 1 Satz 1 aaO die verpflichtende Kompetenz, entstandenen monatlichen Zahlungsansprüchen die rechtsvernichtende Einwendung der Zweckverfehlung mittels hoheitlicher Verfügung entgegenzuhalten, wenn sich im Einzelfall herausstellt, daß der Berechtigte den ihm von § 18 WGSVG als Entschädigung zugedachten Rentenvorteil in Wirklichkeit „nicht erhalten kann”. Steht also (ausnahmsweise) vor der Vornahme der Erfüllungshandlung fest (hierfür trägt der Versicherungsträger Darlegungs- und objektive Beweislast), daß die monatliche Zahlung der Rente (in Höhe einer solchen wie bei einem Verfolgten mit gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes) dem Berechtigten nicht zugute kommt, weil der Staat, in dem er lebt, sich den Rentenvorteil zueignet, muß der Leistungsträger, solange dieser Umstand gegeben ist, die wegen Zweckverfehlung vernichteten monatlichen Ansprüche durch hoheitliche Regelung versagen. Ein Ermessen steht ihm nicht zu. Vielmehr muß er – als Ausnahme von der Ausnahme – einwenden, daß der Einwendungsausschluß des § 18 Abs 1 Satz 1 WGSVG nicht durchgreift. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts dafür ausreichen zu erkennen, daß eine derartige Zweckverfehlung angesichts der Regelungen des DISVA in Israel nicht droht; die darlegungspflichtige Beklagte hat hierzu auch nichts vorgetragen und keine solche Versagungsentscheidung getroffen.

Nach alledem ist das Begehren der Klägerin, aus ihren FRG-Beitragszeiten und den anerkannten Verfolgungsersatzzeiten (nicht aber den später nachentrichteten Beiträgen) ab 1. Januar 1986 ARG zu erhalten, begründet. Die Revision der Beklagten gegen das im Ergebnis richtige Urteil des LSG konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173833

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