Leitsatz (amtlich)
Voraussetzung für die Anwendung des RVO § 589 Abs 2 ist grundsätzlich, daß eine durch die besondere Berufskrankheit bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 % oder mehr zur Zeit des Todes tatsächlich vorgelegen hat. Diese Voraussetzung gilt auch als erfüllt, wenn für den Versicherten wegen einer solchen Berufskrankheit zur Zeit seines Todes bereits eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 % bindend festgestellt war, es sei denn, daß sie offenkundig nicht oder nicht in dieser Mindesthöhe vorgelegen hat.
Normenkette
RVO § 589 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. November 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des am 26. Oktober 1963 im Alter von 67 Jahren verstorbenen ehemaligen Bergmanns O (O., Versicherter), der von der Beklagten seit Juni 1959 Verletztenrente wegen Silikose, zuletzt - seit dem 8.12.1962 - nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. bezogen hatte. Da während einer wegen vermuteter Tuberkulose durchgeführten Heilstättenbehandlung (14.8. - 21.10.1963) der Verdacht auf einen malignen Tumor auftrat, wurde O. anschließend in das Krankenhaus "B" in B aufgenommen, wo er vier Tage später unter zunehmender Kreislaufschwäche starb. In ihrem Obduktionsgutachten vom 27.4.1965 kamen Dr. med. habil G und Prof. Dr. K zu dem Ergebnis, daß bei dem Versicherten ein sehr ausgedehnter Bronchialkrebs des rechten Lungenoberlappens vorgelegen und den Tod zur Folge gehabt habe, wobei eine eitrige Bronchiolitis sowie Herdlungenentzündungen die unmittelbare Todesursache gewesen seien. Eine aktive Lungen-Tbc habe sich nicht nachweisen lassen, wohl aber eine gut mittelgradige Silikose, an der O. jedoch nicht gestorben sei. Es sei auch unwahrscheinlich, daß die Silikose eine wesentliche Teilursache des Todes dargestellt habe.
Nachdem der Staatliche Gewerbearzt dem Gutachten zugestimmt hatte, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 19.7.1965 einen Entschädigungsanspruch der Witwe mit der Begründung ab, auf Grund des Obduktionsgutachtens könne nicht als gesichert angesehen werden, daß die silikosebedingte MdE des Verstorbenen tatsächlich 50 v. H. betragen habe. Außerdem sei O. mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit an den Folgen eines Bronchialkrebses gestorben; damit sei offenkundig, daß der Tod mit der Silikose nicht in ursächlichem Zusammenhang gestanden habe.
In dem anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren wurde ein Gutachten des Pathologen Prof. H eingeholt, der annahm, die silikosebedingte MdE habe bei einer Kombination von Silikose und Siliko-Tbc zuletzt 50 v. H. oder mehr betragen, und es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß sich der Krebs auf Grund einer chronischen Bronchitis entwickelt habe, die ihrerseits von der Silikose untrennbar sei. Nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft sei nicht auszuschließen, daß der zum Tode führende Bronchialkrebs Folge der Silikose gewesen sei. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung ihres angefochtenen Bescheides verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Es ging davon aus, der Bronchialkrebs sei mit Wahrscheinlichkeit auf die Silikose zurückzuführen; auf die Anwendbarkeit des § 589 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und somit auf den Grad der MdE komme es daher nicht an.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zunächst ein Gutachten von Prof. W eingeholt und dann noch Prof. P in der mündlichen Verhandlung als Sachverständigen gehört. Prof. W kam zu dem Ergebnis, die durch die gut mittelgradige Silikose bedingte MdE sei mit 40-50 v. H. einzuschätzen. Nach dem derzeitigen Stand des medizinischen Wissens lasse sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Silikose und Bronchialkrebs nicht wahrscheinlich machen. Prof. P äußerte sich dahin, daß bei O. eine MdE um 50 v. H. vorgelegen habe, dagegen keine Siliko-Tbc. Er sei aber nicht an der Silikose, sondern an einem Bronchialkrebs gestorben. Es sei nicht zweifelhaft, daß die bei O. festgestellte Bronchitis zumindest zum größten Teil silikosebedingt gewesen sei. Die Frage, ob auf dem Boden einer chronischen Bronchitis ein Bronchialkrebs entstehen könne, sei noch umstritten; hiernach könne man nicht sagen, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, der Bronchialkrebs sei nicht Folge der Berufskrankheit (BK). Nach dem Sektionsbefund habe sich der Bronchialkrebs in einem schon vorher von silikotischen Veränderungen befallenen Lungenteil entwickelt; auch sei eine Umwandlung des Bronchialepithels vom Zylinder- in ein Plattenepithel erfolgt, wie man dies bei chronischen Bronchitiden finde, insbesondere bei Bergleuten.
Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die tatbestandsmäßige Voraussetzung für die Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO sei erfüllt; hierfür komme es allein darauf an, in welchem Ausmaß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten durch die Folgen der BK tatsächlich gemindert sei. Es sei der Beklagten darin beizupflichten, daß es sich bei der im Dezember 1962 röntgenologisch festgestellten Verschattung nicht - wie damals angenommen - um eine neue silikotische Schwiele, sondern um eine Erscheinung des Bronchialkrebses gehandelt habe. Es stehe zur Überzeugung des Senats auch fest, daß bei dem Versicherten keine aktive Lungen-Tbc neben der gut mittelgradigen Silikose bestanden hat. Wenn auch Prof. W die silikosebedingte MdE auf 40-50 v. H. geschätzt habe, so sei der Senat doch durch die Ausführungen von Prof. P davon überzeugt, daß die Erwerbsfähigkeit durch die Silikose und ihre funktionellen Auswirkungen tatsächlich um 50 v. H. beeinträchtigt gewesen sei. Der Sachverständige - ein erfahrener Internist und langjähriger Chefarzt eines Knappschaftskrankenhauses - habe im Hinblick auf die erheblich herabgesetzte Vitalkapazität des Versicherten und seine im wesentlichen auch auf die Silikose und die durch sie bedingte Bronchitis zurückzuführende Atemnot und nicht zuletzt unter Berücksichtigung der bei der Obduktion festgestellten ausgedehnten silikotischen Veränderungen eine Einschätzung der silikosebedingten MdE auf 40 v. H. für zu gering erachtet und der Bewertung mit 50 v. H. mehr Berechtigung zugesprochen.
Demgemäß sei der Anspruch der Klägerin aus § 589 Abs. 2 RVO begründet. Das gelte nach Satz 2 dieser Vorschrift nur dann nicht, wenn das Nichtbestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen BK und Tod offenkundig sei; eine solche Feststellung habe sich aber nicht treffen lassen. Dabei sei es nicht von entscheidender Bedeutung, ob man den Begriff "offenkundig" mit dem Begriff einer "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" gleichsetze oder ihn dahin auslege, daß "ernstlich ins Gewicht fallende Zweifel" ausgeschlossen seien. Es sei schon bei Anwendung des früheren Rechts nicht zweifelhaft gewesen, daß Wechselbeziehungen zwischen silikotischen und anderen Lungenveränderungen (z. B. emphysematösen oder bronchitischen) nach medizinisch gesicherter Auffassung bestehen könnten, die es erforderlich machten, insgesamt vorliegende atem- und kreislaufbedingte Ausfallserscheinungen ganz oder teilweise der Silikose anzulasten. Es bestehe daher kein Anlaß, die bei dem Ehemann der Klägerin vorliegend gewesene Bronchitis als silikoseunabhängig anzusehen, nachdem Prof. H sie als "untrennbar von der Silikose" und Prof. P sie als "zumindest zum größten Teil silikosebedingt" bezeichnet hätten. Zwar sei, wie Prof. W und Prof. P aufgezeigt hätten, im vorliegenden Fall ein Zusammenhang zwischen Tod und BK nicht wahrscheinlich zu machen, jedoch sei ein solcher Zusammenhang auch nicht als offenbar unmöglich auszuschließen. Es sei medizinisch nicht zu widerlegen, daß der Bronchialkrebs des Ehemannes der Klägerin auf dem Boden eines silikotischen Herdes oder einer zumindest zum größten Teil silikosebedingten chronischen Bronchitis entstanden sein könne. Die am Fehlen eines Kausalzusammenhangs noch bestehenden Zweifel seien immerhin so gewichtig, daß sie als medizinisch ernstlich ins Gewicht fallend angesehen werden müßten.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Mit der Revision rügt die Beklagte zunächst, das LSG habe zu Unrecht festgestellt, daß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten tatsächlich um 50 v. H. gemindert gewesen sei; es habe insoweit nicht auf Grund eines vollständig ausgeschöpften Sachverhalts entschieden und damit die Grenzen des Rechts auf freie Beweiswürdigung überschritten. Da die letzte Rentenerhöhung von 40 auf 50 v. H. nur auf Grund eines diagnostischen Irrtums erfolgt sei, hätte es wirklich gewichtiger Argumente bedurft, gleichwohl eine MdE von 50 v. H. als nachgewiesen anzunehmen. Obgleich Prof. W nur eine silikosebedingte MdE von 40 - 50 v. H. angenommen habe, sei insoweit das LSG den Ausführungen von Prof. P gefolgt, die jedoch der erforderlichen Schlüssigkeit entbehrten. Sein Hinweis auf das Ausmaß bisher nicht hinreichend berücksichtigter silikotischer Veränderungen, die sich bei der Obduktion gezeigt hätten, sei irrelevant, da weder der Sektionsbefund noch der Röntgenbefund eine verbindliche Aussage über die silikosebedingten Insuffizienzen vermitteln könnten. Auch die Messungen der Vitalkapazität, auf die der Sachverständige zurückgreife, könnten hierfür keine verwertbaren Ergebnisse liefern.
Ferner gehe das LSG offenbar von einer Gleichsetzung des Begriffs der "Offenkundigkeit" mit dem einer "an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" aus. Eine solche Wahrscheinlichkeit lasse sich jedoch nicht erreichen. Da der Gesetzgeber aber Ausnahmen von der Regel des § 589 Abs. 2 RVO Satz 1 überhaupt zugelassen habe, sei anzunehmen, daß er zwar eine Umkehr der Beweislast, nicht aber eine völlige Abkehr vom Kausalitätsprinzip beabsichtigt habe. Wenn mit großer Wahrscheinlichkeit feststehe, daß der Tod auf eine anlagebedingte Krankheit zurückzuführen sei, so bleibe für die Anwendung des § 589 Abs. 2 Satz 1 RVO kein Raum.
Folge man aber der weiter vom LSG in Betracht gezogenen Auslegung des Offenkundigkeitsbegriffes, so sei der Anspruch der Klägerin nicht begründet; denn unter Berücksichtigung des derzeitigen Standes der Wissenschaft ließen sich irgendwelche ernsthaften Zweifel am Nichtbestehen des ursächlichen Zusammenhangs hier nicht dartun. Die Frage der Krebsentstehung sei noch weitgehend ungeklärt. Lehrmeinungen und Hypothesen, die noch nicht zu konkreten Ergebnissen geführt hätten, könnten aber im Rahmen der Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO nicht berücksichtigt werden.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 1965 wiederherzustellen,
hilfsweise,
die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die gegen die tatsächliche Feststellung, daß die silikosebedingte MdE 50 v. H. betragen habe, erhobenen Verfahrensrügen könnten angesichts der vorliegenden Gutachten nicht durchgreifen. Hinsichtlich des Begriffes der Offenkundigkeit stehe die Auffassung des LSG im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 589 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der hier maßgebenden, vor dem Tode des Versicherten in Kraft getretenen Fassung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30.4.1963 steht der Tod eines Versicherten, dessen Erwerbsfähigkeit durch die Folgen u. a. einer Silikose oder Siliko-Tuberkulose um 50 oder mehr v. H. gemindert war, grundsätzlich dem zur Entschädigung verpflichtenden Tod durch Arbeitsunfall gleich. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift sind, wie das LSG im Ergebnis zutreffend erkannt hat, im vorliegenden Fall gegeben.
Im Grundsatz ist dem LSG und der Beklagten darin beizupflichten, daß es hierfür darauf ankommt, daß vor dem Tode eine durch die BK bedingte MdE von mindestens 50 v. H. tatsächlich vorgelegen hat, nicht darauf, daß wegen dieser MdE eine Verletztenrente gewährt wurde. Das folgt außer aus dem Wortlaut der Vorschrift schon daraus, daß es sonst in den Fällen, in denen es vor dem Tode nicht mehr zu einer Rentenfeststellung gekommen ist, ungerechtfertigterweise an der Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift fehlen würde. In diesen Fällen bedarf es daher zwangsläufig der nachträglichen Prüfung, welcher Grad der MdE wegen der besonderen BK vorgelegen hat. Das besagt aber nicht, daß auch in den Fällen, in denen bereits eine MdE von 50 oder mehr v. H. wegen einer solchen BK anerkannt und entschädigt wurde, nach dem Tode des Berechtigten das Vorliegen einer solchen MdE als Voraussetzung für die Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO nachträglich neu und zwar unter Belastung der Hinterbliebenen mit dem Beweisrisiko - festgestellt werden müßte. Dabei erscheint es in diesen Fällen schon von der Sache her wenig sinnvoll, zunächst den Grad der zu Lebzeiten bestehenden MdE posthum zu ermitteln, um dann aus dieser MdE eine gesetzliche Vermutung der Todesursache herzuleiten. Das gilt umso mehr, als - wie die Beklagte ja selbst vorträgt - posthume Befunde über die silikosebedingten Insuffizienzen und damit den Grad der MdE nur wenig genaue Aussagen ergeben können.
Unbeschadet dessen, daß es grundsätzlich auf die tatsächlich vorliegende MdE ankommt und daß auch wegen der selbständigen Natur der Hinterbliebenenleistungen die Gewährung der Verletztenrente keine Bindungswirkung nach § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für einen Anspruch der Hinterbliebenen aus § 589 Abs. 2 RVO zu erzeugen vermag, ist der Senat daher der Auffassung, daß eine solche zugunsten des Versicherten getroffene Feststellung hierbei doch nicht unberücksichtigt bleiben darf. Durch diese Vorschrift wollte der Gesetzgeber nicht nur im Ergebnis eine Besserstellung des in Betracht kommenden Personenkreises erreichen, sondern insbesondere auch den sozialen Rechtsfrieden fördern. Es wurde als Mißstand empfunden, daß es nach dem Tode eines langjährig an einer anerkannten Silikose leidenden Bergmanns häufig zu langwierigen und kostspieligen Ermittlungen über die Todesursache und schließlich zur Ablehnung der Hinterbliebenenansprüche aus medizinischen Kausalitätserwägungen kam, die den Betroffenen unverständlich bleiben und daher unglaubwürdig erscheinen mußten. Durch die noch besonders verstärkte Beweislastverlagerung in § 589 Abs. 2 RVO sollte zugunsten der Hinterbliebenen eine klare Regelung getroffen und der posthume medizinische Streit über die Todesursache - auch aus Gründen der Pietät - vermieden werden. Es würde daher dem Sinn und Zweck der Vorschrift eindeutig widersprechen, wenn nun zur Prüfung ihrer Anwendungsvoraussetzungen dem Streit über die Todesursache zusätzlich noch ein Streit über die Richtigkeit des Grades der zu Lebzeiten bereits festgestellten MdE vorgeschaltet werden sollte, wobei zudem die Hinterbliebenen in eine ungünstige Beweislastsituation gedrängt würden. Der Gesetzgeber hat dieses Problem wohl nicht erkannt, sondern ist offenbar davon ausgegangen, man würde eine bereits festgestellte MdE von 50 oder mehr v. H. ohne weiteres auch der Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO zugrundelegen, zumal auch der Verletzte und seine Angehörigen, die späteren Hinterbliebenen, auf die Richtigkeit dieser Feststellung vertrauen durften. Der Senat hat hiernach keine Bedenken, die Vorschrift - ihrem Sinn und Zweck entsprechend - ergänzend dahin auszulegen, daß sich die darin für die Todesursache aufgestellte Vermutung und Beweislastregelung auch auf die Richtigkeit einer bereits zu Lebzeiten festgestellten silikosebedingten MdE um 50 oder mehr v. H. erstreckt. Das bedeutet, daß § 589 Abs. 2 RVO auch dann anzuwenden ist, wenn für den Versicherten zur Zeit seines Todes eine Rente wegen Silikose nach einer MdE um mindestens 50 v. H. bindend festgestellt war, es sei denn, daß sie offenkundig, d. h. ohne jeden ernsthaften Zweifel, zur Zeit des Todes tatsächlich nicht bestanden hat.
Hiernach sind die Voraussetzungen für die Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO im vorliegenden Fall erfüllt, ohne daß es noch darauf ankommt, ob die Verfahrensrügen der Beklagten durchgreifen würden. Sie wären nämlich allenfalls geeignet, die Feststellung des LSG, daß die silikosebedingte MdE des Versicherten zur Zeit seines Todes tatsächlich 50 v. H. betragen habe, dahingehend zu entkräften, daß es nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme offenbliebe, ob die MdE schon mit 50 v. H. oder noch mit 40 v. H. einzuschätzen sei. Ein solches "non liquet" würde im vorliegenden Fall aber, wie oben dargelegt, zu Lasten der Beklagten gehen. Keinesfalls vermöchte das Revisionsvorbringen der Beklagten die Feststellung zu rechtfertigen, es sei offenkundig, daß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten noch nicht um 50 v. H. gemindert gewesen sei. Hätte das LSG sich, was zur Begründung seiner Entscheidung ausgereicht hätte, mit der Feststellung begnügt, daß dies nicht offenkundig sei, so wäre eine solche Feststellung mit den Verfahrensrügen der Beklagten nicht angreifbar. Die insoweit nicht angreifbaren Feststellungen des LSG reichen also aus, bei richtiger Rechtsanwendung die Voraussetzungen des § 589 Abs. 2 RVO zu begründen.
Nach Satz 1 dieser Vorschrift steht der Tod des Versicherten dem Tode durch Arbeitsunfall gleich. Diese Vermutung gilt aber nach Satz 2 dann nicht, wenn offenkundig ist, daß der Tod mit der Berufskrankheit nicht in ursächlichem Zusammenhang steht. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. BSG 28, 38, 41 = SozR Nr. 4 zu § 589 RVO) sind die Voraussetzungen des Begriffs "offenkundig" im Sinne dieser Vorschrift dann gegeben, wenn die Silikose mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit den Tod des Versicherten im medizinischen Sinne nicht erheblich mitverursacht und ihn auch mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit nicht um wenigstens ein Jahr beschleunigt hat. Wenn diese Rechtsprechung dem LSG bei Ausspruch des angefochtenen Urteils auch noch nicht bekannt sein konnte, so ergibt sich doch aus seiner Urteilsbegründung hinreichend deutlich, daß das LSG nicht etwa - was die Revision der Beklagten allein rechtfertigen könnte - von einer für sie ungünstigeren Auslegung der Vorschrift, d. h. von strengeren Anforderungen an den Gegenbeweis ausgegangen ist. Wenn es die Feststellung trifft, daß im vorliegenden Fall jedenfalls medizinische, ernstlich ins Gewicht fallende Zweifel am Nichtbestehen von Zusammenhangsbeziehungen nicht ausgeräumt werden können, so will es damit erkennbar die gleiche Vorstellung zum Ausdruck bringen, die auch der Rechtsprechung des Senats zugrunde liegt. Daß das LSG hierunter nicht etwa eine "an Gewißheit (oder Sicherheit) grenzenden Wahrscheinlichkeit" versteht, ergibt sich aus seinen abschließenden Ausführungen, worin es diese beiden Auslegungsmöglichkeiten als alternativ gegenüberstellt und die Anwendung des § 589 Abs. 2 Satz 2 RVO ausdrücklich unter beiden Alternativen verneint.
In seinem o. a. Urteil hat der erkennende Senat es allerdings für unbedenklich angesehen, wenn ein Gericht aus dem Umstand, daß nur eine ganz entfernte, d. h. eine lediglich theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs bestehe, annimmt, der Tod sei ohne jeden ernsthaften Zweifel nicht durch die Silikose verursacht. Im vorliegenden Fall lassen aber die Ausführungen des LSG nicht erkennen, daß es etwa von einer solchen ganz entfernten, lediglich theoretischen Möglichkeit ausgegangen sein könnte. Seine Ausführungen lassen vielmehr erkennen, daß das Berufungsgericht im Rahmen seiner tatsächlichen Feststellungen auch in Kenntnis und unter strenger Beachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu keinem anderen Ergebnis gelangt wäre. Diese Feststellungen aber sind von der Revision nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen worden. Die Revision verkennt offenbar die besonders verstärkte Umkehrung der Beweislast in § 589 Abs. 2 RVO, wenn sie meint, für die dort aufgestellte Kausalitätsvermutung sei immer dann schon kein Raum, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit der Tod auf einer anlagebedingten Krankheit beruhe, und daß sich das Fehlen wissenschaftlich gesicherter Kenntnisse über die Kausalitätsbeziehungen zwischen verschiedenen Gesundheitsstörungen zu Lasten der Hinterbliebenen auswirken müsse.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Fundstellen