Leitsatz (redaktionell)

Keine endgültige Lösung vom Betrieb durch einen nur kurzfristigen Aufenthalt in einer am versicherten Heimweg gelegenen Gaststätte.

 

Normenkette

RVO § 543 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. September 1961 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin zu 1) ist die Witwe, die Kläger zu 2) und 3) sind die Kinder des am 25. August 1957 durch einen Motorradunfall tödlich verunglückten Vorarbeiters Josef Sch (S). Die Kläger begehren von der beklagten Berufsgenossenschaft die Gewährung von Hinterbliebenenentschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung, weil S. mit seinem Motorrad auf dem Heimweg von der Zeche zu seiner Wohnung tödlich verunglückt sei.

S. beendete am Sonntag, dem 25. August 1957, gegen 14.00 Uhr eine Nebenschicht. Zusammen mit seinen Mitarbeitern, den Schlossern Horst Sch und Friedrich Wilhelm R, fuhr er von Götzenkirchen auf der Straße, die er normalerweise für seinen Heimweg benutzt, in Richtung Mödrath , Türnich, Bachem, Gleuel. Dabei benutzten S. und R ihre Motorräder, während S auf seinem Fahrrad fuhr. In Türnich war an diesem Tage Kirmes. Der Zeuge R, der in Türnich beheimatet ist, wurde von S. und dem Zeugen S aufgefordert, aus diesem Grunde etwas zu spendieren. S. suchte daraufhin mit seinen Mitarbeitern die Gastwirtschaft W auf, die in Türnich - etwas abseits von der Straße, aber nicht in der Nähe des Kirmesplatzes - liegt. Dagegen lehnte er eine Einladung des Zeugen R, mit ihm zum Mittagessen nach Hause zu kommen, mit der Begründung ab, er wolle nach Hause, weil seine Frau das Mittagessen gerichtet habe.

S. nahm in der Gastwirtschaft W zwei Glas Bier und eine Coca-Cola zu sich. Nach etwa 1 1/2 Stunden - gegen 16.00 Uhr - verließ er mit seinem Mitarbeitern die Gastwirtschaft und fuhr in Richtung Bachem, Gleuel. Seine beiden Kameraden fuhren in einer anderen Richtung. Um 17.45 Uhr wurde S., neben seinem Motorrad liegend, auf der Straße von Türnich nach Bachem, etwa 100 m vor der Nord-Südbahn-Brücke, verunglückt aufgefunden. Am nächsten Tag starb er an den Unfallfolgen.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 23. Dezember 1957 die Entschädigungsansprüche der Kläger ab.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Köln durch Urteil vom 15. April 1959 abgewiesen.

Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 5. September 1961 die Beklagte unter Abänderung des Urteils des SG und unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, den Klägern Witwen- bzw. Waisenrente zu zahlen. Es hat die Revision zugelassen.

Das LSG ist der Auffassung, daß S. auf dem Teil des Weges, auf welchem er verunglückt ist, unter Versicherungsschutz gestanden hat, weil durch den etwa 1 1/2-stündigen Aufenthalt in der Gastwirtschaft W der Zusammenhang mit dem Betrieb zwar unterbrochen, aber nicht gelöst worden sei. Für die Frage, ob der fortgesetzte Heimweg wieder in ursächlichem Zusammenhang mit der versicherten Arbeitstätigkeit gestanden habe oder ob dieser Zusammenhang infolge des vorherigen Verhaltens des S. endgültig gelöst worden sei, komme es nicht allein auf die Dauer der Unterbrechung, sondern auch auf die näheren Umstände an. Nach einer Unterbrechung stehe der Rest des Weges grundsätzlich wieder unter Versicherungsschutz. Ein Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung entfalle nur ausnahmsweise, wenn Dauer und Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhangs schließen ließen. Unbilden der Witterung (Regen, Windböen) hätten keinen Einfluß auf den Entschluß gehabt, die Gaststätte in Türnich aufzusuchen oder in ihr zu verweilen. Es könne auch nicht angenommen werden, daß S. und seine Arbeitskameraden einen regelrechten Kirmesbesuch beabsichtigt hätten. Allerdings sei die Kirmes der Anlaß gewesen, den in Türnich ansässigen Zeugen R zu bitten, seinen Arbeitskameraden etwas zu spendieren. Aus dem Umstand, daß sich S. hiervon nicht ausgeschlossen habe, weil er Vorarbeiter dieser Arbeitsgruppe gewesen sei, sei zu schließen, daß das Beisammensein in der Gastwirtschaft der Betriebsverbundenheit der Arbeitskameraden habe dienen sollen. Danach könne weder nach der Art noch nach der Dauer der Unterbrechung angenommen werden, daß eine Lösung des Zusammenhangs im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO bei S. - in der vor dem 1. Juli 1963 geltenden Fassung - eingetreten sei. Andere Umstände, die eine endgültige Lösung des Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit wahrscheinlich machen könnten, seien nicht ersichtlich. Insbesondere lägen nach den polizeilichen Ermittlungen und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine verwertbaren Anhaltspunkte dafür vor, daß S. etwa infolge übermäßigen Alkoholgenusses fahruntüchtig gewesen und es allein deshalb zu dem Verkehrsunfall gekommen sei.

Die Beklagte vermute zwar, daß sich S. nach Verlassen der Gastwirtschaft W (gegen 16.00 Uhr) auch weiterhin noch eigenwirtschaftlich verhalten haben könnte, weil er erst über eine Stunde später (gegen 17.15 Uhr) aufgefunden worden sei. Dagegen spräche jedoch, daß S. bereits auf der Arbeitsstelle geäußert habe, wegen des gerichteten warmen Essens wolle er möglichst bald nach Hause kommen. Der genaue Zeitpunkt des Unfalls habe nicht festgestellt werden können. Es sei somit nicht auszuschließen, daß der Verunglückte, ehe er aufgefunden worden sei, schon eine Zeitlang am Unfallort gelegen habe. Es sei auch nicht wahrscheinlich, daß zur Dauer des Gasthausaufenthaltes noch eine weitere Zeitspanne hinzukomme, in welcher S. privaten Zwecken nachgegangen sei. Es müsse daher unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen R angenommen werden, daß S. nach Verlassen der Gastwirtschaft W ohne Unterbrechung in Richtung seiner Wohnung gefahren sei.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Zur Begründung hat sie im wesentlichen vorgetragen: Das LSG habe § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO verletzt. S. habe sich nämlich zur Zeit des Unfalls von dem Betrieb gelöst gehabt. Denn die Kirmes in Türnich sei der Anlaß für den Besuch der Gastwirtschaft gewesen. Das LSG habe zwar außerdem festgestellt, daß sich Anlaß und Zweck des Beisammenseins in der Gastwirtschaft aus der Betriebsverbundenheit der Arbeitskameraden untereinander ergeben hätten. Die Ausführungen des LSG seien aber widersprüchlich. Einmal solle die Kirmes der Anlaß für das Trinken gewesen sein, zum anderen aber die Betriebsverbundenheit der Arbeitskameraden untereinander. Es gehe zudem nicht an, bei einer rein privaten, außerbetrieblichen Angelegenheit, wie einer Kirmes, auf die arbeitskameradschaftliche Betriebsverbundenheit abzustellen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG Köln vom 15. April 1959 zurückzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Weder S. noch seine Arbeitskameraden hätten die Kirmes am Unfalltage besucht; die aufgesuchte Gaststätte sei etwa 1 km von dem Kirmesplatz entfernt. Auf der Arbeitsstätte sei allerdings von der Kirmes gesprochen worden; eine solche Unterhaltung könne aber nicht zur Lösung vom Betrieb mit der Folge führen, daß die unwesentlich unterbrochene Heimfahrt nicht mehr unter Versicherungsschutz stehe.

II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Berufungsgericht den Klägern Hinterbliebenenentschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zugesprochen. Denn der frühere Ehemann und Vater der Kläger (S.) ist auf einem mit der Tätigkeit in dem Unternehmen zusammenhängenden Weg tödlich verunglückt (§ 543 Abs. 1 Satz 1 RVO aF).

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat S. nach verfahrener Schicht die Zeche auf der Straße, die er normalerweise benutzt, um zu seiner Wohnung zu gelangen, verlassen. Er befand sich daher zunächst jedenfalls auf einem mit seiner Tätigkeit auf der Zeche zusammenhängenden Weg. Allerdings hat er diesen Weg dadurch unterbrochen, daß er in Türnich mit seinen beiden Arbeitskameraden die etwas abseits von der Straße gelegene Gaststätte W aufsuchte. Er hat dort zwei Glas Bier und eine Coca-Cola getrunken, ist nach etwa 1 1/2 Stunden aufgebrochen und in Richtung zu seiner Wohnung weitergefahren. Es fragt sich, ob S. durch diesen Aufenthalt in der Gastwirtschaft W seinen Heimweg nur unterbrochen hat mit der Folge, daß der Rest dieses Heimweges wieder versichert war, oder ob der Zusammenhang mit der vorhergegangenen versicherten Tätigkeit endgültig gelöst worden ist, so daß der Rest des Weges nicht mehr versichert war. Eine endgültige Lösung in diesem Sinne kann nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Ob sie gegeben ist, hängt nicht nur von der Dauer des Aufenthalts, sondern auch von seiner Art ab (BSG 10, 226, 228). Wie der 2. Senat des BSG bereits entschieden hat, zwingt eine Unterbrechung des Heimweges von 1 1/2 Stunden ihrer Zeitdauer nach allein nicht zu der Annahme einer endgültigen Lösung in diesem Sinne (vgl. BSG SozR RVO Nr. 51 zu § 543 aF mit weiteren Hinweisen). Auch der Grund für die Unterbrechung des Heimwegs, aus Anlaß der Kirmes in der Wirtschaft W etwas zu verzehren, kann nicht zu einer Lösung in dem angeführten Sinne führen. Ob dies dann angenommen werden könnte, wenn S. und seine Arbeitskameraden in Türnich wirklich an der Kirmesfeier teilgenommen hätten, kann unerörtert bleiben, da dies nicht der Fall war. Die Kirmes in Türnich war nur der äußere Anlaß dafür, diese in der Nähe des Heimweges und abseits von der Kirmes liegende Gaststätte aufzusuchen. Bei einem zeitlich beschränkten Aufenthalt in der Gastwirtschaft von etwa 1 1/2 Stunden und bei einem so geringen Verzehr (2 Glas Bier und eine Flasche Coca-Cola) kann von einer eigentlichen Kirmesfeier keine Rede sein. Dieser Aufenthalt unterscheidet sich - wenn von dem äußeren Anlaß abgesehen wird - nicht von dem Aufsuchen einer Gastwirtschaft zum Zwecke der Einnahme einer Erfrischung auf dem Heimweg. Beide Fälle müssen daher gleichbehandelt werden. Für die Beurteilung des Zusammenhangs mit der Arbeit in dem Unternehmen ist es ohne Bedeutung, daß S. sich etwa an dem Aufenthalt in der Gastwirtschaft W beteiligt hat, weil er sich mit seinen Arbeitskameraden verbunden fühlte. Es würde zu weit führen, einen Zusammenhang mit dem Betrieb allein deswegen anzunehmen, weil ein Vorgesetzter mit seinen Mitarbeitern auf dem gemeinsamen Heimweg eine Pause einlegt, um etwas zu verzehren. Jedenfalls liegt aber im vorliegenden Fall nach der Dauer und der Art der Unterbrechung keine endgültige Lösung von dem Betrieb vor. Die genannten Umstände sprechen vielmehr nur für eine auf dem Heimweg eingelegte Pause. Die Gastwirtschaft W ist also nicht der auch nur vorläufige Endpunkt des Weges von der Zeche gewesen.

Das Berufungsgericht hat in seiner Urteilsbegründung aus geführt, daß zwar der genaue Zeitpunkt des Unfalls nicht festzustellen sei, daß es aber nicht wahrscheinlich sei, daß S. nach dem Verlassen der Gastwirtschaft W weiterhin privaten Zwecken nachgegangen sei, weil er die Einladung des Zeugen R zum Mittagessen ausgeschlagen habe. Diese Ausführungen sind dahin zu verstehen, daß es die Überzeugung gewonnen hat, daß S. nach dem Verlassen der Gastwirtschaft W die Heimfahrt ohne Unterbrechung fortgesetzt hat.

Diese Beweiswürdigung verstößt nicht gegen § 128 SGG und ist daher für das Revisionsgericht bindend.

S. befand sich somit im Zeitpunkt des Unfalls auf dem versicherten Weg von dem Unternehmen zu seiner Wohnung, so daß die Hinterbliebenen Anspruch auf Hinterbliebenenentschädigung haben.

Die Revision der Beklagten ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380258

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